Georg Ebers
Die Frau Bürgemeisterin
Georg Ebers

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Drittes Kapitel.

Der Bürgemeister hatte den Edelmann genöthigt, sich auf den Arbeitsstuhl niederzulassen, er selbst aber lehnte halb sitzend am Schreibtisch und hörte seinem stattlichen Gaste nicht ohne Ungeduld zu.

»Ehe ich von wichtigeren Dingen rede,« hatte Herr Matenesse van Wibisma begonnen, »möchte ich Euch als einem gerechten Manne die Ahndung der Unbill an's Herz legen, welche meinem Blut in dieser Stadt widerfahren.«

»Redet,« bat der Bürgemeister, und der Ritter erzählte nun kurz und mit unverhüllter Empörung von dem Ueberfall, den sein Sohn bei der Jakobikirche erlitten hatte.

»Ich werde den Rektor von diesem ärgerlichen Vorfall unterrichten,« erwiederte van der Werff, »und gegen die Schuldigen wird nach Recht und Gebühr vorgegangen werden; aber verzeiht, edler Herr, wenn ich Euch frage: Hat man auch schon untersucht, wer den Anlaß gegeben?«

Herr Matenesse van Wibisma schaute den Bürgemeister verwundert an und entgegnete stolz:

»Ihr kennt den Bericht meines Sohnes.«

»Man soll sie billig hören Beide,« gab van der Werff gelassen zurück. »Das ist von altersher niederländischer Brauch.«

»Mein Sohn trägt meinen Namen und redet die Wahrheit.«

»Unsere Buben heißen nur Leendert oder Adrian oder Gerrit, aber sie thun das Gleiche, und so muß ich Euch bitten, den Junker zum Verhör in die große Schule zu senden.«

»Das wird mit nichten geschehen,« entgegnete der Ritter entschieden. »Wäre ich der Meinung, daß diese Sache vor den Rektor gehörte, so hätte ich ihn aufgesucht und nicht Euch, Herr Peter. Mein Sohn hat seinen eigenen Präzeptor, und er wurde nicht in eurer Schule überfallen, der er ohnehin entwachsen ist, denn er zählt bald siebenzehn Jahre, sondern auf offener Straße, über deren Sicherheit zu wachen Eures, des Bürgemeisters, Amt ist.«

»Gut denn, so reicht Eure Klage ein, führt den Junker vor die Schöffen, stellt Zeugen und laßt dem Recht seinen Lauf. Aber, Herr,« fuhr van der Werff fort und mäßigte den ungeduldigen Klang seiner Stimme, »waret Ihr nicht selbst einmal jung? Habt Ihr die Raufereien unter der Burg völlig vergessen? Welch' ein Gefallen geschieht Euch, wenn wir ein paar unbesonnene Wichte bei diesem sonnigen Wetter auf zwei Tage in's Loch werfen? Die Galgenvögel finden drinnen wie draußen etwas Lustiges zu treiben, und nur die Eltern sind die Bestraften.«

Die letzten Worte hatten so freundlich und gutherzig geklungen, daß sie ihre Wirkung auf den Freiherrn nicht verfehlten. Er war ein hübscher Mann, dessen wohlgebildete, behagliche, echt niederländische Züge nichts weniger als Härte verriethen.

»Wenn Ihr in diesem Ton mit mir redet,« gab er lächelnd zurück, »so werden wir uns leichter vereinen. Daß ich's nur sage. Wäre die Rauferei beim Spiel oder bei einer knabenhaften Streiterei entstanden, so würde ich kein Wort verlieren, – aber daß schon die Kinder sich herausnehmen, Andersgesinnte mit Hohn und Gewaltthat zu überfallen, das darf nicht ohne Rüge hingehen. Die Buben haben dem Junker das läppische Wort nachgerufen . . .«

»Es ist freilich ein übler Schimpf,« unterbrach van der Werff den Edelmann, »ein sehr garstiger Name ist es, mit dem unser Volk die Feinde seiner Freiheit bezeichnet.«

Der Freiherr erhob sich und stellte sich dem andern Manne erregt gegenüber.

