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Siebentes Kapitel.

Andreas Soltau saß in einer der weiten Fensternischen seines Turmgemachs am Arbeitstische. Mancherlei Handwerksgeräte bedeckten denselben. Draht, Zangen, Feilen, Stemmeisen, Holztafeln und Glasstückchen lagen umher. Der kleine Mann neigte sich über die auseinander genommenen Teile eines Nürnberger Eies. Mit seinen Läppchen und Federn reinigte er die Räder der Uhr; diese sorglich vorsichtige Beschäftigung schien ihn ganz gefangen zu nehmen.

Ein Gast trat ein; er mußte jedoch zu dem Arbeitenden herangehen und die Hand auf seine Schulter legen, dann erst blickte Andreas empor.

»Ah, du bist's, Schwager Johannes, willkommen!« Der Verwachsene stand auf und bat den andern sich zu ihm zu setzen. Sie traten mitsammen in die freie Nische, von der aus man in das Land hinaussehen konnte; hier ließen sie sich, während Stern Grüße von seiner Frau ausrichtete und den Schwager neckte, daß er so gar vertieft gewesen, auf den Schemeln nieder.

»Ich komme, Wichtiges mit dir zu erwägen, Andreas,« hob der Buchdrucker jetzt ernsten Tones an. »Ihr zwei Geschwister lebt hier so einsam, oder vielmehr unsere kleine Seutemine ist, während du allen möglichen Beschäftigungen obliegst, so verlassen da unten im Vorderhause, daß der Gedanke, sie müsse sich in Bälde verehelichen, mir schon oft aufgestiegen ist.«

»Seutemine, das Kind?« lächelte der Bruder, »es will mich bedünken, als sei das noch zu früh.«

»Sie ist achtzehn geworden, wie meine liebe Frau Anne sagt.«

»Und du hast wohl gar einen Freier für sie?« fragte Andreas nicht ohne Unruhe und Gemütsbewegungen.

Der Buchdrucker nickte. »Es wird uns recht sein, wenn kein Fremder in die Sippe kommt.«

»Kein Fremder? Wen meinst du?«

»O du verlorener Träumer – habe ich nicht einen unbeweibten Bruder?«

»Für den Stadthauptmann wirbst du?« Andreas' große Augen weiteten sich, er sah im Geiste den langen, dürren Kriegsknecht vor sich – dem sollte er sein herzliebes Schwesterlein in die Eisenarme legen?

Johannes Stern fuhr rasch fort: »Mein Bruder hat mit dem Rat einen günstigen Vertrag abgeschlossen. Er ist ein wohlangesehener Mann und kann es zu etwas bringen. Er versteht zu sammeln und zu sparen. Ihm fehlte bisher nur das Seßhafte, Beharrliche. Die Abenteuerlust ist mit ihm groß geworden. So wir ihm ein Weib geben und ihn in Haus und Hof setzen, wird er nicht mehr von der alten Ruhelosigkeit umgetrieben werden und die Stadt nicht wieder verlassen.«

»Wie kann das herzige Mägdelein den lieb haben? Er ist zu alt für sie!«

»Gesetzte Jahre machen beständig – mit dreiunddreißig ist keiner ein Greis.«

»Was wird Seutemine dazu sagen?« seufzte Andreas, der ahnte, daß Johannes seinen Beschluß durchsetzen werde. Er wußte, daß sein Schwager ihn an starkem Willen, Thatkraft und richtigem Erfassen der Dinge übertreffe. Ein Gefühl ohnmächtiger Hilflosigkeit überkam ihn allemal, wenn er mit Johannes Stern Fragen des wirklichen Lebens erwägen und zum Austrag bringen sollte.

»Eine Jungfer in Minekes Alter freut sich allemal, wenn Einer sie will. Sie hört gern vom Ehestande und hält sich just geschickt dazu,« lachte der Buchdrucker. »So wir einig sind, wird die Kleine leicht zu gewinnen sein.« Dann pries er noch einmal das sichere Einkommen des Bruders, sein Ansehen in der Stadt und hob hervor, welchen Schutz Andreas und das Mädchen von der Gemeinschaft mit solchem starken Gesellen haben würden.

