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Drittes Kapitel.

Der größte Reichtum der Stadt Lüneburg bestand in der ergiebigen Salzquelle, die unter dem Namen »Sülze« von alters her bedeutenden Wohlstand in die Stadt gebracht hatte. Das Salz wurde in Pfannen gekocht und diese samt ihren Erträgnissen hatten verschiedene Erbpächter und Eigentümer, welche Sülfmeister hießen. Jener nutzbringende Besitz verteilte sich jedoch nur unter einige bestimmte Familien, in denen man keine fremden Eindringlinge duldete. Immer strenger waren die Ordnungen und Gesetze der Stadt geworden, welche dem Vergeben der Pfannen an Nichtberechtigte entgegen traten. Es durfte weder durch Erbschaft noch Verkauf ein Pfannenanteil in die Hände gewöhnlicher Gewerksleute und Bürger fallen. Wenn den Söhnen der Sülfmeister, den Sülzjunkern, ein Pfannenteil zukam, oder vom Vater überwiesen wurde, hatten sie eine besondere Feierlichkeit – das Kopefahren – durchzumachen, um zu den Sülfmeistern gerechnet zu werden.

Da sich nun der Hauptreichtum der Stadt in den etwa fünfzig bevorzugten Familien der Salzbesitzer befand, lagen Macht und Geltung, das heißt das Ratsregiment und die Verfügung über die allgemeinen Angelegenheiten der Stadt bald in denselben Händen.

Die vier Bürgermeister sowohl, wie die zwölf Ratmänner oder Senatoren, ergänzten ihre Körperschaft durch Eigenwahl aus den Patricierfamilien. Sie legten den Bürgern keine Rechnung ab, schlossen Bündnisse, schrieben Steuern aus, sprachen Recht und ordneten alle öffentlichen Angelegenheiten ganz nach eigenem Gutdünken.

Es hatte schon in früheren Zeiten dann und wann Murren und Aufsässigkeit gegen das Sülfmeisterregiment unter den niederen Ständen gegeben. Die Unzufriedenheit war aber stets unterdrückt worden, so daß Machtgefühl und Hochmut in den Seelen der Bevorzugten durch Generationen empor gewachsen waren.

Mühe und redliche Arbeit, um zu dem Ihrigen zu gelangen, hatte es nie für die Sülfmeister gegeben. Die Saline besaß ihre von alters her geregelte Verwaltung. Das Salz ging in Magazine, wo es nach dem jedesmaligen Preise verladen und den Eigentümern verrechnet wurde. Die reichen, ohne Anstrengung erzielten Einnahmen dienten dazu, Wohlleben und Übermut in den Familien der Sülzbegüterten groß zu ziehen. Ihre prächtigen Wohnhäuser in der Stadt waren mit Kunsterzeugnissen aller Länder ausgestattet, sie besaßen »Freßgütlein« und Immenzäune vor den Thoren, hatten Landsitze, Burgen, Wälder und Wiesen in der Umgegend erworben und dünkten sich in ihrem Sinne Fürsten gleich, ja darüber, da sie wußten, wie knapp und sorgenvoll ihre eigenen Landesherren, die Herzöge von Celle und Lüneburg, leben mußten.

Eines der schönsten Häuser in der Stadt gehörte dem Bürgermeister Hieronymus Töbing. Dasselbe lag an der Ecke zweier Straßen, der alten Marienkirche gegenüber und war so geräumig und so reich eingerichtet, daß es zahlreiche Gäste aufnehmen konnte. Die Töbings waren auch gastfrei und liebten es, ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Sie brauchten nicht zu sparen, ihr einziger Sohn wurde doch einmal begütert genug, so gab es viel Gepränge und großes Wohlleben im Hause.

Im Schreibzimmer des Bürgermeisters Töbing saß der Hausherr seinem Freunde und Vetter, dem Senator Stats Töbing, im lederbezogenen Armstuhl gegenüber.

