Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

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Zwölftes Kapitel.

Canolles hatte keinen festen Entschluß gefaßt. Als er in die für ihn bestimmte Wohnung zurückkehrte, begann er, nach der Gewohnheit unentschiedener Leute, rasch auf und ab zu gehen und die Lage zu überdenken. Er konnte aber zu keinem klaren Entschlusse kommen, bis ihn der Anblick seines Dieners blitzähnlich auf einen Gedanken brachte. Castorin war gekommen, seinem Herrn mitzuteilen, er werde nicht länger in seinem Dienst bleiben, sondern, von Herrn Pompée angeworben, in den der Prinzessin treten, sobald der Baron von Canolles ihn frei gebe. Dieser erklärte sich völlig einverstanden, und sagte: »Wohl, ich gebe dir die Freiheit morgen früh.«

»Und von jetzt bis morgen früh?« – »Bist du immer noch mein Lakai und mußt mir gehorchen.«

»Gern! Und was befiehlt der gnädige Herr?« – »Ich befehle dir, daß du dich auskleidest und dich in mein Bett legst.«

»Wie? was sagt der gnädige Herr? Ich begreife nicht.«

»Du brauchst nicht zu begreifen, sondern nur zu gehorchen. Kleide dich aus, ich will dir helfen,«

»Wie? der gnädige Herr will mir helfen?« – »Allerdings, da du die Rolle des Chevalier von Canolles spielen sollst, muß ich wohl die von Castorin spielen.«

Und ohne die Erlaubnis seines Lakaien abzuwarten, nahm ihm der Baron seinen Rock ab, den er anzog, seinen Hut, den er auf den Kopf setzte, schloß ihn, ehe jener von seinem Erstaunen sich erholt hatte, doppelt ein und ging rasch die Treppe hinab.

Canolles begann endlich klar in diesem ganzen Geheimnis zu sehen, obgleich ein Teil der Ereignisse für ihn noch in eine Wolke gehüllt blieb. Die Verbindung zwischen Pompée und dem Vicomte von Cambes erhellte viele Zweifel. Was von diesen bei Canolles noch übrig blieb, zerstreute sich vollends, als er, kaum in den Hof getreten, trotz der tiefen Finsternis der Nacht vier Männer einherschreiten und durch dieselbe Tür, durch die er hinausgegangen war, eben treten sah; diesen vier Männern ging derselbe Kammerdiener voran, der ihn bei den Prinzessinnen eingeführt hatte. Ein anderer Mann folgte, in seinen Mantel gehüllt.

Auf der Türschwelle blieben die Leute, die Befehle des Mannes im Mantel erwartend, still stehen.

»Ihr wißt, wo er wohnt,« sagte dieser mit gebieterischem Tone, sich an den Kammerdiener wendend; »Ihr kennt ihn, da Ihr ihn geführt habt. Überwacht ihn so, daß er nicht hinaus kann. Stellt Eure Leute auf der Treppe, im Gange, gleichviel wo Ihr wollt, auf, wenn er nur, ohne etwas zu vermuten, selbst bewacht ist, statt Ihre Hoheiten zu bewachen.«

Canolles machte sich unbemerkbar wie eine Vision in eine Ecke, wohin die Nacht ihren dichtesten Schatten warf; von hier aus sah er, ohne bemerkt zu werden, die vier Männer, die man ihm zu Wächtern gab, unter dem Gewölbe verschwinden, während der Mann im Mantel, nachdem er sich versichert hatte, daß seine Befehle ausgeführt wurden, den Weg wieder einschlug, auf dem er gekommen war.

»Das gibt noch keine Klarheit,« sagte Canolles, ihm mit den Augen folgend, »denn der Ärger kann sie veranlassen, mir gleiches mit gleichem zu vergelten; wenn nur dieser Castorin nicht ruft, schreit oder irgend eine Dummheit begeht! . . . Ich habe unrecht gehabt, ihn nicht zu knebeln. Leider ist es jetzt zu spät. Vorwärts, wir wollen unsere Runde beginnen.«

Nachdem Canolles seinen forschenden Blick hatte umher laufen lassen, durchschritt er den Hof und gelangte zu dem Flügel des Gebäudes, hinter dem die Ställe lagen.

Alles Leben des Schlosses schien sich in diesen Teil der Gebäude geflüchtet zu haben. Man hörte Pferde mit den Füßen scharren und eilige Leute umher laufen. Die Sattelkammer scholl vom Geklirr der Gebisse und Geschirre. Man zog Wagen aus den Schuppen, und Stimmen, durch die Furcht gedämpft, aber doch für ein aufmerksam lauschendes Ohr vernehmbar, riefen sich an und antworteten sich.

Canolles horchte einen Augenblick. Es unterlag keinem Zweifel, man schickte sich zu einer Abreise an. Er durchschritt den ganzen Raum zwischen dem einen Flügel und dem andern, ging unter ein Gewölbe und gelangte bis zur Fassade des Schlosses, wo er stehen blieb.

Die Fenster des Erdgeschosses glänzten in der Tat von einem so hellen Lichte, daß man sich sagte, es müsse eine Anzahl Kerzen im Innern brennen und diese Kerzen mußten hin und her getragen werden, so daß sie große Schatten und breite Lichtstrahlen auf den Rasen des Gartens warfen.

Canolles zögerte anfangs, in das Geheimnis einzudringen, das man ihm zu verbergen suchte. Aber bald bedachte er, daß sein Titel als Gesandter der Königin und die Verantwortlichkeit, die ihm diese Sendung auflegte, vieles, selbst bei dem ängstlichen Gewissen, entschuldigten.

Vorsichtig an der Mauer hinschreitend, an deren unterem Teil um so größere Dunkelheit herrschte, je stärker die sechs bis sieben Fuß über dem Boden liegenden Fenster glänzten, stieg er auf einen Weichstein, ging von dem Weichstein auf einen Marmorvorsprung über, hielt sich mit einer Hand an einem Ring, mit der andern am Rande eines Fensterkreuzes, und sandte seine scharfen Blicke in das Zimmer.

Und was sah er? Neben einer Frau, welche die letzte Nadel befestigte, die auf ihrem Kopf einen Reisehut festhalten sollte, kleideten einige Dienstmädchen ein Kind vollends in ein Jagdgewand; das Kind wandte Canolles den Rücken zu, und dieser konnte nur sein blondes Haar unterscheiden.

Aber die Dame, deren ganzes Gesicht vom Glanze zweier sechsarmiger Leuchter übergossen war, bot Canolles das genaue Original des Porträts, das er kurz zuvor im Halbschatten des Gemachs der Prinzessin erblickt hatte; es war wirklich das längliche Gesicht, der strenge Mund, die gebieterisch gebogene Nase der Frau, deren lebendes Bild Canolles erkannte.

Mehrere Hausbeamte, unter denen Canolles den Kammerdiener erkannte, packten in Felleisen, in Koffer und Mantelsäcke, teils Juwelen, teils Geld, teils das Arsenal der Frauen, das man Toilette nennt. Der kleine Prinz spielte und lief während dieser Zeit unter den eiligen Bedienten hin und her; aber unglücklicherweise vermochte Canolles sein Gesicht nicht zu sehen.