»Herr David führt oft gute Sprüchlein der Schrift im Munde,« hob Andreas in schwacher Gegenwehr wieder an, »allein mir schien immer, als ob seine Herzensfrömmigkeit hinter der seiner Worte zurückstehe. Viel äußerliches Thun schien mir damit verbunden, etwas Starres und Hartes, das meinem Christentume widerspricht.«

Johannes zuckte lächelnd die Achseln. »Du kannst nicht verlangen, Freund, daß deine und des alten Lucas Meinungen –, die mir stark von der reinen Lehre abzuweichen scheinen – anderen Leuten behagen.«

Andreas dachte zu gerecht, war zu selbstlos und milde, um dieser Mahnung zu widersprechen. Es war ja auch wirklich Absonderliches, was der Mönch und er sich als Wahrheit erklügelt. Es war eben nur ein heißes Ringen nach der Wahrheit, die in ihrem vollen Glanz nur bei Gott sein mochte. Wie konnte er dieselbe Ansicht von der Weltordnung, die ihn tröstete, die ihn als Zuversicht durchdrang, von andern fordern? Aus der Meinungsverschiedenheit mit dem Hauptmanne durfte er weder Abneigung noch Gründe zur Weigerung ziehen, zumal David Stern doch ein bibelfester lutherischer Christ war. Er murmelte etwas, das wie eine Bitte um Vergebung klang und fühlte sich beschämt, den Schein der Unduldsamkeit auf sich geladen zu haben.

Der schlaue Buchdrucker hatte nun immer leichteres Spiel. Die eine tief empfundene Niederlage hatte den weltfremden Einsiedler ganz in die Gewalt des überlegenen Schwagers gegeben. Stern benutzte seinen Vorteil und kam bald so weit, die Zustimmung zu seinem Vorschlage vom Bruder und natürlichem Mundwalt des Mädchens zu erlangen, mit dem einzigen Vorbehalt, daß Seutemine wohl zufrieden sein müsse. Johannes versprach, daß seine Frau mit der Schwester reden solle, und die Schwäger bekräftigten mit einem Handschlage ihr Übereinkommen.

»Und nun erzähle mir von ihm,« sagte Andreas leise und bedrückt, und faßte den Schwager beim Rock, um ihn festzuhalten. »Er ist so fahrig und flüchtig, seit er bei dir wohnt, hat den Kopf so voll von unmöglichen Dingen, daß mir immer das Herz weh thut und der Sinn verstört ist, wenn er von mir geht.«

»Franz Töbing hat sich Großes vorgesetzt. Du wirst darum wissen? Ich muß, um mir auf alle Fälle den Rücken zu decken, thun, als kümmere ich mich nicht um das, was er treibt.

»Ich weiß darum,« antwortete der friedfertige Denker tief betrübt, »er hetzt die Gilden auf wider das Sülfmeister-Regiment, schleicht heimlich von einer Zunftstube zur andern und säet Zwietracht und Feindschaft.«

»Pst« – machte der vorsichtige Hörer.

»Hinter den klafterdicken Mauern des ›Grauen Mannes‹ stehen keine Horcher,« sagte Andreas schmerzlich lächelnd, »und die schreckliche Wahrheit wird bald als Aufruhr in der Stadt an den Tag kommen.«

»Sei doch kein Thor und nenne es nicht: schrecklich, so jemand für uns und der Bürger Bestes seine Haut zu Markte trägt.«

»Seine Haut ist mir lieber als die meine.«

Ein geringschätziger Blick streifte das edelschöne Gesicht des Verwachsenen. Johannes sagte selbstgefällig: »Ich habe es mir wohl überlegt, was ich that, als ich ihn aufnahm. Mir wird kein Richter etwas gegen der Stadt Gesetze nachweisen können. So des Bürgermeisters Sohn mich antritt und sagt: Wollet ihr mich als Einlieger, ich zahl's euch, eine Laune lässet mich fremde Herberge suchen, ist es kein Unrecht, ihm den Willen zu thun. Mein Hinterstüblein stand leer. Dem Gewerksmanne ist's nicht zu verdenken, wenn er jeglichen Verdienst mitnimmt, der sich bietet. Des hochmögenden Herrn Hieronymus Töbing Sohn ist Einer, dem man geziemende Bitte nicht abschlägt und kein Verdächtiger. Was er jetzt thut und treibt, geht mich nichts an.« – Dem bedenklichen Manne mochte es ein Bedürfnis gewesen sein, einmal laut alle seine Verteidigungsgründe auszusprechen.