»Wer sagt Euch,« rief er und schlug dabei auf die breite, mit seidenen Puffen gepolsterte Brust, »wer sagt Euch, daß wir Holland die Freiheit mißgönnen? Wir wünschen just so lebhaft wie Ihr, sie für die Staaten zurückzugewinnen, aber auf anderen, graderen Wegen als der Oranier . . .«

»Ob Eure Wege krumm oder grade sind, Herr,« gab van der Werff zurück, »hab' ich hier nicht zu prüfen; aber das weiß ich gewiß: es sind Holzwege.«

»Sie sollen zum Herzen Philipp's, unseres und eures Königs, führen.«

»Ja, hätte der nur das, was wir in Holland ein Herz nennen,« entgegnete der Andere und lächelte bitter; Wibisma aber warf den Kopf heftig zurück und sagte verweisend:

»Herr Bürgemeister, Ihr sprecht von dem gesalbten Fürsten, dem ich Treue geschworen.«

»Freiherr Matenesse,« entgegnete van der Werff mit schwerem Ernst in der Stimme, indem er sich hoch aufrichtete, die Arme kreuzte und dem Edelmann scharf in die Augen schaute, »ich spreche vielmehr von dem Zwingherrn, dessen Blutrath Alles, was niederländisch heißt und Euch mit uns Anderen für todeswürdige Verbrecher erklärte, der durch Alba, seinen würgenden Teufel, Zehntausende von redlichen Männern verbrannt, geköpft und erhängt und andere Zehntausende ihrer Güter beraubt und aus dem Lande verjagt hat, ich spreche von dem ruchlosen Tyrannen . . .«

»Genug,« rief der Ritter und klammerte die Hand an den Griff des Degens. »Wer gibt Euch das Recht . . .«

»Wer mir das Recht gibt, so bittere Reden zu führen, wollt Ihr fragen?« unterbrach Herr Peter den Andern und suchte mit einem finsteren Blick die Augen des Edelmannes. »Wer mir dies Recht gibt? Ich brauche es nicht zu verschweigen. Dies Recht ertheilt mir der stumme Mund meines wackeren Vaters, der um seines Glaubens willen geköpft ward, dies Recht ertheilt mir die Willkür, welche ohne Richterspruch mich und meine Brüder des Landes verwies – dies Recht ertheilen mir die von den Spaniern gebrochenen Eide, die zerrissenen Freibriefe dieses Landes, die Noth des armen, mißhandelten, braven Volkes, das zu Grunde geht, wenn wir es nicht retten.«

»Ihr rettet es nicht,« entgegnete Wibisma in ruhigerem Tone. »Ihr stoßt die am Abgrund taumelnde Menge vollends in die Tiefe und geht mit ihr zu Grunde!«

»Wir sind Lootsen. Vielleicht bringen wir Rettung, vielleicht gehen wir mit Denen zu Grunde, für die wir zu sterben bereit sind.«

»Das sagt Ihr, und dennoch knüpft ihr an Euer Dasein ein junges, blühendes Weib.«

»Herr Baron, Ihr seid als Kläger zu dem Bürgemeister, mit nichten als Gast oder Freund über diese Schwelle getreten.«

»Ganz recht, aber ich kam in guter Absicht als Warner zu dem leitenden Oberhaupt dieser schönen, unseligen Stadt. Einmal seid ihr dem Ungewitter entronnen, aber neue und vielfältig schwerere ziehen sich über euren Häuptern zusammen.«

»Wir fürchten sie nicht.«

»Auch jetzt noch nicht?«

»Jetzt mit gutem Grunde weniger denn je.«

»So wißt Ihr nicht, daß des Prinzen Bruder –«

»Ludwig von Nassau ist am vierzehnten hart auf die Spanier gestoßen, und unsere Sache steht gut . . .«

»Im Anfang freilich hat sie nicht übel gestanden.«

»Der Bote, der gestern Abend –«

»Der unsere kam heute Morgen.«

»Heute Morgen, sagt Ihr? Und weiter –«

»Des Prinzen Heer ward auf der Mooker Haide geschlagen und gänzlich zerstreut. Ludwig von Nassau selbst ist geblieben.«

Van der Werff drückte die Finger fest auf das Holz des Schreibtisches. Die frischen Farben seiner Wangen und Lippen waren einer fahlen Blässe gewichen, und bei der leisen, dumpfen Frage: »Ludwig todt, gewißlich todt?« zog sein Mund sich schmerzlich zusammen.

