Alexander Dumas
Der Frauenkrieg
Alexander Dumas

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Außer Canolles und dem Offizier, der den Parlamentär gemeldet hatte und nun in einem Winkel neben der Türe stand, war niemand mehr im Speisesaal.

»Was befiehlt der Herr Gouverneur?« fragte der Offizier nach kurzem Stillschweigen.

Canolles, der anfangs in Gedanken vertieft geblieben war, bebte bei dieser Stimme, erhob das Haupt und fragte: »Wo ist der Parlamentär?« – »Im Waffensaal.«

»Wer begleitet ihn? – »Zwei Wachen von der Bürgermiliz von Bordeaux.«

»Wer ist es?« – »Ein junger Mensch, so viel sich beurteilen läßt, denn er trägt einen breitkrempigen Filzhut und ist in einen weiten Mantel gehüllt.«

»Und wie hat er sich angekündigt?« – »Als der Überbringer von Briefen der Frau Prinzessin und des Parlaments von Bordeaux.«

»Bittet ihn, einen Augenblick zu warten,« sagte Canolles. »Ich stehe zu Dienst.«

Der Offizier entfernte sich, um seinen Auftrag zu vollziehen, und Canolles schickte sich an, ihm zu folgen, als Nanon, ganz bleich und zitternd, aber mit ihrem liebevollen Lächeln erschien und, ihn bei der Hand fassend, zu dem jungen Manne sagte: »Ein Parlamentär, mein Freund, was soll das bedeuten?« – »Das soll bedeuten, liebe Nanon, daß die Herren von Bordeaux mich erschrecken oder verführen wollen.«

»Und was habt Ihr beschlossen?« – »Ihn zu empfangen.«

»Könnt Ihr Euch das nicht sparen?« – »Unmöglich. Es ist ein Gebrauch, dem man sich nicht entziehen darf.«

»Ah! mein Gott!«

»Was habt Ihr, Nanon?« – »Mir ist angst.«

»Wovor?« – »Sagtet Ihr nicht, dieser Parlamentär komme, um Euch zu erschrecken oder zu verführen?«

»Allerdings; ein Parlamentär taugt nur zu dem einen oder dem andern. Fürchtet Ihr, er könnte mich erschrecken?« – »Oh! nein; aber er wird Euch vielleicht verführen.«

»Ihr beleidigt mich, Nanon.«

»Ach! mein Freund, ich sage, was ich befürchte.«

»Ihr zweifelt an mir? Wofür haltet Ihr mich denn?« – »Für das, was Ihr seid, Canolles, für ein edles, aber zärtliches Herz.«

»Ah!« sagte Canolles lachend, »was für einen Parlamentär schickt man mir? Sollte es Cupido in Person sein?« – »Vielleicht.«

»Ihr habt ihn also gesehen?« – »Ich habe ihn nicht gesehen, aber seine Stimme gehört; sie ist sehr zart für die Stimme eines Parlamentärs.«

»Nanon, Ihr seid toll, laßt mich meinen Dienst vollziehen; Ihr habt mich zum Gouverneur gemacht . . .« – »Um mich zu verteidigen, Freund.«

»Haltet Ihr mich für so feig, daß ich Euch verraten könnte? In der Tat, Ihr beleidigt mich, wenn Ihr so an mir zweifelt.«

»Ihr seid also entschlossen, diesen jungen Mann zu sehen?« – »Ich muß und wüßte Euch wahrlich wenig Dank, wenn Ihr Euch noch ferner der Erfüllung meiner Pflicht widersetzen würdet.«

»Handelt nach Eurem Belieben, mein Freund,« erwiderte Nanon traurig. »Nur noch ein Wort . . .«

»Sprecht.«

»Wo werdet Ihr ihn empfangen?« – »In meinem Kabinett.«

»Canolles, gewährt mir eine Bitte. Empfangt ihn, statt in Eurem Kabinett, in Eurem Schlafzimmer.«

»Was für ein Gedanke!«

»Begreift Ihr nicht?« – »Nein.«

»Mein Zimmer geht in Euren Alkoven.«

»Und Ihr werdet horchen?« – »Hinter den Vorhängen, wenn Ihr es erlaubt.«

»Nanon!«

»Laßt mich in Eurer Nähe bleiben, Freund; ich habe Vertrauen auf mein Gestirn und bringe Euch Glück.«

»Aber, Nanon, wenn dieser Parlamentär . . .«

»Nun?« – »Käme, um mir ein Staatsgeheimnis anzuvertrauen?« – »Könnt Ihr der, die Euch ihr Leben und ihr Glück anvertraut hat, nicht ein Staatsgeheimnis anvertrauen?« – »Wohl, so hört uns, Nanon, da Ihr es durchaus wollt, aber haltet mich nicht länger zurück, denn der Parlamentär erwartet mich.«

»Geht, Canolles, geht, und seid gesegnet für das Gute, das Ihr mir erweist.«

Die junge Frau wollte die Hand ihres Geliebten küssen.

