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Siebzehntes Kapitel.

Endlich waren die hundert Mann, welche der Hauptmann um sich versammelt und dem Rate der Stadt in Sold gegeben, unter Führung ihres Leutnants und des Fähnrichs Holt in Lüneburg angekommen. David Stern hatte sie sogleich besichtigt und für ihre Unterbringung in der Reitendendiener-Gasse gesorgt. Holt sollte, wenn aller Dienst abgethan war, kommen, um das Nähere über den Marsch seinem Hauptmanne zu melden. Der Fähnrich ließ andeutungsweise, unter Wichtigthun, merken, daß es Abenteuer zu berichten gebe, mit denen er überraschen könne, und die er ausführlich erzählen wolle.

Obwohl David Stern seinen Untergebenen etwas über die Achsel ansah, wünschte er doch jede Kleinigkeit vom Marsch zu hören und befahl, jener solle ihn, sobald das Nötigste gethan sei, in seiner Wohnung aufsuchen. Dann ging Stern, zufriedener als bisher, nach Hause.

Er traf Andreas, den schönen Sommernachmittag genießend, auf einer Bank neben der Hausthür an seiner Schwester Seite. Ein Krug Bier stand auf dem Tische. Als David eintrat, legte Seutemine sogleich ihre Arbeit nieder und ging ihrem Manne entgegen. Wie demütig freundlich sie ihn anblickte und nach seinen Wünschen fragte, wie gut das runde Frauchen noch aussah. Der alte Kriegsknecht fühlte zum ersten Male seit seiner Heimkehr etwas wie Herzlichkeit. Er legte den Arm um sein Weib, das über die Liebkosung erschrak und trat mit einer sonderbaren Grimasse, die wohl Lächeln sein sollte, zu dem erstaunten Andreas heran. »Na Schwäher – ein Tag, wie er dir gefällt; ich will's da auch versuchen, Seutemine, einen Schemel.«

»Andreas rückte sogleich auf der Bank zur Seite und forderte den Langen auf, sich zu ihm zu setzen. Dieser aber sagte, er brauche keine Stütze für den Rücken, er reite lieber, und als er steif auf dem rasch von ihr geholten Schemel saß, mußten die andern erkennen, daß nur dies für ihn passe. Seutemine hatte auch sogleich frisches Bier aus dem Turmkeller herbeigeschafft, dem David eifrig zusprach und so hob sich seine Laune immer mehr.

»Wie steht es denn mit deinen alten Flausen, Andreas?« fragte David, seinen bierfeuchten weißen Bart wischend, mit herablassender Neckerei. »Ich denke, seit der tolle Pfaff da drüben tot ist, bist dir vernünftig geworden. Im Alter kommt die Einkehr.«

»Im Gegenteil, Schwager,« erwiderte Andreas mit dem Mute der Überzeugung, während seine alten Augen begeistert aufleuchteten, wie immer, wenn von seinen übersinnlichen Lieblingsgedanken die Rede war. »Im geraden Gegenteil, David. Es ist wie eine Erbschaft von Lukas alles, was uns miteinander zur schönen Gewißheit wurde, um so fester auf mich allein übergegangen.«

Der Kriegsmann schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht recht mehr, wie der Unsinn lautete, daß er aber von der Schrift abwich und mich deshalb ärgerte, weiß ich noch. Wie war's doch? Deine Seele sollte nach dem Tode hier neugeboren werden, statt zur ewigen Seligkeit einzugehen?«

»Ja David, so war's. Und ich getröste mich für den Schmetterling – meine Seele – so sie aus der hinderlichen Puppe schlüpft, die so wenig in diesem Erdenleben leisten konnte, eine bessere Körperlichkeit auf der nächsten Stufe zu finden. Das aber, was ich in dieser beschwerlichen Hülle an Demut, Geduld und Erbarmen mit andern Elenden gelernt habe, soll, so Gott will, meiner Seele unverlierbares Eigentum für alle ihre weiteren Schritte bleiben.«

»'Ne kuriose Meinung,« erwiderte der alte Landsknecht milder als sonst. »Und was denkst du dir für eigentlichen Nutzen dabei, wenn du also die ewige Seligkeit in die Ferne rückst?«

»Ich glaube, es ist die Art, in der Gott das Menschengeschlecht erzieht. Seit undenklichen Zeiten steigen dieselben Einzelwesen zur Reife empor. Immer besser lernt die vielfach geprüfte Seele ihr Werk thun.«

»Man hat doch nach gläubig frommem Lebenswandel Ruhe und ewige Seligkeit verdient, wann sollen wir sie nach deiner Lehre finden?« fragte der Hauptmann noch immer gelassen.

