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Zwanzigstes Kapitel.

Bevor der Herzog Georg Lüneburg verließ, hatte er sich noch den als gelehrt und verständig bekannten Johannes Stern mit seinem Sohn Heinrich ins Schloß kommen lassen und mit dem alten Buchdrucker eine lange Unterredung gehabt. Es galt dem Fürsten viel, die Standesunterschiede unter den Gilden und Zünften zu brechen, und den Hochmut der Sülfmeister niederzulegen. Dazu sollten ihm die Sterns helfen. Des Herzogs Absicht kam den heißesten Wünschen des alten Johannes entgegen. Infolge dieser Unterhaltung kaufte Stern für Heinrich ohne Bedenken von einem in der schweren Zeit verarmten Sülfmeister eine Pfanne und hielt auch Hans an, ein Gleiches zu thun. Dann war der Herzog, mit freundlichen Versprechungen an Johannes Stern, abgereist.

Hans hatte als einen der Bürgermeister aus dem Patrizierstande Christoph Töbing vorgeschlagen und dieser war vom Herzoge zu der Würde ernannt worden. Zwar wußte Hans ganz genau, daß Christoph ein roher, eigensüchtiger Gesell sei, er war aber zugleich thatkräftig und weniger vorurteilsvoll als viele andere Sülzjunker. Auch hatte Hans ihm den Beistand am Tage des herzoglichen Einzugs nicht vergessen und ihr Zusammenarbeiten gab nun auch den Beweis, daß Hans sich in der Wahl seines Kollegen nicht verrechnet hatte. Christoph kam seinem Genossen und Vorgesetzten in jeder Weise entgegen und Hans fühlte, daß die an jenem entscheidenden Abend vor des Herzogs Ankunft gepflogene Unterredung über Ursel in des Junkers Gemüt nachwirke. Was nun sein eigenes Empfinden betraf, so hatte er dasselbe während der drängenden Ereignisse, die seine ganze Sammlung und Thatkraft forderten, möglichst niedergehalten. Auch jetzt, in der ernsten Zeit nach seines Vaters Tode und bei allen seinen anstrengenden Arbeiten, schob er die Entscheidung über sein Herzensglück hinaus. Nach wie vor war es ihm zuwider, das der Verlobten gegebene Wort zurückzunehmen. In Wahrheit bestand kein näheres Verhältnis mehr zwischen ihnen, er wußte auch, wenn er die Muße zu ernster Selbstprüfung gewinne, würde er mit Ursel brechen müssen, es lebte ja ein anderes Bild in seinem Herzen und ließ sich nun und nie verdrängen, aber die Zeit des Abschlusses schien noch nicht gekommen. Doch wollte er die erste ruhige Stunde benutzen, mit dem leichtgesinnten Bäschen ernstlich zu reden.

In ähnlichen Nöten wie Hans befand sich der neue Bürgermeister Christoph Töbing. Auch ihn ließ der Geschäfte Drang kaum zur Sammlung gelangen, aber er sehnte sich nicht minder nach dem Besitz des gellebten Weibes. Durch Testamentsbestimmung seines Vaters war ihm, dem Ältesten, das große Eckhaus an der Marienkirche zugefallen. Seine trübsinnige Mutter hatte dasselbe mit den Geschwistern verlassen und war in ihr früheres Wohnhaus zurückgekehrt. Vorher hatte sie dem Sohne täglich die Namen der wohlhabendsten Patriziertöchter zur Brautwahl genannt und ihn angehalten, sich nun bald zu beweiben. Christoph hatte schmunzelnd zugehört, aber in seiner derben Art gemeint, er werde schon selber sorgen. Jetzt schien es ihm, als werde über dem großen leeren Hause, das seit zwei Generationen nur Trübsal, Seufzen und Klagen gekannt hatte, plötzlich heller, lustiger Sonnenschein aufgehen, wenn es ihm gelinge, den fröhlichen Kobold, Ursel Prigge, hinein zu führen. Hei, was das für ein Leben mit der Schelmin werden sollte! Es war ja ganz unmöglich, daß sie einem andern gehöre, als ihm! Die Zeiten wurden zusehends neue und freiere, und er war auch nicht der Mann, sich an eine alberne Sippe zu kehren. Er mußte mit der Liebsten zum Ende kommen, das Hexlein sollte endlich entscheiden, wie er mit ihr daran war.