»Mag uns noch nichts dazu drängen, Statke,« sagte Hieronymus Töbing – ein bedeutend älterer Mann als sein Vetter – eifrig zu diesem, »mich will bedünken, es ist klug, vorzusorgen, Widerspenstigkeit unter den Gemeinen ist früher schon dagewesen. Lauheit im Wachtdienst auf den Wällen haben wir in den Gewerkschaften auch gesehen und mit Pön belegen müssen. Item ist es klug, eine Handvoll entschlossener Knechte, die auf unsere Ordre allerwegen einspringen, immer zu unseren Diensten zu haben.«

»Du wagst viel auf deine eigene Hand!«

»Ich habe immer gefunden,« sprach der Bürgermeister mit schlauem Schmunzeln, »daß etwas, so abgemacht dasteht, sich auch durchdrückt. Man setzt selber, gedrängt von dem Begonnenen, von der Thatsache, seine ganze Kraft ein und siegt gewisser ob, als wenn noch ein schwächlich Wenn und Aber im Spiel wäre. Also regiert ein starker Wille. Der Mutige macht sich gefürchtet und bringt feigen Widerspruch zum Schweigen. Es ist dies mein Hauptgrundsatz, den ich dir wohl anempfehle.«

»Der Hauptmann ist ein Stadtkind. Er könnte seine eigene Meinung fassen und zu den Gewerken halten.«

»Keiner zieht sich selber den Schemel unter den Füßen weg,« lachte der Bürgermeister. »David Stern ist einer, der seinen Vorteil kennt. Ja, mich verlanget darnach, mit ihm abzuschließen, auf daß wir bei der Huldigung Herrn Christian zeigen können, wie sich die Stadt in Wehrhaftigkeit herausmacht, damit seine Achtung vor unserer kräftigen Genossenschaft sich mehre.«

»Wer ist denn von den Bürgermeistern noch dagegen? Du weißt, im Rat haben wir Töbings die Oberhand. Denn auf meinen Schwager Zacharias und die, so mit den andern Vettern versippt sind, dürfen wir zählen.«

»Die Herren Kollegae reden hin und her von altem Herkommen und großen Kosten und halten mich hin. Ich aber habe eingesehen, was uns not that und Stern herbeschieden, nun will ich vorwärts. Jürgen von Dassel ist gutmütig und stimmt in jeglicher Frage mit mir. Der alte Elver aber steht auf dem Hergebrachten, und mit Hinrich von Witzendorff bin ich von alters her nicht sonderlich gut zuwege –«

»Ich weiß,« nickte Stats ernsthaft. »Meine Frau Mutter hat mir die Geschichte Eurer Freite erzählt. Ihr habt beide Hanne Garlop gewollt, die den halben Anteil von der Pfanne Evering erbte, und dich hat sie genommen, obgleich Hinrich die andere Hälfte von derselben Pfanne hatte.«

»Ja, das wurmt ihn noch immer, Statke; hat er jetzt auch mit Frau und Kindern nach ihrer großen Erbschaft reichlichen Besitz, so kann er den Verlust der halben Evering doch nicht verwinden. Allemal wenn die Salzregister kommen, setzt es spitze Worte von ihm.«

»Hm,« machte Stats und wiegte den Kopf mit schlauem Blinzeln. »Es ließe sich wohl Rat schaffen, ihn herum zu bringen.«

»Solcher alten Widerhaarigkeit kommt man nicht bei,« sagte der Bürgermeister achselzuckend, »ich muß Elver zusetzen, mir den Willen zu thun, dann ist Witzendorff überstimmt.«

»Der krumme Elver ist eigensinnig und hochmütig, auf den zähle nicht, den andern zu gewinnen, wüßte ich ein Mittel.«

