Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.

Ungefähr hundert Mann von den königlichen Haustruppen setzten mit Ihren Majestäten über die Dordogne; der Rest blieb bei dem Marschall de La Meilleraye, der, fest entschlossen, Vayres zu belagern, die Armee, erwartete.

Kaum war die Königin in dem kleinen Hause einquartiert, das sie weit über ihre Hoffnung wohnlich fand, als Guitaut erschien, um ihr zu sagen, ein Kapitän namens Cauvignac, der behaupte, eine wichtige Angelegenheit führe ihn her, erbitte sich die Ehre einer Audienz.

Die Königin wollte den Kapitän, als sie hörte, daß er nicht ihrer Armee angehöre, nicht empfangen, erklärte sich aber auf Mazarins Rat, der meinte, gerade den Fremden, der möglicherweise ein Verräter sei, habe man jetzt am nötigsten, dazu bereit.

»Laßt ihn also eintreten, da dies die Ansicht des Herrn Kardinals ist,« sagte sie.

Der Kapitän wurde sogleich eingeführt und erschien mit so viel Ungezwungenheit und Leichtigkeit, daß die Königin, gewohnt, einen entgegengesetzten Eindruck auf die ihr Nahenden hervorzubringen, sehr darüber erstaunte.

Sie maß Cauvignac vom Kopf bis zu den Füßen; aber dieser hielt den königlichen Blick vortrefflich aus.

»Wer seid Ihr, mein Herr?« fragte die Königin.

»Der Kapitän Cauvignac,« antwortete der Eintretende.

»In wessen Dienst seid Ihr?« – »Im Dienste Eurer Majestät, wenn Sie gnädigst will.«

»Ob ich will? Allerdings. Gibt es überhaupt einen andern Dienst im Königreich? Gibt es zwei Königinnen in Frankreich?«

»Gewiß nicht, es gibt nur eine Königin in Frankreich und das ist die, der ich in diesem Augenblick meine tiefste Ehrfurcht zu Füßen zu legen das Glück habe; aber es gibt zwei Meinungen, wie es mir wenigstens vorkam.«

»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte die Königin, die Stirn runzelnd.

»Ich will damit sagen, Madame, daß ich vor kurzem noch wahrzunehmen glaubte, daß Herr Richon Eure Majestät nicht mit aller ihr schuldigen Achtung empfing; dies zeigte mir, daß es in Frankreich zwei Meinungen gibt: die royalistische und eine andere, und daß Herr Richon zu dieser andern gehört.«

Annas Gesicht verdüsterte sich immer mehr.

»So? Ihr glaubtet dies zu sehen?« sagte sie.

»Ja, Madame,« antwortete Cauvignac mit vollkommen naivem Tone. »Ich glaube sogar zu sehen, daß ein Kanonenschuß mit einer Kugel aus der Festung abgefeuert wurde, und daß diese Kugel die Karosse Eurer Majestät verletzte.«

»Genug, mein Herr . . . Habt Ihr Euch nur von mir Audienz erbeten, um Eure albernen Bemerkungen zu machen?«

»Ah! du bist unhöflich,« sagte Cauvignac in seinem Innern; »dann sollst du teurer bezahlen.«

»Nein, Madame, ich habe mir Audienz erbeten, um Euch zu sagen, daß Ihr eine sehr große Königin seid, und daß meine Bewunderung für Euch ohnegleichen ist.«

»Ah! wirklich?« versetzte die Königin mit trockenem Tone.

»Infolgedessen habe ich beschlossen, mich ganz und gar dem Dienste Eurer Majestät zu weihen.«

»Ich danke,« sagte die Königin mit Ironie; dann wandte sie sich zu ihrem Kapitän der Garde mit den Worten: »Guitaut, man jage diesen Schwätzer hinaus!«

»Um Vergebung, Madame,« sagte Cauvignac, »ich werde gehen, ohne daß man mich hinausjagt, aber wenn ich gehe, bekommt Ihr Vayres nicht.«

Und Cauvignac verbeugte sich anmutig vor Ihrer Majestät.