»In der ganzen Schöpfung ist nichts Ruhendes,« sprach Andreas ernst und weit hinaus schweifenden Blicks. »Wo wir Ruhe sehen, ist solche Stockung, Fäulnis, Vergehen. Nur in der Bewegung, im Wechsel ist Leben. Man kann sich die ewige Seligkeit als stilles Beharren, als Genießen und Anbeten kaum vorstellen, es würde allen anderen göttlichen Einrichtungen widersprechen. Wie darf man voraussetzen, daß die Seele, der Kern des Menschenwesens, in jenen nirgend vorkommende Zustand der Ruhe übergeht?«

Der alte Haudegen zuckte die Achseln. »Von dem allen habe ich kein Wort in der Schrift gelesen, und ich kenne sie doch.«

Andreas fuhr unbeirrt in seinem Gedankengange fort. »Wohl ist der bewußtlose Zustand des Schlafens ein Segen Gottes, aber die geheimen Kräfte des Körpers und Geistes weben und arbeiten auch hier weiter. Gleichartig dem Schlaf stelle ich mir den Schritt durch den Tod, und das Dämmerleben einer neuen Kindheit, in das frische Leben der Arbeit an sich und für andere vor. Tod ist Einschlafen; Geborenwerden, Leben, ist anfangs unlustiges, nachher erquicktes Erwachen.«

»Welch' langes Rundum, ehe wir Gott schauen!« rief der Kriegsmann unmutig.

»Wenn ein Steinchen im Strom vielfach umgetrieben, ans Ufer getragen und wieder zurück geworfen wird, so rundet es sich zur glattesten Form. Sag', David« – der Verwachsene legte in seinem Eifer die blasse Hand auf des andern strammen Arm – »hast du einen Verstorbenen gekannt, von dem du solche Vollkommenheit voraussetzen könntest, daß er wie unser Herr Jesus Christus geradesweges in den Himmel und zu Gott gehen dürfte? Wir befinden uns allesamt mehr in einem anfänglichen Grade der Entwickelung, als in einem gottähnlichen.«

»Sollten wir uns hier ohne Lohn mühen?« brummte Stern mürrisch.

Andreas fuhr begeistert fort: »Unser Lohn ist der Fortschritt, den wir erringen, die stille Wonne, dem Guten zu dienen und dem Höchsten immer näher zu kommen. Und treten wir der ewigen Liebe nicht näher, wenn wir – erkennend, daß wir alle schwache Mücken und Eintagsfliegen sind – es lernen, in der gleichen Not Mitleid für einander zu hegen? Du weißt nicht, welch' teurer Verstorbener, welche einst befreundete Seele dich aus den Augen eines fremden Kindes ansieht. Wenn dir ein Elender, ein Leidender begegnet, so weißt du nicht, ob du nicht dereinst in gleicher Gestalt auf Erden wirst zu wandeln haben. Müssen solcherlei Erwägungen uns nicht lehren, teilnehmend und hülfreich zu sein?«

Das war nun dem unter Leid und Kriegsgeschrei alt Gewordenen eine fremde Sprache, und seine scheinbare Geduld würde wohl bald ein Ende genommen haben, wenn nicht eben Peter Holts zierliche Gestalt tänzelnd durch die Gartenpforte gekommen wäre, und die ernste Besprechung unterbrochen hätte.

»Gott zum Gruß, Fähnrich, setzt Euch zu uns,« sagte Seutemine, die, ab und zu gehend, eben wieder aus der Hausthür und dem Gast entgegen trat. Ein zweiter Schemel war bald zur Stelle, auf dem Holt, sich gefällig wiegend, neben seinem Hauptmann Platz nahm.

»Alles in Ordnung?« fragte David Stern barsch.

Peter Holt bejahte, berichtete noch Einzelheiten und kam dann, während Andreas sich schwer ins Alltägliche zurückfand, und seine Schwester mit der Arbeit still neben ihm saß, nach Davids Befehl, auf seine Reiseerlebnisse.

»Von unserem Aufbruch aus Ülzen meldete ich Euch schon das Nötige, hochachtbarer Herr,« begann der Fähnrich. »Als wir nun so um Bienenbüttel herum vorrückten, sahen wir auf dem schandbar tiefgeleisigen Heidewege, der alten Handelsstraße, ein blaues Bretterwägelein mit müden Gäulen langsam vor uns dahinrollen. Außer dem Fahrknecht saßen ein Mann und ein Weib auf selbigem Wägelein. Die wenig belebte Straße in der öden Gegend bot keinerlei Unterhaltung, so schenkte ich dem Gefährt vor uns, dem wir immer näher kamen, etwelche Achtsamkeit. Ich dachte daran, ob die da unter dem flatternden weißen Kopftuche jung und schön sein möge, und beschloß, es zu ergründen.«

»Noch immer derselbe Hans Narr,« brummte David Stern in den Bart. Der Fähnrich, welcher eine Beifallsbezeugung herausgehört haben mochte, neigte befriedigt die Stirn gegen seinen Vorgesetzten und fuhr lebhaft fort:

»Wir ritten an einem Föhrenkampe entlang, der weiterhin schroff abschnitt; als das blaue Wägelein an diese Lichtung kam, brach plötzlich ein Trupp Berittener von etwa zwanzig Mann – ich ersah sogleich, daß es Schweden waren – mit Geschrei hinter der Waldecke hervor auf die Landstraße und umringte das Fuhrwerk. Ihr kennt mich, Hauptmann. Tapfer war ich stets, und Bedrängten beizustehen ist des Wehrhaften Pflicht.«

»Hundert gegen Zwanzig – ist großartig tapfer,« lachte Stern nichtachtend.