»Na, und das wäre?«

»Ein Mittel, das den alten Hader zu nichte machte, der dich doch allerwegen im Regiments hemmt. Ein Mittel, das beiden Teilen nur Vorteil bringen würde.« Der Senator räusperte sich, sah sich um und dämpfte seine Stimme. »Hast du nie daran gedacht, für deinen Franz um eine der beiden stattlichen Witzendorffschen Jungfern zu werben? Hätte ich nicht meine Ulrike, würde mir selber dazu die Lust kommen. Es sind höllisch robuste Weibsbilder, die ein Hauswesen wohl im Tritt halten können.«

»Gedacht habe ich daran, Vetter, man hat uns auch schon darauf gewiesen. Die Base Düsterhopin hat vor Jahr und Tag meiner Hanne zugeredet und gemeint, um die Everingshälften endlich doch zusammen zu bringen, würde Hinrich Witzendorff ein übriges thun und seinen Anteil derjenigen von seinen Töchtern mitgeben, die unsern Franz bekäme. Es stände nun einmal des Bürgermeisters Kopf darauf, die Evering in einer Hand zu sehen.«

»Und was hat Hanne gesagt?«

»Dasselbe, was ich auch sage: Wir hätten bloß den Einzigen und der könnte nach seinem Kopfe freien.«

»Schade wär's, wenn nichts daraus würde. Bist du Witzendorffs sicher, so haben wir Töbings das Stadtregiment sozusagen in der Tasche;« zögernd fügte der Freund hinzu: »Vielleicht wär's auch sonst gut, Franz unter einer starken Hausfrau Zügel zu bringen.«

»Wie meinst du das?« fuhr der Bürgermeister auf.

»Nun, er hat doch längst das Alter.«

»Das weiß ich selbst. Soll ich ihn aber zwingen, ehe er Lust bezeigt? Du hast auch noch anderes im Sinne, Stats; heraus, was ist es?«

»Wenn du es denn doch gemerkt hast,« meinte der Senator mit Achselzucken. »Euer Franz soll stark um ein Bürgerhaus schleichen.«

Jetzt sprang Hieronymus Töbing völlig empor und stand mit flammenden Augen vor dem kleinen, mageren Stats, der sich förmlich unter des Älteren Zornesblicken zusammenzog. »Du weißt mehr,« polterte der heftige Mann. »Ich lasse meinen Sohn nicht angreifen, ohne zu forschen, ob er den Hieb verdient. Wohin und zu wem schleicht er? Franz kann sich nicht wegwerfen. Er hat von Kindesbeinen an gewußt, wer er ist, und welche Aussichten er hat. Es ist eine Verleumdung, so du behauptest, er gehe nach einer Dirne aus dem Plebs! Beweise will ich, sonst glaube ich dir nichts!«

»Ich bin kein Verleumder, Hieronymus,« sagte der Vetter, sich jetzt auch aufrichtend. »Deines Sohnes Treiben haben schon Manche bemerkt. Es hat nur noch keiner den Mut gefunden, dir damit zu kommen. Nun, sei nicht ungebärdig, sondern fasse das Ding klug an, auf daß du die Hand, wie's dem Vater geziemt, oben behältst.«

»Wer ist sie?« stieß der Bürgermeister kurz heraus.

»Des Brauers Korbelin Kind.«

»Nie und nimmer wird etwas daraus! Gerade die Brauer dünken sich was. Die dürfen wir uns am wenigsten nahe kommen lassen. Aber es kann ja Franz nicht Ernst damit sein! Es ist ja ganz unmöglich. Er ist unbändig und eigenwillig, das gebe ich zu, daraus erwächst einmal die Kraft fürs Stadtregiment, im übrigen hielt er auf sich und geht stramm mit den Leuten um.«

»Es soll eine sonderbare Sache sein, wenn sich einer verliebt,« sagte der kleine Senator kopfschüttelnd. »Manche werden wie verrückt dabei.«

»Ist wie ein Fieber und ich will es ihm schon austreiben.«

»Versuch es rechtzeitig. Du bist gewarnt.«

Der Senator verließ seinen Vetter, der noch lange, von ernsten Erwägungen erfüllt, in seinem Gemache auf und ab schritt.