»Todt,« entgegnete der Baron bestimmt und düster. »Wir sind Gegner gewesen, aber Ludwig war ein herrlicher Jüngling. Ich beklage ihn mit Euch.«

»Todt, Wilhelm's theurer Liebling todt!« murmelte der Bürgemeister wie im Traum vor sich hin. Dann faßte er sich gewaltsam und sagte fest:

»Verzeiht, edler Herr. Die Stunden eilen. Ich muß auf's Rathhaus.«

»Und Ihr werdet dort trotz meiner Botschaft fortfahren, dem Abfall das Wort zu reden?«

»Ja, Herr, so wahr ich ein Holländer bin!«

»Erinnert Euch an das Schicksal von Haarlem.«

»Ich denke an den Widerstand seiner Bürger und an das gerettete Alkmaar.«

»Mann, Mann!« rief der Baron. »Bei Allem, was heilig ist, beschwöre ich Euch, laßt Euch bedeuten.«

»Genug, Herr Baron, ich muß auf's Rathhaus.«

»Nein, nur noch dies Wort, dies eine Wort. Ich weiß es: ihr scheltet uns ›Glipper‹, ›Ausreißer‹ und so nicht allein, aber so wahr ich auf Gottes Barmherzigkeit hoffe, ihr beurtheilt uns falsch. Nein, Herr Peter, nein, ich bin kein Verräther! Ich liebe dies Land und dies brave, fleißige Volk mit gleicher Wärme wie Ihr, denn sein Blut fließt auch in meinen Adern. Ich habe das Kompromiß mit unterschrieben. Hier stehe ich, Herr. Schaut mich an. Sehe ich aus wie ein Judas? Sehe ich aus wie ein Spanier? Könnt Ihr es mir verargen, daß ich treu an dem Schwur halte, den ich dem Könige geleistet? Seit wann spielt man denn in den Niederlanden mit Eiden? Ihr, des Oraniers Freund, habt eben erklärt, Jedem den Glauben zu gönnen, an dem er hängt, und ich will's nicht bezweifeln. Nun wohl, ich halte fest an der alten Kirche, ich bin katholisch und werde es bleiben. Aber in dieser Stunde bekenn' ich es offen: ich hasse wie Ihr die Inquisition und die Blutthaten Alba's. Sie gehören so wenig zu unserem Glauben wie der Bildersturm zu dem Euren gehört hat. Ich liebe wie Ihr die Freiheiten unserer Heimat. Sie zurückzugewinnen ist mein Streben wie das Eure. Aber wie kann es uns, dem kleinen Häuflein, jemals gelingen, dem mächtigsten Reiche der Welt auf die Länge zu widerstehen? Laßt uns einmal siegen, zweimal und dreimal, so werden jedem geschlagenen Heer zwei neue, stärkere folgen. Mit Gewalt richten wir nichts aus – wohl aber mit klugem Nachgeben und weisem Handeln, Philipp's Kassen sind leer; er bedarf seiner Heere auch in anderen Landen. Wohl denn, so laßt uns seine Verlegenheiten benützen, und nöthigen wir ihn, für jeden abgefallenen Ort, der zu ihm zurückkehrt, eine verlorene Freiheit neu zu bestätigen. Kaufen wir aus seiner Hand mit dem, was uns von dem alten Reichthum bleibt, die Rechte zurück, welche er im Kampf gegen die Empörer an sich gerissen. Ihr werdet an mir und meinen Gesinnungsgenossen offene Hände finden. Eure Stimme wiegt schwer im Rath dieser Stadt, Ihr seid des Oraniers Freund, und wenn Ihr ihn zu bewegen vermöchtet . . .«

»Wozu, edler Herr?«

»Mit uns in Verbindung zu treten. Wir wissen, daß man in Madrid seine Bedeutung zu würdigen weiß und ihn fürchtet. Stellen wir als erste Bedingung volle Vergebung für ihn und seine Getreuen. König Philipp, ich weiß es, nimmt ihn wieder in Gnaden auf . . .«

»In seine Arme, um ihn zu erwürgen,« entgegnete der Bürgemeister entschieden. »Habt Ihr die falschen Pardonverheißungen von früher, habt Ihr das Schicksal der Egmont und Hoorn, des edlen Montigny und der anderen Seigneurs vergessen? Sie haben es gewagt und sind in die Höhle des Tigers gegangen. Was wir heute erkaufen, das wird uns sicherlich morgen wieder genommen, denn welcher Eid wäre Philipp heilig? Ich bin kein Staatsmann, aber das weiß ich: Gäbe er uns auch alle Freiheiten wieder, – die eine, ohne die das Leben nichts werth ist, gewährt er uns niemals.«