»Tolle,« sagte Canolles, zog sie an seine Brust und küßte sie auf die Stirn. »Ihr werdet also . . .« – »Hinter den Vorhängen Eures Bettes sein. Von dort aus kann ich sehen und hören.«

»Lacht wenigstens nicht, Nanon, denn es sind ernste Dinge.«

»Seid unbesorgt,« erwiderte die junge Frau, »ich werde nicht lachen.«

Canolles gab Befehl, den Boten einzuführen, und ging in sein Zimmer, ein weites Gemach von ernstem Ansehen; zwei Kandelaber brannten auf dem Kamin, warfen aber nur einen schwachen Schein in den ungeheuren Raum; der anstoßende Alkoven lag völlig im Schatten.

»Seid Ihr da, Nanon?« fragte Canolles.

Ein ersticktes, keuchendes Ja gelangte zu ihm.

In diesem Augenblick erschollen Tritte; die Schildwache präsentierte das Gewehr. Der Bote trat ein und folgte mit den Augen dem, der ihn eingeführt hatte, bis er mit Canolles allein zu sein glaubte; dann lüpfte er seinen Hut und warf seinen Mantel zurück. Alsbald fielen blonde Haare auf reizende Schultern herab; die feine, geschmeidige Gestalt einer Frau erschien unter dem Wehrgehänge und Canolles erkannte an ihrem sanften, traurigen Blick die Vicomtesse von Cambes.

»Ich habe Euch gesagt, ich würde Euch wiederfinden, und halte mein Wort,« sagte sie. »Hier bin ich«

Canolles schlug mit einer Bewegung des Staunens und der Furcht die Hände aneinander, sank auf einen Stuhl und murmelte: »Ihr! Ihr! . . . Oh! mein Gott, was habt Ihr gemacht, was wollt Ihr hier?« – »Ich will Euch fragen, ob Ihr Euch meiner noch erinnert.«

Canolles stieß einen Seufzer aus und hielt seine Hände vor die Augen, um diese bezaubernde und zugleich unselige Erscheinung zu beschwören.

Nun war ihm alles klar; Nanons Furcht, ihre Blässe, ihr Zittern und besonders ihr Verlangen, der Zusammenkunft beizuwohnen. Nanon hatte mit den Augen der Eifersucht in dem Parlamentär eine Frau erkannt.

»Ich will Euch fragen,« fuhr Claire fort, »ob Ihr bereit seid, die Verpflichtung, die Ihr gegen mich in dem kleinen Zimmer in Jaulnay übernommen habt, zu erfüllen, von der Königin Eure Entlassung zu nehmen und in den Dienst der Prinzen zu treten?«

»Oh, still, still! Madame,« rief Canolles.

Claire schauerte bei dem Ausdrucke des Schreckens, der sich in dem Zittern der Stimme des jungen Mannes offenbarte, schaute unruhig umher und fragte: »Sind wir nicht allein hier?«

»Oh ja, doch! Madame,« erwiderte Canolles; »kann uns aber nicht jemand durch diese Wände hören?«

»Ich hielt die Mauern des Forts Saint-George für stärker,« sagte Claire lächelnd.

Canolles antwortete nicht.

»Ich bin also gekommen, um Euch zu fragen,« fuhr Claire fort, »warum ich in den acht bis zehn Tagen, die Ihr hier seid, nicht von Euch habe sprechen hören, so daß ich gar nicht wüßte, wer auf der Insel Saint-George kommandiert, wenn ich nicht zufällig gehört hätte, es sei der Mann, der mir vor kaum zwölf Tagen geschworen hat, die Ungnade, die er sich zugezogen, sei ein Glück, denn sie gestatte ihm, seinen Arm, seinen Mut, sein Leben der Partei zu widmen, der ich angehöre.«

Nanon konnte sich einer Bewegung nicht erwehren, die Canolles beben und Frau von Cambes sich umdrehen ließ.