»Ich hatte es vermutet,« murmelte er; »man hintergeht mich; diese Leute treffen Vorkehrungen zur Abreise. Ja, aber mit einer Gebärde kann ich diese Possenszene in eine Szene der Trauer verwandeln. Ich brauche nur auf die Terrasse zu laufen und dreimal in dieses silberne Pfeifchen zu stoßen, und bei dem schrillen Tone, den es von sich geben wird, dringen zweihundert Mann in das Schloß, verhaften die Prinzessin und knebeln alle die Diener, die jetzt ein unterdrücktes Lachen zeigen. – Ja,« fuhr Canolles fort, nur sprach er jetzt mit dem Herzen und nicht mit den Lippen, »ja, aber sie, die dort schläft oder sich stellt, als schlafe sie! Ich werde sie unwiederbringlich verlieren; sie wird einen Haß gegen mich fassen, und zwar diesmal einen wohlverdienten Haß. Mehr noch, sie wird mich verachten und sagen, ich habe mein Spionenamt völlig ausgeübt; und dennoch, warum sollte ich nicht der Königin gehorchen, da sie der Prinzessin gehorcht?«

In diesem Augenblick, als wollte der Zufall sein Schwanken bekämpfen, öffnete sich die Tür des Gemaches und zwei Personen, ein Mann von fünfzig Jahren und eine Frau von zwanzig, traten hastig und freudig ein. Bei diesem Anblick ging das Herz unseres Canolles gänzlich in seine Augen über. Er erkannte die schönen Haare, die frischen Lippen, das geistreiche Auge des Vicomte von Cambes, der lächelnd und voll Ehrfurcht der Prinzessin von Condé die Hand küßte. Nur trug jetzt der Vicomte die Kleidung seines wahren Geschlechts und zeigte die reizendste Vicomtesse der Erde.

Canolles hätte zehn Jahre seines Lebens gegeben, um ihr Gespräch hören zu können; aber vergebens hielt er seinen Kopf fest an die Scheibe; es drang nur ein unverständliches Gesumme zu seinem Ohr. Er sah, wie die Prinzessin der jungen Frau eine Abschiedsgebärde machte, sie auf die Stirn küßte und ihr etwas empfahl, worüber alle Anwesenden lachten; hierauf kehrte die letztere in die Zeremonienzimmer mit einigen niedrigen Offizianten zurück, die Uniformen von höheren Offizieren anlegten. Dann begann links durch eine entgegengesetzte Türe geräuschlos das Gefolge der Prinzessin zu schreiten, die als erste mit der Haltung, nicht einer Flüchtigen, sondern einer Königin einherschritt. Hierauf kam der Stallmeister Vialas, der in seinen Armen den kleinen Herzog von Enghien, in einen Mantel eingewickelt, hielt. Lenet trug ein ziseliertes Kistchen und Papierstöße, und der Schloßhauptmann schloß den Zug, der durch zwei mit entblößten Degen einherschreitende Diener eröffnet wurde.

Alle entfernten sich durch einen geheimen Gang; sogleich sprang Canolles von seinem Beobachtungsposten herab und lief nach dem Gewölbe, dessen Lichter mittlerweile ausgelöscht worden waren. Da sah er den ganzen Zug nach den Ställen sich bewegen; man wollte abreisen.

In diesem Augenblick trat ihm der Gedanke an die Verpflichtungen, die ihm durch die Sendung der Königin auferlegt waren, wieder vor die Seele. Die Frau, die sich entfernen wollte, war der gepanzerte und bewaffnete Bürgerkrieg, der, wenn er sie entschlüpfen ließ, abermals Frankreich verwüstete. Er lief nach der den Park beherrschenden Terrasse und führte das silberne Pfeifchen an seine Lippen. Mit einem Schlage hätte er den kühnen Plan mit allen seinen Folgen vereitelt.

Aber der junge Edelmann schlug dabei die Augen nach dem Gemache auf, wo unter roten Samtvorhängen sanft und schwermütig der Schimmer der Nachtlampe sichtbar war, die bei der falschen Prinzessin brannte, deren geliebten Schatten er unbestimmt zu erblicken glaubte.

Alle Entschlüsse der Überlegung, alle Berechnungen der Selbstsucht verschwanden bei diesem sanften Lichtstrahl, wie bei dem ersten Schimmer des Tages alle Träume und alle Gespenster der Nacht verschwinden.

»Mazarin,« sagte er voll Leidenschaft zu sich selbst, »Mazarin ist reich genug, daß er alle diese Prinzen und Prinzessinnen verlieren kann, aber ich bin nicht reich genug, daß ich den Schatz verlieren dürfte, der von nun an mir gehört, und den ich, eifersüchtig wie ein Drache, bewachen werde. Jetzt ist sie allein, in meiner Macht, von mir abhängig; zu jeder Stunde des Tags und der Nacht kann ich in ihr Gemach eintreten; sie wird nicht fliehen, ohne es mir zu sagen, denn ich habe ihr Wort erhalten. Was liegt mir daran, daß die Königin hintergangen ist und daß Mazarin wütend wird? Man hat mich beauftragt, die Prinzessin von Condé zu bewachen; ich bewache sie. Man hätte mir nur ihr Signalement geben oder einen geschickteren Spion als ich bin schicken sollen.«

Canolles steckte sein Pfeifchen wieder in die Tasche und hörte, wie die Riegel klirrten, wie der entfernte Donner der Karossen über die Brücken des Parkes rollte und das abnehmende Geräusch eines Reiterzuges sich nach und nach verlor. Als alles, Vision und Lärm, verschwunden war, schlich er, ohne zu bedenken, daß er sein Leben gegen die Liebe einer Frau, das heißt gegen den Schatten des Glückes, eingesetzt hatte, in den zweiten öden Hof und stieg vorsichtig seine Treppe hinauf, die wie das Gewölbe in die tiefste Dunkelheit versenkt war.

Aber wie behutsam er auch zu Werke ging, er konnte es nicht verhindern, daß er, als er in den Gang kam, an eine Person stieß, die an seiner Tür zu lauschen schien und einen dumpfen Angstschrei ausstieß.

»Wer seid Ihr? wer seid Ihr?« fragte die Person mit ängstlichem Tone.

»Ei, wer seid Ihr, der wie ein Spion an dieser Treppe umherschleicht?« entgegnete Canolles.

»Ich bin Pompée.«

»Der Intendant der Frau Prinzessin?« – »Ja, ja! der Intendant der Frau Prinzessin.«

»Ah! das kommt vortrefflich!« sagte Canolles, »ich bin Castorin.«

»Castorin, der Diener des Herrn Barons von Canolles?« – »Er selbst.«

»Ah! mein lieber Castorin, ich wette, daß ich Euch große Angst eingejagt habe.«

»Mir?« – »Ja, verdammt! wenn man nicht Soldat gewesen ist. Kann ich etwas für Euch tun?« fuhr Pompée, seine wichtige Miene wieder annehmend, fort.

»Ja. Ihr könnt sogleich der Frau Prinzessin melden, daß mein Herr sie zu sprechen wünsche.«

»Um diese Stunde?« – »Allerdings.«

»Unmöglich!«

»Ihr glaubt?« – »Ich weiß es gewiß.«

»Sie wird also meinen Herrn nicht empfangen?« – »Nein!«

»Befehl des Königs, Herr Pompée; sagt ihr dies.«

»Befehl des Königs!« rief Pompée, »ich gehe.«

Und Pompée entfernte sich in aller Eile, zugleich durch die Achtung und die Furcht angetrieben, diese zwei Hebel, die sogar eine Schildkröte zum Laufen bringen können.

Canolles setzte seinen Weg fort, kehrte in seine Wohnung zurück, fand Castorin, der wie ein Bürgermeister in einem großen Lehnstuhl ausgestreckt schnarchte, zog seine Offizierskleider wieder an und erwartete das Kommende.

»Wahrhaftig,« sagte er zu sich selbst, »wenn ich auch die Angelegenheiten des Herrn von Mazarin nicht so gut betreibe, so denke ich doch, ich besorge die meinigen nicht so schlecht.«

Canolles erwartete vergebens Pompées Rückkehr, und beschloß nach Verlauf von zehn Minuten selbst vorzugehen.

Er weckte daher Castorin, schärfte ihm mit einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ, ein, sich für alles, was da kommen sollte, bereit zu halten, und schlug den Weg nach den Gemächern der Prinzessin ein.

An der Tür fand der Baron einen Bedienten, der ihn nach seinem Begehr fragte und den auch nur der »Befehl des Königs« dazu brachte, einen Kammerherrn zu wecken, damit dieser der Prinzessin das Verlangen des königlichen Boten, sie sofort zu sprechen, mitteilen könnte.