»Madame,« sagte Mazarin leise, »ich glaube, Ihr habt unrecht, daß Ihr diesen Menschen fortschickt.«

»Kehrt um,« rief die Königin, »und sprecht; Ihr seid ein seltsamer Mensch und scheint mir belustigend.«

»Eure Majestät ist sehr gut,« erwiderte Cauvignac sich verbeugend.

»Was spracht Ihr vorhin von Vayres?«

Cauvignac erklärte, er habe hundertfünfzig Mann in der Festung, und diese hundertfünfzig trete er der Königin ab, worauf es ein leichtes sein werde, die Tore der Festung für die Belagerer zu öffnen. Als Preis verlange er für jeden Mann 500 Livres und dazu für sich die Stelle eines Gouverneurs von Branne. Die Königin war bereit, diese Bedingungen zu bewilligen, als Cauvignacs Forderung, sie solle sofort eine von ihm bereits entworfene Erklärung unterzeichnen, ihren Zorn aufs neue erweckte. Diese Erklärung lautete: »An dem Tage, an dem ich ohne Schwertstreich in Vayres einziehe, bezahle ich an den Herrn Cauvignac die Summe von fünfundsiebenzigtausend Livres und mache ihn zum Gouverneur von Branne.«

Sie wies dem Unverschämten die Tür, und ihr Zorn war diesmal so groß, daß sie ihn auch trotz Mazarins Mahnung nicht wieder zurückrufen ließ.

Auf Befehl der Königin sollte auch dem Heere, das soeben, vom langen Marsche ermüdet, angelangt war, nicht bis zum nächsten Tage Ruhe gegönnt, sondern der Sturm sofort begonnen werden.

So trafen der Marschall und Guitaut schleunig alle Anordnungen, die vor den Augen der Königin, des Königs und ihres ganzen Gefolges pünktlich, wenn auch naturgemäß unter vielem Lärm, vollzogen wurden. Dann trat einen Augenblick Grabesstille ein, da auch hinter den Verschanzungen, nachdem eine einzige Trommel sich gerührt hatte, alles schwieg.

Dann erscholl ein Kommando, klar, bestimmt und fest. Die Königin konnte in der Entfernung, in der sie stand, die Worte nicht hören, aber sie sah auf der Stelle die Truppen sich in Reihen formieren; sie zog ihr Taschentuch und schwang es in der Luft, während der junge König mit dem Fuße stampfte und mit fieberhafter Stimme: »Vorwärts! vorwärts!« rief.

Das Heer antwortete durch einen einzigen Schrei: »Es lebe der König!« Dann brach die Artillerie im Galopp auf, stellte sich auf eine kleine Anhöhe, und beim Klange der Trommeln, die das Zeichen zum Angriff gaben, setzten sich die Reihen in Bewegung.

Es war keine regelmäßige Belagerung, sondern eine Erstürmung. Die in der Eile von Richon errichteten Verschanzungen waren Erdwälle, so daß man keine Laufgräben zu eröffnen brauchte, sondern sogleich zum Sturm schreiten konnte. Es waren jedoch vom Kommandanten von Vayres alle Vorsichtsmaßregeln getroffen worden, und man sah, daß er mit ungewöhnlicher Geschicklichkeit alle Mittel, die ihm das Terrain bot, benutzt hatte.

Ohne Zweifel hatte es sich Richon zum Gesetz gemacht, nicht zuerst zu schießen, denn auch diesmal erwartete er die Aufforderung des königlichen Heeres; nur sah man wie beim ersten Angriff die furchtbare Reihe der Musketen sich senken, deren Feuer eine so große Verheerung unter den Haustruppen angerichtet hatte.

Zu gleicher Zeit donnerten die sechs in Batterie aufgestellten Stücke, und die Erde der Brustwehren und die Palisaden, womit diese bekränzt waren, flogen auf.

Die Antwort ließ nicht auf sich warten; die Artillerie der Verschanzungen donnerte ebenfalls und grub tiefe Lücken in die Reihen der königlichen Armee; aber auf den Ruf der Führer verschwanden diese blutigen Furchen; die Lefzen der geöffneten Wunde schlossen sich wieder, die einen Moment erschütterte Hauptkolonne setzte sich abermals in Marsch.

