Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Elftes Kapitel.

Man führte Canolles in ein weites, mit einer dunklen Tapete ausgeschlagenes Gemach, das nur von einer Nachtlampe beleuchtet war, die auf einer Konsole zwischen den beiden Fenstern stand. Bei dem schwachen Lichte, das sie verbreitete, konnte man jedoch über der Lampe ein großes Gemälde erblicken, das eine Frau in Lebensgröße, ein Kind an der Hand haltend, darstellte. In der Vertiefung eines geräumigen Alkovens, in den kaum der matte, zitternde Schein drang, unterschied man unter den schweren Vorhängen eines Bettes die Frau, auf die der Name des Barons von Canolles eine so seltsame Wirkung hervorgebracht hatte.

Der Edelmann begann wieder die gewöhnlichen Förmlichkeiten, er machte gegen das Bett die drei vorgeschriebenen Schritte, verbeugte sich und machte dann drei weitere Schritte. Die zwei Kammerfrauen, die ohne Zweifel Frau von Condé beim Entkleiden geholfen hatten, entfernten sich, der Kammerdiener verschloß die Tür wieder, und Canolles befand sich mit der Prinzessin allein.

Es war nicht an Canolles, das Gespräch zu beginnen. Er wartete also, daß man das Wort an ihn richtete; da aber die Prinzessin ihrerseits ein hartnäckiges Stillschweigen beobachten zu wollen schien, so dachte der Offizier, es wäre besser, über die Schicklichkeit wegzugehen, als länger in einer so peinlichen Lage zu verharren. Er verhehlte sich jedoch nicht, daß der Sturm, der noch in diesem verachtungsvollen Schweigen zurückgehalten wurde, ohne Zweifel bei den ersten Worten losbrechen würde, und daß er von dieser jüngeren und leidenschaftlichen Prinzessin einen noch heftigeren Zorneserguß über sich werde ergehen lassen müssen.

Aber gerade das Übermaß der Schmach, die man ihm antat, machte den jungen Mann kühn, und sich zum dritten Mal nach Maßgabe der Umstände, nämlich steif und abgemessen, verbeugend, sagte er: »Madame, ich habe die Ehre gehabt, im Auftrage Ihrer Majestät der Königin-Regentin mir eine Audienz von Eurer Hoheit zu erbitten; Eure Hoheit hatte die Gnade, mir sie zu bewilligen. Will sie nun das Maß ihrer Güte vollmachen, indem sie mir durch ein Wort, durch ein Zeichen kund gibt, daß sie meine Gegenwart zu bemerken die Gnade gehabt hat und mich zu hören bereit ist?«

Eine Bewegung hinter den Vorhängen und unter der Decke verkündigte Canolles, daß man ihm antworten würde.

In der Tat ließ sich eine vor Aufregung beinahe erstickte Stimme vernehmen.

»Sprecht, mein Herr,« sagte diese Stimme, »ich höre Euch.«

Canolles nahm einen rednerischen Ton an und begann:

»Ihre Majestät die Königin schickt mich zu Euch, Madame, um Eurer Hoheit ihr Verlangen auszudrücken, ihre freundschaftliche Verbindung mit Euch fortzusetzen.«

Es ging eine sichtbare Bewegung hinter dem Bette vor. Die Prinzessin unterbrach den Redner und sagte mit bebender Stimme: »Mein Herr, sprecht nicht mehr von der Freundschaft, die zwischen Ihrer Majestät der Königin und dem Hause Condé herrscht; es finden sich Beweise vom Gegenteil in den Kerkern von Vincennes. Doch zur Sache, mein Herr, was wollt Ihr?«

»Ich will nichts, Madame,« sagte Canolles, sich hoch aufrichtend. »Ihre Majestät die Königin will, daß ich in dieses Schloß dringe, daß ich, so unwürdig ich auch dieser Ehre bin, Eurer Hoheit Gesellschaft leiste und, soviel in meinen Kräften steht, dazu beitrage, die gute Eintracht zwischen den Prinzen des königlichen Geblüts wiederherzustellen, die sich ohne Grund in einer so schmerzlichen Zeit entzweit haben.«