Wenige Tage später nahm er, nach der Ratssitzung, in der er wieder keinen festen Beschluß zur Anwerbung einer Kompanie Stadtsoldaten erlangt hatte, des Bürgermeisters Hinrich von Witzendorff Arm und begleitete ihn nach seinem hochgiebeligen Hause an der Neuen Sülzstraße.

»Herr Kollega,« sagte Töbing milder als gewöhnlich zu dem erstaunt auf ihn Schauenden, »eine private Angelegenheit läßt mich diese Unterredung suchen. Ich denke, unsere Wünsche begegnen sich. Frieden ernährt und Unfrieden verzehrt! Es ist klüger und wird dem Gemeinwesen sowohl, wie uns selber, besser zu statten kommen, wenn wir uns miteinander abfinden und demnächst Hand in Hand gehen, als wenn wir reifen Männer altem Grolle nachhängen.«

Solchen guten Worten konnte Witzendorff sich nicht verschließen. Er merkte bald, worauf der andere zielte, sah eine längst gehegte Hoffnung der Verwirklichung nahe und kam dem ernsten Willen Töbings gebührend entgegen. Die alten Widersacher fühlten sich, als sie voneinander schieden, zu ihrer eigenen Überraschung völlig ausgesöhnt. Zuerst hatte nur kluge Berechnung ihre Verhandlung geleitet, nach und nach waren sie warm geworden und jetzt freuten sie sich in Wahrheit des gütlichen Übereinkommens, das ihnen beiderseits Nutzen versprach.

Am nächsten Tage brachte Töbing in der Bürgermeistersitzung mit Witzendorffs Beistand den Antrag durch, eine Kompanie Söldner für den Dienst der Stadt und der Befehle des Rats gewärtig anzuwerben. Witzendorff hatte sich von der Notwendigkeit dieser Maßregel überzeugt und der eigensinnige Elver, der dabei blieb, man dürfe den Bürgern das Leben nicht zu leicht machen, sie hätten von jeher ihre Wälle allein zu verteidigen gehabt, wurde überstimmt. Unter Stats Töbings Führung pflichtete der Senat bei, und jetzt sah sich der Bürgermeister Töbing ermächtigt, mit dem Hauptmann Stern auf fester Grundlage zu unterhandeln und, falls ein Übereinkommen zu erzielen war, abzuschließen.

David Stern hatte längst mit Ungeduld darauf gewartet, vom Bürgermeister Töbing zu einer entscheidenden Unterredung aufgefordert zu werden. Jeder Tag der Zögerung kostete ihn den Sold seiner angeworbenen Mannschaft. Er empfing nun hoch erfreut die endliche Ladung und befand sich kurze Zeit darauf dem hochmögenden Herrn in seinem Schreibstüblein gegenüber.

Des Kriegshauptmanns lange und dürre Gestalt stand mit lauerndem Blicke da. Er war möglichst auf der Hut, um seinen Vorteil wahrzunehmen, während der gedrungenere, behäbig ausgelegte Bürgermeister, nicht so sprungbereit, aber fest auf dem Seinen fußend, offenbar weder zu überrumpeln noch anzuführen war.

Alle äußerlichen Umstände hatten die Männer schon untereinander besprochen, Hieronymus Töbing wußte, daß die angeworbene Mannschaft Sterns unter einem Fähnrich in dem nahen Lüne der Entscheidung harre! Jetzt wurde noch über die letzten Bedingungen gefeilscht und gehandelt: Welche Anzahl als »Reitende Diener« eingekleidet und aus dem Ratsmarstall beritten gemacht werden sollte; daß freies Futter, Hufbeschlag und Sattelzeug bewilligt, Tuch zur Kleidung mit bestimmter Erneuerung geliefert, und wie viel an Handgeld, Zehrung und Löhnung der Mannschaft ausgeworfen, und wie groß des Hauptmanns Anteil werden würde.