»Haben denn,« fragte Canolles, »die Kammerherrn im Schlosse Chantilly die Gewohnheit, sich um elf Uhr schlafen zu legen?«

»Man hat den ganzen Tag gejagt,« stammelte der Lakai.

»Das ist richtig,« murmelte Canolles; »sie brauchen Zeit, um irgend jemand als Kammerherrn zu kleiden«

Dann fügte er laut hinzu: »Es ist gut, tut es. Ich werde warten.« Der Lakai lief spornstreichs weg, um im Schlosse Lärm zu schlagen, wo Pompée bereits durch seinen Bericht Aufregung und Angst verbreitet hatte.

Canolles horchte. Er hörte in den Gängen und Zimmern umherlaufen; er sah beim Schimmer erlöschender Lichter mit Musketen bewaffnete Leute in den Winkeln der Treppen sich aufstellen; er beobachtete, daß überall ein drohendes Murren an die Stelle der stummen Furcht trat, die einen Augenblick vorher im ganzen Schlosse geherrscht hatte.

Canolles legte die Hand an seine Pfeife und näherte sich einem Fenster, durch dessen Scheiben er wie eine wolkige Masse die Gipfel der großen Bäume hervortreten sah, an deren Fuß er die zweihundert Mann, die er mitgebracht, in Hinterhalt gelegt hatte.

»Nein,« sagte er, »das würde uns geradezu zur Schlacht führen, und dabei fände ich nicht meine Rechnung. Ich will lieber warten. Das Schlimmste, was mir hierbei widerfahren kann, ist, daß ich ermordet werde, während ich, wenn ich eile, sie verlieren kann.«

Canolles hatte kaum die Betrachtung für sich angestellt, als er eine Tür sich öffnen und eine neue Person erscheinen sah.

»Die Frau Prinzessin ist nicht sichtbar,« sagte diese Person hastig, »sie liegt im Bette und hat verboten, irgend jemand, wer es auch sein möchte, zu sich zu lassen.«

Canolles erkannte unschwer, daß der dickbäuchige Bursche mit dem er sprach, irgend ein Aufwärter war, den man als Kapitän der Garden ausstaffiert hatte. Dieser weigerte sich, um die späte Stunde jemand bei Ihrer Hoheit anzumelden; als Canolles kraft seiner Sendung mit Gewalt drohte, sagte er: »Mein Herr, versucht keine Gewalt. Ich habe fünfzig bewaffnete Leute, die bereit sind, die Ehre Ihrer Hoheit zu rächen.«

Canolles erwiderte: »Habt Ihr fünfzig bewaffnete Leute, mein Herr Kapitän, so habe ich zweihundert Soldaten, welche die Vorhut eines königlichen Heeres bilden. Gedenkt Ihr Euch in offenen Aufruhr gegen Seine Majestät zu setzen?«

»Nein, mein Herr, nein,« antwortete rasch und, wie es schien, sehr herabgestimmt der dicke Mann. »Gott behüte mich; aber ich bitte Euch mir zu bezeugen, daß ich nur der Gewalt weiche.«

»Das ist das geringste, was ich Euch als einem Amtsgenossen schuldig bin.«

»Wohl, ich werde Euch also zu der Frau Prinzessin-Witwe führen, die noch nicht eingeschlafen ist.«

»Ich habe keinen Befehl, die Frau Prinzessin-Witwe zu besuchen,« antwortete Canolles, »wohl aber Ihre Hoheit die junge Frau Prinzessin.«

Der Kapitän der Garden senkte abermals seinen Kopf, verlieh seinen dicken Beinen eine rückschreitende Bewegung, schleppte seinen langen Degen auf dem Boden und schritt majestätisch über die Türschwelle zwischen zwei Schildwachen durch, die während dieser Szene zitterten und bei der Verkündigung der Ankunft von zweihundert Mann ihren Posten beinahe verlassen hätten; so wenig waren sie geneigt, Märtyrer der Treue zu werden.

Nach zehn Minuten kehrte der Kapitän, gefolgt von zwei Wachen, unter unzähligen Bücklingen zurück, um Canolles abzuholen und zu der Prinzessin zu geleiten, in deren Gemach er eingeführt wurde, ohne eine neue Zögerung erleiden zu müssen.

Canolles erkannte das Zimmer, die verschiedenen Gerätschaften und sogar den süßen Duft, der ihn berauscht hatte. Aber vergebens suchte er zwei Dinge: das Porträt der wahren und das Gesicht der falschen Prinzessin. Das Porträt hatte man weggenommen, und infolge einer etwas verspäteten Vorsichtsmaßregel war das Gesicht der im Bette liegenden Person mit einer echt hochgeborenen Ungezogenheit dem Bettgang zugewendet, in dem zwei Frauen standen.

Canolles wäre gern über diesen Mangel an Rücksicht hinweggegangen; aber die Befürchtung, eine neue Stellvertreterin gestattete der Frau von Cambes zu fliehen, wie die Prinzessin geflohen war, ließ seine Haare sich vor Schrecken sträuben; er wollte sich daher sogleich der Identität der Person versichern, die im Bett lag, wobei er die Gewalt zu Hilfe rief, die ihm seine Sendung verlieh.

»Madame,« sagte er mit einer tiefen Verbeugung, »ich bitte Eure Hoheit um Verzeihung, daß ich so vor sie trete, besonders nachdem ich mein Wort gegeben habe, daß ich ihre Befehle erwarten wolle; aber ich habe soeben einen gewaltigen Lärm im Schlosse gehört.«

Die im Bett liegende Person bebte, antwortete aber nicht. Canolles forschte nach irgend einem Zeichen, an dem er zu erkennen vermöchte, ob er wirklich die, welche er suchte, vor Augen hätte. Aber inmitten der Wogen von Spitzen, und in der schwellenden, weichen Umgebung von Eiderdaunen und Vorhängen war es ihm unmöglich, etwas anderes zu erkennen, als die Form einer liegenden Person.

»Und,« fuhr Canolles fort, »ich bin es mir selbst schuldig, mich zu versichern, ob dieses Bett wirklich immer noch dieselbe Person enthält, mit der ich vor einer halben Stunde zu sprechen die Ehre gehabt habe.«

Diesmal war es nicht mehr ein einfaches Beben, sondern eine wahre Bewegung des Schreckens, eine Bewegung, die Canolles nicht entging und über die er selbst erschrak.

»Wenn sie mich getäuscht hat,« dachte er, »wenn sie, trotz ihres feierlichen Wortes, geflohen ist, so verlasse ich das Schloß und steige zu Pferde; ich setze mich an die Spitze meiner zweihundert Mann und hole meine Flüchtlinge ein, und sollte ich dreißig Dörfer anzünden müssen, um meinen Weg zu beleuchten.«

Canolles wartete einen Augenblick, aber die liegende Person antwortete nicht und drehte sich auch nicht um.

»Madame,« sagte Canolles endlich mit einer Ungeduld, die er nicht mehr zu verbergen vermochte, »ich bitte Eure Hoheit, sich zu erinnern, daß ich der Gesandte des Königs bin und daß ich im Namen des Königs die Ehre verlange, Ihr Gesicht zu sehen.«

»Oh! das ist eine unerträgliche Inquisition!« sagte nun eine zitternde Stimme, deren Klang den jungen Offizier vor Freude beben ließ, denn er erkannte eine Stimme, die niemand nachzuahmen imstande war. »Ist es, wie Ihr sagt, mein Herr, der König, der Euch zu diesem Verfahren nötigt, so kann dies nur der Fall sein, weil der König als ein Kind noch nichts von den Pflichten eines Edelmannes weiß; eine Frau zwingen, ihr Gesicht zu zeigen, heißt ihr dieselbe Beleidigung antun, als ob man ihr die Maske abreißen würde.«

»Madame, es gibt ein Wort, vor dem sich die Menschen beugen, wenn es von Königen kommt, und die Könige, wenn es vom Schicksal kommt: es muß sein.«

»Wohl, da es sein muß,« sagte die junge Frau, »da ich allein und ohne Schutz gegen den Befehl des Königs und die Forderungen seines Boten bin, so gehorche ich, mein Herr, schaut mich an.«

Damit entfernte eine ungestüme Bewegung den Wall von Kopfkissen, Decken und Spitzen, der die schöne Belagerte verbarg, und in der Bresche erschien, mehr von Scham als von Entrüstung gerötet, der blonde Kopf, den die Stimme vorher schon verraten hatte. Mit dem raschen Blicke des Liebenden versicherte sich Canolles, daß es nicht der Zorn war, der diese durch samtene Wimpern verschleierten Augen niedergeschlagen hielt und die Hand zittern ließ, die an den schneeweißen Hals die Wogen eines flüchtigen Haares und den Batist duftender Tücher preßte.