»Was ist das?« fragte sie.

»Nichts,« antwortete Canolles, »ein gewöhnliches Geräusch in diesem alten Zimmer voll unheimlichen Krachens.«

»Wenn es anders liegt,« sagte Claire, ihre Hand auf Canolles' Arm legend, »so verbergt es mir nicht, Baron, denn Ihr begreift, von welcher Bedeutung von dem Augenblick an, wo ich mich entschloß, Euch selbst aufzusuchen, unsere Unterredung für mich ist.«

Canolles trocknete den Schweiß, der von seiner Stirn lief, suchte zu lächeln und sagte: »Sprecht; ich bitte Euch.«

»Ich wollte Euch also an dieses Versprechen erinnern und Euch fragen, ob Ihr bereit seid, es zu halten?«

»Ach! Madame, es ist unmöglich geworden.«

»Warum?« – »Weil seit jener Zeit viele unerwartete Ereignisse eingetreten sind, viele Bande, die ich für zerrissen hielt, sich wieder geknüpft haben; an die Stelle der Strafe, die ich zu verdienen glaubte, hat die Königin eine Belohnung gesetzt, deren ich nicht würdig war. Heute bin ich an die Partei Ihrer Majestät durch die . . . Dankbarkeit gebunden.«

Ein Seufzer durchdrang die Luft, die arme Nanon erwartete ohne Zweifel ein anderes Wort, als das, welches ausgesprochen wurde.

»Sagt durch den Ehrgeiz, Herr von Canolles, und ich werde das begreifen; Ihr seid von adligem Geblüt; man hat Euch mit achtundzwanzig Jahren zum Oberstleutnant und Gouverneur einer Festung gemacht; das ist schön, ich weiß es wohl; aber es ist nur die natürliche Belohnung für Euer Verdienst; dieses Verdienst schätzt jedoch nicht allein Herr von Mazarin . . .«

»Madame, kein Wort mehr, ich bitte Euch.«

»Entschuldigt, mein Herr, diesmal ist es nicht mehr die Vicomtesse von Cambes, die mit Euch spricht, es ist die Abgesandte der Frau Prinzessin, die einen Auftrag an Euch übernommen hat und ihre Botschaft erfüllen muß.«

»Sprecht, Madame,« erwiderte Canolles mit einem Seufzer, der einem Stöhnen glich.

»Die Frau Prinzessin, die von den Gefühlen weiß, die Ihr mir zuerst in Chantilly und dann in Jaulnay kundgegeben habt, die sehnlich zu wissen verlangt, welcher Partei Ihr wirklich angehört, beschloß, Euch einen Parlamentär schicken und sich dadurch Gewißheit zu verschaffen, und diese Botschaft übernahm ich, weil ich sie, in Eure geheimsten Gedanken eingeweiht, besser als jemand anders glaubte ausführen zu können«

»Ich danke, Madame,« sagte Canolles, seine Brust mit der Hand zerfleischend, denn während der kurzen Zwischenräume des Gesprächs vernahm er Nanons keuchenden Atem.

»Hört also, was ich Euch im Namen der Frau Prinzessin vorschlage, denn geschähe es in meinem eigenen,« fuhr Claire mit ihrem bezaubernden Lächeln fort, »so würde ich die Ordnung der Vorschläge umkehren.«

»Ich höre,« sagte Canolles mit dumpfem Tone.

»Ihr übergebt die Insel Saint-George gegen eine von den drei Bedingungen, die ich Eurer Wahl anheimstelle. Die erste ist . . . erinnert Euch wohl, nicht ich spreche so: eine Summe, von zweimalhunderttausend Livres.«

»Oh! Madame, geht nicht weiter,« sagte Canolles, bemüht, das Gespräch abzubrechen. »Die Königin hat mich mit einem Kommando beauftragt; dieses Kommando ist die Insel Saint-George, und ich werde sie bis zum Tod verteidigen.«

»Erinnert Euch der Vergangenheit,« rief Claire traurig, »das sagtet Ihr mir nicht bei unserer letzten Zusammenkunft, als Ihr mir den Antrag machtet, alles zu verlassen, um mir zu folgen, als Ihr bereits die Feder in der Hand hieltet, um denen, denen Ihr heute Euer Leben opfern wollt, Eure Entlassung anzubieten.«