Nun war die Reihe an den Musketen, zu krachen und zu prasseln, während die Kanonen wieder geladen wurden.

Fünf Minuten nachher antworteten sich die beiden entgegengesetzten Geschützsalven mit einem Schusse, zwei Stürmen ähnlich, die miteinander kämpfen, zwei Donnern ähnlich, die zu gleicher Zeit hallen.

Da das Wetter ruhig war, da kein Hauch die Luft bewegte und der Rauch sich über dem Schlachtfelde aufhäufte, so verschwanden bald die Belagerten und die Belagerer in einer Wolke, die in Zwischenräumen mit einem flammenden Blitze das Artilleriefeuer zerriß.

Von Zeit zu Zeit sah man aus dieser Wolke an den hintersten Teilen des königlichen Heeres Menschen hervorkommen, die sich mühsam fortschleppten und, eine Blutspur zurücklassend, in verschiedenen Entfernungen niederstürzten.

Bald vermehrte sich die Zahl der Verwundeten, der Lärm der Kanonen und des Kleingewehrfeuers währte fort; die königliche Artillerie schoß jedoch nur noch auf den Zufall und zögernd, denn unter dem dichten Rauche konnte sie die Freunde nicht mehr von den Feinden unterscheiden.

Die Artillerie der Festung aber ließ, da sie nur Feinde vor sich hatte, ihre Schüsse furchtbarer und eiliger erschallen, als je.

Endlich stellte die königliche Artillerie ihr Feuer ganz ein; offenbar lief man Sturm und kämpfte Leib an Leib.

Es trat auf seiten der Zuschauer ein Augenblick der Bangigkeit ein, während dessen der Rauch langsam aufstieg. Man sah nun, wie die königliche Armee in Unordnung zurückgetrieben wurde und den Fuß der Wälle, mit Toten bestreut, verließ. Eine Art von Bresche war gemacht; einige ausgerissene Palisaden ließen eine Öffnung erscheinen, aber diese Öffnung war mit Männern, Piken und Musketen besetzt; und mitten aus diesen Männern ragte, mit Blut bedeckt, und dennoch ruhig und kalt, als ob er als Zuschauer der Tragödie beiwohnte, in der er soeben eine so furchtbare Rolle gespielt hatte, Richon hervor, eine Axt in der Hand haltend, die durch die Streiche, die er geführt hatte, abgestumpft war.

Ein Zauber schien diesen Mann zu beschützen, der beständig mitten im Feuer, immer in der ersten Reihe, unablässig hochaufgerichtet und entblößt stand; keine Kugel hatte ihn erreicht, keine Pike hatte ihn berührt; er war ebenso unverwundbar wie unempfindlich.

Dreimal führte der Marschall de La Meilleraye die königlichen Truppen in Person zum Sturme zurück; dreimal wurden sie unter den Augen des Königs und der Königin zurückgeschlagen.

Stille Tränen flossen über die bleichen Wangen des Königs. Anna von Österreich ballte die Fäuste und murmelte: »Oh! dieser Mensch, dieser Mensch! Wenn er je in meine Hände fällt, werde ich an ihm ein furchtbares Beispiel geben.«

Zum Glück brach die Nacht rasch und düster herein; es war wie ein Schleier, der sich über die königliche Schamröte legte. Der Marschall ließ zum Rückzug blasen.

Jetzt verließ auch Cauvignac, der von einer nahen Höhe, den Majestäten sichtbar, dem blutigen Schauspiel gefolgt war, seinen Posten und wandelte, die Hände in seinen Hosentaschen, über den Wiesengrund nach dem Hause des Meisters Biscarros.