Mit diesen Vorsätzen gerüstet, stand Christoph Töbing jetzt in Sonntagskleidern zum erstenmale im Hofstübchen der Auserwählten, vor der befriedigt lächelnden Ursel.

»Wie, der edle, hochgeborene Herr Bürgermeister!« hatte sie bei seinem unerwarteten Eintreten ausgerufen. »Welche Ehre geschieht meiner Wenigkeit? Eure Gestrengen haben sich wohl, allzu zerstreut von dero neuen Geschäften, verlaufen? Die Druckerei liegt weiterhin im Hofe.«

»Ach liebwerte Witib,« sagte der sonst so Dreiste, fast verlegen bei ihrem natürlich gespielten Erstaunen, »weiset mich nicht hinaus! Ihr wisset es ja doch, daß ich hierher nur mit ehrbarer Absicht und nach meines Herzens heißem Drange komme. Mir liegt nichts anderes im Sinne, als Ihr, süße Ursel. Ich muß Euch als mein trautes Weib in's leere Haus der Töbings führen. Rasch gebt mir die Entscheidung, ob ich nicht vergebens werbe!« Er hatte sich ihr genaht und streckte ihr die Arme sehnsüchtig entgegen.

Sie aber trat anscheinend befremdet zurück, doch lachte und zuckte es in Augen und Grübchen, als sei ein ganzes Heer neckischer Geister losgelassen. »Gemach, großgünstiger Herr. Ihr wisset doch, daß ich die Braut Eures werten Kollegen, des ersten Bürgermeisters von Lüneburg bin. Könnet Ihr in Wahrheit das Opfer von mir fordern, zum zweiten herab zu steigen?«

»Ursel, Ihr allein habt zu entscheiden zwischen ihm und mir – ich weiß es von ihm selbst.«

»Gewiß. Niemand hat über meine Hand zu bestimmen als ich, Karsten Prigges Witib« – sie hatte dabei ihre Hand erhoben und ihn angelächelt.

»Und mein ist sie!« rief er, umfaßte die Willfährige und küßte sie stürmisch auf die frischen, roten Lippen.

Sie hatte ihm nicht gewehrt, auch diesen ersten heißen Kuß erwidert, jetzt aber wand sie sich los. Es war nicht ihre Art sich hinzugeben. Sie wußte, daß sie ihn durch Versagen besser kirre. Vielleicht ahnte sie, daß sie nur so den Unbändigen zum gefügigen Ehemann ziehe. »Hochweiser Herr Christoph,« sagte sie und schien beleidigt, »jetzt verstehe ich Euch, Ihr seid ein Geizkragen und trachtet nach der Evering-Hälfte. Geht, geht, ich darf Euren Liebesschwüren doch nicht trauen.«

»Ursel, süße Ursel!« rief er vorwurfsvoll und außer sich vor Leidenschaft, und noch einmal glückte es ihm, die Heißbegehrte einzufangen.

Es war eine seltsame Fügung, daß eben um diese selbe Stunde auch Hans Stern den endlichen Entschluß gefaßt hatte, offen mit seiner Verlobten zu reden, er erschien in der Thür und stutzte. Jegliche Auseinandersetzung wurde ihm erspart, er sah Ursel in den Armen seines Nebenbuhlers. Zuerst wollte doch etwas wie Verdruß in ihm aufwallen. Während er sich mit Gewissenssorgen plagte, waren sie, ohne an ihn zu denken, einig geworden. Dann aber atmete er erleichtert auf. Reine Seligkeit, jetzt frei zu sein und seinem heißen Empfinden folgen zu können, erfüllte ihn.

»Sieh, sieh Hans!« rief Ursel und flog auf ihn zu. »Nicht wahr, gutes Brüderlein, du bist der, welcher sich am meisten über Christoph und Ursel freut? Ich wußte ja doch längst, wie ich mit dir daran sei. Nun sind alle deine tugendsamen, rechtschaffenen Bedenken gehoben.« Sie fiel ihm mit bittenden Augen um den Hals.

