Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

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Fünfzehntes Kapitel.

»Guten Morgen, Schwesterchen,« sagte Cauvignac zu Nanon, der jungen Frau mit unstörbarem Phlegma die Hand reichend.

»Ihr sagt also, die Vicomtesse von Cambes sei hier?« – »In Person.«

»Und Herr von Canolles trete in diesem Augenblick in das Wirtshaus?« – »Noch nicht. Er steigt vom Pferde und wirft seinem Lakaien die Zügel zu. Ah, er ist von jener Seite auch bemerkt worden. Seht, das Fenster mit den gelben Vorhängen öffnet sich, und der Kopf der Vicomtesse kommt hervor. Ah! sie stößt einen Freudenschrei aus, Herr von Canolles stürzt in das Haus; verbergt Euch, Schwesterchen, oder es ist alles verloren.«

Nanon warf sich zurück und drückte krampfhaft Cauvignacs Hand, der sie mit einer Miene väterlichen Mitleids anschaute.

»Und ich, die ich soeben nach Paris reisen wollte,« rief Nanon, »ich, die alles wagte, um ihn wiederzusehen!«

»Ah! Opfer, Schwesterchen, und zwar für einen Undankbaren. Bei meiner Seele, Ihr hättet Eure Wohltaten besser anbringen können!«

»Was werden sie nun sagen, da sie vereinigt sind? Was werden sie tun?«

»In der Tat, teure Nanon, Ihr bringt mich sehr in Verlegenheit, daß Ihr eine solche Frage an mich richtet,« sagte Cauvignac; »bei Gott, sie werden sich ungemein lieben, wie ich vermute.«

»Oh, das wird nicht sein!« rief Nanon und biß sich wütend in die elfenbeinglatten Nägel.

»Ich glaube im Gegenteil, es wird sein. Aller Wahrscheinlichkeit nach tauschen in diesem Augenblicke die Vicomtesse und Canolles alle Arten von Liebkosungen aus, von denen die einen immer reizender sind, als die andern. Teufel! meine liebe Nanon, Ihr habt Euch zu spät auf den Weg gemacht.«

»Ihr glaubt,« versetzte die junge Frau mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke tiefer Ironie und gehässiger Schlauheit. »Ihr glaubt! Wohl, steigt zu mir ein!«

Cauvignac gehorchte.

»He, Bertrand,« fuhr Nanon, sich an einen von den Musketenträgern wendend, fort, »sagt dem Kutscher, er solle ohne Geräusch umkehren und sich unter der Baumgruppe aufstellen, die wir beim Eingange des Dorfes rechts gelassen haben. Können wir dort ungestört miteinander verhandeln?« fuhr sie zu Cauvignac fort.

Auf Cauvignacs Zustimmung trug der Wagen, von vier Leuten begleitet, die Geschwister zurück.

Mittlerweile war Canolles, angezogen durch den Freudenschrei, den Frau von Cambes bei seinem Anblick ausgestoßen hatte, in das Wirtshaus geeilt und hatte das Zimmer der Vicomtesse erreicht.

»Ah, Herr!« rief Frau von Cambes, als sie ihn gewahrte, »kommt geschwind, denn ich erwarte Euch mit der größten Ungeduld.«

»Diese Worte würden mich zum glücklichsten Menschen der Welt machen, Madame, wenn Eure Blässe und Eure Unruhe mir nicht deutlich sagten, daß Ihr mich nicht meinetwegen allein erwartet.«

»Ja, Herr, Ihr habt recht,« versetzte Claire mit ihrem reizenden Lächeln, »ich will eine Verbindlichkeit mehr gegen Euch haben.«

In fliegender Eile erzählte Frau von Cambes, was ihr soeben zugestoßen sei.

»Ich, ich fürchte sehr, Euch nichts anderes zu Schutz und Verteidigung bieten zu können, als meinen Degen,« rief Canolles, als sie geendet hatte.

»Wieso?«

»Von diesem Augenblick an, Madame, bin ich nicht mehr im Dienste des Königs.«

»Sprecht Ihr wahr?« rief Claire voll Freude.

»Ich habe mir gelobt, meine Entlassung von dem Orte aus einzugeben, wo ich Euch treffen würde. Ich habe Euch getroffen, meine Entlassung wird von Jaulnay datiert sein.«

»Oh, frei! frei! Ihr seid frei; Ihr könnt Euch der Partei der Gerechtigkeit, der Redlichkeit anschließen; Ihr könnt der Sache der Herren Prinzen, das heißt, der des ganzen Adels, dienen. Oh, ich wußte wohl, daß Ihr ein zu würdiger Edelmann wäret, um nicht auf diese Seite zu treten.«

Und sie reichte Canolles ihre Hand, die er mit Entzücken küßte.

»Wie hat sich das gemacht?« rief Claire, »wie ist das gegangen? Erzählt mir die Sache in allen ihren Einzelheiten.«

»Oh, das ist in zwei Worten gesagt. Herr von Mazarin schalt mich einen Tölpel, weil ich mich in Chantilly hatte überlisten lassen, und beschenkte mich mit seiner allerhöchsten Ungnade.«

»Ihr habt also für mich Euren Grad verloren, Ihr seid für mich in Ungnade gefallen, für mich zu Grunde gerichtet! Lieber Herr von Canolles, wie soll ich je meine Schuld gegen Euch abtragen, wie soll ich Euch je meine Dankbarkeit beweisen?«

Und mit einem Lächeln und einer Träne, die ihm hundertmal ersetzten, was er verloren hatte, bewirkte Frau von Cambes, daß Canolles zu ihren Füßen niedersank.