Der geängstigte Freund schüttelte den Kopf, er verstand das Wesen seines Schwagers wieder einmal nicht recht. Ihn beherrschte nur die Sorge um seinen Franz.

Johannes Stern fuhr vertraulich fort: »Es kommt dann und wann vor, daß eine Pfanne frei wird und mit gutem Gelde zu kaufen ist. Ich habe mein Erspartes und David hat sein Beutegeld aus der braunschweigischen Fehde, das er zum Anwerben der Söldner angewandt hatte, jetzt beim Stadtsäckel gut. Auch du bist nicht unvermögend. Wenn die Gesetze, die den Eintritt in die Sülfmeistergilde verbieten, gelinder würden, könnten wir uns zusammen thun und auf eine Pfanne lauern. Falls wir Sterns Sülfmeister wären, gehörten deine beiden Schwestern in die Geschlechter. Das müßte selbst dir wohlgefallen.«

»Und mein Franz soll sich opfern, um dir solcherlei Hoffnungen zu erfüllen,« murmelte Andreas schwermütig. »Wie kannst du Verständiger das für möglich halten? Ein Gewerksmann sollte Sülfmeister werden? Das kann nimmermehr in Lüneburg geschehen!«

»Ich gehöre als Buchdrucker keiner Zunft an!« rief Johannes Stern eifrig; doch ließ er dann die Sache auf sich beruhen und schied mit der Verabredung, daß Mine am heutigen Nachmittage seine Frau besuchen solle.

Das schmale Giebelhaus der Sterns, unweit der Johanniskirche, quer vor der breiten Straße, die »Am Sande« heißt, befand sich schon lange Zeit in der Familie. Die Druckerei und der Handel mit Büchern warfen immer mehr ab, und so war der Wunsch des jetzigen Besitzers, seine Lebensstellung den Umständen nach zu verbessern, ein nicht unberechtigter. Die strengen Satzungen in der alten Stadt zogen hier aber Grenzen, die schwer zu beseitigen waren. So lange man denken konnte, hatte nie Einer aus den Handwerkergilden eine Pfanne besitzen, oder gar Kope fahren, und damit sich zum Sülfmeister machen dürfen. Als in früheren Zeiten ein Unberechtigter sich Pfannengut erworben, hatten die Sülfmeister diese Pfanne kalt stehen lassen. Johannes Stern würde einen schweren Kampf auszufechten haben, um solch' hohes Ziel zu erreichen.

Das schmale aber tiefe Haus, mit der Druckerei hinten im Hofe, hatte zu beiden Seiten der spitzbogigen Hausthür je ein Fenster. Links gehörte dasselbe zu der Bücherei und Schreibstube des Hausherrn, die eng und tief war, wie jeglicher Raum des Hauses, und zu der man über zwei Stufen hinauf stieg.

Rechts gehörte das Fenster zur Diele, die den Hauptraum einnahm. In diesem Fenster, von dem aus man den breiten Sand hinuntersehen konnte, stand in der Nische eine Erhöhung, auf der zwei binsenbeflochtene Stühle einander gegenüber Platz fanden. Hier war im Sommer der Hausfrau liebster Aufenthaltsort. Im Winter sah sie sich meist auf die geräumige Küche, zu Ende der Diele, mit dem wärmenden Herdfeuer angewiesen, denn in des Mannes Schreibstube, in welcher der große Kachelofen stand, war selten für sie und ihre beiden kleinen Mädchen Raum übrig.

Von der Diele führte eine Treppe auf den Umgang, an dem oben mehrere Kammern lagen und von dem man in die Bodengelasse des Giebels kam, die für das Geschäft benutzt wurden und auch vom Hofe zugänglich waren.

In der Kammer hinter der Küche, die eine Zeitlang des Hausherrn heimgekehrter Bruder inne gehabt, wohnte jetzt Franz Töbing, der aber selten zu Hause war. Der Hauptmann Stern hatte nach dem Einzuge seiner Leute das Familienhaus verlassen und war mit den Söldnern in den städtischen Gebäuden der Reitendendiener-Gasse untergebracht worden.