Christoph stürzte herzu und nahm in aufflammender Eifersucht die Freimütige an sich. »Es ist alles in Ordnung, Kollege, doch bitte ich auch die brüderliche Zärtlichkeit nicht auszubeuten.«

»Ihr habt recht, Bürgermeister,« sagte Hans mit seinem offenen Lächeln und reichte beiden die Hand, »möge euch reiches Glück bescheert sein.«

O, wie stürmte und flog nun der freie Mann seinem Heimwesen entgegen! Wie hoch pochte sein Herz bei dem Gedanken an die Erfüllung seines heißen Wunsches. Sie sollte nun sein werden, die er, seit er sie zuerst gesehen, als seines innersten Wesens Ergänzung, als unweigerlich zu ihm gehörig, erkannt hatte, sie, seine zarte, mädchenhafte Hete!

Es gereichte Hans zur Genugthuung, als er, in das Wohnzimmer tretend, Hete hier allein an ihrem Spinnrade fand. Eine unnennbare Wonne schwellte seine Brust bei ihrem Anblick. Wie still und lieblich sie da bei ihrer Arbeit saß. Ein Sonnenstrahl spielte wieder um das goldene Haar und ein unwillkürliches sanftes Lächeln glitt über die weichen Züge, als sie ihn begrüßte.

Hastig trat er auf sie zu. Sie hatte sich erhoben und ihr Rad zur Seite gerückt: »Sucht Ihr Eure Mutter, Herr Bürgermeister?«

»Nein, Hete, ich suche nichts und niemanden als dich. Ich komme, dir zu sagen, daß meine Base Ursel Prigge, der ich verlobt war, Christoph Töbing ehelicht. Ich bin glückselig darüber, Hete, denn ich bin nun frei und darf dich lieben, wie ich dich lieben muß. Sag' mir, mein holdes Kind, bist du mir gut, willst du mein sein?« Er zog sie stürmisch an sich, hielt die Scheue fest an seiner Brust und bedeckte ihr goldenes Haar und ihr erglühendes Gesicht mit seinen heißen Küssen. »Sprich Heteke, sage mir es auch, daß du fühlst, wie fest wir zu einander gehören.«

»Lieber Hans,« flüsterte das Mädchen und senkte mit großer Innigkeit ihren strahlenden Blick in den seinen.

Er küßte ihr Augen, Stirn und Mund, sie wand sich sachte los, und er ließ sie fahren, um sich neben sie auf die braune Holzbank zu setzen, die längs der Wand hinlief.

Da kam es wie ein plötzlicher Schreck in ihre Seelen. Hatten sie denn nicht schon einmal so miteinander gesessen, also Hand in Hand, Blick in Blick und die Herzen erfüllt von unaussprechlicher Wonne? War's ein Traum gewesen, war's eine Ahnung, die ihnen solches vorgegaukelt? Aber mochte es sein, was es wollte, es war immer des schönsten Hoffens Erfüllung. Er legte den Arm um sie und sie plauderten. Sie gestanden sich ihr Empfinden, als sie sich zuerst gesehen, ihr heimliches Wünschen und Fürchten, und dann immer wieder auf's neue, daß sie über alle Maßen glücklich seien.

Seutemine und ihr Bruder nahmen frohen Herzens an der Erfüllung dessen, was sie längst gewünscht und erwartet hatten, teil. Nun sollten die vier Zusammengehörigen nie mehr getrennt werden.

Am Abende dieses schönen Tages saß Hans nach langer bewegter Zeit wieder allein bei Andreas in dessen Turmzimmer. Es mochte die beiden vertrauten Seelen, nach so vielen eingreifenden Begebenheiten, drängen, sich einmal wieder offen und ungestört über alles Geschehene auszusprechen.

»So wäre sie denn, als bestes, was ich mir in dieser reichen Zeit errungen, mein, sie, das süße, herzliebe Heteke,« sprach Hans mit tiefer Empfindung. »O Ihr glaubt nicht, Ohm Dras, wie ich unter der Pein gelitten, sie nicht besitzen zu dürfen!

Der Alte nickte verständnisvoll mit dem grauen Kopfe: »ganz genau wußte ich's, daß ihr zusammen gehörtet und zusammen kommen würdet.«

»Es hätte leicht anders werden können, ich sagte Euch schon, daß ich mich Ursel verlobt hatte,« entgegnete Hans mit einem leisen Anfluge von Ungeduld.