Die falsche Prinzessin blieb einen Augenblick in dieser Lage, der sie gern etwas Trotzendes verliehen hätte, während Canolles, die Wohlgerüche einschlürfend und mit beiden Händen die Schläge seines vor Freude springenden Herzens zurückdrängend, sie anschaute.

»Nun, mein Herr,« sagte nach einigen Sekunden die schöne Verfolgte, »ist die Demütigung groß genug? Habt Ihr mich nach Muße betrachtet? Ja, nicht wahr? Euer Triumph ist vollständig! Wohl, so seid ein edelmütiger Sieger und entfernt Euch.«

»Ich würde dies gern tun, Madame, aber ich muß meinen Instruktionen vollständig Genüge leisten. Ich habe bis jetzt nur den Teil meiner Sendung erfüllt, der Eure Hoheit betrifft; doch ist es nicht hinreichend, Euch gesehen zu haben, ich muß nun auch den Herzog von Enghien sehen.«

Auf diese Worte, die mit dem Tone eines Mannes ausgesprochen wurden, der das Recht hat zu befehlen und Gehorsam heischt, folgte ein furchtbares Stillschweigen. Die falsche Prinzessin erhob sich, stützte sich auf eine Hand und heftete auf Canolles einen der seltsamen Blicke, die nur ihr anzugehören schienen, so viele Dinge enthielten sie zumal. Dieser Blick wollte sagen: »Habt Ihr mich erkannt, wißt Ihr, wer ich in der Tat bin? Wenn Ihr es wißt, so verschont mich, verzeiht mir, Ihr seid der Stärkere, habt Mitleid mit mir!«

Canolles begriff alles, was dieser Blick sprach, aber er stählte sich gegen seine verführerische Beredsamkeit und antwortete: »Unmöglich, Madame, der Befehl ist unzweideutig.«

»Es geschehe also in allem, wie Ihr es wünscht, mein Herr, da Ihr weder auf meine Lage, noch auf meinen Rang Rücksicht nehmt; geht, diese Damen werden Euch zu dem Prinzen, meinem Sohne, führen.«

»Könnten diese Damen, statt mich zu Eurem Sohne zu führen, nicht Euren Sohn zu Euch führen?« entgegnete Canolles; »das wäre meiner Ansicht nach viel besser.«

»Und warum, mein Herr?« fragte die falsche Prinzessin, offenbar unruhiger über diese neue Forderung, als sie es über irgend eine andere gewesen war.

»Weil ich mittlerweile Eurer Hoheit einen Punkt meiner Sendung mitteilen werde, der nur ihr allein eröffnet werden kann.«

»Mir allein?« – »Euch allein,« antwortete Canolles mit einer Verbeugung tiefer als jede, die er bis dahin gemacht hatte.

Der Blick der Prinzessin, die stufenweise von der Würde zur Bitte, von der Bitte zur Unruhe übergegangen war, heftete sich diesmal mit der Starrheit des Schreckens auf Canolles.

»Was kann Euch an diesem Alleinsein mit mir so sehr ängstigen, Madame?« sagte Canolles. »Seid Ihr nicht Prinzessin und bin ich nicht Edelmann?«

»Ja, Ihr habt recht, mein Herr, und ich habe unrecht, daß ich fürchte. Ja, obgleich es das erste Mal ist, daß mir das Vergnügen zuteil wird, Euch zu sehen, so ist doch das Gerücht von Eurer Höflichkeit und Rechtschaffenheit bis zu mir gedrungen. Geht, meine Damen, holt den Herrn Herzog von Enghien und kommt mit ihm zurück.«

Die Frauen verließen den Bettgang, schritten nach der Tür, wandten sich noch einmal um, um zu sehen, ob der Befehl ernstlich gemeint sei, und entfernten sich auf ein Zeichen ihrer Gebieterin, oder vielmehr der, die ihren Platz einnahm, aus dem Zimmer.

Canolles folgte ihnen mit dem Blicke, bis sie die Tür zugemacht hatten. Dann wandte er seine von Freude funkelnden Augen auf die falsche Prinzessin zurück.

»Sprecht,« sagte diese, sich aufsetzend und ihre Hände kreuzend, »sprecht, Herr von Canolles, warum verfolgt Ihr mich auf eine solche Weise?«

Und bei diesen Worten schaute sie den jungen Offizier an, nicht mit dem hochmütigen Prinzessinnenblick, den sie versucht hatte, und der ihr nicht gelungen war, sondern im Gegenteil mit einem so rührenden und bezeichnenden Ausdruck, daß all die reizenden Einzelheiten ihres ersten Zusammentreffens, all die berauschenden Episoden ihrer Reise, all die Erinnerungen dieser jungen Liebe mit überwältigender Gewalt im Herzen des Barons auftauchten und es wie mit balsamischen Düften umhüllten.

»Madame,« sagte er, einen Schritt gegen das Bett machend, »ich verfolge die Frau Prinzessin von Condé und nicht Euch.«

Die, an die diese Worte gerichtet waren, stieß einen kurzen Schrei aus, wurde sehr bleich und drückte eine ihrer Hände an ihr Herz.

»Was wollt Ihr damit sagen, mein Herr und für wen haltet Ihr mich?«

»Ah! was das betrifft . . . ich wäre sehr verlegen, wenn ich es Euch erklären müßte; denn ich möchte schwören, daß Ihr der reizendste Vicomte seid, wenn Ihr nicht etwa die anbetungswürdigste Vicomtesse seid.«

»Mein Herr,« sagte die falsche Prinzessin, die durch Zusammenraffung ihrer Würde einen Eindruck auf Canolles zu machen hoffte, »ich begreife von allem, was Ihr mir sagt, nur das eine, daß Ihr Euch gegen die Achtung verfehlt, daß Ihr mich beleidigt.«

»Madame, man verfehlt sich nicht gegen die Achtung vor Gott, weil man ihn anbetet, man beleidigt die Engel nicht, weil man sich vor ihnen auf die Knie wirft.«

Und bei diesen Worten bückte sich Canolles, als wollte er niederknien.

»Mein Herr,« sagte rasch die Vicomtesse, Canolles zurückhaltend, »die Prinzessin von Condé kann nicht dulden . . .«

»Madame, die Prinzessin von Condé reitet in diesem Augenblick auf einem guten Pferde, zwischen ihrem Stallmeister Vialas und ihrem Rat Lenet, mit ihren Edelleuten, ihren Kapitänen und Haustruppen auf der Straße nach Bordeaux und hat nichts mit dem zu schaffen, was in dieser Minute zwischen dem Baron von Canolles und dem Vicomte oder der Vicomtesse von Cambes vorgeht.«

»Was sprecht Ihr da, mein Herr? Seid Ihr verrückt?«

»Nein Madame, ich sage nur, was ich gesehen, ich erzähle nur, was ich gehört habe.«

»Wenn Ihr gesehen, wenn Ihr gehört habt, was Ihr sagt, so muß Eure Sendung zu Ende sein.«

»Ihr glaubt, Madame? Ich soll also nach Paris zurückkehren und der Königin gestehen, daß ich, um einer Frau nicht zu mißfallen, die ich liebte, ihre Befehle verletzt, die Flucht ihrer Feindin gestattet, das Geschehene unbeachtet gelassen, die Sache meines Königs verraten habe?«

Die Vicomtesse schien bewegt und schaute den Baron mit beinahe zärtlichem Mitleid an.

