Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

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Siebzehntes Kapitel.

Frau von Cambes brachte trotz der zugesicherten Begnadigung ihres Geliebten bange Stunden in ihrem Zimmer zu. Sie hörte, wie die Menge sich am Richtplatz, der unweit ihrer Wohnung lag, sammelte und ihrer Roheit und ihrem Blutdurst immer lauteren Ausdruck gab. Ungeachtet des Verbotes der Prinzessin drängte es sie, zu Canolles zu dringen und ihm, der sicher unter den Qualen des drohenden schimpflichen Todes furchtbar leiden mußte, die Freiheit anzukündigen. Dann bezwang sie sich wieder und beschloß zu warten. Schließlich jagten ihr der Lärm und die immer steigende wilde Begeisterung der Menge eine solche Angst ein, daß sie sich die Ohren mit den Händen verstopfte und ihre geschlossenen Augen auf das Kissen ihres Betpultes drückte.

Da öffnete sich die Tür, und, ohne daß sie ihn hörte, trat ein Mann ein, der einen Augenblick auf der Schwelle stehen blieb, einen Blick liebevollen Mitleids auf sie heftete, und als er sah, daß sich ihre Schultern vom Schluchzen schmerzlich hoben, sich ihr mit einem Seufzer näherte und seine Hand auf ihre Schulter legte.

Claire schaute erschrocken auf und rief: »Herr Lenet! . . . Herr Lenet, oh! Ihr habt mich also nicht verlassen?« – »Nein, ich dachte, Ihr wäret noch nicht hinreichend beruhigt, und erdreistete mich, zu Euch zu gehen, um zu fragen, ob ich Euch in irgend einer Beziehung nützlich sein könnte.«

»Oh, lieber Herr Lenet,« rief die Vicomtesse, »wie gut seid Ihr, und wie danke ich Euch!«

»Es scheint, ich täuschte mich nicht,« sagte Lenet. »Oh! mein Gott, man täuscht sich selten, wenn man denkt, deine Geschöpfe leiden,« fügte er mit einem schwermütigen Lächeln hinzu.

»Oh! ja, Herr, ja. Ihr sagt die Wahrheit, ich leide!«

»Habt Ihr nicht alles, was Ihr wünschtet, erlangt, Madame? Ja, ich gestehe, sogar mehr noch, als ich zu hoffen wagte?«

»Allerdings; aber . . .«

»Aber . . . ich begreife. Nicht wahr, es macht Euch bange, die Freude dieses blutgierigen Pöbels zu sehen, und das Schicksal des andern Unglücklichen, der statt Eures Geliebten sterben soll, erregt Euer Mitleid?«

Claire erhob sich auf ihre Knie und blieb eine Minute unbeweglich, die Augen starr auf Lenet geheftet; dann drückte sie ihre eisige Hand an ihre mit Schweiß bedeckte Stirn und sagte: »Oh! vergebt mir! oder vielmehr verflucht mich! denn in meiner Selbstsucht dachte ich nicht einmal hieran. Nein, Lenet, nein, ich gestehe Euch in aller Demut meines Herzens, diese Befürchtungen, diese Tränen, diese Gebete gehören dem, der leben wird; denn ganz aufgelöst in meiner Liebe, hatte ich den Armen, der sterben soll, vergessen!«

Lenet lächelte traurig und erwiderte: »Ja, es muß so sein, denn es liegt in der menschlichen Natur; vielleicht bildet die Selbstsucht der einzelnen das Heil der Massen. Jeder zieht um sich selbst und um die Seinigen einen Kreis mit dem Schwerte. Sprecht, Madame, legt Euer Geständnis bis zum Ende ab. Bekennt offenherzig, daß Ihr es kaum erwarten könnt, bis der Unglückliche seinem Schicksal unterlegen ist, denn durch seinen Tod sichert dieser Unglückliche Eurem Verlobten das Leben.«

»Oh! Lenet, ich schwöre Euch, daran habe ich noch nicht gedacht. Aber nötigt meinen Geist nicht, dabei zu verweilen, denn ich liebe ihn so sehr, daß ich nicht weiß, was ich im Wahnsinn meines Herzens zu wünschen imstande bin.«

»Armes Kind!« sagte Lenet mit einem Tone tiefen Mitleids, »warum habt Ihr dies alles nicht früher gesagt?« – »Oh! mein Gott, Ihr erschreckt mich. Ist es denn zu spät, ist er noch nicht ganz gerettet?«

»Er ist es, da die Frau Prinzessin ihr Wort gegeben hat; aber . . .«

»Was aber?« – »Aber, ach! ist man irgend einer Sache sicher auf dieser Welt, und Ihr, die ihn, wie ich, für gerettet hält, weint Ihr nicht, statt Euch zu freuen?«

»Ich weine, weil ich ihn nicht besuchen kann, Freund,« entgegnete Claire. »Bedenkt, daß er diesen abscheulichen Lärm hören und an eine ihm nahe bevorstehende Gefahr glauben muß; bedenkt, daß er mich der Lauheit, des Verrates anklagen kann! Oh! Lenet, Lenet, welche Pein! In der Tat, wenn die Prinzessin wüßte, was ich leide, sie hätte Erbarmen mit mir.«

»Wohl, Vicomtesse, Ihr müßt ihn sehen . . .«

»Ist das nicht etwas Unmögliches?«

»Gibt es etwas Unmögliches für die Frau, die Saint-George erobert hat?« versetzte Lenet lächelnd.

»Ach!« sagte Claire, »seit zwei Stunden suche ich ein Mittel, in die Festung zu dringen, und habe bis jetzt noch keines gefunden.«

»Und was gebt Ihr mir, wenn ich es Euch biete?«

»Ich gebe Euch . . . Oh! ich gebe Euch die Hand an dem Tage, wo ich mit ihm vor den Altar trete.«

»Ich danke, mein Kind, Ihr habt recht; in der Tat, ich liebe Euch wie ein Vater; ich danke.«

»Das Mittel! Das Mittel!«

»Hier ist es. Ich hatte die Prinzessin um einen Passierschein gebeten, in der Absicht, mich mit den Gefangenen zu besprechen; denn wäre es möglich gewesen, den Kapitän Cauvignac zu retten, so hätte ich diesen Menschen gern wieder für unsere Partei gewonnen; nun aber ist dieser Passierschein unnütz, da Ihr ihn durch Eure Gebete für Herrn von Canolles zum Tode verurteilt habt.«

Claire schauerte unwillkürlich.

»Nehmt also dieses Papier,« fuhr Lenet fort; »es ist, wie Ihr seht, kein Name darin genannt.«

Claire nahm das Papier und las:

»Der Kerkermeister der Festung wird dem Inhaber dieses mit demjenigen von den zwei Kriegsgefangenen, mit dem er sich zu unterreden wünscht, eine Besprechung von einer halben Stunde gewähren.

Claire Clémence von Condé

»Ihr habt ein Männergewand?« sagte Lenet, »zieht es an. Ihr habt den Passierschein, benutzt ihn.«

Claire faßte Lenet bei der Hand, zog ihn an sich und küßte ihn auf die Stirn, wie sie es nur mit dem zärtlichsten Vater getan haben könnte.

»Geht, geht,« sagte Lenet, indem er sie sanft fortschob, »verliert keine Zeit; wer wahrhaft liebt, kennt kein Zaudern.«

Als er sie dann in ein anderes Zimmer gehen sah, wo Pompée, von ihr gerufen, auf sie wartete, um ihr beim Wechseln der Kleider zu helfen, murmelte er: »Ach! wer weiß?«



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