»Ah, Madame,« sagte er, »von diesem Augenblick an bin ich im Gegenteil reich und glücklich, denn ich werde Euch folgen, ich werde Euch nicht mehr verlassen; denn ich werde glücklich sein durch Euern Anblick, reich durch Eure Liebe.«

»Es hält Euch also nichts zurück?« – »Nein!«

»Ihr gehört ganz mir, und indem ich Euer Herz behalte, kann ich Euern Arm der Frau Prinzessin anbieten?« – »Ihr könnt es.«

»Ihr habt also Eure Entlassung abgeschickt?« – »Noch nicht; ich wollte Euch zuvor wiedersehen; aber wie gesagt, nun, da ich Euch gesehen habe, werde ich sie sogleich hier schreiben. Ich hatte mir das Glück, Euch zu gehorchen, vorbehalten.«

»So schreibt denn, schreibt vor allem! Wenn Ihr nicht schreibt, wird man Euch als Überläufer betrachten. Ihr müßt sogar, ehe Ihr einen entscheidenden Schritt tut, warten, bis diese Entlassung angenommen ist.«

»Lieber kleiner Diplomat, fürchtet nichts, sie werden sie mir bewilligen und zwar gern. Meine Ungeschicklichkeit in Chantilly läßt sie meinen Verlust nicht sehr bedauern. Haben sie nicht gesagt, ich sei ein armseliges Gehirn?« fügte Canolles lachend hinzu.

In diesem Augenblick erschollen drei Schläge mit feierlichem Nachdruck an der Tür.

Canolles und die Vicomtesse schwiegen und schauten einander unruhig und fragend an.

»Im Namen des Königs,« rief eine Stimme, »öffnet!«

Und plötzlich flog die zerbrechliche Tür in Stücke. Canolles wollte nach seinem Degen eilen, aber bereits hatte sich ein Mann zwischen diesen und ihn geworfen.

»Was soll das bedeuten?« fragte der Baron.

»Ihr seid Herr von Canolles, nicht wahr?« – »Allerdings.« – Kapitän im Regiment Navailles?« – »Ja.«

»Abgesandter im Auftrage des Herrn Herzogs von Epernon?«

Canolles machte ein Zeichen mit dem Kopfe.

»So verhafte ich Euch im Namen des Königs und Ihrer Majestät der Königin Regentin.«

»Euer Befehl?« – »Hier ist er.«

Claire erbleichte und fiel weinend auf einen Stuhl.

»Herr von Mazarin rächt sich,« murmelte Canolles.

»Vorwärts, mein Herr, vorwärts,« sagte Cauvignac.

Claire rührte sich nicht. Canolles schien nahe daran, verrückt zu werden. Sein Unglück war so groß, so schwer, so unerwartet, daß er unter seinem Gewichte niedersank; er beugte das Haupt und fügte sich.

Überdies hatten zu jener Zeit die Worte: Im Namen des Königs! noch ihren ganzen Zauber, und niemand wagte es, zu widerstehen.

»Wohin führt Ihr mich, mein Herr?« sagte er; »oder ist es Euch vielleicht verboten, mir den Trost zu geben, daß ich weiß, wohin ich gehe?« – »Nein, mein Herr, ich will es Euch sagen. Wir führen Euch nach der Festung der Insel Saint-George.«

»Gott befohlen, Madame,« sagte Canolles, sich ehrfurchtsvoll vor Frau von Cambes verbeugend, »Gott befohlen.«

»Sieh, sieh,« sagte Cauvignac zu sich selbst, »die Sache hat sich weniger schnell entwickelt, als ich glaubte. Ich will es Nanon sagen, und das wird ihr Vergnügen machen.«

Dann auf die Türschwelle tretend, rief er: »Vier Mann, um den Kapitän zu geleiten, und vier Mann voraus.«

»Und ich!« rief Frau von Cambes, die Arme gegen den Gefangenen ausstreckend, »wohin führt man mich? Denn wenn der Baron schuldig ist, oh! so bin ich es noch viel mehr.«

»Ihr Madame,« antwortete Cauvignac, »Ihr könnt Euch entfernen, Ihr seid frei.«

Und er ging, den Baron mit sich nehmend, hinaus.

Frau von Cambes erhob sich, belebt durch einen Hoffnungsstrahl, und traf Vorkehrungen zu ihrer schleunigen Abreise, damit nicht entgegengesetzte Befehle dem guten Stande der Dinge für sie in den Weg treten möchten.

»Frei,« sagte sie, »ich kann also über ihm wachen. Vorwärts!«

Und an das Fenster eilend, erblickte sie den Reiterzug, der Canolles fortschleppte, tauschte mit ihm ein letztes Lebewohl mit der Hand, rief Pompée, der sich in der Hoffnung eines Aufenthaltes von zwei bis drei Tagen bereits in dem besten Zimmer, das er gefunden, eingerichtet hatte, und gab ihm Befehl, alles für ihre Abreise vorzubereiten.



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