Georg Ebers
Die Frau Bürgemeisterin
Georg Ebers

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Fünfzehntes Kapitel.

Am folgenden Tage begaben sich nach der Sitzung des Raths der Bürgemeister van der Werff, der Stadtsekretär van Hout und ein Notarius mit zwei Gerichtsdienern in die Nobelstraße, um den Nachlaß des alten Fräuleins van Hoogstraten zu ordnen. Die Väter der Stadt hatten beschlossen, die verlassenen Wohnungen der Glipper mit Beschlag zu belegen und das in ihnen zurückgebliebene Gut zum Besten der gemeinen Sache zu verwenden.

Die üble Gesinnung der alten Dame war allbekannt, und da Leyden ihren nächsten Angehörigen, den Hoogstraten und Matenesse van Wibisma, untersagt worden war, so fiel der Stadt die Aufgabe zu, die Erben zu vertreten. Man durfte erwarten, daß in dem Testament der Verstorbenen nur offenkundige Glipper bedacht sein würden, und war dies der Fall, so sollte der Stadt die Nutznießung der vorhandenen Kapitalien und Liegenschaften zufallen, bis die Ueberläufer sich eines Besseren besinnen und der Behörde durch ihr Verhalten gestatten würden, ihnen wiederum die Thore zu öffnen. Wer von ihnen fortfuhr, dem Spanier anzuhängen und der Sache der Freiheit entgegenzuarbeiten, dessen Antheil an der Erbschaft sollte der Stadt gehören. Dies Verfahren war kein neues. König Philipp hatte es zu üben gelehrt, da ja zu seinen Gunsten nicht nur die Güter von zahllosen unschuldig Hingerichteten, Verbannten oder freiwillig in's Exil gegangenen Anhängern der neuen Religion, sondern auch die Besitztümer von gut katholischen Patrioten eingezogen worden waren. Wenn man so viele Jahre lang Amboß gewesen, thut es wohl, den Hammer zu spielen: verfuhr man dabei nicht immer in würdiger und mäßiger Weise, so entschuldigte man sich damit, eine hundertfach härtere und grausamere Behandlung von den Spaniern erfahren zu haben. Es würde unchristlich gewesen sein, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, aber man gab ja auch nur auf tödtliche Streiche derbe Schlage zurück und stand den Glippern nicht nach dem Leben.

An der Thür des Sterbehauses fanden die Herren vom Rath den Musiker Wilhelm Corneliussohn mit seiner Mutter; sie waren gekommen, um Henrika noch einmal gastliche Aufnahme in ihrem Hause anzubieten. Die Frau Steuereinnehmerin, welche sich anfänglich geweigert hatte, ihre Nächstenliebe auf das Glipperfräulein zu erstrecken, ertrug es nun schwer, um die Gelegenheit, ein gutes Werk zu üben, gekommen zu sein, und gab diesen Empfindungen in der ihr eigenen derben Weise Ausdruck.

In der Hausflur stand Belotti, nicht mehr in seidenen Strümpfen und dem mit Atlas verbrämten Tuchgewande des Hausmeisters, sondern in einfacher, dunkler Bürgertracht. Er hatte dem Musiker und Peter eröffnet, daß er für's Erste in Leyden bleibe, weil er es nicht über's Herz bringe, die erkrankte Zofe Denise im Stich zu lassen; aber es hielt ihn auch noch Anderes zurück, und vornehmlich, obgleich es ihm widerstand, sich dies selbst einzugestehen, das durch lange Jahre gefestigte Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem Hoogstraten'schen Hause. Seine Rechnungsbücher waren in guter Ordnung, das hatte der Sachwalter des Fräuleins anerkannt und ihm sein Guthaben willig ausgezahlt. Sein Erspartes war sicher angelegt worden, und da der mäßige Mann die Zinsen niemals angerührt, sondern zum Kapital geschlagen hatte, stattlich angewachsen. Nichts hielt ihn in Leyden zurück, aber er konnte es doch noch nicht verlassen, bevor in dem Hause, das er so lange verwaltet hatte, Alles zum Abschluß gelangt war.

Tag für Tag hatte er sich nach dem Befinden der kranken Damen erkundigt, und nach dem Tode der Eccellenza blieb er, obgleich es mit Denise besser zu werden begann, dennoch in Leyden; hielt er es doch für seine Pflicht, der Verstorbenen bei ihrem Begräbniß die letzte Ehre zu erweisen.