»Ich konnte das anbieten, Madame, als es mir noch freistand, meinen Weg zu wählen; heute bin ich nicht mehr frei . . .«

»Ihr seid nicht mehr frei!« rief Claire erbleichend, »wie versteht Ihr das? Was wollt Ihr damit sagen?« – »Ich will damit sagen, daß ich durch die Ehre gebunden bin.«

»Wohl, so hört meinen zweiten Vorschlag.«

»Wozu? Habe ich Euch nicht bereits wiederholt, ich sei unerschütterlich in meinem Entschluß? Versucht mich also nicht ferner.«

»Verzeiht, mein Herr,« entgegnete Claire, »ich habe auch eine Sendung und muß sie bis zum Ende erfüllen.«

»Tut es,« murmelte Canolles, »aber in der Tat, Ihr seid sehr grausam.«

»Fordert Eure Entlassung, und wir werden sodann nachdrücklicher auf Euren Nachfolger einwirken, als auf Euch. In einem, in zwei Jahren nehmt Ihr wieder Dienst unter dem Herrn Prinzen mit dem Grade eines Brigadiers.«

Canolles schüttelte traurig den Kopf und erwiderte: »Ach! Madame, warum verlangt Ihr nur Unmögliches von mir?«

»Mir antwortet Ihr das? In der Tat, ich verstehe, Euch nicht, mein Herr. Wart Ihr nicht im Begriff, Eure Entlassung zu unterzeichnen? Sagtet Ihr nicht zu der, die damals bei Euch war und Euch mit so viel Freude zuhörte, Ihr nehmet sie freiwillig und aus dem Grunde Eures Herzens? Warum sollet Ihr also nicht hier tun, wenn ich es von Euch fordere, wenn ich Euch um etwas bitte, was Ihr in Jaulnay selbst vorgeschlagen habt?«

Alle diese Worte drangen wie Dolchstiche in das Herz der armen Nanon, und Canolles fühlte, wie sie eindrangen.

»Was damals eine erlaubte Handlung war, wäre heute ein Verrat, ein schändlicher Verrat!« sagte Canolles mit dumpfer Stimme. »Nie werde ich die Insel Saint-George übergeben! Nie werde ich meine Entlassung nehmen!«

»Wartet, wartet,« sagte Claire mit ihrem sanftesten Tone, wahrend sie jedoch unruhig umherschaute, denn dieser Widerstand Canolles' und besonders der Zwang, der ihn zu drücken schien, kamen ihr seltsam vor. »Hört noch den letzten Vorschlag, mit dem ich anfangen wollte, denn ich wußte und habe zum voraus gesagt, Ihr würdet die beiden ersten zurückweisen; die materiellen Vorteile, ich bin glücklich, daß ich es erraten habe können, welche ein Herz wie das Eurige nicht in Versuchung führen; Ihr braucht andere Hoffnungen, als die des Ehrgeizes und des Vermögens; edle Instinkte bedürfen edler Belohnungen. Hört also . . .«

»In des Himmels Namen, Madame, habt Mitleid mit mir!« sagte Canolles und machte eine Bewegung, um sich zurückzuziehen.

Claire glaubte, er sei erschüttert, und in der Überzeugung, ihr weiterer Vorschlag müßte ihren Sieg vollenden, hielt sie ihn zurück und fuhr fort: »Wenn man Euch statt eines gemeinen Interesses ein höheres, ehrenvolleres Interesse böte; wenn man Euch für Eure Entlassung, die Ihr ohne Schmach nehmen könnt, und die, da die Feindseligkeiten noch nicht begonnen haben, weder ein Abfall, noch eine Treulosigkeit ist, mit einer Verbindung belohnte; wenn eine Frau, der Ihr gesagt habt, Ihr liebtet sie, und die trotz dieser Schwüre Eure Leidenschaft nie offen erwiderte, zu Euch spräche: ›Herr von Canolles, ich bin frei, ich bin reich, ich liebe Euch, werdet mein Gatte . . . gehen wir miteinander, gehen wir, wohin Ihr wollt, fernab von allen bürgerlichen Zwistigkeiten, an irgend einen Ort außerhalb Frankreichs . . .‹ nun, Herr von Canolles, würdet Ihr dann auch nicht einwilligen?«

Trotz der Röte, trotz des reizenden Zögerns von Claire, trotz der Erinnerung an das hübsche kleine Schloß Cambes, blieb Canolles fest und unerschütterlich in seinem Entschluß, denn er sah von fern, bleich im Schatten, den Kopf der vor Angst zitternden Nanon aus den Vorhängen hervorkommen.