»Ich und einige von uns, die zu Pferde waren, trabten mit bloßen Klingen vor, dem Troß befahl ich Lauftritt, und so befanden wir uns baldigst zur Stelle. Der Mann auf dem Wagen stand aufrecht, erst hatte er zu den Angreifern geredet, jetzt, mich gewahrend, winkte er mir hastig zu. Ich erkannte ihn, es war Pavel Korbelin, der Brauer, Eures Bruders Schwiegersohn, wohllöblicher Hauptmann. Mein Entschluß, ihn aus der Not zu erretten, war felsenfest. ›Lasset die Reisenden ungekränkt!‹ schrie ich dem starken schwedischen Anführer zu, der eben des Weibes Kopftuch herunter gerissen hatte. ›Dies ist unsere Beute, wir waren die Ersten zur Stelle,‹ brüllte er. ›Und eine solch' schöne Jungfer wie diese lasse ich mir nicht entreißen.‹ ›Ihr seht,‹ antwortete ich unverzagt, ›meine Truppe umringt Euch, macht, daß Ihr fortkommt, so Ihr nicht Arges erleben wollt.‹ In der Art ging der Wortwechsel hin und her.«

»›Es ist Oberst Stammer, des Hauptmanns Freund,‹ rief mir einer von den Unsern zu. Der Oberst hatte dies gehört und fragte, ob das die Söldner des alten Stern wären. Ich bejahte und fügte hinzu: ›Seht hier den Mann, der des Hauptmanns Brudertochter zum Weibe hat, eine üble Freundschaft wär's, diesem ein Haar zu krümmen.‹«

»Richtig. Hätt' ihm schlecht bekommen sollen,« brummte David Stern.

»Der Schwede wurde durch mein Zureden zur Besinnung gebracht, er machte noch etliche Einwendungen, überflog mit den Augen unsere drohend dastehenden Leute, streichelte das goldige Haar des Mädchens, das die Hände schamhaft vors Gesicht gelegt hatte, sagte, ich solle Euch grüßen und trabte mit seinem Zuge von dannen. So hatte ich also die Eurigen aus der Gefahr errettet.«

»Ach, das habt Ihr gut gemacht, braver Fähnrich!« rief Seutemine warm. »Korbelin wird mit seiner Schwestertochter aus Celle zurück erwartet. Es ist meiner liebsten Freundin Kind, das Ihr aus jener Angst befreitet. Sagt mir, habt Ihr die kleine Hete Bussen nachher recht gesehen?«

»Und ob, wohlgeneigte Frau! Zwar will sichs kaum schicken, die Schönheit des einen Weibes vor dem andern zu rühmen, dennoch kann ich nicht umhin, den Liebreiz von Korbelins Bäschen zu preisen.«

»Ihr müsset auch die Mutter, meine liebe Hete, noch gekannt haben.«

»Das habe ich, ein hübsches, feines Jüngferlein. Auch den rothaarigen Herrn Tobias Bussen lernte ich dazumalen in der Huldigungszeit kennen. Die junge Hedwig bedünket mich aber noch schöner. Sie hat statt der dunklen Zöpfe ihrer Mutter goldbräunliches Haar und eine Haut so weiß und rot wie Apfelblüten, sonst gleichet sie der schlanken Hete Korbelin merklich.«

»O, wie mich darnach verlanget, sie an mein Herz zu schließen!« sprach Seutemine innig.

»Meister Korbelin hat mir erzählt,« fuhr Peter Holt, vertraulich zu der Frau seines Hauptmanns geneigt, fort, »daß Jungfer Bussen eine reiche Erbschaft eingeheimst hat. Wer weiß, ob ich mich nicht dermaleinst als Freier melde. Ein holderes Weib dürfte ich doch schwerlich finden.«

Seutemine nickte zufrieden, ihr Mann aber rief: »Ein Faselant seid Ihr mit Euren 46 Jahren, Holt. Immer auf Freiersfüßen und nie am Ziele.«

»Wer weiß, ob ich jetzt nicht Ernst mache. Ich bin ganz vernarrt in die blütenweiße Dirne.«

»Vorläufig versäumt mir nicht den Dienst darüber,« sprach der Hauptmann streng. Dann sich erhebend, fuhr er fort: »Kommt, ich will noch einmal sehen, ob alles bei der Mannschaft in Ordnung ist.« Die beiden Kriegsleute verließen den Garten.

Als die Beiden gegangen waren, stand Andreas auf, um sich in seinen Turm zu begeben. »Ich möchte auf ein Weilchen zu Korbelins laufen, um das Hetekind zu sehen,« meinte Seutemine mit unsicherem Blick auf den Bruder, sie fürchtete immer etwas zu thun, was andern nicht paßte.

»Grüße sie von mir, auch ich hatte ihre Mutter sehr gern,« sprach Andreas und ging ins Haus. Die Frau holte ihr Kopftuch und war bald darauf mit eilig trippelnden Schritten in der Gasse verschwunden.

Wenige Minuten später kamen von der andern Seite zwei Frauengestalten durch die Gasse auf Soltaus Lattenthür zu. Sie traten ein. Es war die junge Frau Bärbe Korbelin mit ihrer Nichte Hete Bussen. Beide gingen ins Haus. Die Magd gab Auskunft, daß Frau Stern nicht daheim sei, aber bald zurückkommen werde.