»Welche, Herr Peter?«

»Die eine, zu glauben, wonach uns das Herz steht. – In Eurer Weise meint Ihr es redlich, edler Herr; – aber Ihr traut dem Spanier, wir trauen ihm nicht; und thäten wir's dennoch, so wären wir betrogene Kinder. Ihr habt nichts für Euren Glauben zu fürchten, wir aber Alles; Ihr meint, die Truppenzahl und die Macht des Goldes werde bei unserem Kampfe den Ausschlag geben, wir getrösten uns der Hoffnung, daß Gott der guten Sache eines muthigen Volkes, das für seine Freiheit tausend Tode zu leiden bereit ist, endlich dennoch zum Siege verhilft. Das ist meine Meinung, und die werde ich auf dem Rathhaus verfechten.«

»Nein, Meister Peter, nein! Ihr könnt und Ihr dürft nicht.«

»Was ich kann, ist wenig, was ich darf, steht hier drinnen geschrieben, und darnach werde ich handeln.«

»Und so werdet Ihr dem gekränkten Herzen und nicht dem erwägenden Haupte folgen und keinen andern als üblen Rath zu ertheilen vermögen. Bedenket, Mann, auf der Mooker Haide ist des Oraniers letztes Heer verloren gegangen.«

»Recht, Herr, und eben darum wollen wir jetzt die Augenblicke nicht zum Reden, sondern zum Handeln benützen.«

»Das werde auch ich mir gesagt sein lassen, Herr Bürgemeister, denn es weilen noch manche Freunde des Königs zu Leyden, die man lehren muß, Euch nicht blind auf die Schlachtbank zu folgen.«

Van der Werff trat bei diesen Worten von dem Edelmann zurück, faßte den Knebelbart fest mit der Rechten zusammen und sagte kalt und gebieterisch, indem er die tiefe Stimme lauter erhob:

»So befehle ich Euch als Hüter der Sicherheit dieser Stadt, Leyden sofort zu verlassen. Werdet Ihr morgen nach Mittag noch in diesen Mauern betroffen, so lasse ich Euch von den Stadtwaibeln über die Flurgrenze führen.«

Der Freiherr entfernte sich ohne Gruß.

Sobald sich die Thür hinter ihm geschlossen hatte, warf sich van der Werff in den Armstuhl und verbarg das Antlitz in die offenen Hände.

Als er sich wieder aufrichtete, schimmerten zwei große Thränentropfen auf dem Papier, welches unter seinen Fingern gelegen. Bitter lächelnd wischte er sie mit dem Rücken der Hand von dem beschriebenen Blatte.

»Todt, todt,« murmelte er, und das Bild des tapferen Heldenjünglings, des gewandten Vermittlers, des Lieblings Wilhelm's von Oranien, trat vor sein inneres Auge: er fragte sich, wie dieser neue Schicksalsschlag auf den Prinzen wirken werde, den er als des Landes Vorsehung verehrte und als den weisesten, selbstlosesten Mann bewunderte und liebte. Wilhelm's Leid that ihm so weh, als wäre es ihm selbst widerfahren, und der Schlag, welcher die Sache der Freiheit getroffen, war schwer, vielleicht nie zu verschmerzen.

Aber nur kurze Zeit gönnte er sich, dem Kummer nachzuhängen, denn nun gerade galt es, die ganze volle Kraft zusammenzunehmen, das Verlorene zu ersetzen, durch frische Thaten die drohenden schweren Folgen der Niederlage Ludwig's abzuwenden und auf neue Kampfmittel zu denken.

Mit scharf zusammengezogenen Augenbrauen ging er, Maßregeln ersinnend und Plane durchdenkend, in dem Gemache auf und nieder.

Seine Gattin hatte die Thür geöffnet und war auf der Schwelle stehen geblieben; er aber bemerkte sie erst, als sie seinen Namen rief und ihm entgegentrat.

Sie hielt einen Theil der Blumen, welche ihr der Knabe gebracht hatte, in der Hand, ein anderer aber prangte heiter an ihrem Busen.

