Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

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Elftes Kapitel.

Canolles brachte eine von den fieberhaften Nächten hin, die zugleich brennen und beruhigen, indem die Glückseligkeit das Gegengewicht der Schlaflosigkeit bildet. Obgleich er die ganze Nacht kaum ein Auge geschlossen hatte, stand er doch schon am frühen Morgen auf.

Genau zur bestimmten Stunde ging er auf den Beichtstuhl zu, den er offen fand. Durch die düstern Glasscheiben drangen die Strahlen der untergehenden Sonne; das ganze Innere des Gebäudes war durch jenes geheimnisvolle Licht erleuchtet, das so sanft ist für die Betenden und für die Liebenden. Canolles hätte ein Jahr seines Lebens gegeben, um nicht in diesem Augenblick eine Hoffnung zu verlieren.

Er schaute umher, um sich zu versichern, daß die Kirche verlassen war, durchforschte mit den Augen jede Nische; als er sich überzeugt hatte, daß ihn niemand sehen konnte, trat er in den Beichtstuhl, den er wieder hinter sich schloß.

Einen Augenblick nachher erschien Claire, selbst in einen dicken Mantel gehüllt, an der Tür, vor der sie Pompée als Wache zurückließ; nachdem sie sich ebenfalls versichert hatte, daß sie nicht Gefahr lief, man könnte sie sehen, kniete sie auf einen Fußschemel des Beichtstuhls nieder.

»Endlich,« sagte Canolles, »endlich seid Ihr hier, Madame! Endlich habt Ihr Gnade mit mir gehabt!«

»Ich mußte wohl, da Ihr Euch in das Verderben stürztet,« erwiderte Claire, äußerst unruhig darüber, daß sie an dieser der Wahrheit geweihten Stätte eine zwar sehr unschuldige Lüge sagte, die darum aber doch eine Lüge war.

»Madame, also nur einem Gefühle des Erbarmens habe ich die Wohltat Eurer Gegenwart zu verdanken? Oh! Ihr müßt zugeben, ich hatte das Recht, etwas Besseres als dies von Euch zu erwarten.«

»Sprechen wir ernsthaft und wie es sich an einem heiligen Orte geziemt,« sagte Claire, vergebens bemüht, ihre bewegte Stimme fest klingen zu machen; »ich wiederhole, Ihr stürztet Euch ins Verderben, indem Ihr zu Herrn Lavie, dem geschworenen Feinde der Prinzessin, gingt. Gestern erfuhr es Frau von Condé von Herrn von Larochefoucault, der alles weiß, und sie sprach folgende Worte, die mich mit Schrecken erfüllten: »Wenn wir auch die Komplotte unserer Gefangenen zu befürchten haben, so müssen wir da Strenge anwenden, wo wir nachsichtig gewesen sind; in schwierigen Lagen bedarf es kräftiger Entschließungen; wir sind nicht nur bereit, solche zu fassen, sondern auch entschieden, sie auszuführen.«

Die Vicomtesse sprach diese Worte mit festerer Stimme; es schien ihr, Gott würde der guten Absicht halber die Handlung entschuldigen. Sie legte eine Art von Dämpfer auf ihr Gewissen.

»Ich bin nicht der Ritter Ihrer Hoheit, Madame, erwiderte Canolles, »ich bin der Eurige; Euch habe ich mich ergeben, Euch ganz allein; Ihr wißt unter welchen Umständen, und unter welcher Bedingung.«

»Ich glaubte nicht, es wären Bedingungen gemacht worden.«

»Nicht mit dem Munde vielleicht, aber mit dem Herzen. Ah! Madame, nach dem, was Ihr mir gesagt hattet, nach dem Glücke, das Ihr mich hattet erschauen lassen, nach den Hoffnungen, die Ihr mir gegeben! . . . Ah! Madame, gesteht offen, daß Ihr sehr grausam gewesen seid.«

»Freund,« entgegnete Claire, »ist es an Euch, mir einen Vorwurf darüber zu machen, daß ich auf Eure Ehre wie auf die meinige bedacht war? Begreift Ihr nicht, ahnt Ihr nicht, daß ich ebensoviel gelitten habe, wie Ihr, mehr als Ihr, weil ich nicht die Kraft besaß, dieses Leiden zu ertragen? Hört mich, und mögen die Worte, die aus der tiefsten Tiefe meines Herzens hervorkommen, in die Tiefe des Eurigen dringen. Freund, ich habe Euch gesagt, ich litt mehr als Ihr, denn eine Furcht quälte mich, die Ihr nicht haben konntet, denn Ihr wißt wohl, daß ich nur Euch liebe. Fühlt Ihr, wenn Ihr hier verweilt, ein Bedauern wegen deren, die nicht hier ist, und hegt Ihr in den Träumen über Eure Zukunft eine Hoffnung, die nicht mich betrifft?«

»Madame, Ihr habt an meine Offenherzigkeit appelliert, und ich will offenherzig sprechen; ja, wenn Ihr mich meinen schmerzlichen Betrachtungen überlaßt, wenn Ihr mich der Vergangenheit gegenüber allein laßt, wenn Ihr mich durch Eure Abwesenheit dazu verdammt, mit den schalen Tröpfen, die den Bürgermädchen den Hof machen, in den Spielhäusern umherzuschweifen, wenn Ihr mich mit den Augen meidet, oder mich ein Wort, eine Gebärde, einen Blick, dessen ich vielleicht unwürdig bin, so teuer erkaufen laßt, ja, dann grolle ich mir, daß ich nicht kämpfend gestorben bin, ich mache es mir zum Vorwurf, daß ich mich ergeben habe, ich fühle Gewissensbisse.«

»Gewissensbisse?« – »Ja, Madame, Gewissensbisse, denn so wahr Gott auf diesem heiligen Altar ist, vor dem ich Euch sage, daß ich Euch liebe, weint, seufzt zu dieser Stunde eine Frau, die ihr Leben für mich geben würde, und dennoch sagt sie sich, ich sei entweder ein Feiger oder ein Verräter.«

»Oh! mein Herr!«

»Allerdings, Madame; hatte sie mich nicht zu dem gemacht, was ich bin? Hatte ich ihr nicht geschworen, sie zu retten?« – »Ihr habt sie auch gerettet, wie mir scheint.«

»Ja, von den Feinden, die ihr Leben hätten martern können, aber nicht von der Verzweiflung, die ihr Herz zerreißt, wenn diese Frau erfährt, daß Ihr es seid, der ich mich ergeben habe.«

Claire neigte das Haupt und seufzte.