»Du hättest sie nie gefreit, nachdem du einmal deine Hete wiedergefunden.«

»Bin ich nicht Herr meines Willens, meiner That?«

»Ja, aber bedingt ist diese durch dein innerstes Wesen, welches dir zum Müssen wird.«

»Ich bin ich. Unabhängig und verantwortlich stehe ich da. Jetzt und allezeit, bewußt meiner selbst, büße oder gewinne ich im Jenseits für das, was ich hier mit meinem Ich leistete.«

»Das ist die Empfindung, die Sprache des Kraftvollen, dem Leben Trotzenden. Dich trägt dein starker, junger Körper. Der Erfolg giebt dir das Selbstgefühl. Du wehrst den demütigenden Gedanken ab, daß viele andere, die deine Seele vor dir inne hatten, für dich arbeiteten und säeten Du willst alles allein thun und gethan haben.«

»Und warum sollte ich das nicht?« rief Hans eifrig.

»Gerade bei dir überblicke ich genau die Bahn, welche deine hochstrebende Seele zurücklegte. Du bist mit deinem Ich Erbe einer Seele, die dir mit gleichem Hochfluge voran ging. Sie war minder zur Vorsicht gezogen, minder an Beschränkung gewöhnt, die Zeit war ihr nicht reif. Du hast eingeheimst, wofür sie zu Grunde ging. Hoffen wir, daß deine also geförderte Seele bald zu reif ist, um weitere Wandelungen in unserm trüben Erdenthale durchzumachen. Möchte sie dann, emporgerückt auf einen lichteren Stern, die Bahn hinan zur Gottesnähe rüstig beschreiten!«

»Es ist so verwirrend, sich immer von dir im eigensten Wesen angezweifelt zu sehen!«

»Es sollte dich festigen, statt zu verwirren. Der angeborene Charakter des Menschen bleibt unveränderlich. Das Leben trägt hinzu, bildet, fördert, hindert, je nach Geschlecht und Schicksalslos. Etwas Wurzelechtes, die Persönlichkeit, entfaltet sich auf jeder Stufe kräftiger. Gott erzieht durch Verhältnisse und Schicksale. Und das Unbewußte, Unwillkürliche ist das Herüberspielen aus der Seele Vergangenheit in die Gegenwart.«

»Wie klein erscheint mir das Leben und alles Gewonnene im Lichte deiner Grundsätze.«

»Je kleiner dir dein Ich und die Gegenwart erscheint, je mehr hast du dich darüber erhoben und einen großen, weiten Blick gewonnen. Der Tod streift Ecken, Eigenheiten, Kleinliches ab, er ist wie ein reinigendes Bad. Nur das Feste, der Mühen Gewinn bleibt bestehen. Ist es nicht schöner, für viele Zeiten erworben zu haben als für eine?«

»Aber welch' ein trauriger Gedanke, ein Jenseits, ohne die wiederzufinden, die ich liebte!«

»Und hast du sie nicht eben wieder gefunden? Ist ein neues Zusammenleben und gemeinsames Weiterstreben nicht mehr wert als der dunkle Begriff, ewig miteinander zu ruhen?«

»Aber wie einsam erscheint mir die Höhe, auf welche du mich führst!«

»Sei stark, mein Sohn, mein Freund, meine geliebte Seele. Nimm bei Zeiten die Wahrheit an, welche dir das Alter und die zunehmende Reife aufdrängt. Ja, unsere Seele steht allein. Einsam legt sie ihre Bahn zurück, wie der einzelne Baum, den Blätter und Blüten im Frühlinge schmückten, und der im Winter die dürren Äste hilfeflehend zum Himmel streckt. Aber getrost, laß die Blüten und Blätter der Jugendträume, der kleinen Sorgen und Freuden verflattern, der neue Frühling bringt neuen Schmuck und ein Jahresring nach dem andern legt sich als Gewinn um den immer kräftigeren Stamm.«

*

Einige Wochen nach des Herzogs Abreise aus Lüneburg erhob Kaiser Ferdinand III. die Familie der Sterns in den Reichsadel. Der Kaiser, welcher sich dem Herzog Georg von Celle und Lüneburg für seinen endlichen Beitritt zum Prager Frieden verpflichtet fühlte, hatte gern den Wünschen Georgs für eine Familie, welche ihm wesentliche Dienste geleistet, entsprochen.