Nachdem beide mit gleichem Geschick ihren Vorteil gesichert hatten, gelangten sie endlich zum Abschluß. Ein Schreiber wurde herbei befohlen, den Vertrag aufzusetzen, in welchem der Feldhauptmann David Stern mit seiner Kompanie gegen die ausgemachten Entschädigungen sich in des Rates Dienste begab. Als die Beteiligten unterzeichnet hatten und der Schreiber entlassen war, sagte der Bürgermeister, mit dem Anheften des Insiegels beschäftigt:

»Es giebt etliche, Hauptmann Stern, die meinen, Ihr könntet auf seiten des Gesindels treten, wenn selbiges, wie es ehedem geschehen, wider das Ratsregiment aufmucken sollte – nein, still, Mann, unterbrecht mich nicht! Ihr braucht Euch nicht vorweg zu verteidigen! Ich glaube an einen Treubruch von Eurer Seite nicht, Ihr seid zu klug. Ich habe Euch als geschäftstüchtig erkannt, Ihr werdet zu denen halten, deren Brot Ihr esset, und Eurer Sippe unter den Innungen keinen Vorschub leisten, falls sie sich in Unzufriedenheit auflehnen sollte. Immerhin wird es nichts schaden, so wir, bevor Ihr diesen Vertrag vor versammeltem Rate beschwört, mit festem Handschlag unseren Bund bekräftigen.« Er hielt dem Langen seine breite, volle Hand hin.

Raschen Griffes erfaßte der Hauptmann die dargebotene Rechte. Seine krallenartigen Eisenfinger umschlossen zu solch festem Druck das wohlgepflegte weiche Fleisch der anderen Hand, daß Töbing mit einem Wehlaut zurückzog.

»Ist Euer Gehorsam so fest, wie Euer Händedruck,« sagte der Bürgermeister mit gezwungenem Lachen, »so wandelt der Rat in gutem Schutz.«

»Das soll er,« erwiderte Stern feierlich, »ich bin ein streng lutherischer Mann und halte am Bibelworte: ›Richte nicht Aufruhr an in der Stadt und hänge dich nicht an den Pöbel,‹ sagt Jesus Sirach.«

Beiderseits befriedigt über das neugeschaffene Verhältnis gingen sie voneinander.

Der Stadthauptmann verließ des Bürgermeisters Haus, um seinem Bruder das Erreichte mitzuteilen, und die drängenden Geschäfte der Einführung und Einkleidung seiner Leute baldmöglichst ins Werk zu setzen.

Hieronymus Töbing begab sich in das prächtige Familienzimmer, wo er zu dieser Zeit sein Weib finden mußte, um ihr mitzuteilen, daß er so eben das lange erstrebte Abkommen getroffen habe.

Töbings »schöne Kemenate« war ein großer, von der ganzen Freundschaft vielbewunderter Raum. Das Gemach nahm im ersten Stock die Ecke des Hauses ein, ein ausgebauter Erker in derselben diente, wie ein Kabinett für sich, der Hausfrau zum liebsten Aufenthaltsorte. Hier saß Frau Hanne Töbing – nicht mit dem Spinnrade, zu dieser Arbeit hielt sie Mägde genug – sondern mit einer bunten Stickerei auf feiner Leinewand oder Seide in ihrem hochlehnigen, geschnitzten Ehrensessel und blickte auf den Platz vor der Marienkirche, deren Portal ihr fast gegenüber lag, oder nach verschiedenen Seiten Straß auf- und ab. Man konnte von hier aus mehrere andere Patricierhäuser im Auge haben und den Verkehr der Leute überwachend, mancherlei mutmaßen oder voraussehen. Die mit bunter Glasmalerei verzierten Butzenscheiben der Erkerfenster hinderten dagegen den freien Blick von unten auf die scharfsichtige Frau Bürgermeister. Der mit Teppichen bedeckte Fußboden des Erkers lag um zwei Stufen höher als der des Saals, eine niedrige durchbrochene Balustrade mit Thürchen grenzte den Raum ab.