»Antwortet mir doch in des Himmels Namen!« fuhr die Vicomtesse fort; »ich kann Euer Stillschweigen gar nicht begreifen. Seid Ihr nicht der Herr Baron von Canolles? Seid Ihr nicht derselbe, der mir in Chantilly gesagt hat, er liebe mich, der es mir in Jaulnay wiederholte, der mir schwur, er liebe nur mich auf der ganzen Welt und sei bereit, mir jede andere Liebe zu opfern? Sprecht! sprecht! antwortet in des Himmels Namen. Antwortet doch!«

Es ließ sich ein Seufzer hören, der diesmal so deutlich war, daß Frau von Cambes nicht zweifeln konnte, es wohne eine dritte Person der Unterredung bei; ihre erschrockenen Augen folgten der Richtung des Seufzers und bemerkten den bleichen, unbeweglichen Kopf, die geisterartige Form, die allen Phasen des Gespräches folgte.

Die beiden Frauen wechselten durch die Dunkelheit einen Flammenblick und stießen einen Schrei aus.

Nanon verschwand, Frau von Cambes aber ergriff hastig ihren Hut und Mantel, wandte sich gegen Canolles und sagte: »Mein Herr, ich begreife nun das, was Ihr Pflicht und Dankbarkeit nennt; ich begreife, welche Pflicht Ihr nicht verraten wollt; ich begreife, daß es für jede Verführung unzugängliche Neigungen gibt, und überlasse Euch ganz diesen Neigungen, dieser Macht, dieser Dankbarkeit. Lebt wohl, mein Herr; lebt wohl.«

Sie machte eine Bewegung, um sich zu entfernen, ohne daß Canolles sie aufzuhalten suchte; aber eine schmerzliche Erinnerung hielt sie zurück.

»Noch einmal, mein Herr,« sagte sie, »im Namen einer Freundschaft, die ich Euch für den Dienst schuldig bin, den Ihr mir zu leisten die Güte gehabt habt, im Namen der Freundschaft, die Ihr mir für den Dienst, den ich Euch leistete, schuldig seid, im Namen aller derer, die Euch lieben und die Ihr liebt, ich nehme niemand aus, laßt es nicht zum Kampfe kommen, denn morgen oder übermorgen wird man Euch in Saint-George angreifen; bereitet mir nicht den Schmerz, Euch besiegt oder tot zu wissen.«

Canolles bebte und erwiderte, aus seiner Verwirrung erwachend: »Madame, ich danke Euch auf den Knien für die Versicherung Eurer Freundschaft, die mir kostbarer ist, als ich Euch sagen kann. Oh! mein Gott, man komme, man greife mich an! Oh! ich rufe den Feind mit heißerem Eifer herbei, als er je an den Tag legen wird, mit mir zusammenzutreffen. Ich bedarf des Kampfes, ich bedarf der Gefahr, um mich in meinen eigenen Augen zu erheben; es komme der Kampf, es komme die Gefahr, es komme auch der Tod; der Tod wird mir willkommen sein, da ich weiß, daß ich reich durch Eure Freundschaft, stark durch Euer Mitleid und geehrt durch Eure Achtung sterben werde.«

»Lebt wohl, mein Herr,« sagte Claire und wandte sich der Tür zu.

Canolles folgte ihr. Mitten in dem düsteren Gange ergriff er ihre Hand und flüsterte so leise, daß er selbst Mühe hatte, seine Worte zu hören: »Claire, ich liebe Euch mehr, als ich Euch je geliebt habe, aber das Unglück will, daß ich Euch diese Liebe nur beweisen kann, indem ich fern von Euch sterbe.«

Ein kurzes, ironisches Lachen war die einzige Antwort von Frau von Cambes; aber kaum befand sie sich außerhalb des Schlosses, als ein schmerzliches Schluchzen sich aus ihrer zerrissenen Brust hervordrängte, und sie die Hände ringend rief: »Ach! er liebt mich nicht, mein Gott! Er liebt mich nicht. Und ich, ich Unglückliche liebe ihn!«



 << zurück weiter >>