»Ohne Grund!« rief die Prinzessin, »Ihr behauptet, unser Bruch habe keinen Grund?«

»Vergebt, Madame,« versetzte Canolles, »ich behaupte nichts, ich bin nicht Richter, ich bin nur Dolmetscher.«

»Und mittlerweile, bis sich diese Eintracht wiederherstellt, läßt mich die Königin bespähen unter dem Vorwand . . .«

»Also bin ich ein Späher!« sagte Canolles mit bitterem Tone, »das Wort ist heraus! Ich danke Eurer Hoheit für ihre Freimütigkeit. Wohl, Madame, wollt mich behandeln, wie man solche Elende behandelt; vergeßt, daß ich der Gesandte einer Königin bin, daß diese Königin für alle meine Handlungen verantwortlich ist, daß ich nur ein ihrem Hauche gehorchendes Atom bin. Laßt mich durch Eure Lakaien fortjagen, laßt mich durch Eure Edelleute töten, stellt mir Leute gegenüber, denen ich mit dem Stock oder mit dem Degen antworten kann; wollt aber nicht so grausam einen Offizier beleidigen, der zugleich seine Pflicht als Soldat und als Untertan erfüllt.«

Diese dem Herzen entspringenden Worte, schmerzlich wie ein Seufzer, scharf wie ein Vorwurf, mußten ihre Wirkung hervorbringen und brachten sie auch hervor. Als die Prinzessin sie gehört hatte, erhob sie sich, stützte sich auf den Ellenbogen und sagte mit leuchtendem Auge, zitternder Hand und angstvoller Gebärde zu dem Boten: »Es ist bei Gott entfernt nicht meine Absicht, einen so tapferen Edelmann, wie Ihr seid, zu beleidigen. Nein, Herr von Canolles, ich hege keinen Verdacht gegen Eure Rechtschaffenheit; rügt meine Worte, sie sind verletzend, ich gebe es zu, doch ich wollte Euch nicht verletzen; nein, nein, Ihr seid ein edler Kavalier, Herr Baron, und ich lasse Euch volle Gerechtigkeit widerfahren.«

Und da die Prinzessin ohne Zweifel fortgezogen durch die edelmütige Bewegung ihres Herzens, sich bei diesen Worten aus dem Schatten des Betthimmels, den die dicken Vorhänge bildeten, vorgebeugt hatte, da man ihre weiße Stirn unter der Haube, ihre in Flechten herabhängenden blonden Haare, ihre glühend roten Lippen, ihre feuchten, sanften Augen hatte sehen können, so bebte Canolles; denn es zog ihm vor seinen Augen wie eine Vision vorüber, und er glaubte abermals einen Wohlgeruch einzuatmen, der ihn schon in der Erinnerung berauschte. Es kam ihm vor, als öffnete sich eines jener goldenen Tore, durch die die Träume einziehen, um ihm den beflügelten Schwarm lachender Gedanken und lauterer Liebesfreuden zuzuführen. Sein Blick fiel sicherer und klarer auf das Bett der Prinzessin, und in dem kurzen Raum einer Sekunde, während des raschen Schimmers eines Blitzes, der die ganze Vergangenheit beleuchtete, erkannte er in der vor ihm liegenden Prinzessin den Vicomte von Cambes.

Seine Aufregung war seit einigen Augenblicken so groß, daß die falsche Prinzessin sie auf Rechnung des ärgerlichen Vorwurfes setzen konnte, der ihm so wehe getan hatte. Und da ihre Bewegung, wie gesagt, nur einen Moment gedauert hatte, da sie bemüht gewesen war, sogleich wieder in den Halbschatten zurückzukehren, ihre Augen abermals zu verschleiern, ihre weiße und zarte Hand rasch zu verbergen, so versuchte sie, nicht ohne eine gewisse innere Erschütterung, aber wenigstens ohne äußere Unruhe, das Gespräch wieder anzuknüpfen, wo sie es verlassen hatte.