Auf dem Tritt vor dem Dielenfenster saß Frau Anne Stern und blickte beklommenen Gemütes den Sand hinunter nach der jungen Schwester aus, welcher sie, auf den Befehl ihres gestrengen Eheherrn, zureden sollte, seinen Bruder zu freien.

Frau Anneke war eine behäbige Frau, Ende der Zwanzig. Ihr schlichtes, hellbraunes Haar lag unter der weißen Haube geborgen, die blauen Augen blickten freundlich und um den vollen Mund spielte derselbe gutmütige, weiche Zug, den auch ihre Geschwister gemeinsam hatten. Ihr Spinnrad schnurrte und immer wieder kamen ihr dieselben Gedanken über den steifen unruhigen Schwager, und sie wiederholte sich, was sie doch zu seinem Besten an Seutemine sagen wollte. Die Frau konnte von hier aus über ihre schmale lange Diele in die offene Küche blicken, in der das Herdfeuer flackerte und die Magd mit leisem Singen arbeitete. Die beiden Kinder des Hauses, die vierjährige Bärbe und die kleine Ursel, die noch kaum laufen konnte, spielten zwischen der Mutter und der Dienerin hin und her.

Ah, da war ja Seutemine; raschen Schrittes kam sie heran. Vor dem Hause warf sie ihr Kopftuch zurück und nickte lächelnd herauf. Das süße Gesicht strahlte von Freundlichkeit und Güte. Dann sprang sie rasch und munter über die Steintritte zur Hausthür. Als sie eintrat, lief ihr das Älteste der beiden kleinen Dinger mit hellem Gekreisch entgegen: »Die Muhme – die seute Muhme!« während die flachsköpfige Ursel mühsam mit ausgestreckten Händchen hinterher wackelte. Das Mädchen fing die freundlichen Kinder in ihren Armen auf, hob sie eins ums andere empor, küßte sie und scherzte mit ihnen. Dann zog sie einige gelbe Birnen aus der Tasche, mit denen alsbald Hände und Mäulchen der Kleinen gestopft wurden.

Die Schwestern begrüßten sich herzlich und Mine setzte sich mit der Hausfrau auf den Tritt an das Dielenfenster, Das Mädchen aus der einsamen Gasse hinter der roten Mauer saß hier gar zu gern und blickte auf die große belebte Straße hinaus, Frau Anne hatte das schnurrende Rad, das bei einer wichtigen Unterredung stören mochte, beiseite gestellt und ein Nähzeug in die Hand genommen. Sie wehrte jetzt auch den Kindern, die immer wieder an der hübschen jungen Muhme herumkletterten und sie für sich zu gewinnen suchten, »Geht in die Küche zu Lise,« sagte sie streng. »Seutemine kommt nicht für euch hierher, wir haben zusammen zu reden.«

Bärbe schlich betrübt fort und Mine sagte, die Kleine festhaltend: »Laß sie mir doch, Anne, du weißt, es ist auch mein Liebstes, deine herzlieben Dirnchen zu verziehen.«

»Heute nicht, Mineke, ich bin's müde, sie immer bei mir zu haben.« Die kleine Ursel – unfreundliche Behandlung gar nicht gewöhnt –, fing an zu weinen, aber die Mutter rief der Magd zu, das Kind fortzunehmen und alsbald waren die Schwestern allein.

Das junge Mädchen sah erstaunt auf, so streng war die sonst so zärtliche Mutter noch nie gewesen, Anne Stern leitete die Unterredung mit einer Frage nach dem Bruder ein, sie wußte freilich genau, daß sie darauf hören werde, Andreas sei viel drüben im Stift und außerdem von seinen Arbeiten im Turmzimmer hingenommen. »Du hast mit der alten Lotte allein doch ein langweiliges Leben,« sagte Anne bedauernd, »und ich möchte dir bald eine Veränderung wünschen.«

»Meinst du – wie sollte die kommen?« fragte die Kleine erstaunt.