»Ah! Ihr liebt mich nicht,« sagte sie.

Canolles seufzte ebenfalls,

»Ich will Euch nicht in Versuchung führen,« fuhr sie fort, »ich will nicht schuld sein, daß Ihr eine Freundin verliert, der ich nicht an Wert gleich komme; doch Ihr wißt, ich liebe Euch ebenfalls; ich habe eine völlig ergebene, eine ausschließliche Liebe von Euch verlangt; ich sprach zu Euch: Ich bin frei, hier ist meine Hand; ich biete sie Euch, denn ich habe Euch niemand entgegenzusetzen, ich kenne niemand, der für mich über Euch stände.«

»Ah! Madame,« rief Canolles, »Ihr entzückt mich, Ihr macht mich zum Glücklichsten der Sterblichen!«

»Oh!« entgegnete Claire traurig, »Ihr liebt mich nicht.«

»Ich liebe Euch, ich bete Euch an, nur läßt sich nicht ausdrücken, was ich durch Euer Stillschweigen, durch Eure Zurückhaltung gelitten habe.«

»Mein Gott! Ihr Männer erratet also nichts?« erwiderte Claire, ihre schönen Augen zum Himmel aufschlagend. »Ihr habt nicht begriffen, Canolles, daß ich Euch nicht wollte eine lächerliche Rolle spielen lassen, daß man nicht etwa glauben sollte, die Übergabe der Insel Saint-George sei eine unter uns abgemachte Sache? Nein, Ihr solltet, ausgewechselt von der Königin oder von mir losgekauft, ganz mir gehören. Ach! Ihr wolltet nicht warten.«

»Oh! Madame, nun werde ich warten. Eine Stunde wie diese, ein Versprechen Eurer sanften Stimme, die mir sagt, Ihr liebt mich, und ich werde Stunden, Tage, Jahre warten . . .«

»Ihr liebt noch Fräulein von Lartigues?« versetzte Frau von Cambes, den Kopf schüttelnd.

»Madame,« antwortete Canolles, »wenn ich Euch sagte, ich hege für sie nicht eine dankbare Freundschaft, so würde ich lügen; aber glaubt mir, nehmt mich hin mit diesem Gefühle. Ich gebe Euch alles, was ich Euch an Liebe geben kann, und das ist viel.«

»Ach! ich weiß nicht, ob ich es annehmen soll, denn Ihr legt zwar ein sehr edles, aber auch ein sehr leicht der Liebe geneigtes Herz an den Tag.«

»Hört,« sagte Canolles, »ich würde sterben, um Euch eine Träne zu ersparen, und ich bringe, ohne bewegt zu werden, die zum Weinen, die Ihr ›arme Frau‹ nennt; sie hat Feinde, und die Menschen, die sie nicht kennen, verfluchen sie. Ihr habt nur Freunde, die Menschen, die Euch nicht kennen, achten Euch; die Euch kennen, lieben Euch; seht also den Unterschied dieser beiden Gefühle, von denen das eine mein Gewissen, das andere mein Herz fordert.

»Ich danke, mein Freund. Aber vielleicht folgt Ihr einer Euch fortreißenden, durch meine Gegenwart veranlaßten Bewegung, die Ihr einst bereut? Legt Eure Worte auf die Wagschale. Ich gebe Euch bis morgen Zeit, mir zu antworten. Wenn Ihr Fräulein von Lartigues etwas sagen wollt, wenn Ihr zu ihr gehen wollt . . . Ihr seid frei, Canolles, ich nehme Euch bei der Hand und führe Euch selbst aus den Toren von Bordeaux.«

»Madame,« antwortete Canolles, »es ist nicht nötig, bis morgen zu warten; ich sage Euch mit glühendem Herzen, aber mit kaltem Kopfe: Ich liebe Euch, ich liebe nur Euch, ich werde immer nur Euch lieben.«

»Ah! Dank, Dank, mein Freund,« rief Claire, indem sie das Gitter auf die Seite gleiten ließ und ihre Hand durchschob. »Euch meine Hand, Euch mein Herz.«

Canolles ergriff diese Hand und bedeckte sie mit Küssen.

»Pompée macht mir ein Zeichen, daß es Zeit sei, zu gehen,« sagte Claire; »ohne Zweifel wird man die Kirche schließen. Lebt wohl, mein Freund, oder vielmehr auf Wiedersehen. Morgen werdet Ihr erfahren, was ich für Euch, das heißt, für uns zu tun gedenke. Morgen seid Ihr glücklich, denn ich werde glücklich sein.«

Und unfähig, das Gefühl zu bemeistern, das sie zu dem jungen Manne hinriß, zog sie ebenfalls seine Hand an sich, küßte die Spitze seiner Finger, entfloh mit leichten Schritten und ließ Canolles zurück, freudig wie die Engel, deren himmlische Konzerte ein Echo in seinem Herzen zu haben schienen.



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