»Ihr sagtet also, mein Herr?« sagte sie.

Doch Canolles war geblendet, bezaubert; die Visionen zogen vor seinen Augen hin und her; seine Gedanken wirbelten, er verlor das Gedächtnis, den Verstand; er war im Begriff, zu fragen. Ein einziger Instinkt, den Gott in das Herz der Liebenden gelegt hat, den die Frauen Schüchternheit nennen und der nur Geiz ist, riet Canolles, noch Verstellung zu üben, zu warten, seinen Traum nicht zu verlieren, nicht durch ein unkluges, zu schnell entfahrenes Wort das Glück seines ganzen Lebens zu gefährden.

Großer Gott! was sollte aus ihm werden, wenn diese erhabene Prinzessin ihn erkennen, in ihrem Schlosse Chantilly einen Abscheu gegen ihn fassen sollte, wie sie Mißtrauen in dem Gasthause des Meisters Biscarros gegen ihn gefaßt hatte; wenn sie glauben sollte, er wolle, mit einem offiziellen Titel, mit einem königlichen Titel ausgerüstet, Verfolgungen fortsetzen, die gegen den Vicomte oder die Vicomtesse von Cambes verzeihlich, aber frech und fast verbrecherisch erschienen, wenn es sich um eine Prinzessin von Geblüt handelte.

»Aber,« dachte er plötzlich, »ist es möglich, daß eine Prinzessin von diesem Namen, von diesem Range allein mit einem einzigen Diener reiste?«

Und wie es immer bei einer solchen Gelegenheit geschieht, wo sich der schwankende, gestörte Geist auf etwas zu stützen sucht, so schaute Canolles verwirrt um sich her, und seine Augen hefteten sich auf das Porträt der ihren Sohn an der Hand haltenden Frau.

Bei diesem Anblick durchzuckte plötzlich ein Licht seinen Geist, und unwillkürlich machte er einen Schritt, um sich dem Gemälde zu nähern.

Die falsche Prinzessin konnte sich ihrerseits eines leichten Schreies nicht enthalten, und als sich Canolles bei diesem Schrei umwandte, sah er, daß ihr bereits verschleiertes Gesicht nunmehr völlig maskiert war.

»Oh, oh!« fragte Canolles zu sich selbst, »was soll das bedeuten? Entweder ist es die Prinzessin, die ich auf dem Wege von Bordeaux getroffen habe, oder man betört mich durch eine List, und es liegt keine Prinzessin in diesem Bett. In jedem Fall werden wir sehen.«

»Madame,« sagte er plötzlich, »ich weiß nun, was ich von Eurem Stillschweigen denken muß, und ich habe erkannt . . .«

»Was habt Ihr erkannt?« rief lebhaft die Dame im Bett.

»Ich habe erkannt,« erwiderte Canolles, »daß ich so unglücklich war, Euch dieselbe Meinung einzuflößen, die ich bereits der Frau Prinzessin-Witwe einflößte.«

»Ah,« machte unwillkürlich die Stimme mit einem Seufzer der Erleichterung.

Canolles' Satz war keineswegs logisch; aber der Schlag war getan. Canolles hatte die ängstliche Bewegung bemerkt, die ihn früher unterbrach, und die freudige Bewegung, die seinen letzten Worten folgte.