»Na, wie sie mir gekommen ist.«

Mine errötete und schüttelte den blonden Kopf. »Ich kenne keine jungen Männer. Wenn nur Korbelins Hete noch hier wäre, würde mir auch garnichts fehlen. Es ist schrecklich, daß ihr Vater sie fortgeschickt hat; mein armes Heteken!«

»Sie wirds machen wie wir alle und in Celle freien. Es ist auch das beste. Eine ordentliche Frau braucht Mann, Kinder und Hauswesen.«

»Aber zum Heiraten muß doch ein Freiersmann da sein,« lachte das Mädchen und knotete an ihrem Schürzenbande, das sie selbst eben aufgezupft hatte.

»Wenn du wolltest, wüßte ich einen für dich,« sagte die Frau halblaut und beklommen.

»Für mich? – Wer könnte das sein?«

Schnell gingen die Bilder aller jungen Bürgersöhne, die Mine je gesehen, vor ihrem geistigen Auge vorüber, ohne daß irgend eines ihr näher trat. Sehr neugierig, mit weit geöffneten Augen, sah sie die Schwester an.

Es wurde Anne schwer zu sprechen; die völlige Arglosigkeit der Begehrten schien ihr ein schlechtes Zeichen, endlich bezwang sie sich.

»Meines Mannes Bruder ist ein strammer, stattlicher Gesell und ein Freiersmann, nach dem viele Weiber ausschauen mögen.«

»Der Hauptmann?« es war ein Schreckenslaut, der über Mines rote Lippen floh.

»Ja, David Stern. Was könnte dir an ihm nicht gefallen?« Anne fühlte, daß sie jetzt, um ihre Sache durchzusetzen, ganz zuversichtlich sein müsse.

»Ich habe nie gedacht, daß der Herr Hauptmann – daß er – zum Heiraten wäre. Er ist so groß – so alt – ich habe mich immer etwas gefürchtet.«

»Es ist eine rechte Ehre für dich, daß der achtbare Mann, der beim Rat in Ansehen steht, sein Auge auf dich geworfen hat.«

»Ja – eine Ehre. O Anneke sei nicht böse, ich möchte lieber, er nähme eine andere!«

»Wie kindisch, Seutemine. Mein Schwäher ist ein rechtlicher, wohlhäbiger Mensch, und daß du in der Sippe verbleibst, in der ich bin, sollte dir auch genehm sein. Auf wen wartest du? Du kannst da hinter der roten Mauer alt und grau werden, ehe wieder einer anklopft. Andreas kümmert sich nicht genug um dich, es ist ein Gottessegen, wenn du Mann und Kinder bekommst.«

»Ich habe Andreas am liebsten und bliebe gern bei ihm.«

»Du sollst ja auch in eurem Hause bleiben. David hat kein Eigentum in der Stadt und zieht bei euch ein.«

»Und dann wohnt er immer bei uns?« Fragte das Mädchen kläglich.

»Na, wenn er dein Mann ist, versteht sich das doch von selbst.« Die Frau lachte über das ernste, erschrockene Gesicht des kindlichen Geschöpfes und stellte der Zagenden ausführlicher alle Vorteile der geplanten Heirat vor. »Es wäre doch sehr hübsch, Frau zu sein, man gelte viel mehr, habe seinen festen Anschluß und könne des Glückes, Kinder zu besitzen, nicht anders teilhaftig werden.« Allmählich gelang es ihr, deren Meinung die Jüngere immer gefolgt war, Mines Widerstand mehr und mehr zu besiegen. Endlich sagte diese: »Und wenn ich's nun wollte, was würde Andreas dazu sagen?«

»Mit Andreas hat mein Mann natürlich zuerst gesprochen. Ihm ist die Heirat sehr lieb. Er ist klug genug, einzusehen, wie viele Vorteile sie Euch bringt. Bei unseres Bruders Beschaffenheit denkt er nicht an die Ehe und freut sich, wenn du einen freist, der zu euch einzieht; es könnte alles gar nicht besser passen.«

Nach einigen weiteren Überlegungen zwischen den Schwestern willigte Mine seufzend und errötend ein, Ja zu sagen, wenn David Stern um sie werben sollte. Frau Anne entließ die Kleine recht zufrieden mit sich und dem Ergebnis ihrer Bemühungen. Mine aber ging, halb unter dem von der Schwester ihr eingeredeten Gefühl des Gehobenseins, weil ihr eine so große Ehre geschehen, halb mit bangen Empfindungen nach Hause.