Das große Gemach, mit seiner geschnitzten Holzdecke, den beiden Lichterweiblein, dem mächtigen Kachelofen, der hochlehnigen Sammetbank an der einen Seite entlang, den geschnitzten Truhen und Schreinen, den Ölgemälden an der Wand und den bunten Teppichen auf dem farbigen Fliesenestrich, gab in der That ein Bild gediegenen Wohlstandes. Nicht weit vom Erker stand der mit einer Decke behängte Tisch, an welchem der Bürgermeister, wenn er sich hier aufhielt, im weiten Armstuhl zu sitzen pflegte. Noch ein paar andere Sessel befanden sich zu den Seiten. Auf dem Tische lagen einige in Leder mit Pressung gebundene Bücher, und in der Mitte stand ein dreiteiliger silberner Armleuchter, von schöner getriebener Arbeit, mit gelben Wachskerzen. Der Leuchter stellte den Apfelbaum aus dem Paradiese vor, an dem sich eine starkschuppige Schlange mit einem Weiberkopf empor ringelte.

Der Bürgermeister lehnte im Erker neben seiner Frau und rieb sich vergnügt die Hände.

»Ich begreife nicht, was dich bedenklich macht, Hanne,« sagte er zuversichtlich, »du weißt, daß es mein langjähriger Wunsch ist, einen größeren Trupp gehorsamer Ratssöldner anzuwerben. Endlich habe ich darüber abgeschlossen, soll ich nicht ins Fäustchen lachen?«

»Die Witzendorffs rechnen nun ganz fest auf uns,« sagte die kleine Frau seufzend. »Schorse Dassel, der nach ihrer Barbara geht, ist gestern und heute nicht angenommen worden. Ich habe gesehen, wie er alsbald wieder aus dem Hause gekommen ist.«

»Will Dassel die Älteste, nehmen wir für Franz das Metteke, die ist ebenso tüchtig, und ich habe Hinrich Witzendorffs Wort, daß die Braut meines Sohnes die halbe Evering mitkriegt.«

»Ach!« rief die Frau unwirsch, »Metteke ist ja lange vergeben. Stöterogges Anton, der jetzt in Celle ist, soll sie freien; wie du das nur vergessen kannst. Für uns ist Barbara, sie hat von jeher ein Auge auf Franz gehabt und regiert den Vater, wie sie will.«

»Die Älteste schickt sich auch besser für uns.«

Die Frau seufzte wieder: »Was Franz nur sagen wird?«

»Das sollst du bald gewahr werden. Ich habe ihn herbestellt. Von Vater und Mutter soll er hören, daß sein Herumjunkerieren ein Ende haben muß. Er ist bald dreißig, ich will Enkel sehen, ihn in mein Amt einführen, und ihm einiges von seinem Erbe zu eigener Verwaltung geben.«

»Du wirst den großen Menschen nicht mehr nach deinem Willen zwingen,« sagte sie halblaut und etwas wie ein Stöhnen drang aus ihrer Brust.

In diesem Augenblicke wandte sich der Bürgermeister um. Er hatte das Öffnen einer Thür hinter sich gehört und sah nun seinen Sohn eintreten.

Wie frisch und stattlich Franz Töbing anzuschauen war; die Herzen der Eltern hätten dem kraftvollen Manne entgegenlachen müssen. Sie waren aber zu dieser Stunde von anderen Empfindungen erfüllt, als von Elternfreude.

»Setze dich, Franz,« sagte der Vater entschieden, »ich habe mancherlei mit dir zu besprechen;« der Bürgermeister ließ sich bei diesen Worten in seinem hochlehnigen Stuhl hinter dem Tisch mit dem Armleuchter nieder und winkte zur Seite.