»Habt Ihr nicht die allerbeste Entschuldigung,« sagte sie. »Die Unmöglichkeit? Konntet Ihr allein die starke Eskorte der Frau Prinzessin festnehmen? Hatte man Euch den Befehl gegeben, allein fünfzig Edelleute zu bekämpfen?«

»Ich war nicht allein, Madame,« sagte Canolles, den Kopf schüttelnd; »ich hatte und habe noch dort im Gehölz, fünfhundert Schritte von uns, zweihundert Soldaten, die ich mit einem einzigen Tone dieser Pfeife zu mir rufen kann; es wäre mir also leicht gewesen, die Frau Prinzessin festzunehmen. Und dann, wäre mein Geleite auch schwächer gewesen als das ihrige, während es viermal stärker ist, so hätte ich immerhin kämpfen, immerhin kämpfend fallen können; es wäre mir dies so leicht gewesen,« fügte der junge Mann mit einer tiefen Verbeugung hinzu, »als es mir süß sein würde, diese Hand zu küssen, wenn ich es wagte.«

Diese Hand, auf die der Baron glühende Blicke heftete, diese feine, fleischige, weiße Hand war in der Tat aus dem Bette gefallen und zitterte bei jedem Worte des jungen Mannes. Die Vicomtesse, selbst geblendet durch die Elektrizität der Liebe, deren Wirkungen sie in dem kleinen Wirtshause von Jaulnay empfunden hatte, dachte nicht daran, daß sie diese kleine Hand zurückziehen sollte; und der junge Offizier sank auf ein Knie und drückte seinen Mund mit wollüstiger Schüchternheit auf die Hand, die bei der Berührung seiner Lippen sich zurückzog, als ob ein glühendes Eisen sie gebrannt hätte.

»Ich danke, Herr von Canolles,« sagte die junge Frau, »ich danke aus dem Grunde meines Herzens für das, was Ihr für mich getan habt; glaubt, daß ich es nie vergessen werde. Aber verdoppelt den Wert des Dienstes, den Ihr mir leistet, dadurch, daß Ihr meine Lage in Betracht zieht und Euch entfernt. Müssen wir uns nicht verlassen, da Eure Aufgabe vollbracht ist?«

Dieses uns, mit einem so zarten Tone ausgesprochen, daß darin gleichsam ein Anklang von Bedauern zu liegen schien, ließ im Herzen des Barons beinahe schmerzhaft die geheimsten Fasern erbeben. Das Gefühl des Schmerzes findet sich fast immer im Grunde großer Freuden.

»Ich werde gehorchen,« sagte Canolles. »Nur bemerke ich Euch, nicht um ungehorsam zu sein, sondern um Euch vielleicht einen Gewissensbiß zu ersparen, daß ich mich durch diesen Gehorsam zu Grunde richte. Im Augenblick, wo ich meinen Fehler gestehe und nicht mehr das Ansehen habe, als ob ich mich durch Eure List betören ließe, werde ich das Opfer meiner Gefälligkeit. Man erklärt mich als Verräter, man kerkert mich ein . . . erschießt mich vielleicht, und das ist ganz einfach; denn ich habe verraten.«

Claire stieß einen Schrei aus und ergriff selbst Canolles Hand, die sie mit einer reizenden Verwirrung sogleich wieder fallen ließ.

»Was wollen wir denn tun?« fragte sie.

Das Herz des jungen Mannes dehnte sich aus, dieses selige wir wurde entschieden das Lieblingswort der Frau von Cambes.

»Euch zu Grunde richten, Euch, der so edelmütig handelt!« fuhr sie fort. »Ich Euch ins Verderben stürzen . . . oh! nie. Um welchen Preis kann ich Euch retten? sprecht, sprecht!«

»Ihr müßt mir erlauben, Madame, meine Rolle bis zum Ende zu spielen. Ich sollte, wie ich sagte, als Opfer Eurer List erscheinen, und Herrn von Mazarin von dem, was ich sehe, und nicht von dem, was ich weiß, Meldung machen.«

»Ja, aber wenn man wüßte, daß Ihr alles dies für mich tut, wenn man erführe, daß wir uns bereits begegnet haben, daß Ihr mich bereits gesehen habt, wäre ich ebenfalls verloren; bedenkt das!«

»Madame,« sagte Canolles mit vortrefflich gespielter Schwermut, »bei Eurer kalten Miene, bei Eurer Würde, die Ihr so mühelos in meiner Gegenwart behauptet, glaube ich nicht, daß Ihr Euch ein Geheimnis entschlüpfen lassen würdet, das überdies, in Eurem Herzen wenigstens, gar nicht besteht.«

Claire schwieg, aber ein flüchtiger Blick und ein unmerkliches Lächeln, das unwillkürlich die Lippen der schönen Gefangenen umspielte, antworteten Canolles auf eine Weise, die ihn zum glücklichsten Sterblichen machte.

»Ich werde also bleiben?« sagte er mit unaussprechlicher Freude.

»Da es sein muß!« erwiderte die Vicomtesse.

»Dann schreibe ich Herrn von Mazarin.«

»Ja, geht.«

»Wie denn?«

»Ich sage, Ihr sollt gehen und schreiben.«

»Nein, ich muß ihm von hier, von Eurem Zimmer aus schreiben, ich muß meinen Brief vom Fuße Eures Bettes datieren.«

»Aber das ist nicht schicklich.«

»Hier sind meine Instruktionen, Madame. Lest sie selbst!«

Canolles reichte der Vicomtesse ein Papier, und sie las: »Der Herr Baron von Canolles wird die Frau Prinzessin von Condé und den Herrn Herzog von Enghien, ihren Sohn, nie aus den Augen lassen.«

»Nie aus den Augen,« sagte Canolles.

»Nie aus den Augen, so ist es.«

Claire begriff nun den Vorteil, den ein Verliebter wie Canolles aus solchen Instruktionen ziehen konnte, aber sie begriff auch, welchen Dienst sie der Prinzessin leistete, indem sie in Beziehung auf ihre Person den Irrtum des Hofes verlängerte.

»Schreibt also,« sagte sie wie eine Frau, die sich in das Unvermeidliche fügt.

Canolles fragte mit dem Blick, und sie zeigte ihm ebenfalls mit dem Blick ein Necessaire, das alles enthielt, was man zum Schreiben braucht; der junge Mann öffnete es, nahm Papier, Feder und ein Tintenfaß daraus, legte alles auf einen Tisch, zog diesen Tisch so nahe wie möglich zu dem Bett, bat, als ob Claire die kranke Prinzessin wäre, um Erlaubnis sich zu setzen, was ihm bewilligt wurde, und schrieb an Herrn von Mazarin folgende Meldung:

»Monseigneur,

»Ich bin im Schlosse Chantilly um neun Uhr abends angekommen, Ihr erseht hieraus meine Eile, denn ich habe die Ehre gehabt, um halb sieben Uhr von Eurer Eminenz Abschied zu nehmen.

»Ich fand die Prinzessinnen im Bette, die Frau Witwe sehr krank, die Frau Prinzessin ermüdet von einer Jagd, die sie am Tage veranstaltet hatte.

»Nach den Instruktionen Eurer Eminenz habe ich mich zu Ihren Hoheiten verfügt, die in demselben Augenblick alle ihre Gäste verabschiedeten, und ich bewache zu dieser Stunde die Frau Prinzessin und ihren Sohn unter meinen Augen.«

»Und ihren Sohn,« wiederolte Canolles sich gegen die Vicomtesse umwendend. »Teufel! ich glaube, ich lüge, und doch möchte ich nicht gern lügen.«

»Beruhigt Euch,« versetzte Claire lachend, »wenn Ihr meinen Sohn nicht gesehen habt, so werdet Ihr ihn noch sehen.«

»Und ihren Sohn unter meinen Augen,« fuhr Canolles lachend fort.