Hatte schon die Ernennung Hans Sterns zum Bürgermeister eine große Aufregung unter den Patriziern der Stadt hervorgerufen, so wurde man jetzt auf das äußerste betroffen. Johannes von Stern versäumte nicht, nachdem Sohn und Neffe Pfannenbesitz erworben, bei der löblichen Sülfmeistergilde das Fest des Kopefahrens und die darauf folgende Ernennung zum Sülfmeister zu beantragen. Man ließ ihn lange ohne Antwort, und Christoph Töbing berichtete seiner Braut, daß es stürmische Zusammenkünfte und ernstliche Überlegungen gebe. Besonders sei der Senator von Dassel, aufgehetzt durch Frau Barbaras Hochmut, ernstlich dagegen, die Sterns in der Gilde zu dulden.

Der alte schlaue Buchdrucker, dem Heinrich seine Liebesnot gestanden, beschloß den Stier bei den Hörnern zu fassen, setzte sich in seinen besten Feststaat, hieß seinem Sohne, ein Gleiches thun und schritt entschlossen mit Heinrich nach Dassels Hause. Hier ließ er sich bei dem Senator anmelden. Er wurde mit seinem Begleiter von beiden Eheleuten im großen Wohngemach empfangen. Frau Barbara schaute den Eintretenden besorgt entgegen, ihr ahnte, der Verkauf ihrer Everinghälfte möge zur Sprache kommen, und sie sah sich außer stande, die Kaufsumme zu erstatten.

Vater Stern brachte kühnlich sein Anliegen vor, er warb für seinen Sohn, Heinrich von Stern, den Besitzer der Pfanne Kemping um die Hand Beates von Dassel. Anfänglich war die Überraschung des Senators und seiner Frau außerordentlich und die Ablehnung des Antrags erschien selbstverständlich. Vater Stern ließ sich indes nicht beirren. Er hob in ruhiger Auseinandersetzung die Vorteile hervor, welche sein Sohn zu bieten habe und betonte besonders, daß er keinerlei Mitgift der Braut beanspruche.

Da wandte sich Frau Barbara's Gemüt. Es hatte doch auf ihrem Gewissen gelastet, das ihr Mann nichts vom Verkauf der Evering wußte, jetzt konnte man ins Gleiche kommen und Beatens Heiratsgut entbehren. Sie lenkte ein, bewog ihren Mann, den vorgeschlagenen Plan näher in's Auge zu fassen, man nahm Bedenkzeit an und nach wenigen Tagen wurden Heinrich und Beate unter dem Segen der Eltern als glückliches Brautpaar vereinigt. Damit war nun ein weiterer Schritt gethan, die Sterns in der vornehmen Gilde einzubürgern.

Die Entscheidung auf Johannes' Ansuchen ließ nun auch nicht länger auf sich warten. Sie fiel höflich aus – aber ablehnend. Das Sülfmeister-Kollegium wolle, in Anbetracht schwerer Zeiten, das Fest des Kopefahrens ganz abschaffen. An der Besiedung ihres Pfannenguts könne man die Herren von Stern nicht behindern, allein Sülfmeister werde von nun an, da die nötige Ceremonie abgeschafft sei, keiner aus einer neuen, nicht erbeingesessenen Lüneburger Patrizier-Familie.

Die Selbständigkeit und der Glanz der alten Hansastadt waren unter den Leiden und Folgen des großen Krieges erloschen. Nie gediehen wieder in den alten Familien der Reichtum, die Üppigkeit und Selbstherrlichkeit, wie sie bisher in unbeschränkter Macht geblüht hatten. Eine neue Zeit war angebrochen. Die kleinen Gemeinwesen mußten sich dem größeren anschließen. Und trauerte auch manches Herz der Vergangenheit nach, der allgemeinen Entwickelung war kein Damm entgegen zu setzen, und so wurde Lüneburg nach und nach immer mehr eine ihrem Landesfürsten vollständig untergebene Stadt.

Das allgemeingiltige, wichtige Gesetz, daß einzelnes sich den Lebensbedingungen und Forderungen des Ganzen anzupassen hat, ein Gesetz, das auch heutzutage Anlaß gegeben hat, über manche Sonderexistenzen hart hinweg zu schreiten, führte Lüneburg allmählich aus der wallumhegten, vom Kastengeist regierten Enge in die Weite des deutschen Kaiserreichs.


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