»Nur,« fuhr der Offizier fort, »nur bin ich darum nicht minder genötigt, Eurer Hoheit zu sagen, so unangenehm mir auch die Sache sein mag, daß ich im Schlosse bleiben und Eure Hoheit überall, wohin sie zu gehen belieben wird, begleiten muß.«

»Also kann ich nicht einmal in meinem Zimmer allein sein?« rief die Prinzessin. »Oh, mein Herr, das ist mehr als unwürdig!«

»Ich habe Eurer Hoheit bereits bemerkt, daß meine Instruktionen so lauten; aber Eure Hoheit mag sich beruhigen,« fügte Canolles, einen durchdringenden Blick auf die Dame des Bettes heftend und jedes Wort besonders betonend, hinzu, »sie muß besser als irgend jemand wissen, daß ich der Bitte einer Frau Folge zu leisten verstehe.«

»Ich!« rief die Prinzessin mit einem Tone, in dem mehr Verlegenheit als Erstaunen lag. »In der Tat, mein Herr, ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt. Ich kenne die Umstände nicht, auf die Ihr anspielt.«

»Madame,« fuhr der Offizier, sich verbeugend fort, »ich glaubte, der Kammerdiener, der mich einführte, hätte Eurer Hoheit meinen Namen genannt. Ich bin der Baron von Canolles.«

»Wohl!« sagte die Prinzessin mit ziemlich fester Stimme, »was ist mir daran gelegen, mein Herr?« – »Ich glaubte bereits die Ehre gehabt zu haben, Eurer Hoheit angenehm zu sein.«

»Mir, ich bitte, wie das?« fragte die Stimme mit einer Unruhe, die Canolles an einen gewissen sehr zornigen, aber zugleich sehr furchtsamen Ton erinnerte, der in seinem Gedächtnis geblieben war.

Canolles dachte, er sei weit genug gegangen; überdies war er seiner Sache so gut wie sicher.

»Indem ich meine Instruktionen nicht nach dem Buchstaben erfüllte,«, erwiderte er mit der Miene der tiefsten Achtung.

Die Prinzessin schien beruhigt und sagte: »Mein Herr, ich will Euch nicht zu einem Vergehen veranlassen. Erfüllt Eure Instruktionen, wie sie auch lauten mögen.«

»Madame,« versetzte Canolles, »ich weiß zum Glücke noch nicht, wie man eine Frau verfolgt, also noch viel weniger, wie man eine Prinzessin beleidigt. Ich habe daher die Ehre, Eurer Hoheit zu wiederholen, was ich bereits der Frau Prinzessin-Witwe sagte, daß ich ihr untertänigster Diener sei . . . . Habt die Gnade, mir Euer Wort zu geben, daß Ihr das Schloß nicht ohne meine Gesellschaft verlassen werdet, und ich befreie Euch von meiner Gegenwart, die, wie ich wohl begreife, Eurer Hoheit verhaßt sein muß.«

»Aber, mein Herr, dann vollzieht Ihr Eure Befehle nicht.«

»Ich werde tun, was mich mein Gewissen tun heißt.«

»Herr von Canolles,« sagte die Stimme, »ich schwöre Euch, Chantilly nicht zu verlassen, ohne Euch zuvor davon in Kenntnis zu setzen.«

»Dann, Madame,« sagte Canolles, sich bis zur Erde verbeugend, »dann verzeiht mir, daß ich die unwillkürliche Ursache Eures Zornes gewesen bin. Eure Hoheit wird mich nur wiedersehen, wenn sie mich rufen läßt.«

»Ich danke Euch, Baron,« sagte die Stimme mit einem freudigen Ausdrucke, der sein Echo in dem Bettgange zu haben schien. »Geht, geht, ich danke Euch; morgen werde ich das Vergnügen haben, Euch wiederzusehen.«

Diesmal erkannte der Baron die Stimme, die Augen und das unbeschreibliche wollüstige Lächeln des reizenden Wesens, das ihm an dem Abend, wo der unbekannte Reiter ihm den Befehl des Herzogs von Epernon überbracht hatte, gleichsam durch die Hände geschlüpft war.

Canolles wußte alles, was er wissen wollte; er verbeugte sich daher mit derselben Ehrfurcht, als glaubte er sich von einer Prinzessin zu verabschieden, und begab sich in sein Gemach.



 << zurück weiter >>