»Nimm,« sagte sie und hielt ihm das Sträußchen hin. »Adrian, der gute Junge, hat sie gepflückt, und Du weißt ja nun, was sie bedeuten.«

Er nahm die Frühlingsboten willig entgegen, näherte sie dem Antlitz, zog Maria an seine Brust, drückte ihr einen langen Kuß auf die Stirn und sagte dann düster:

»Das also ist die Feier unseres ersten Hochzeitstages. Armes Weib! Der Glipper hatte so Unrecht nicht; vielleicht wär' es weiser und besser von mir gewesen, Dein Schicksal nicht an das meine zu ketten.«

»Peter,« rief sie vorwurfsvoll. »Wie kommen Dir solche Gedanken!«

»Ludwig von Nassau ist gefallen,« murmelte er dumpf, »sein Heer ward zersprengt.«

»O – o!« rief sie und schlug erschreckt in die Hände, – er aber fuhr fort:

»Es war unsere letzte Streitmacht. Die Kassen sind leer, und woher wir neue Mittel nehmen, und das was nun kommen wird – das, das –. Ich bitte Dich, Maria, laß mich allein! Wenn wir jetzt nicht die Stunden nützen, wenn wir jetzt die rechten Wege nicht finden, so geht es nicht gut, so kann es nicht gut gehen.«

Bei diesen Worten warf er den Strauß auf den Tisch, griff hastig nach einem Papier, schaute hinein und winkte ihr dabei ohne sie anzusehen, mit der Rechten.

Der Bürgemeisterin Herz war voll und weit geöffnet gewesen, als sie in das Zimmer getreten. Sie hatte so Schönes von dieser Stunde erwartet, und nun stand sie einsam in dem Raum, den er doch mit ihr theilte. Die Arme waren ihr niedergesunken und rathlos, beschämt und beleidigt schaute sie nach ihm hin.

Maria war inmitten des Kampfes um die Freiheit aufgewachsen und wußte den schweren Ernst der Nachricht, die er empfangen, zu würdigen. Bei seiner Werbung hatte er ihr gesagt, daß sie ein Leben voll Unruhe und Gefahr an seiner Seite erwarte, und sie war dennoch dem braven Streiter für die gute Sache, welche auch die ihres Vaters gewesen, freudig zum Altar gefolgt, denn sie hatte gehofft, Theilnehmerin seiner Sorgen und Kämpfe zu werden Und nun? Was durfte sie ihm sein? Was nahm er von ihr an? Was war er mit ihr, die sich doch nicht schwach zu fühlen vermochte, zu theilen gewillt, heut an ihrem Hochzeitstage?

Da stand sie und ihr offenes Herz zog sich zusammen und es widerstand ihr, ihn anzurufen und ihm zu sagen, daß sie seine Sorgen ebenso gern mit ihm tragen und jede Noth mit ihm theilen möchte wie Glück und Ehre.

Jetzt hatte er das, was er suchte, gefunden, griff nach dem Hute und bemerkte sie wieder.

Wie bleich und enttäuscht sie dastand!

Das Herz that ihm weh; er hätte so gern der großen und warmen Liebe, die er für sie empfand, in Worten Ausdruck gegeben und ihr einen heiteren Glückwunsch dargebracht, aber in dieser Stunde, mit dieser Trauer, mit solchen Sorgen in der Brust konnte er's nicht, und so hielt er ihr nur beide Hände entgegen und sagte innig:

»Du weißt ja, was Du mir bist, Maria, und weißt Du es nicht, so sag' ich's Dir heute Abend. Ich muß die Herren noch auf dem Rathhaus finden, sonst geht ein ganzer Tag verloren, und in dieser Zeit heißt's mit den Augenblicken geizen. Nun, Maria?«

Die junge Frau schaute zu Boden. Sie wäre ihm gern an die Brust geflogen, aber ihr verletzter Stolz duldete es nicht, und eine geheinmißvolle Macht bannte ihre Hände und gestattete ihr nicht, sie in die seinen zu legen.

»Lebe wohl,« sagte sie dumpf.

Da rief er vorwurfsvoll: »Maria! Wahrlich zum Schmollen ist heute die Zeit nicht günstig gewählt. Komm' und sei mein verständiges Weib.«

Doch sie kam nicht sogleich; er aber hörte die vierte Stunde einläuten, welche das Ende der Rathssitzung anzeigte, und verließ, ohne sich nach ihr umzusehen, das Zimmer.

Auf dem Schreibtische lag noch das Sträußchen; das bemerkte sie wohl und hielt mit Mühe die Thränen zurück.


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