»Madame,« sagte Mazarin, mit dem Finger auf Cauvignac deutend, »dort ist ein Mann, der Euch um ein wenig Gold alles Blut erspart hätte, das wir vergossen haben.«

»Bah!« erwiderte die Königin, »ist dies der Rat eines sparsamen Mannes, wie Ihr seid?« – »Madame, es ist wahr, ich kenne den Wert des Goldes, aber ich kenne auch den Wert des Blutes, und in diesem Augenblick ist das Blut für uns teurer, als das Gold.«

»Seid unbesorgt, das vergossene Blut wird gerächt werden. Comminges,« fügte die Königin, sich an den Leutnant ihrer Garden wendend, hinzu, »sucht Herrn de La Meilleraye auf und bringt ihn mir.«

»Und Ihr, Bernouin,« sagte der Kardinal, indem er seinem Kammerdiener Cauvignac zeigte, der nur noch ein paar Schritte vom Gasthause zum Goldenen Kalb entfernt war, »seht Ihr wohl jenen Menschen?« – »Ja, Monseigneur.«

»Wohl, holt ihn in meinem Auftrage und führt ihn in dieser Nacht insgeheim in mein Zimmer.«

* * *

Am Tage nach ihrer Zusammenkunft mit ihrem Geliebten in der Karmeliterkirche begab sich Frau von Cambes zu der Prinzessin, in der Absicht, das Versprechen zu erfüllen, das sie Canolles geleistet hatte.

Die ganze Stadt war in Bewegung; man hatte die Ankunft des Königs vor Vayres und zugleich mit dieser Ankunft die wunderbare Verteidigung Richons gemeldet, dem es gelungen war, mit fünfhundert Mann dreimal die zwölftausend Mann starke königliche Armee zurückzuschlagen. Die Frau Prinzessin hatte die Kunde unter den ersten vernommen und in ihrem Entzücken mit den Händen klatschend ausgerufen: »Oh! daß ich nicht hundert Kapitäne wie meinen tapfern Richon habe!«

Eifrig betrieb sie auf Lenets Rat die Entsendung eines Entsatzes, und es blieb Claire nichts übrig, als ihre Mitteilung und Bitte an die Prinzessin um einen Tag zu verschieben.

Ein sehr kurzes, aber sehr zärtliches Wort meldete dem teuren Gefangenen diese Zögerung. Noch schien ihm die neue Frist minder grausam, als man glauben sollte; es liegen in der Erwartung eines glücklichen Ereignisses beinahe ebensoviel süße Empfindungen, wie in dem Ereignis selbst.

Der nächste Morgen ging für die Prinzessin in Überwachung der Vorkehrungen und Einzelheiten beim Einschiffen des unter Ravaillys Führung aufbrechenden Entsatzes hin. Der Nachmittag sollte einem großen Rate gewidmet werden, der zum Zwecke hatte, womöglich die Verbindung des Herzogs von Epernon und des Marschalls de La Meilleraye zu hindern, oder wenigstens bis zu dem Augenblick zu verzögern, wo der Entsatz in Vayres wäre.

Am Abend erbat sich jedoch Claire, die Canolles nicht länger vergebens wollte harren lassen, auf den andern Tag eine Privataudienz von Frau von Condé, die ihr, wie sich denken läßt, ohne Widerstand bewilligt wurde.

Zur bestimmten Stunde erschien Claire bei der Prinzessin, von der sie mit ihrem reizendsten Lächeln empfangen wurde.

»Nun, Kleine,« sagte sie, »was gibt es denn so Ernstes, daß du dir eine geheime Privataudienz von mir erbittest, während du weißt, daß ich meinen Freunden zu jeder Stunde des Tages zur Verfügung stehe?«

»Madame,« antwortete die Vicomtesse, »inmitten des Eurer Hoheit gebührenden Glückes bitte ich Euch, ganz besonders die Augen auf Eure getreue Dienerin zu werfen, die auch ein wenig Glück nötig hat.«

»Mit dem größten Vergnügen, meine gute Claire, nie wird das Glück, das Gott dir schickt, dem gleich kommen, das ich dir wünsche. Sprich also, welche Gnade wünscht du? Liegt sie in meiner Macht, so zähle im voraus darauf, daß sie bewilligt wird.«

»Witwe, frei, und zu frei, denn diese Freiheit ist mir drückender, als mir die Sklaverei wäre,« antwortete Claire, »wünschte ich meine Vereinzelung mit einer bessern Lage zu vertauschen.«

»Das heißt, du willst dich verheiraten, nicht wahr, Kleine?« fragte die Prinzessin lachend.