»Ihr kommt meinen Wünschen entgegen, Herr Vater, ich habe schon längst um eine ungestörte Unterredung bitten wollen. Ihr seid allzusehr von Geschäften und fremden Leuten hingenommen, so daß Euer Sohn selten geneigtes Ohr findet.«

»Mein Amt bringt mancherlei Anforderungen für mich. Mit einer solchen, einer Stadtangelegenheit, will ich auch heute beginnen. Du bist ausersehen, mit Schorse Dassel am nächsten Mittwoch bei der Huldigung dem Herzoge – unserm Rezeß von 1576 gemäß – den weißen Hengst vorzuführen. Und Lude Elver trügt den schuldigen Kredenzbecher voraus.«

»Wie Ihr befehlt, Herr Vater,« sagte Franz gleichmütig. »Zur Mitteilung dieser Unwichtigkeit habt Ihr aber wohl kaum solch ernste Vorkehrung getroffen, wie die, von der ich eben gehört. Niemand solle vorgelassen werden, kein Diener eintreten, bevor Ihr's gestattet. Ich sehe, Ihr habt noch anderes im Sinn, da dies aber nicht zu drängen scheint, laßt mich zuvor mein Herz von etwas Wichtigem entlasten, das mir schon seit langer Zeit auf den Lippen brennt. Ihr sprachet oft, ich solle mir ein Weib wählen, Ihr wieset mich auf diese oder jene Jungfer hin. Ich mochte nicht und bat Euch, mir Frist zu gönnen. Endlich habe ich gewählt – und bitte um Euren Segen.«

»Auch ich habe für dich gewählt und hoffe, daß unsere Wünsche sich begegnen.«

»Schwerlich. Ich fürchte, Ihr kennt meine Braut kaum. Es ist Hedwig Korbelin, die Tochter des Brauers Korbelin in der Bardowikerstraße.« Franz hatte hastig gesprochen, weil sein Vater, über dessen Gesicht sich zornige Röte verbreitete, die Hand aufhob und Miene machte, ihm ins Wort zu fallen.

Der Bürgermeister hatte seinen Sohn ausreden lassen, jetzt rief er grollenden Tons: »Ich habe es Verleumdung gescholten, als man mir zuraunte, du gingest jener Dirne nach, und nun muß ich den Wahnwitz von dir anhören, daß du sie Braut nennst. Besinne dich, mein Sohn. Wir haben dich als unsern Einzigen verwöhnt. Allein die Jugendthorheiten müssen nun ein Ende nehmen. Die Zeit zur Umkehr in gesetzte Männlichkeit, und Anerkennung des Ziemlichen ist für dich gekommen. Die guten Sitten unserer Stadt sind dir nicht fremd –«

»Ich will nichts gegen die Sittsamkeit thun, ich begehre Hete Korbelin zu meinem Eheweibe!« unterbrach Franz heftig des Vaters Rede.

»Sitte ist noch etwas anderes als Sittsamkeit. Mag die Brauerstochter sittsam sein, es ist unmöglich und gegen Brauch und Sitte, sie in der Sülfmeistergilde unter unsern Weibern zu dulden.«

»Vater, Ihr müßt meine Hete dulden, Ihr müßt sie als Tochter annehmen!« brauste der Sohn auf.