»Wir warten,« sagte die Brauersfrau und sie begab sich mit ihrer Begleiterin in den Garten. Hier schritten sie eine Weile hin und her, und saßen dann in der Lindenlaube zur Seite des Hauses. Bärbe wurde ungeduldig. »Ich könnte den kleinen Ohm in seinem Turm besuchen,« meinte sie. »Bleib' du nur ruhig hier unten, Kind, ich weiß nicht, ob es unserm alten Andreas recht wäre, wenn ich dich gleich mit hinauf nähme.« Sie ging und die junge Hete blieb allein in der Laube.

Wie fremd und doch wie heimisch ihr alles erschien. Mit wie vielen Menschen sie verwandt war, ohne es zu wissen. Welch ein Glück, daß sie sich wieder in dieser sicheren Obhut befand. Sie hatte von Tibbeke gehört, daß ihre arme Mutter, die sie im stillen über alles liebte, von heißer Sehnsucht nach der Heimat verzehrt worden war, ohne Lüneburg wiederzusehen, nachdem sie einmal daraus hatte scheiden müssen. Es kam Hete vor, als sei nun ein Glück, das die Verstorbene schmerzlich entbehrt, wie ein reicher Segen auf sie gekommen, als lache ihr alles entgegen, als habe sie ein Ziel, einen Port gefunden, in dem sie es sich Wohlsein lassen dürfte. Welch eine Gottesgnade das war!

Die Strahlen der tief stehenden Sonne, längs der Mauer daherglühend, drangen in die Lindenlaube und begannen die Sinnende zu stören. Jetzt hörte sie auch Schritte vor dem Hause. Das mochte wohl die zurückkommende Muhme sein, der sie entgegen gehen wollte. Doch nein – sie war es nicht!

Es war Hans, der nach gethaner Tagesarbeit heimkehrte. Als er in der Lindenlaube ein Frauenkleid schimmern sah, bog er dahin ein, weil er meinte, seine Mutter zu treffen und befand sich zu seiner Überraschung einer fremden, schlanken Jungfrau – welche im grünen Rahmen des Laubeneinganges stand – gegenüber. Die rosigen Strahlen der Abendsonne fluteten über sie hin, er glaubte nie ein solches Menschenbild gesehen zu haben.

Sie standen beide einen Augenblick ganz still und gebannt da –, war's vor freudigem Schreck oder war's vor Staunen –? so sahen sie sich in die Augen und jedes ließ den Blick ein paar Atemzüge lang in dem des andern ruhen. Dann senkte das Mädchen beschämt die Lider, und wandte den Kopf ein wenig zur Seite. Die Sonnenstrahlen hinter ihm blendeten sie zu sehr. Er aber that einen raschen Schritt auf sie zu und ergriff ihre Hand. »Wer seid Ihr, liebe Jungfer?«

»Ich bin Hete Bussen aus Celle,« sagte sie schüchtern. »Meine Wase Korbelin ist zu Meister Andreas gegangen, sie meinte, ich dürfe hier warten, bis Frau Stern –«

»Das ist meine Mutter. Ich bin Hans Stern, der mit Korbelin in Celle und beim Herzoge war. O ich hätte Euch schon damals sehen können!«

Seutemine eilte eben um die Ecke und lebhaft auf die Neuangekommene zu. Da war ja das Hetekind! »Ja du bist's – meiner liebsten Freundin Tochter – laß dich ordentlich ansehen – wie schön du bist – wie schlank – ebenso groß war sie! Doch Haar und Haut sind lichter – sie hatte selten solche Rosenwangen. Laß dich umarmen, mein liebes, liebes Kind!« Die kleine Frau schüttete alle ihre Innigkeit und Wärme über das junge Geschöpf aus und drückte es wieder und wieder an ihr mütterliches Herz.

Mit unnennbaren Empfindungen stand Hans daneben. Wie war ihm denn? Er mußte das Mädchen, so sehr er sie anstaunte, schon einmal ebenso gesehen haben. Ganz bekannt und wie die Erfüllung eines süßen Traumes erschien ihm die Fremde. Das unbeschreibliche Gefühl, welches seine Brust füllte und weitete, ließ ihn wie in einem Schwindel dastehen.

Bärbe war wieder herbei gekommen, sie hatte einen Gruß von Andreas ausgerichtet und alle drei Frauen waren im Hause verschwunden. Hans hätte folgen können, aber ein Bann lag auf ihm, er zauderte, in Gedanken versunken. Wie grau und dämmerig es im Garten geworden war. Ach, die Sonne stand hinter dem Walle, ging wohl gar unter, er hatte gedacht, mit Hete sei aller Glanz verschwunden.

Gerüchte vom Herannahen schwedischer Heereshaufen, welche in nächster Zeit Rat und Einwohner der Stadt schreckten, nahmen bald alle Gedanken in Anspruch und ließen eigenes in den Hintergrund treten. Ein strenger Wachtdienst auf den Wällen wurde eingeführt, den die Söldner allein durchaus nicht leisten konnten. Von alters her war die Verteidigung Pflicht der Bürger, jede Zunft hatte ihr Wallstück, ihre bestimmten Türme und Geschütze. Den Kagelbrüdern, zu welchen sich der Buchdrucker Stern mit seinen Leuten hielt, gehörte der Wall zwischen dem Sülz- und dem Rotenthore.