Den Herren von der Stadt war es lieb, Belotti im Hause zu finden. Der Notar hatte das kleine Vermögen desselben verwaltet und schätzte ihn als einen redlichen Mann. Jetzt forderte er ihn auf, ihm und seinen Begleitern als Führer zu dienen. Es galt vor allen Dingen, das Testament der Verstorbenen aufzufinden. Ein solches mußte vorhanden sein, denn es war bis zu dem Tage, welcher der Erkrankung Henrika's folgte, bei dem Notar in Verwahrsam gewesen, dann aber von der alten Dame, welche Veränderungen in demselben vorzunehmen wünschte, zurückverlangt worden. Er wußte über seinen Inhalt keinen Aufschluß zu geben; denn nicht er, sondern der verstorbene Kollege, dessen Klientel ihm zugefallen war, hatte bei seiner Abfassung Beistand geleistet.

Der Hausmeister führte die Herren zuerst in das Wohnzimmer und das kleine Kabinet der Padrona, aber obgleich man dort die Schreibtische, Truhen und Schränke durchsuchte und auf Briefe, Geld und werthvolle Schmucksachen in manchem Kasten und Kästchen stieß, das Dokument wurde doch nicht gefunden.

Die Herren vermutheten, es werde in einem geheimen Fach liegen, und trugen einem Gerichtsdiener auf, den Kunstschlosser zu rufen. Belotti ließ es geschehen, aber er lauschte dabei mit besonderer Aufmerksamkeit auf den leisen Gesang, welcher aus dem Schlafgemach drang, in dem sich die Leiche der alten Dame befand. Dort, das wußte er, konnte sich das Testament am ehesten finden, aber es lag ihm am Herzen, den Priester die Einsegnung seiner Gebieterin ungestört vornehmen zu lassen. Sobald es in dem Sterbezimmer still wurde, bat er die Herren, ihm zu folgen.

Der hohe, flach gewölbte Raum, in den er sie führte, war von Weihrauchdüften erfüllt. Eine große Bettstatt, über welcher sich ein spitzes Zelt von schwerer Seide bis zur Zimmerdecke erhob, stand im Hintergrunde. In der Mitte der Stube hatte der Sarg, in dem die Verstorbene ruhte, Platz gefunden. Ein leinenes mit Spitzen besetztes Tuch lag über dem Antlitz. Die feinen, immer noch unverfallenen Hände der Verstorbenen waren gefaltet und schlossen sich leicht um einen vielgebrauchten Rosenkranz. Den Körper der Entschlafenen barg eine kostbare Decke und in der Mitte derselben lag ein Kruzifix von schön geschnittenem Elfenbein.

Die Herren verneigten sich stumm vor der Leiche. Belotti trat näher heran, und als er die ihm so wohlbekannten Hände der Padrona erblickte, wurde die Brust des alten Mannes von einem krampfhaften Schluchzen erschüttert. Dann kniete er neben dem Sarge nieder, drückte die Lippen auf die zarten, erkalteten Finger, und eine warme Thräne, die einzige, welche um diese Todte vergossen wurde, fiel auf die für immer geschlossenen Hände.

Der Bürgemeister und seine Begleiter störten ihn nicht, auch nicht als er die Stirn auf das Holz des Sarges legte und ein kurzes, stilles Gebet sprach. Nachdem er sich erhoben und ein älterer Geistlicher in vollem Priesterornat das Zimmer verlassen hatte, winkte Pater Damianus dem Chorknaben, mit dem er in den Hintergrund getreten war, legte mit seiner und Belotti's Hülfe den Deckel über den Sarg und sagte dann, indem er sich an Peter van der Werff wandte:

»Um Mitternacht denken wir das Fräulein zur Ruhe zu bringen, damit es kein Aergerniß gibt.«

»Gut, Herr!« entgegnete der Bürgemeister, »und was auch kommt, wir werden Euch nicht aus der Stadt weisen. Wenn Ihr es freilich vorzieht, Euch zu den Spaniern . . .«

Damianus schüttelte das Haupt und unterbrach den Bürgemeister, indem er bescheiden erwiederte:

»Nein, Herr; ich bin in Utrecht geboren, und ich bete gern für das freie Holland.«

»Seht, seht!« rief der Stadtsekretär. »Das war ein Wort, ein vortreffliches Wort! Eure Hand, Herr Pater.«

»Da ist sie; und so lange ihr nicht das haec libertatis ergo auf euren Münzen in ein haec religionis ergo verwandelt, braucht nichts von dem Worte geändert zu werden.«

»Ein freies Land und darin Freiheit des Glaubens für Jeden, auch für Euch und die Euren,« sagte der Bürgemeister, »das ist's, was wir wollen. Doktor Bontius hat mir von Euch gesprochen, würdiger Mann; Ihr habt wacker für diese Todte gesorgt. Bestattet sie denn nach dem Brauch Eurer Kirche; wir sind gekommen, um das irdische Gut, welches sie nachläßt, zu ordnen. Vielleicht enthält dieses Kästchen das Testament.«