Franz Töbing hatte ein heimliches, ruheloses Treiben angefangen. Bei seiner Lebensstellung als des reichen Bürgermeisters Sohn, seiner genauen Bekanntschaft mit den Menschen und Verhältnissen der Vaterstadt und seiner schönen, entschlossenen Persönlichkeit, konnte es nicht fehlen, daß er bald Einfluß gewann, und daß seine aufreizenden Reden in vielen Gemütern zündeten. Seine Meinung von dem Unrecht der Klassenunterschiede war eine im Volke willkommene, und weil nun gar der Bürgermeisterssohn dieselbe teilte, mußte sie um so richtiger sein und um so eher Geltung gewinnen können, falls man nur das Seinige unter Führung des geschickten Helfers that. So geschah es, daß der Aufwiegler sich im stillen großen Anhang gewann.

Weder mit seinen Eltern noch mit seinen früheren Kumpanen war Franz wieder in Berührung gekommen Endlich sollten ein paar der Sülzjunker sich ihm auf sehr verschiedene Weise ins Gedächtnis rufen.

Schorse von Dassel, der schon ein paar Mal vergebens in Sterns Hause gewesen, traf endlich den Jugendfreund in seinem Hofstübchen an.

»Wo steckst du – wie machst du es einem schwer, zu dir zu dringen?« rief der gutmütige junge Gesell. »Ich bin ja für dich, Franz, ganz des Dankes voll, den ich erst vom Herzen los sein muß.«

»Ich wüßte nicht, daß ich etwas für dich gethan hätte,« sagte der Vereinsamte düster.

»Doch, doch, wenn's auch nicht meinetwegen war. Es ist unter uns bekannt worden, daß du eigentlich Barbara Witzendorff haben solltest, dich aber dagegen setztest. Na, du bist 'mal keiner von den Zahmen; nun hab ich sie und bin ein seelenvergnügter Bräutigam. Mein stattliches Barbeke paßt gut zu mir und zu uns allen, und ich glaube, sie hat mich auch gern.« Das muntere Gesicht mit den lachenden Äugelein strahlte in Siegesfreude und Franz versuchte sich etwas teilnehmende Herzlichkeit abzugewinnen. Nach dem Glückwunsch fragte er, wie alles gekommen sei, und wie seine Eltern sich dazu gestellt hätten?

»Wir waren ja als Vettern von Witzendorffs mit zu deinem Verlöbnis geladen, und ich gab meine Sache mißmutig verloren. Da kam das Metteke zu meiner Schwester gelaufen und sagte mit vielen Entschuldigungen den Verlobungsschmaus ab. Wir steckten die Köpfe zusammen und fragten, was mag da los sein? und in mir lebte etwas wieder auf. Dann hieß es, du habest nicht gewollt, seiest dieserhalb von deinem Vater hinaus gewiesen, und als du dann hier Wohnung nahmst, wußten wir, das Gerücht sage die Wahrheit. Im Rate fing Witzendorff an, Töbing mehr denn je zu widersprechen, so daß nichts vorwärts kam. Mein Vater, der kein Streithahn ist, ging, ehe er meinem Drängen nachgab und wieder mit Witzendorff anfing, zu deinem Alten und fragte ihn offen, wie die Geschichte stehe. Da hat denn der Bürgermeister fürchterlich getobt, dich einen ungeratenen Sohn genannt und gesagt, wir möchten thun was wir wollten, er habe für niemanden um eine Braut zu werben und ihm sei es gleichviel, wen die Witzendorffin freie. Hierauf ist denn alles bald in Ordnung gekommen und in vier Wochen giebt's Hochzeit. Wie wär's, alter Junge, wenn du mein Brautführer würdest?«

Franz Töbing machte eine abwehrende Geberde: »Ich gehöre nicht mehr zwischen Euch. Ich stehe allein und mein Weg ist ein anderer.«

Dassel sah, daß mit dem Freunde nicht viel anzufangen sei, ersichtlich hing der Ausgestoßene wilden Gedanken nach, so ging Schorse mit bedauernden Worten.