Hans führte hier die Bürger und somit war das Feld seiner Thätigkeit nahe am Hause. David Stern, der als Stadthauptmann über den ganzen Walldienst den Oberbefehl hatte, war sehr beschäftigt und ließ sich nur zu den nötigen Ruhestunden bei seiner Frau sehen.

Hete Bussen, durch den herzlich mütterlichen Empfang Seuteminens beglückt, hatte sich oft im Garten bei der kleinen liebreichen Frau eingefunden. Das Mädchen half bei allen häuslichen Arbeiten, zu denen sie von der gestrengen Tibbeke wohl angehalten worden war, und saß dann, mit ihrer Handarbeit beschäftigt, neben der Freundlichen und Ohm Andreas im Grünen. Wenn Hans vom Wall oder der Druckerei nach Hause kam, fühlten alle mit einem unbestimmten stillen Wohlbehagen, daß die Kette der innerlich Zusammengehörigen geschlossen sei. Wie ein frischer Luftzug drang alsdann das, was der für das Wohl der Stadt Thätige zu erzählen wußte, in die stille Beschränkung der anderen, während sie seine Sorge, seine Erregung und den Hochflug seiner Gedanken zu mäßigen verstanden.

»Was giebt es heute für Kunde von außen?« fragte Andreas besorgt, als Hans sich, offenbar müde und erregt, zu den dreien gesetzt hatte.

»Die beiden Heereshaufen der Schweden sollen, unsern Kundschaftern nach, heran rücken,« erwiderte Hans, sich die Stirne trocknend. »Es können keine kleinen, versprengten Korps mehr sein. Das lange Befürchtete wird zur Wahrheit werden. Die ganze Umgegend ist von Durchzügen ausgesogen und verwüstet. Und wir, obgleich schon vielfach heimgesucht, sind immer noch ein fetter Bissen für jene hungrigen, zuchtlosen Scharen.«

»Du glaubst also wirklich, daß es diesmal zu einer Belagerung kommt?« fragte Andreas ernst. Beide Frauen richteten ihre angstvollen Blicke auf Hans. Es wurde ihm schwer, die Zaghaften noch mehr zu beunruhigen und er antwortete also ausweichend, daß man nicht wissen könne, was geschehe, und daß vielleicht Herzog Georg ihnen zu Hülfe kommen werde.

»Er, der sich den Papisten zugewandt, hat in einer gut evangelischen Stadt nichts zu suchen,« sprach eine harte Stimme: David Stern war unbemerkt zu den Seinen herangetreten und nahm auf dem von ihm beliebten Schemel steif und gerade Platz.

Hans, der erst emporgefahren war, setzte sich auf einen bittenden Blick der Mutter auch wieder, dann sahen sich einen Augenblick Vater und Sohn feindselig in die Augen.

»Herzog Georg von Lüneburg steht ganz gewiß auf denselben gut lutherischen Glaubensgrundsätzen, wie wir,« sprach jetzt Hans in beherrschtem Ton. »Ein solcher Mann, der Verteidiger Niedersachsens, hat aber umfassendere Pflichten als die, seiner eigenen Meinung zu folgen.«

»Höhere Pflichten, als dem Evangelium zu dienen, giebt es für keinen Christenmenschen,« sagte der alte Glaubenskämpfer streng.

»Die Schweden sind seit dem Tode ihres großen Königs bei Lützen zügellos. Sie sind eine Plage für unser Vaterland geworden. Wenn zwei in einem Hause sich schlagen und ein dritter kommt dazu, der ihnen Hab und Gut davon trägt, werden beide sich erst gegen den dritten stellen und nachher ihren Streit miteinander aufnehmen.«

»Das sind alles Flausen und Spiegelfechtereien,« fuhr David auf. »Hie Luther! – hie Papst! ein anderes Feldgeschrei sollte es in unserer Zeit nicht geben. So jeder das Seine sucht, gerät die Hauptfrage in Vergessenheit. Ich habe mich von Georg losgesagt, als er zum Kaiser trat und der guten Sache abtrünnig wurde, und ich halte es mit den streng evangelischen Schweden.«

»Und müßt doch,« entgegnete Hans jetzt gleichfalls heftig, »sollte es zu einer Belagerung kommen, die Stadt mit allen Kräften gegen sie verteidigen.«

»Ja,« sagte Stern fest, »leider muß ich das. Ich habe dem Rate meinen Degen verkauft, ich kann, so meine Frist abgelaufen ist, ausscheiden, wie ich schon früher gethan habe, aber so lange ich im Dienste der hochmögenden Herren stehe, folge ich ihrem Befehl. Wollen sie aber meine Meinung, so werde ich immer sagen: ›schließet den Katholischen und ihren Freunden die Thore und öffnet sie den Evangelischen.‹«

So war nicht allein die Frage um das Stadtregiment, sondern auch die um Lüneburgs Stellung zu den äußeren Machthabern eine streitige zwischen Vater und Sohn.

Eine andere Persönlichkeit, die manchmal in den kleinen Kreis herein wirbelte, und nicht weniger als der Hauptmann eine leise Verstörung in die Gemüter brachte, war die heitere Ursel. Sie wollte nichts von den städtischen Verhältnissen, von den Sorgen, welche die Menschen in dieser bangen Zeit bedrückten, wissen. Sie blieb immer dieselbe Unbekümmerte, munter Tändelnde. Einigen mochte sie mit ihrer Eigenart Zerstreuung bringen und wohlthun, anderen erschien sie bei der Lage der Dinge wie ein lebender Widerspruch, ein verletzender Mißton und zu diesen gehörte der kleine Kreis in Soltaus Garten.