»Nein, Herr,« entgegnete der Priester. »Sie hat das versiegelte Schriftstück, als sie erkrankte, in meinem Beisein erbrochen und, so oft sie sich kräftiger fühlte, einige Worte hinzugeschrieben. Eine Stunde vor ihrem Ende befahl sie, den Herrn Notarius zu rufen, aber als er eintraf, war sie schon dahin. Ich konnte nicht immer bei der Leiche bleiben und habe das Pergament in den Wäscheschrank gelegt. Da habt Ihr den Schlüssel.«

Das eröffnete Testament fand sich bald. Der Bürgemeister faltete es gelassen auseinander, und während er seinen Inhalt laut vorlas, schauten ihm der Notar und der Stadtsekretär über die Schulter.

Verschiedene Kirchen und Klöster, in denen für die Seele des Fräuleins Messen gelesen werden sollten, und ihre nächsten Blutsverwandten hatten sich in das Vermögen zu theilen. Belotti und Denise waren mit kleinen Legaten bedacht.

»Ein Glück,« rief der Stadtsekretär, »daß dies Papier ein Stück Papier ist und nichts weiter.«

»Der Akt hat keinerlei Gültigkeit,« fügte der Notar hinzu, »denn er ward von mir mit der ausdrücklichen Erklärung, ihn abzuändern, zurückgezogen und erbrochen. Wendet das Instrument, Meister Peter. Hier hinten gibt es noch mancherlei zu lesen.«

Die Arbeit, der sich nun die Herren unterzogen, war keine leichte, denn die Kranke hatte auf die leere Rückseite des Papiers oben und unten, hierhin und dorthin kurze Notizen gekritzelt, und zwar wahrscheinlich als Gedächtnisstütze für die Abfassung eines neuen letzten Willens.

Ganz oben stand ein mit unsicherer Hand gezeichnetes Kreuz, und darunter: »Bitte für uns! Der heiligen Kirche bleibt Alles.«

Weiter unten las man: »Nico. Der Junge gefällt mir. Das Schloß auf der Düne. Zehntausend Goldgulden an Geld. Ist für ihn sicher zu stellen. Der Vater darf nicht daran rühren. Ausdrücklich hervorzuheben, warum er enterbt wird. Van Vliet aus Haarlem war der Herr, mit dessen Tochter der Vetter heimlich vermählt war. Unter erbärmlichen Vorwänden hat er sie verlassen, um eine neue Ehe zu schließen. Wenn er es vergessen hat, mir ist es im Gedächtniß geblieben, und ich tränk' es ihm ein. Nico soll es sich merken: Falsche Liebe ist Gift. Mir hat sie das Leben verdorben – verdorben.«

Diesem zweiten »verdorben« folgte das gleiche Wort noch viele Male. Das letzte am Schlusse des Satzes hatte der Stift der Kranken mit Spiralen und Ranken umwunden.

Am rechten Rande des Blattes stand eine Reihe von kurzen Notizen:

»Anna zehntausend Gulden. Festzustellen. Sonst fallen sie dem Schnapphahn d'Avila in die Krallen.

»Henrika dreimal so viel. Ihr Vater zahlt ihr das Geld aus – von der Summe, die er mir schuldet. Woher er es nimmt, ist seine Sache. So wäre die Rechnung mit ihm beglichen.

»Belotti hat sich schlecht benommen. Wird übergangen.

»Denise mag behalten, was ihr bestimmt war.«

In der Mitte des Papiers stand der mit großen Lettern geschriebene, mit doppelten und dreifachen Strichen umrahmte Satz:

»Das Ebenholzkästchen mit dem Hoogstraten'schen und d'Avila'schen Wappen auf dem Deckel soll man an die Witwe des Marquis d'Avennes senden. Man findet sie auf Schloß Rochebrun in der Normandie. –«

Die Männer, welche diese Sätze gemeinsam entziffert hatten, sahen einander schweigend an, bis van Hout ausrief:

»Welch' ein wüstes Gemisch von Bosheit und weiblicher Schwäche. Mag es in einem Frauenherzen auch noch so winterlich kalt aussehen: Eisblumen finden sich immer darin.«

»Die junge Hoogstraten in Eurem Hause, Herr Peter,« rief der Notar, »thut mir leid, denn eher entlockt man einem Roggenbrod Funken, als dem verschuldeten Habenichts solch' ein Vermögen. Die Tochter wird durch den Vater verkürzt; das nenne ich verwandtschaftlich handeln.«

»Was mag in dem Kästchen stecken?« fragte der Notar.