Dann schrieb er weiter:

»Ich habe die Ehre aus dem Zimmer der Frau Prinzessin und an ihrem Kopfkissen sitzend diesen Brief an Eure Eminenz zu schreiben.«

Er unterzeichnete, ließ mit Claires Bewilligung Castorin holen und beauftragte diesen, das Schreiben dem Offizier, der die zweihundert Mann kommandierte, zu übergeben, damit dieser es durch einen eigenen Boten nach Paris schicke.

Nachdem Castorin mit dem Schreiben abgegangen war, sagte Claire, indem sie ihre beiden Hände gefaltet und flehend gegen Canolles ausstreute, »nun entfernt Ihr Euch, nicht wahr?«

»Verzeiht . . . Euer Sohn, Madame?«

»Das ist richtig,« erwiderte Claire lächelnd, »Ihr sollt ihn sehen.«

Gleich darauf trat auch der vermeintliche Herzog von Enghien mit einem ganzen Gefolge von Frauen und Kammerherren herein und Claire gönnte sich die kleine Bosheit, ihm zu sagen, er solle dem Baron von Canolles seine Hand zum Kusse reichen. Schnell besonnen benutzte der junge Mann diese Gelegenheit, indem er sagte: »Ehe ich mich Eurer Hoheit empfehle, wage ich noch, eine hohe Gunst zu erbitten.«

»Welche?« fragte Frau von Cambes unruhig; denn sie erkannte an dem Ton, daß sich der Baron eine Genugtuung verschaffen wollte.

»Daß Ihr mir dieselbe Gnade bewilliget, die mir der Prinz, Euer Sohn, gewährt hat.«

Diesmal war die Vicomtesse gefangen. Es gab keine Möglichkeit, einem Offizier des Königs die zeremonielle Gunst zu verweigern, die er auf diese Art im Angesicht aller forderte. Frau von Cambes streckte daher ihre zitternde Hand gegen Canolles aus.

Dieser schritt auf das Bett zu, als sei es der Thron einer Königin, faßte mit der Spitze seiner Finger die Hand, die man ihm reichte, setzte ein Knie auf die Erde und drückte auf die feine, weiße, zitternde Haut einen langen Kuß, den jeder der Ehrfurcht zuschrieb, während er für die Vicomtesse allein ein glühendes Pressen der Liebe war.

»Ihr habt mir versprochen, Ihr habt mir sogar geschworen, das Schloß nicht zu verlassen, ohne mich davon in Kenntnis zu setzen,« sagte Canolles aufstehend mit halber Stimme. »Ich rechne auf Euer Versprechen und auf Euern Schwur.«

»Rechnet darauf, mein Herr,« sagte Frau von Cambes und fiel, einer Ohnmacht nahe, auf ihr Kopfkissen zurück.

Canolles, den der Ausdruck der Stimme zittern ließ, suchte in den Augen der schönen Gefangenen die Bestätigung der Hoffnung, die ihm ihr Ton verlieh; aber die Augen der Vicomtesse waren hermetisch geschlossen.

Canolles dachte, die geschlossenen Kisten enthalten die kostbarsten Schätze, und zog sich mit einem Paradies im Herzen zurück, das ihm die kühnsten Pläne durchs Gehirn jagte und die seligsten Träume herbeizauberte.

Nach kurzem Schlafe, wenn man das fieberhafte Delirium, das auf sein Wachen folgte, Schlaf nennen darf, sprang er aus dem Bette, kleidete sich hastig an und ging in den Garten hinab. Sein erster Besuch galt dem Flügel, den die Prinzessin bewohnte, sein erster Blick dem Fenster ihres Gemaches. War die Gefangene noch nicht eingeschlafen, war sie bereits erwacht? . . . Ein Licht, zu stark, um einer Nachtlampe anzugehören, rötete die hermetisch geschlossenen Damastvorhänge. Canolles blieb still stehen bei diesem Anblick, der ohne Zweifel sogleich in seinem Geiste eine große Anzahl unsinniger Gedanken rege machte, und verbarg sich, seinen Spaziergang unterbrechend, hinter einer Bildsäule, wo er immer von neuem den ewigen Dialog verliebter Herzen begann, die den geliebten Gegenstand in allen poetischen Ausströmungen der Natur finden.

Der Baron war seit ungefähr einer halben Stunde auf seinem Beobachtungsposten und betrachtete mit unaussprechlicher Wonne diese Vorhänge, vor denen jeder andere als er gleichgültig vorübergegangen wäre, als er ein Fenster der Galerie sich öffnen und eben dieses Fenster beinahe in demselben Augenblick das ehrliche Gesicht Pompées umrahmen sah. Alles, was auf die Vicomtesse Bezug hatte, flößte Canolles ein mächtiges Interesse ein; er wandte daher seinen Blick von den Vorhängen ab und glaubte zu bemerken, daß Pompée eine Korrespondenz durch Zeichen mit ihm einzuleiten trachtete. Bald bemerkte er auch etwas Weißes in Pompées Hand, das er als ein zusammengerolltes Papier erkannte.

»Ein Billett!« dachte Canolles, »sie schreibt mir; was bedeutet das?«

Er näherte sich zitternd vor Freude; Pompée ließ das Papier fallen, und Canolles fing es geschickt auf. Indem der Edelmann in seinem Herzen schnell alle Stufen vom Entzücken bis zu bangem Zweifel durchlief, erbrach er das Siegel und las:

»Mein Herr, länger in der Lage zu verharren, in der wir uns befinden, ist rein unmöglich. Ich hoffe, Ihr werdet in dieser Hinsicht denken, wie ich. Ihr müßt darunter leiden, daß Ihr in den Augen aller Leute des Hauses für einen lästigen Aufseher geltet; andrerseits, wenn ich Euch besser empfange, als die Frau Prinzessin an meiner Stelle tun würde, muß ich befürchten, man werde erraten, daß wir eine doppelte Komödie spielen, die mir sicher den Verlust meines Rufes brächte.«

Canolles trocknete sich die Stirn ab, seine Ahnungen hatten ihn nicht getäuscht. Mit dem Tage, dem großen Verscheucher der Phantome, verschwanden all seine goldenen Träume; er schüttelte den Kopf, stieß einen Seufzer aus und fuhr fort:

»Stellt Euch, als entdecktet Ihr die List, deren wir uns bedient haben; es gibt, um zu dieser Entdeckung zu gelangen, ein ganz einfaches Mittel, das ich Euch selbst an die Hand geben werde, wenn Ihr versprechen wollt, Euch meiner Bitte zu fügen. Ihr seht, ich verberge Euch nicht, wie sehr ich von Euch abhänge. Fügt Ihr Euch meiner Bitte, so lasse ich Euch mein Porträt zukommen, worauf unter dem Bilde selbst mein Name und mein Wappen angebracht sind. Ihr sagt, Ihr habt dieses Porträt bei einer Eurer nächtlichen Runden gefunden und daraus erkannt, daß ich nicht die Frau Prinzessin sei.

»Brauche ich Euch zu bemerken, daß ich Euch zum steten Zeichen der Dankbarkeit, die ich im Herzen bewahren werde, wenn Ihr noch diesen Morgen abreist, ermächtige, dieses Miniaturbild zu behalten, vorausgesetzt, daß Ihr irgendeinen Wert darauf legt?

»Verlaßt uns also, wenn es möglich ist, ohne mich wiederzusehen, und Ihr werdet meine ganze Dankbarkeit mit Euch nehmen, während ich meinerseits Euer Andenken als das eines der edelsten, rechtschaffensten Männer, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe, bewahren will.«

Canolles las das Billett zum zweitenmal und blieb wie versteinert. Trotz des Tropfens Honig spürte er nur die Bitterkeit der Trennung. So süß ihm auch das Porträt schien, die Ursache, aus der es geboten wurde, benahm ihm einen großen Teil seines Wertes. Wozu überdies das Porträt, wenn das Original da ist, wenn man es unter den Händen hat, und nur nicht freizugeben braucht? – Ja, aber Canolles, der nicht vor dem Zorne der Königin und Mazarins zurückgewichen war, zitterte vor einem Stirnrunzeln der Frau von Cambes.