Hete blickte mit großen, erstaunten Augen auf die lustige kleine Frau, die Hans wegen seiner bedenklich langweiligen Schweigsamkeit aufzog, Seutemine neckte, ihr Mann, der Eisenfresser, sei ja auch ein halber Schwede, die mit Ohm Dras auf dem Rasen tanzen wollte und endlich meinte, man könne an Hete wohl noch sehen, daß ihr Vater, wie sie gehört, brandrotes Haar gehabt habe.

Bei dieser spöttisch vorgebrachten Bemerkung fuhr Hans, der ihr bis dahin gleichmütig geantwortet hatte, auf, und rief: »Nur der blasse Neid kann behaupten, daß Jungfer Bussens Haar häßlich sei, es sieht fast aus wie gesponnenes Gold, nur dunkler.«

Ursel wiegte unter schalkhaftem Lächeln das Köpfchen, sie legte den Finger an die Nase und fragte schnippisch: »und wo hätte ich behauptet, daß Haar, das fuchsig schimmert, unschön wäre?«

»Es lag bei dir im Ton und Blick,« sagte er unmutig, »und nur schien's, als ob du der freundlichen Jungfer Unglimpf anthun wolltest.«

»O, wie ist das wieder ernsthaft und ärgerlich herumgedreht! Was hast du nur, mein gutes, liebes Hanseke? Ich sollte mit dir schmollen, daß du Arglistigkeit in meinen harmlosen Worten siehst.«

Er reichte ihr die Hand hinüber, sie schlug leicht dagegen, sprang auf und sagte: »Kommt, Jungfer Hedwig, er ist nicht brav, wir wollen als gute Gesellinnen mit solchem nichts zu schaffen haben und fröhlich selbander durch den Garten schlendern. Hat er sich besonnen, so kehren wir zurück, und ich wende ihm meine Gunst wieder zu, ohne die ihm doch nicht wohl ist,« – sie warf das Näschen auf, nahm Hetes Arm und zog diese, die mehr erschrocken, als erfreut aussah, mit sich fort.

»Was hat die Ursel, sie ist so launisch und übermütig?« fragte der ernsthafte Andreas, der seiner Nichte weniger nahe stand, als Seutemine.

Die Mutter blickte ihren Sohn liebevoll an, sie wollte etwas sagen, mußte aber ein paarmal dazu ansetzen, ihre Zunge schien nur ungern auszusprechen, was sie dachte.

»Sollte Ursel – eifersüchtig sein?« flüsterte sie endlich.

»Eifersüchtig? Auf die junge Hete?« fragte Andreas in seiner arglosen Treuherzigkeit, ganz überrascht von der Schwester Vermutung.

»Sie will überall die einzige Schöne und gern Gesehene sein,« sagte Hans bitterer, als er wollte und erschrak dann im innersten Herzen vor seinen eigenen Worten. Mußte sie, die er tadelte, ihm denn nicht immer und neben jeder andern die Schönste und Liebste bleiben? Und war sie es ihm in den letzten Wochen noch gewesen? Ein blendendes Licht zuckte durch seine Seele. Jäher Schrecken befiel ihn, er sprang empor; er konnte in diesem Augenblicke keine der beiden, deren hellfarbige Gewänder er drüben zwischen dem Grün schimmern sah, wiedersehen, konnte Ursel's Scherzreden nicht anhören. Sie hatte sein Wort, es lag ihm fern, an dem Bindenden zu rütteln, aber jetzt mußte er mit sich ins Klare kommen, mußte er allein sein.

Er sagte, er habe noch auf dem Walle zu thun und verließ eilig den Garten. Das Treppchen am Thor war bald erreicht und der Wall erstiegen. Die Wachen befanden sich auf ihren Posten, er kümmerte sich nicht um sie, die äußeren Lebensverhältnisse, so wichtig sie ihm sonst dünkten, lagen ihm augenblicklich fern, jetzt war er von anderen Gedanken erfüllt. Er lehnte an einem der kleinen Wachttürme und hielt Einkehr bei seinen heimlichsten Empfindungen.

Zerstreut durch die vielen Anforderungen der letzten Zeit hatte er seine Gebundenheit vergessen und sich dem zauberhaften Eindruck überlassen, den die junge Hete vom ersten Augenblicke an auf ihn ausgeübt. Ja, es war in der That ein seliges Vergessen alles andern gewesen! Wie lieb sie ihm sei, wie er sich in ihrer Nähe wohl – befreit – losgebunden von aller Not und Sorge gefühlt, wie sie es war, die sein Herz singen und frohlocken ließ, alles dessen wurde er sich erst jetzt bewußt.

Wie war's gekommen, und wie war es nur möglich, daß die, welche er erst so kurze Zeit kannte, ihm schon so unsäglich teuer war? Verblaßt stand Ursels Bild in seiner Seele. Ihr neckisches Spielen reizte ihn nicht mehr, für ihre Anmut hatte er kaum noch ein Auge! Nur Hete sah er im Goldglanz ihrer jungen Schönheit, sie, die ihm vom ersten Augenblicke an in sonniger Verklärung erschienen war, und mit der er sich unweigerlich zusammen gewachsen und verbunden fühlte.