»Da steht es,« rief van Hout.

»Gebt es her, Belotti.«

»Wir müssen es öffnen,« sagte der Sachwalter, »denn vielleicht versucht sie ihr Bestes über die Grenze zu bringen.«

»Es öffnen? Gegen den ausdrücklichen Wunsch der Verstorbenen?« fragte van der Werff.

»Gewiß!« rief der Notar. »Wir wurden hieher gesandt, um uns über das Nachgelassene zu unterrichten. Der Deckel hält fest. Nehmt die Dietriche, Meister. Da wär' es schon offen.«

Die Bevollmächtigten der Stadt sollten keine Kostbarkeiten in der Schatulle finden, sondern nur Briefe aus verschiedenen Zeiten. Es waren nicht viele. Die untersten, stark vergilbten enthielten Liebesbetheuerungen des Marquis d'Avennes, die neueren waren kurz und Don Luis d'Avila gezeichnet. Der Stadtsekretär, welcher die kastilianische Sprache, in der sie geschrieben waren, verstand, durchlas sie schnell. Als er sich dem Ende des letzten näherte, rief er in lebhafter Empörung:

»Wir halten hier den Schlüssel zu einem Bubenstücke in Händen! Erinnert ihr euch des Aufsehens, welches vor vier Jahren der Zweikampf erregte, in dem der Marquis d'Avennes einem spanischen Raufbold zum Opfer fiel? Auf diesem Blatte schreibt nun der elende Bravo, er habe . . . Es lohnt sich der Mühe; ich werde es euch übersetzen. Der erste Theil des Billets hat keine Bedeutung; aber jetzt kommt es: ›Und nachdem es mir nun vergönnt war, mit dem Marquis den Degen zu kreuzen und ihn nicht ohne eigene Gefahr zu tödten, ein Loos, welches er wohl verdient zu haben scheint, da er Euer Mißfallen in so hohem Grade erregt hat, so ist die Bedingung, welche Ihr mir stelltet, erfüllt, und ich hoffe morgen den süßesten Lohn durch Eure Gnade in Empfang zu nehmen. Sagt Donna Anna, meiner angebeteten Braut, ich würde sie morgen in aller Frühe zum Altare führen, denn die d'Avennes sind von Einfluß und meine Sicherheit ist vielleicht schon übermorgen gefährdet. Was das Andere betrifft, so hoffe ich auf die Billigkeit und Großmuth meinem Gönnerin zählen zu dürfen.‹«

Van Hout warf das Schreiben auf den Tisch und rief: »Sehet her, was der Bravo für eine zierliche Hand schreibt. Und, Gottes Donner, die Dame, an welche diese Mordanschläge gesandt werden sollen, wird doch wohl die Mutter des unglücklichen Marquis sein, den der spanische Mordgesell erlegte.«

»Ja, Herr,« sagte Belotti, »ich kann Eure Vermuthung bestätigen. Die Marquise ist die Gattin des Mannes gewesen, der dem jungen Fräulein van Hoogstraten die Treue gebrochen. Die, welche da ruht, hat viele Sonnen auf- und untergehen sehen, bis ihre Rache gereift war.«

»In's Feuer mit dem Geschreibsel!« rief van Hout heftig.

»Nein,« entgegnete Peter. »Wir senden die Briefe nicht ab, aber Ihr werdet sie im Archiv aufbewahren. Gottes Mühlen mahlen langsam, und wer weiß, wozu diese Blätter noch gut sind.«

Der Stadtsekretär nickte zustimmend und sagte, während er die Schreiben zusammenlegte: »Ich denke, das Vermögen der Todten kommt der Stadt zugute.«

»Der Prinz wird darüber verfügen,« entgegnete van der Werff. »Wie lange habt Ihr dem Fräulein gedient, Belotti?«

»Fünfzehn Jahre.«

»So bleibt einstweilen in Leyden, denn ich denke, daß Ihr auf das Legat, welches sie ursprünglich für Euch bestimmt hat, hoffen dürft. Ich werde Euren Anspruch vertreten.«

Einige Stunden vor dem nächtlichen Begräbniß des alten Fräuleins erschienen Herr Matenesse van Wibisma und sein Sohn Nicolas vor der Stadt, aber sie wurden von dem Thorwächter abgewiesen, obgleich sie sich Beide auf den Tod ihrer Verwandten beriefen. Henrika's Vater erschien nicht, denn er war vor wenigen Tagen zum Turniere nach Köln geritten.


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