Eine andere Begegnung sollte nicht so freundlich ausfallen. Franz Töbing kam spät abends und allein aus der Zechstube der Bäcker, mit denen er besonders gut stand. Er hatte viel gegen der Sülfmeister Vorrechte geredet und schlug zerstreut seinen Weg nach Hause ein. Doch er kam nicht weit, plötzlich fielen unter Scheltworten und Geschrei drei mit Stöcken bewaffnete Buben über ihn her. Er sprang geschickt ein paar Schritte zurück, so daß er sich fast der Herberge gegenüber befand, entriß einem seiner Verfolger den Stock, lehnte sich gegen die nächste Hausmauer und verteidigte sich gegen die Angreifer. Der Lärm des Kampfes zog alsbald Helfer herbei. Die Thür des Zunfthauses wurde aufgestoßen und viele der Bäckergesellen stürzten hervor. Lichtschein fiel auf die Gasse und nicht allein Franz, auch mehrere der Herzukommenden erkannten in den Friedensstörern Lude Elver mit ein paar Knechten.

In diesem Augenblicke, in welchem der Bedrängte, durch Überraschung gelähmt, sich nicht so geschickt wie bisher verteidigt haben mochte, erhielt er einen so wuchtigen Hieb über den Kopf, daß er taumelte und zusammenbrach. Dieser Anblick machte seine Freunde rasend, mit wütendem Geschrei warfen sie sich über die drei Schelme, welche vor der Überzahl alsbald die Flucht ergriffen. Unter lautem Johlen und Schimpfen ging die Jagd durch die stillen Straßen.

Eben nur gelang es den Verfolgten in des Bürgermeisters Elver Haus zu schlüpfen, und die schwere Thür hinter sich zu verschließen.

Mit erregtem Blut und empört über die verhinderten Rachegelüste lärmten die Bäckergesellen vor dem wohlverwahrten Hause. Da flog ein Stein aus ihrer Mitte; wer hatte ihn geworfen? Klirrend brach ein Fenster in Splitter. Welche Lust, welche Kühlung für die innen glühende Wut! Und nun sausten Stein um Stein, unter Freudengeschrei der Übelthäter, in die prächtig gemalten Fenster des hochangesehenen Hauses.

Da öffnete sich eine Luke über der Thür, ein Männerkopf erschien in weißer Zipfelmütze und des alten Bürgermeisters strenge, wohlbekannte Stimme rief: »Ihr Lotterbuben, ihr Randalmacher! Ist der leibhaftige Gott-sei-bei-uns in euch gefahren, daß ihr eures ältesten Bürgermeisters ehrbares Haus mit eurem Schandtreiben zu verunglimpfen wagt? Fort mit euch, ihr Lümmel, ich kenne euch alle! Euer Zunfthaus lasse ich morgen durch den Büttel schließen, und aus eurer Gildenkasse soll mir mein Schaden ersetzt werden.«

Das wirkte abkühlend. Was hatten sie gethan? Leise zogen sie einer nach dem andern ab.

»So uns der Rat keine Strafe anthut, legen unsere Amtsbrüder und Meister sie uns in der Morgensprache auf«, sagte der Altgesell Bernd Kröger zu einem, der mit ihm davon schlich. »Ich weiß, wie es geschrieben steht in unserer Zunftrolle von anno 1600: ›Ihr sollet verbieten Unlust und Scheltwort und Frieden halten in der Stadt, daß ein edler, vester, hochweiser Rat unserm Amte günstig sei‹«.

»Ja«, murmelte der andere Gesell kleinlaut, »wenn die Meister uns ausweisen und geben uns keinen Brief, in welcher Stadt sollen wir da ankommen?«

»Wir sind unserer zu viele gewesen, sie können uns nicht alle missen und wegjagen.«

»Und was das beste ist, unsere Alterleute halten auch zu Franz Töbing.«

Der Schlag über den Kopf, welcher Franz für kurze Zeit der Besinnung beraubt, war nicht von ernsten Folgen gewesen. Der Taumelnde hatte sich bald so weit erholt, um nach Hause gehen zu können. Aber die Folgen jenes nächtlichen Tumultes sollten sich auch ihm bemerklich machen.