Aber diese jetzt ganz deutliche Empfindung sollte ihn nicht irre leiten zum Verkennen dessen, was die Pflicht forderte. Er mußte und wollte seiner Base treu bleiben. Sie sollte nie fühlen, daß er sie nicht mehr liebe. Daß er sie überhaupt nur wie eine Schwester geliebt, wußte er jetzt, nachdem er ein wärmeres Gefühl kennen gelernt, ganz genau. Bald, wenn sich die friedlichen Felder, welche sich dort vor ihm ausbreiteten, mit feindlichen Scharen füllten, würde es heiße Kämpfe für die Sicherheit der Vaterstadt geben. Dann mußte er, von Sorgen und Thaten umgetrieben, des eignen Herzens Not überwinden lernen.

Ursel erging sich mit der Fremden auf dem langen Wege an der Mauer. Hier sagte sie, den Arm des Mädchens loslassend und ihr scharf ins Auge blickend: »Verwundert Euch nicht, Jungfer Bussen, über mein mehr als verwandtschaftliches Schönthun mit Hans. Ich will Euch etwas anvertrauen, das Ihr aber keinem sagen dürft, denn in diesen argen Kriegszeiten soll es noch Geheimnis bleiben. Hans und ich sind ein verlobtes Paar, und sobald mehr Ruhe im Lande ist, wird unsere Hochzeit gefeiert.«

Hete griff nach Ursels Arm, ihr war plötzlich ein Schwindel gekommen. Gut, daß sie nahe der Bank am Mauereckchen standen. Sie saßen jetzt nebeneinander und Ursel forschte teilnehmend, was der Gefährtin zugestoßen sei.

»Nicht daß ichs wüßte,« flüsterte Hete. »Aber verzeiht, ich sollte Euch Glückwünsche sagen – gewiß wünsch ich Euch alles Gute, Frau Priggin.«

Sie kehrten miteinander nach dem Hause zurück.

»Du schaust nicht gut aus, Kind,« sprach Seutemine erschrocken, als sie in Hetes Gesicht sah. »Soll ich dich zu Korbelins bringen.«

Ein dankbarer Blick lohnte der Gütigen. Sie gingen miteinander davon.

Als Hans voll guter Entschlüsse vom Walle zurück kam, saß Ursel noch neben Andreas und hatte es richtig durch ihre kleinen Künste dahin gebracht, daß er herzlich lachte. Jetzt flog sie Hans entgegen und tänzelte in alter Weise neben ihm unter Scherz- und Liebesworten umher. Er war mild und freundlich gegen sie, es glückte ihr aber nicht, ein Lächeln auf seine Lippen zu locken.

Einige Tage später, als Hete Bussen ihrer Muhme, der Frau Bärbe Korbelin im Hinterzimmer des Brauhauses gegenüber saß, begann diese vom Glück der Ehe, der Freude an den Kindern und wie schön es sei, ein wohlhäbig Hauswesen mit gefüllten Kammern und Schreinen unter sich zu haben, breiter als die schwerfällige Frau es sonst liebte, zu reden. Hete, die seit einiger Zeit bedrückt und zerstreut war, hörte nur halb zu. Endlich sagte Frau Bärbe:

»Da ist einer, jung Heteke, der sein Auge auf dich geworfen hat. Ist einer schon in achtbaren Jahren, doch noch jugendlich; wohlbekannt und angesehen in der Stadt seit langer Zeit, wenn auch kein Lüneburger Kind, doch das bist du auch nur von Mutters Seite, armes Dirneken. So du hier den achtbaren Mann gewinnen könntest, möcht' ich's für ein rechtes Glück erachten« – der langsame Redefluß stockte, und das Mädchen blickte überrascht und gespannt in das volle, gleichmütige Gesicht der behäbigen Frau.

»Wen meinet Ihr, Frau Wase,« fragte die leicht Errötende.

»Er ist ein schmucker Mann, den alle Weiber gern haben, der Fähnrich Peter Holt, und durch seinen Hauptmann gehört er sozusagen zu unserer Sippschaft. Auf der Reise ist er dir und meinem Manne zu Diensten gewesen, und Korbelin meint, du würdest dich wohl für ihn schicken und müßtest ihm recht dankbar sein, daß er dich befreit hat, der großmächtige Schweden-Oberst hätte dich sonst sicherlich weggeschleppt.«

»Deshalb sollte ich ihn nehmen?« fragte Hete verwundert.

»Ja, und auch weil du nicht zu kurz kommst, so du ihn freist. Manch' eine würde dich beneiden.« Als das Mädchen sie erschrocken ansah, fuhr die Frau eintönig fort. »Mußt nur bloß nicht glauben, Kind, daß wir dich aus dem Hause los sein möchten. Ne, ne, dein Kämmerlein stand doch leer und Platz am Tische ist auch, aber mal mußt du doch freien, und solch 'nen netten Mann kriechst du nicht alle Tage.«

»Ich kann es nicht, liebwerte Muhme, Ihr« – die tief Bewegte stockte, faßte sich ein Herz und fuhr fort – »Ihr seid doch wohl so gut, mich noch ein wenig zu behalten?«

»Na, weißt du, jung Hete, es ist besser, wir sagen ihm, Du willst dir's bedenken. Das ist schicklich für ein züchtig Mägdelein und wer weiß, ob dir nicht doch ein anderes Besinnen kommt. Es ist mancher Dirne schon also ergangen. Er sitzt allein vorn im Herrenstüblein beim Kruge und lauert auf, was ich ihm für 'nen Bescheid bringe, ich will nur machen, daß ich hin komme.« Bärbe verließ das Zimmer.