Wenn er jedoch daran dachte, wie oft ihn diese Frau schon irregeführt hatte, so glaubte er statt der verdienten Dankbarkeit nur Grausamkeit, ja Verhöhnung geerntet zu haben, und der heftigste Zorn ergriff ihn.

»Ja, ja,« dachte er, seine Gedanken mit Gebärden begleitend, die mit dem Gefühl in Einklang standen, das ihn beschäftigte, »ja, das ist ein förmlicher Abschied, eine poetische Hoffnung in eine rohe Täuschung verwandelt. Aber ich werde die Lächerlichkeit, die man mir bereiten will, nicht so hinnehmen. Ich ziehe ihren Haß der angeblichen Dankbarkeit vor, die sie mir verspricht. Ah, ja, ich soll nur ihrem Versprechen trauen! . . . Es wäre geradesogut, wenn man der Beständigkeit des Windes oder der Ruhe des Meeres trauen würde. Ah! Madame, Madame!« fügte er, sich gegen das Fenster wendend hinzu, »Ihr entgeht mir zweimal; aber ich schwöre, ich finde eine ähnliche Gelegenheit, und Ihr werdet mir nicht zum drittenmal entgehen.«

Hierauf ging Canolles in seine Wohnung zurück, um sich anzukleiden und nötigenfalls mit Gewalt zu der Vicomtesse zu dringen. Sobald es die frühe Stunde nur erlaubte, ließ er sich aufs neue bei der Prinzessin anmelden, die ihn endlich, nach langem Zögern, empfing.

Diesmal war jedes Zeremoniell verbannt, die Vicomtesse erwartete ihn ganz angekleidet und stehend in einem kleinen Salon. Spuren von Schlaflosigkeit, die man vergebens zu verwischen gesucht hatte, waren auf ihrem reizenden Antlitz sichtbar; ein leichter, blauer Kreis um ihre Augen deutete insbesondere an, daß sich diese kaum oder gar nicht geschlossen hatten.

»Ihr seht, mein Herr,« sagte sie, ohne daß sie ihm Zeit ließ, zuerst zu sprechen, »ich füge mich Eurem Wunsche, doch ich gestehe es, in der Hoffnung, daß diese Zusammenkunft die letzte ist, und daß Ihr Euch ebenfalls dem meinigen füget.«

»Verzeiht, Madame, aber nach unserer Unterredung gestern abend hoffte ich auf weniger Strenge in Euren Forderungen, und ich zählte darauf, als Ersatz für das, was ich für Euch, für Euch allein getan habe, würdet Ihr die Gnade haben, mich länger in Chantilly zu dulden.«

»Ja, mein Herr, ich gestehe, die in meiner Lage erklärliche Unruhe . . . die Größe des Opfers, das Ihr mir brachtet, das Interesse der Frau Prinzessin, für die ich Zeit gewinnen sollte, vermochten meinem Munde einige Worte zu entreißen, die nicht im Einklang mit meinem Innern standen; aber während dieser Nacht habe ich nachgedacht; ein längerer Aufenthalt unser beider in diesem Schlosse wird unmöglich.«

»Unmöglich, Madame!« rief Canolles. »Ihr vergeßt, daß alles für einen Mann möglich ist, der im Namen des Königs spricht?«

»Herr von Canolles, ich hoffe, daß Ihr vor allem Edelmann seid und die Lage nicht mißbrauchen werdet, in die mich meine Ergebenheit gegen die Frau Prinzessin versetzt hat.«

»Madame, vor allem bin ich verrückt. Mein Gott! Ihr habt es wohl gesehen, denn nur ein Verrückter konnte tun, was ich getan habe. Übt also Mitleid mit meiner Verrücktheit, Madame, schickt mich nicht fort, ich flehe Euch an!«

»Dann werde ich den Platz verlassen, mein Herr. Ich werde Euch wider Euern Willen zu Euern Pflichten zurückbringen. Wir wollen sehen, ob Ihr mich mit Gewalt zurückhaltet, ob Ihr uns dem üblen Gerede der Welt preisgeben wollt. Nein, nein, mein Herr!« fuhr die Vicomtesse mit einem Tone fort, den Canolles zum ersten Male hörte, »nein, Ihr werdet bedenken, daß Ihr nicht ewig in Chantilly bleiben könnt; Ihr werdet bedenken, daß man Euch anderswo erwartet.«

Dieses Wort, das wie ein Blitz die Augen Canolles' erleuchtete, erinnerte ihn an die Szene im Wirtshause von Biscarros, an die Kenntnis, die Frau von Cambes von der Liebschaft des jungen Mannes hatte, und alles war ihm klar. Ihre Schlaflosigkeit war nicht durch die Angst vor der Gegenwart, sondern durch die Erinnerung an die Vergangenheit veranlaßt worden. Der Entschluß am Morgen, Canolles zu meiden, war nicht das Resultat der Überlegung, sondern der Ausdruck der Eifersucht.

Es trat nun zwischen beiden ein kurzes Stillschweigen ein; jedes horchte auf das Wort seines eigenen Geistes, der in seiner Brust mit den Schlägen seines Herzens sprach.

»Eifersüchtig!« sagte Canolles zu sich selbst, »eifersüchtig! Oh! nun begreife ich alles. Ja, ja! sie will sich versichern, daß ich sie hinreichend liebe, um ihr jede andere Liebe zu opfern! Es ist eine Probe!«

Frau von Cambes aber sprach zu sich selbst: »Ich bin für Herrn von Canolles eine Zerstreuung; er hat mich auf seinem Wege in dem Augenblick getroffen, wo er die Guienne zu verlassen genötigt war, und folgte mir, wie der Reisende einem Irrlichte folgt: aber sein Herz ist in dem kleinen von Bäumen umgebenen Hause geblieben, in das er sich an dem Abend begeben wollte, wo ich ihn traf. Ich kann also unmöglich einen Mann bei mir behalten, der eine andere liebt, und den ich, wenn ich ihn länger sehen würde, vielleicht schwach genug wäre zu lieben. Oh! ich würde nicht nur meine Ehre, sondern auch die Interessen der Frau Prinzessin verraten, wenn ich so niederträchtig wäre, den Agenten ihrer Verfolger zu lieben!«

Plötzlich rief sie, ihren eigenen Gedanken beantwortend: »Oh! nein, nein, Ihr müßt abreisen, mein Herr; geht oder ich gehe.«

»Ihr vergeßt, Madame,« sagte Canolles, »ich habe Euer Wort, daß Ihr nicht abreist, ohne mich zuvor in Kenntnis gesetzt zu haben.«

»Wohl, mein Herr, ich benachrichtige Euch, daß ich Chantilly in diesem Augenblick verlasse.«

»Und Ihr glaubt, ich werde es gestatten?« – »Wie!« rief die Vicomtesse, »Ihr wollt mir Gewalt antun!«

»Madame, ich weiß nicht, was ich tun werde, aber das weiß ich, daß es mir unmöglich ist, Euch zu verlassen.«

»Also bin ich Eure Gefangene?« – »Ihr seid eine Frau, die ich bereits zweimal verloren habe und nicht zum dritten Male verlieren will.«

»Gewalt also?« – »Ja, Madame, Gewalt,« antwortete Canolles, »wenn es das einzige Mittel ist, Euch zu behalten.«

»Ah!« rief Frau von Cambes, »welch ein Glück, eine Frau zu halten, die seufzt, nach Freiheit ruft, uns nicht liebt, uns haßt!«

Canolles bebte und suchte rasch voneinander zu trennen, was in dem Worte und was in dem Geiste lag.

Er begriff, daß der Augenblick gekommen war, alles gegen alles einzusetzen.