»Ich glaube, ja, Madame,« antwortete Claire errötend.

»Wohl, wir wollen dir schon einen Herzog oder dergleichen aussuchen; doch, nicht wahr, du wirst das Ende dieses Krieges abwarten?« – »Ich will so wenig wie möglich warten.«

»Du sprichst, als ob deine Wahl bereits getroffen wäre.«

»Es ist in der Tat so, wie Eure Hoheit sagt.«

»Und wer ist der glückliche Sterbliche? Sprich, fürchte dich nicht.«

»Oh! Madame, entschuldigt mich, ich weiß nicht warum, aber ich zittere am ganzen Leibe.«

Die Prinzessin lächelte, nahm Claire bei der Hand, zog sie an sich und sagte: »Gutes Kind!« Dann schaute sie die Vicomtesse mit einem Ausdruck an, der ihre Verlegenheit verdoppelte, und fragte: »Kenne ich ihn?« – »Ich glaube. Eure Hoheit hat ihn mehrere Male gesehen.«

»Es bedarf nicht der Frage, ob er jung ist?« – »Achtundzwanzig Jahre.«

»Ob er von Adel ist?« – »Er ist ein guter Edelmann.«

»Ob er tapfer ist?« – »Sein Ruf ist gegründet.«

»Ob er reich ist?« – »Ich bin es.«

»Gut. Wir wollen ihn zum Obersten machen, wenn er nur Kapitän, zum Brigadier, wenn er Oberst ist. Nun brauche ich nur noch eines zu wissen,« fügte die Prinzessin hinzu.

»Was, Madame?« – »Den Namen des Glücklichen, der bereits dein Herz besitzt und bald auch die Person der schönsten Streiterin meines Heeres besitzen wird.«

So gedrängt, faßte Claire ihren ganzen Mut zusammen, um den Namen des Barons von Canolles auszusprechen, als plötzlich der Galopp eines Pferdes im Hofe erscholl, worauf man ein verworrenes Geräusch hörte, wie es beim Eintreffen wichtiger Nachrichten einzutreten pflegt. Die Prinzessin eilte an das Fenster. Ein Bote sprang, mit Schweiß und Staub bedeckt, vom Pferde und schien seiner Umgebung einzelne Umstände mitzuteilen, welche die Zuhörer immer mehr in Bestürzung versetzten. Die Prinzessin vermochte ihre Neugierde nicht mehr länger zu bewältigen, öffnete das Fenster und rief: »Laßt ihn heraufkommen!«

Der Bote – es war Ravailly selbst – schaute empor, erkannte die Prinzessin und stürzte nach der Treppe. Fünf Minuten nachher trat er, ganz mit Kot bedeckt, in das Zimmer und sprach mit zusammengeschnürter Stimme: »Verzeiht, Hoheit, daß ich in diesem Zustand vor Euch erscheine! Aber ich bringe eine furchtbare Nachricht: Vayres hat kapituliert.«

Die Prinzessin machte einen Sprung rückwärts, Claire ließ entmutigt die Arme sinken; Lenet, der hinter dem Boten eingetreten war, erbleichte.

Fünf bis sechs Personen waren, die der Prinzessin schuldige Achtung vergessend, in das Zimmer eingedrungen . . . sie blieben stumm vor Erstaunen.

»Kapituliert!« rief die Prinzessin; »und der Entsatz, den Ihr brachtet?« – »Ist zu spät gekommen, Madame. Richon ergab sich in dem Augenblick, wo wir ankamen.«

»Richon ergab sich,« rief die Prinzessin, »der Feige!«

»Madame,« sagte Lenet mit strengem Tone und ohne Schonung für den Stolz der Frau von Condé, »vergeßt nicht, daß die Ehre der Menschen in dem Worte der Fürsten liegt, wie ihr Leben in der Hand Gottes. Nennt den Tapfersten Eurer Diener nicht feig; es werden Euch sonst morgen die Treusten verlassen, wenn sie sehen, wie Ihr ihresgleichen behandelt, und Ihr werdet allein, verflucht und verloren bleiben.«