Nie in ihrem jungen Leben hatte die arme Hete sich so verlassen und heimatlos gefühlt, wie jetzt. Von der gestrengen Frau Tibbeke war scheinbar auch nicht viel Liebe an sie verschwendet worden. Die Waise hatte aber doch immer gefühlt, daß sie fest dazu und ins Haus gehöre und die Erbschaft hatte die Zuversicht, der Alten lieb gewesen zu sein, bestätigt. Erschien es ihr nun auch hier –, in der nie gesehenen Mutter Heimat – traut und wohlbekannt, so fühlte sie, sich doch mit Bärbe nur lose verbunden. Die Engherzige trug es ihr nach, daß sie nicht voll und ganz ein Lüneburger Kind war und hätte gewiß die fremd Zugezogene gern weiter geschickt. Wenn sie doch bei der lieben Seutemine ihr Obdach hätte finden können. Aber das durfte nicht sein, nun und nie konnte das geschehen! Sie legte das Gesicht in beide Hände und weinte bitterlich.

Als Bärbe vorn ins Trinkstüblein trat, staunte sie sehr, ihre Schwester Ursel dem Fähnrich gegenüber zu finden.

Die muntere Witib war bald nach Holt ins Haus gekommen, sie hatte ihn in der offenen Thür des leeren Gastzimmers gesehen. Anderer Besuch war in dieser Tagesstunde kaum zu erwarten, so hatte sie der Versuchung nicht widerstehen können, zu ihm hinein zu schlüpfen und mit ihm zu schwatzen. Die zu ihrer eigenen Unterhaltung gespielte Übellaune wegen des Fastnachtballs war lange verflogen. Sie setzte sich zu dem dereinstigen Bewerber und begann in ihrem heiteren Ton eine jener neckenden Plaudereien, wie sie ihm so sehr nach dem Sinne waren.

Holt konnte den Grund seines einsamen Harrens nicht lange für sich behalten; er sprach in warmem Lobe von jung Hetekes Schönheit und mit demselben Entzücken von ihrer Erbschaft. »So bin ich denn, liebenswerte Priggin, zu dem Entschluß gelangt, in eure Sippe zu freien,« fuhr er fort, »Frau Bärbe Korbelin ist eben daran, für mich zu werben.«

»Sieh, sieh,« hatte Ursel überrascht geantwortet, »was man nicht erlebt.« Es fuhr ihr dabei durch den Sinn, wie sie den stets Verliebten foppen, aufs neue seinem Plane abwendig machen und mit seiner Unentschlossenheit ihr Spiel treiben könne. Zugleich war es ihr immer willkommen, eine andere Schöne zu verkleinern. Und so fuhr sie mahnend fort: »So billig wollet Ihr Euch ausliefern, und Euch ein für allemal unter die langweiligen Ehemänner begeben? Schier sollte mich's wundern, da kaum ich Euch gut genug gewesen, die ich doch dreimal so viel habe, als jene. Denkt nur daran, was wir vor dem Maskenfeste besprochen. Wird das unter den Jungfern dieser Stadt Thränenfluten und greulichen Neid geben! Na, überlegt's Euch und vergeßt auch nicht, daß rotes Haar auf keinem guten Boden wächst!«

»Hat sie das, hochlöbliche Priggin?« fragte Holt erschrocken und irre gemacht.

»Thut nur die Augen auf, so seht Ihr's gleißen und flackern; hübsch ist das arme Ding doch garnicht!«

»Na, wenn ich Euch haben könnte, Allerschönste,« meinte der Fähnrich mit verliebtem Blinzeln.

In diesem Augenblicke war Frau Bärbe eingetreten. Während die ungleichen Schwestern sich kühl begrüßten, zeigten die trägen Lippen der Brauersfrau gegen Holt ein verlegenes Lächeln.

»Sprich nur mit ihm, ich weiß Bescheid,« nickte Ursel.

»Das Mädchen schätzt Euren ehrbaren Antrag und will selbigen in Überlegung nehmen,« stotterte die Frau, »sintemalen sich's kaum schicken würde, so ein solch' junges Jüngferlein allzu hastig nach der Ehe verlangte.«

Der Fähnrich atmete auf. »Wollet gestatten, großgünstige Frau –« erwiderte er, »daß ich ebenso gesonnen bin. Weßmaßen ich Euch ersuche, auch mir noch Bedenkzeit bewilligen zu wollen!«

Ursel that sich keinen Zwang an, sie lachte Holt gerade ins Gesicht, was dieser für freundliches Entgegenkommen nahm und mit süßem Grinsen beantwortete. Es war Ursel wieder eine Schelmerei geglückt und so schlug sie heimlich ein vergnügtes Schnippchen.


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