Es war dem Rate willkommen, den äußeren Anlaß zur Aufnahme eines Kampfes mit dem Widersacher zu finden, welchem bisher nicht beizukommen gewesen. Die Bürgermeister traten in außerordentlicher Sitzung zusammen und erließen eine Verordnung, in der Franz Töbing bei Strafe der Haft bedräut wurde, den Zusammenkünften der Gewerktreibenden fern zu bleiben und sich nicht weiter als Rädelsführer wider Stadtregiment und Ordnung herfür zu thun. Sintemal sein bösliches Verhetzen an gröblichen Störungen der öffentlichen Sicherheit schuld sei.

Hieronymus Töbing hatte mit gerunzelter Stirn und aufeinander gebissenen Zähnen dieser Zusammenkunft seiner Kollegen beigewohnt und allen Maßregeln wider seinen Sohn kurz zugestimmt. Später war er wie ein gebrochener Mann, Dassels freundlich angebotene Begleitung ablehnend, allein nach Hause geschlichen.

Die Ratsverfügung wurde öffentlich angeschlagen und auch dem betreffenden eine Abschrift derselben vom Büttel zugestellt. Franz Töbing nahm das Schreiben gelassen entgegen. Ein spöttisches Lächeln kräuselte seine Lippe und er reichte dem verlegenen Überbringer, den er recht gut kannte, ein Botengeld, als hätte er ein wertvolles Geschenk erhalten. Der Mann ging kopfschüttelnd und ganz erschrocken von dannen.

Franz war sich klar darüber gewesen, daß der Rat über kurz oder lang etwas gegen ihn unternehmen werde und ihm war's lieb, daß seine Sache dadurch stadtbekannter wurde. Sein Kampf mit der bestehenden Ordnung kam einen Schritt weiter. Zwar mußte er, um nicht lahm gelegt zu werden, vorsichtiger zu Werke gehen, fühlte sich aber durchaus nicht in die Enge getrieben und seine Mittel für lange noch nicht erschöpft. Sein bisheriges, immerhin ziemlich freies Verkehren hatte ihm Fühlung mit allen Gewerktreibenden, mit Brauern und Kagelbrüdern gegeben. Er wußte genau, was er von den einzelnen Zünften und Innungen zu halten und zu erwarten habe, und welche Persönlichkeiten innerhalb derselben seinen Wünschen zustimmten und seinen Zwecken dienlich zu machen sein würden. Sonderbarer Weise waren die Brauer und Kagelbrüder, die doch nach den Sülfmeistern zunächst in Ansehen standen und am ehesten Aussicht haben mußten, bei einem Umschwung der Verhältnisse Gleichberechtigung zu erlangen, am wenigsten zum Umsturz bereit. Sie fühlten sich in ihrer gedeihlichen Lage befriedigt und von den gärenden Elementen, die der Unruhstifter suchte, war unter ihnen kaum etwas zu spüren. In den Handwerker-Gilden fand Franz dagegen manchen aufstrebenden, aufrührerischen Geist, den er für seine Zwecke benutzen konnte. Es galt jetzt, die Gleichgesinnten mehr und mehr seinen Gedanken zugänglich zu machen. Er wollte sie zusammenfassen und sie sich zu Treue und Gehorsam unterordnen. Hatte er sich also eine feste Anhängerschar gebildet, so mußte durch diese allmählich die ganze Bürgerschaft aufgewiegelt und so, mit mehr oder weniger Gewalt, eine neue Ordnung der Dinge geschaffen werden.

Dies waren Franz Töbings Gedanken und Pläne über deren Ausführung er jetzt brütete.

Der nächste Schritt war, daß er eine vertraute Unterhaltung mit seinem Hauswirt suchte, und Johannes Stern, beredete, ihm seine hilfreiche Hand zu leihen. Sie überlegten, wie dies geschehen könne, ohne Stern bloß zu stellen. Was der Buchdrucker, unter völliger Sicherheit für sich selbst thun konnte, war er immer bereit, der heimlich begünstigten Sache zu leisten und so kamen sie bald überein, wie sie einen kecken Plan, welchen Töbing im Sinne trug, geschickt ins Werk setzen wollten.


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