Die Prinzessin hätte am liebsten den mutigen Sprecher niedergeschmettert, aber der Ausdruck in den Gesichtern der andern hielt sie in Schranken. So nahm sie ihre Zuflucht zu dem gewöhnlichen Hilfsmittel der Schwäche; sie brach in die Klagen aus: »Ich unglückliche Fürstin, alles verläßt mich, Glück und Menschen! Ah, mein Kind, mein armes Kind, du bist verloren, wie dein Vater!«

Inzwischen ließ sich Lenet alles mitteilen, was Ravailly über die Kapitulation von Vayres hatte in Erfahrung bringen können.

»Ah! ich wußte es wohl, daß Richon kein Feiger war, Madame,« rief er.

»Und wie wißt Ihr das?« – »Weil er zwei Tage und zwei Nächte ausgehalten hat; weil er sich unter den Trümmern seines von Kugeln durchlöcherten Forts begraben haben würde, hätte sich nicht, wie es scheint, eine Kompanie von Rekruten empört und ihn zur Kapitulation gezwungen.«

»Mein Herr, er mußte eher sterben, als sich ergeben,« sagte die Prinzessin.

»Ei, Madame, stirbt man, wenn man will?« entgegnete Lenet. »Aber es ist ihm doch wenigstens das Leben zugesichert?« fügte er, sich an Ravailly wendend, hinzu.

»Ich fürchte, nein,« antwortete Ravailly. »Man sagte mir, ein Leutnant der Garnison habe unterhandelt, und so wird wohl Verrat dahinter stecken, und Richon ist bedingungslos ausgeliefert worden.«

»Ja, ja,« rief Lenet, »verraten, ausgeliefert, so ist es; ich kenne Richon und weiß, daß er nicht nur keiner Feigheit, sondern nicht einmal einer Schwäche fähig ist. Oh! Madame,« fuhr Lenet, sich an die Prinzessin wendend, fort, »ein großes Unglück schwebt über dem Haupte des armen Richon. Oh! Madame, im Namen des Himmels, schreibt an Herrn de La Meilleraye; schickt einen Boten, einen Parlamentär ab.«

»Und welchen Auftrag soll ich diesem Boten, diesem Parlamentär geben?« – »Den Auftrag, um jeden Preis den Tod eines tapferen Kapitäns zu verhindern; denn wenn Ihr Euch nicht beeilt . . . oh! ich kenne die Königin, Madame, vielleicht kommt Euer Bote schon zu spät.«

»Zu spät!« entgegnete die Prinzessin. »Haben wir keine Geiseln? Haben wir nicht in Chantilly, in Montron und sogar hier gefangene Offiziere des Königs?«

Claire stand erschrocken auf und rief: »Ah! Madame! Madame! tut, was Herr Lenet sagt; die Repressalien werden Herrn Richon nicht die Freiheit geben.«

»Es handelt sich nicht um die Freiheit, es handelt sich um das Leben,« sagte Lenet mit düsterer Hartnäckigkeit.

»Wohl,« sagte die Prinzessin, »was sie tun werden, wird man ebenfalls tun; das Gefängnis für das Gefängnis, das Schafott für das Schafott.«

Claire stieß einen Schrei aus, fiel auf die Knie und rief: »Ach! Madame, Herr Richon ist einer meiner Freunde. Ich kam, um Euch um Gnade zu bitten, und Ihr habt mir sie zu bewilligen versprochen. Wohl, ich flehe Euch an, Euer ganzes Ansehen zu gebrauchen, um Herrn Richon zu retten.«

Die Prinzessin ging an einen Tisch, nahm eine Feder und schrieb an Herrn de La Meilleraye, um sich von ihm die Auswechslung Richons gegen einen von den Offizieren, die sie gefangen hielt, nach der Wahl der Königin zu erbitten. Diesen Brief so schnell wie möglich zu überbringen, übernahm Ravailly, obwohl er vor Müdigkeit fast umzusinken glaubte.



 << zurück weiter >>