»Madame,« sagte er, »die Worte, die Ihr mit einem so wahren Ausdruck gesprochen habt, daß ich mich über ihre Bedeutung nicht täuschen kann, haben jede Ungewißheit in mir gelöst. Ihr seufzend, Ihr eine Sklavin! ich eine Frau zurückhalten, die mich nicht liebt, die mich haßt! Nein, Madame, nein, seid unbesorgt, es wird nicht so sein. Ich glaubte nach dem Glücke, das Euer Anblick mir gewährte, Ihr würdet meine Gegenwart ertragen; ich hoffte, nachdem ich Achtung, Ruhe des Gewissens, Zukunft, vielleicht die Ehre verloren habe, Ihr würdet mich für dieses Opfer durch das Geschenk einiger Stunden entschädigen, die ich wohl nie wieder finden werde. Alles dies wäre möglich gewesen, wenn Ihr mich geliebt hättet, sogar wenn ich Euch gleichgültig gewesen wäre; denn Ihr seid gut und hättet aus Mitleid getan, was eine andere aus Liebe getan haben würde. Aber ich habe es nicht mehr mit der Gleichgültigkeit, sondern mit dem Hasse zu tun. Dann ist es etwas anderes; Ihr habt recht. Vergebt mir nur, Madame, daß ich nicht begriff, wie man gehaßt werden kann, wenn man wahnsinnig liebt. Es ist an Euch, Königin, Gebieterin und frei in diesem Schlosse wie überall zu bleiben; es ist an mir, mich zu entfernen, und ich entferne mich. In zehn Minuten habt Ihr Eure Freiheit wiedererlangt. Lebt wohl, Madame, lebt wohl auf ewig.«

Und in einer Verwirrung, die am Anfang gespielt, am Ende seiner Rede aber wahrhaft und schmerzlich war, verbeugte sich Canolles vor Frau von Cambes, drehte sich um, suchte die Tür, die er nicht fand, und wiederholte dabei die Worte: »Lebt wohl! Lebt wohl!« mit einem tief gefühlten Ausdrucke, der, vom Herzen kommend, auch zum Herzen ging. Wahre Betrübnis hat ihre Stimme wie der Sturm.

Frau von Cambes hatte diesen Gehorsam Canolles' nicht erwartet; sie hatte Kräfte für einen Kampf und nicht für einen Sieg gesammelt und wurde ihrerseits durch seine Ergebenheit, die so voll Liebe war, überwältigt; als daher der junge Mann, die Arme ausstreckend und fast schluchzend, bereits zwei Schritte gegen die Tür gemacht hatte, fühlte er plötzlich, wie sich eine Hand mit dem bezeichnendsten Drucke auf seine Schulter legte; man berührte ihn nicht nur, man hielt ihn zurück.

Er wandte sich um. Sie stand immer noch vor ihm. Anmutig ausgestreckt, berührte ihr Arm immer noch seine Schulter, und der Ausdruck von Würde, den er einen Augenblick vorher auf ihrem Antlitz wahrgenommen hatte, war in ein liebreizendes Lächeln zerschmolzen.

»Schön, mein Herr!« sagte sie, »so gehorcht Ihr der Königin! Ihr würdet abreisen, während Ihr Befehl habt, hier zu bleiben, Verräter, der Ihr seid!«

Canolles stieß einen Schrei aus, fiel auf die Knie und rief, seine Stirn auf die Hände drückend, die sie ihm reichte: »Oh! ich könnte vor Freude sterben!«

»Ach! freut Euch noch nicht,« entgegnete die Vicomtesse; »denn wenn ich Euch zurückhalte, so geschieht es, damit wir uns nicht so verlassen, damit Ihr nicht die Meinung von mir fortnehmt, ich sei eine Undankbare, damit Ihr mir freiwillig mein Wort zurückgebt, damit Ihr in mir wenigstens eine Freundin seht, da die Feindschaft der Parteien, denen wir folgen, mich hindert, je etwas anderes für Euch zu sein.«

»Oh, mein Gott!« sagte Canolles, »ich habe mich also abermals getäuscht, Ihr liebt mich nicht?« – »Sprechen wir nicht von unsern Gefühlen, Baron, sondern von der Gefahr, der wir uns aussetzen, wenn wir beide hier bleiben; geht oder laßt mich gehen; es muß sein.«

»Was sagt Ihr da?« – »Die Wahrheit. Laßt mich hier; kehrt nach Paris zurück; sagt Mazarin, sagt der Königin, was Euch begegnet ist. Ich werde Euch unterstützen, soviel ich vermag; aber geht, geht.«

»Muß ich Euch denn wiederholen,« rief Canolles, »Euch verlassen ist sterben!«

»Nein, nein, Ihr werdet nicht sterben, denn Ihr dürft die Hoffnung bewahren, daß wir uns in glücklicheren Zeiten wiederfinden.«

»Der Zufall hat mich auf Eure Straße geworfen, Madame, oder vielmehr Euch bereits zweimal auf die meinige gebracht. Der Zufall wird müde werden, und wenn ich Euch verlasse, finde ich Euch nicht wieder.«

»Wohl, ich werde Euch suchen!«

»Oh, verlangt von mir, daß ich für Euch sterbe; der Tod ist ein schmerzhafter Augenblick, und nicht mehr. Aber verlangt noch nicht, daß ich Euch verlasse. Schon bei diesem Gedanken bricht mein Herz. Bedenkt doch, ich habe Euch kaum gesehen, kaum mit Euch gesprochen.«

»Gut . . . wenn ich Euch erlaube, heute noch zu bleiben, wenn Ihr mich den ganzen Tag sehen und sprechen könnt, werdet Ihr zufrieden sein?« – »Ich verspreche nichts.«

»Dann ich auch nicht. Ich habe nur die Verbindlichkeit gegen Euch übernommen, Euch von dem Augenblick in Kenntnis zu setzen, wo ich abreisen würde. Wohl, in einer Stunde reise ich.«

»Man muß also alles tun, was Ihr wollt? Man muß Euch in jedem Punkte gehorchen? Ich muß also Selbstverleugnung üben, um blindlings Euren Willen zu befolgen? Nun denn, wenn es sein muß, seid unbesorgt. Ihr habt nur noch einen Sklaven vor Euch, der bereit ist, Euch zu gehorchen. Befehlt, Madame, befehlt!«

Claire reichte dem Baron die Hand und sagte mit ihrem sanftesten, einschmeichelndsten Tone: »Ein neuer Vertrag gegen mein Wort; wenn ich Euch von diesem Augenblick bis heute abend um neun Uhr nicht verlasse, werdet Ihr um neun Uhr abreisen?« – »Ich schwöre es Euch.«

»Kommt also; der Himmel ist blau, er verheißt uns einen herrlichen Tag; der Tau benetzt den Rasen, Wohlgeruch durchströmt die Luft, balsamisch duftet der Wald. Holla, Pompée!«

Der würdige Intendant, der ohne Zweifel Befehl erhalten hatte, vor der Tür zu warten, trat ein.

»Meine Lustrosse,« sagte Frau von Cambes mit ihrer fürstlichen Miene; »ich reite diesen Morgen nach den Teichen und komme durch den Pachthof zurück, wo ich frühstücken werde . . . Ihr begleitet mich, Herr Baron,« fuhr sie fort; »dies gehört zu Euren Amtspflichten, da Ihr von Ihrer Majestät der Königin den Befehl erhalten habt, mich nicht aus dem Auge zu lassen.«

Eine Wolke erstickender Freude blendete den jungen Mann und umhüllte ihn; er ließ sich ohne Widerstand, beinahe ohne Willen führen; er atmete heftig, er war berauscht, er war verrückt. Inmitten eines reizenden Gehölzes, unter geheimnisvollen Baumgängen, deren schwankende Zweige auf seine entblößte Stirn fielen, öffnete er bald seine Augen wieder für die materiellen Dinge; zu Fuß, stumm, das Herz gepreßt durch eine Freude beinahe so brennend als der Schmerz, schritt er einher, seine Hand mit der von Frau von Cambes verschlingend, die so bleich, so stumm und wohl auch so glücklich war wie er.

Pompée ging hinter ihnen, nahe genug, um alles zu sehen, fern genug, um nichts zu hören.



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