Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

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II. Band.

Erstes Kapitel.

Als Barrabas weggegangen war, rief Canolles den Offizier und bat diesen, ihn zu der Revue zu führen, die er mit seinen Truppen vornehmen wolle.

Der Offizier unterzog sich sogleich seinen Befehlen. Vor der Tür fand Canolles eine Art von Generalstab, bestehend aus den übrigen Hauptpersonen der Zitadelle; er sprach mit ihnen, ließ sich die Mittel und Quellen erklären, welche der Platz bot und beschaute unter ihrer Führung die Basteien, die Glacis, die Halbmonde, die Keller und Speicher. Um elf Uhr kehrte er, nachdem er alles gesehen hatte, wieder zurück. Sein Gefolge zerstreute sich, und er blieb allein mit dem ersten Offizier, den er anfangs getroffen hatte.

»Nun,« sagte dieser, sich ihm geheimnisvoll nähernd, »nun hat der Herr Gouverneur nur noch ein Zimmer und eine Person zu sehen.«

»Was beliebt?«

»Das Zimmer dieser Person ist dort,« erwiderte der Offizier, den Finger nach einer Türe ausstreckend, die Canolles wirklich noch nicht geöffnet hatte.

»Ah! es ist dort?« – »Ja.«

»Und die Person auch?« – »Ja.«

»Sehr gut. Doch verzeiht; ich bin sehr müde, da ich Tag und Nacht reisen mußte, und mein Kopf ist diesen Morgen nicht ganz in Ordnung; ich bitte daher, erklärt Euch ein wenig deutlicher.«

»Wohl,« fuhr der Offizier mit seinem feinsten Lächeln fort, »das Zimmer . . .«

»Die Person . . .« versetzte Canolles.

»Die Euch erwartet, ist dort. Ihr begreift nun, nicht wahr?«

»Ja, ja, sehr gut; und ich kann dort eintreten?« – »Allerdings, denn man erwartet Euch.«

»Vorwärts.«

Canolles' Herz pochte, um die Brust zu zersprengen; er sah nicht mehr, er fühlte nur, wie sich seine Befürchtung und sein Verlangen in einem Grade vermischten, daß er ein Narr zu werden fürchtete, stieß in diesem Zustande eine zweite Tür auf und erblickte hinter einem Vorhange die lachende, mutwillige Nanon, die einen gewaltigen Schrei ausstieß, als wollte sie ihm Angst machen, und dann rasch ihre Arme um seinen Hals schlang.

Canolles blieb unbeweglich, mit hängenden Armen und blicklosem Auge.

»Ihr!« stammelte er.

»Ich!« sagte sie, ihr Lachen und ihre Küsse verdoppelnd.

Die Erinnerung an sein Unrecht durchzuckte ihn, und er war, da er sogleich die neue Wohltat seiner treuen Freundin erriet, von dem Gewicht der Reue und der Dankbarkeit niedergeschmettert.

»Ah!« sagte er: »Ihr habt mich also gerettet, während ich mich wie ein Wahnsinniger zu Grunde richtete; Ihr wacht über mir, Ihr seid mein Schutzengel.«

»Nennt mich nicht Euern Engel, denn ich bin ein Teufel; doch erscheine ich nur im geeigneten Augenblick, das müßt Ihr gestehen.«

»Ihr habt recht, teure Freundin, denn in der Tat, ich glaube, Ihr errettet mich vom Schafott.«

»Ich glaube es auch. Ah! Baron, wie kam es, daß Ihr, der Scharfsichtige, der Schlaue, Euch durch die Zieraffen von Prinzessinnen betören ließet.«

Canolles errötete bis unter das Weiße der Augen, aber Nanon war entschlossen, nichts von dieser Verlegenheit zu bemerken.

»In der Tat,« sagte er, »ich begreife es selbst nicht.«

»Oh! sie sind sehr verschmitzt. Ah! meine Herren, Ihr wollt mit den Frauen Krieg führen. Was hat man mir doch erzählt? Man zeigte Euch statt der jungen Prinzessin ein Ehrenfräulein, eine Kammerfrau, irgendein unbedeutendes Geschöpf . . . was?«

Canolles fühlte, wie das Fieber aus seinen zitternden Fingern in sein ausgetrocknetes Gehirn stieg.

»Ich glaubte, die Prinzessin zu sehen,« sagte er, »denn ich kannte sie nicht.«

»Und wer war es denn?« – »Ich denke, eine Ehrendame.«

»Armer Junge, daran ist dieser Verräter Mazarin schuld. Der Teufel! wenn man den Leuten eine so schwierige Sendung überträgt, gibt man ihnen auch ein Porträt. Hättet Ihr nur ein Porträt der Frau Prinzessin gehabt oder gesehen, so würdet Ihr sie sicher erkannt haben. Doch lassen wir das. Wißt Ihr, daß Euch dieser abscheuliche Mazarin, unter dem Vorwande, Ihr hättet den König verraten, zu den Kröten werfen wollte?« – »Ich vermute es.«

»Ich aber sagte: ›Wir wollen ihn zu den Nanons werfen lassen.‹ Sprecht, habe ich wohl daran getan?«

Obgleich ganz eingenommen von der Erinnerung an die Vicomtesse, obgleich er ihr Porträt auf seinem Herzen trug, könnte Canolles doch nicht gegen die außerordentliche Güte, gegen diesen aus den schönsten Augen der Welt ihm entgegenstrahlenden Geist standhalten, er neigte das Haupt und drückte seine Lippen auf die hübsche Hand, die man ihm reichte.