Der Bürgermeister winkte Schweigen und fuhr lauter fort: »Außerdem habe ich mein Wort nach einer anderen Seite für dich verpfändet. Mein Herr Kollega, der Bürgermeister von Witzendorff, hat auf mein Ansuchen mir die Hand seiner Jungfer Tochter, Barbara, für dich zugesagt.«

»Mag er's,« höhnte Franz, »ich danke für das derbe Barbeke! Ich will sie nicht, ich mag keine als die, welche ich mir selbst erwählte!«

Der Bürgermeister erhob sich langsam und beide Hände auf den Tisch stützend, blickte er den Sohn starr und streng an: »Bin ich noch dein Herr und Vater? Oder glaubt dein verzogener Eigenwille in Wahrheit den zu meistern, der des ganzen Gemeinwesens Meister ist?«

Franz war gleichfalls aufgefahren. »Fluch über Euer Gemeinwesen! Härte und Unnatur schafft Euer Zunftzwang. Was seid Ihr besseres als jene? Warum soll ich für die höchsten Gefühle, für Liebe und Freundschaft, nicht meine eigenen Wege gehen? Und wolltet Ihr's mir zehnmal verbieten, ich bin kein Kind und wähle selber!«

»Gut, wähle – deiner Eltern Haus, Herz, Erbe, oder sie – beides zugleich ist unmöglich. Du wirst mein Wort einlösen – wirst dich noch heute mit Barbara verloben.«

Franz, dem nie ein strenger Wille entgegen getreten war, steifte sich unter diesem plötzlichen Zwange nur noch mehr. Maßloser Zorn kam über ihn, das bunte Muster der Decke tanzte vor seinen Augen. Er sah alles in Feuerfarben. Sein Blick fiel auf den grinsenden Weiberkopf der Schlange am Leuchter. Sie schien ihm der verhaßten Barbara Züge zu tragen. Mit einem zuckenden Griff packte er das schöne Gerät, die Lichter fielen herab, er schwang den Armleuchter wie eine Waffe um den Kopf – da stürzte mit lautem Angstschrei die kleine Bürgermeisterin von ihrer Estrade herbei und hob die Hände flehend zu ihm auf.

Franz schmetterte das Kleinod auf den Estrich. »So will ich Eure Schranken und Gesetze niederwerfen! Ist Lüneburg so schwach, sich Euer Regiment gefallen zu lassen – ich bin's nicht. Wille gegen Wille, mich zwingt Ihr nicht. Treibt Ihr mich von Euch, so werfe ich allen Euren Prunk hinter mich und stehe als Euer Feind auf der andern Seite! –« mit diesen Worten wandte er sich kurz und wollte fortstürzen. Die Mutter umklammerte seinen Arm und hängte sich an ihn:

»Bleib', Franz, bleib'! Gieb deinem Vater ein gutes Wort – o mein Einziger, bringe keine Schande über uns – verlaß nicht deiner Eltern Haus! Komm', komm'. Und du Töbing, sei nicht hart mit ihm. Die Verlobung kann ja noch anstehen. Versöhnt Euch. Hier, gebt Euch die Hände, wir haben ja doch einen guten Sohn. Laßt erst die Huldigung vorbei sein, laßt niemand Euren Zank merken. Wie würden die andern hohnlachen! Nein, das darf nicht sein! Wartet es ab, es wird sich alles zurechtfinden.«

So brachte die geängstigte Frau etwas wie eine Versöhnung zu stande. Die Männer hatten sich mit abgewandtem Gesicht die Hände zusammenführen lassen und unverständliches, das die Mutter für Zustimmung nahm, gemurmelt. Dann verließ Franz düsteren Angesichts das Gemach.

»Treib' ihn nicht von uns, Mann,« bat Frau Hanne, den erzürnten Gatten umschmeichelnd. »Wir haben ja nichts Besseres als ihn und du weißt, er könnte leicht Schlimmes thun, da er immer ein Tollkopf war.«

»Witzendorff hat mein Wort und ich werde es einlösen. Wie kann unser Sohn sich feindlich gegen uns – gegen Gesetz und Ordnung – stellen? Es muß alles geschehen, diese unverschämten Brauersleute, die ihn umgarnen, in Schranken zu halten, und an mir soll's nicht fehlen. Ich will Franz zeigen, daß ich noch fest auf meinem Recht stehe, als sein Vater ihm den Weg zu zeigen!«


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