»Und Ihr seid hierher gekommen, um mich zu erwarten?«

»Ich war im Begriff, Euch in Paris aufzusuchen, um Euch hierher zu führen. Ich brachte Euch Euer Patent; diese Abwesenheit währte mir zu lange; Herr von Epernon fiel allein mit seinem ganzen Gewicht auf mein einförmiges Leben. Da erfuhr ich Euer Mißgeschick . . . Doch ich vergaß, Euch zu sagen; Ihr wißt, Ihr seid mein Bruder?« – »Ich vermutete es, als ich Euern Brief las.«

»Man hatte Euch ohne Zweifel verraten. Der Brief den ich Euch schrieb, war in schlechte Hände gefallen. Der Herzog kam wütend an. Ich ernannte Euch zu meinem Bruder, armer Canolles, und wir werden durch die legitimste Verbindung beschützt. Ihr seid nun beinahe verheiratet, mein armer Freund.«

Canolles ließ sich durch die blendende Gewalt dieser Frau hinreißen. Nachdem er ihre weißen Hände geküßt hatte, küßte er ihre schwarzen Augen. Der Schatten der Frau von Cambes mußte, traurig das Haupt verhüllend, entfliehen.

»Von da an,« fuhr Nanon fort, »habe ich für alles gesorgt, alles geordnet; ich machte aus Herrn von Epernon Euern Beschützer oder vielmehr Euern Freund; ich beschwichtigte Mazarins Zorn. Dann wählte ich als Zufluchtsort Saint-George, denn Ihr wißt, lieber Freund, man will mich immer noch steinigen. Nur Ihr allein in der Welt liebt mich ein wenig, teurer Canolles. Sprecht, sagt mir, daß Ihr mich liebt.«

Und die reizende Nanon schlang ihre Arme abermals um Canolles' Hals und tauchte ihren glühenden Blick in die Augen des jungen Mannes, als wollte sie seinen Gedanken in der tiefsten Tiefe seines Herzens suchen.

Canolles fühlte in diesem Herzen, worin Nanon zu lesen suchte, daß er gegen so große Ergebenheit nicht unempfindlich bleiben konnte. Eine geheime Ahnung sagte ihm, es liege noch mehr als Liebe in Nanon, es liege auch Großmut in ihr, sie liebe nicht nur, sondern sie vergebe auch.

Der junge Mann machte ein Zeichen mit dem Kopfe, um Nanons Frage zu beantworten, denn er hätte es nicht gewagt, ihr mit dem Munde zu sagen, daß er sie liebe, obgleich im Grunde seiner Brust alle Erinnerungen zu ihren Gunsten sprachen.

»Ich wählte also die Insel Saint-George,« fuhr sie fort, »um mein Geld, meine Juwelen und meine Person in Sicherheit zu bringen. Welcher andere, sagte ich mir, als der Mann, der mich liebt, kann mein Leben verteidigen? Welcher andere, als mein Geliebter, kann mir meine Schätze bewahren? Alles ist in Euren Händen, Leben und Reichtum, teurer Freund! Werdet Ihr sorgfältig über allem wachen, werdet Ihr ein treuer Freund und treuer Wächter sein?«

In diesem Augenblick erklang eine Trompete im Hofe, und ihr Klang schwang im Herzen Canolles' nach; er hatte vor sich die Liebe beredter, als sie je gewesen war, er hatte hundert Schritte von sich den drohenden Krieg, den entflammenden, berauschenden Krieg.

»O! ja, Nanon,« rief er, »Eure Person und Eure Habe sollen bei mir in Sicherheit sein, und ich schwöre Euch ich werde sterben, um Euch vor der geringsten Gefahr zu retten.«

»Ich danke Euch, mein wackerer Ritter, ich bin von Eurer Tapferkeit ebensosehr, wie von Eurem Edelmut überzeugt. Ach!« fügte sie lächelnd hinzu, »wäre ich auch Eurer Liebe so gewiß!«

»O!« murmelte Canolles, »seid versichert . . .«

»Gut, gut!« sagte Nanon, »die Liebe beweist sich nicht durch Schwüre, sondern durch Handlungen; nach dem, was Ihr tun werdet, mein Freund, wollen wir Eure Liebe beurteilen.«

Und die schönsten Arme der Welt um Canolles' Hals schlingend, neigte sie ihr Haupt auf die pochende Brust des jungen Mannes.

»Nun muß er vergessen,« sagte sie zu sich selbst, »und er wird vergessen.«



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