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Zehntes Kapitel.

David Stern war unwirsch und steifer denn je von seiner Reise nach Celle zurückgekehrt. Während des Reitens waren seine Gedanken oft nach Dänemark geeilt – wie mögen sie da Krieg führen? – Das Meer – eine Seefahrt – Kopenhagen. Hei, wer frei wäre! Nun konnte er sich in die heimischen Verhältnisse nicht einfinden und sah alles verdrossen an.

Vergebens gab sich Seutemine alle Mühe, ihren Gatten zu erheitern. In ihr waren eitel Glück und Sonnenschein; sie sollte bald ein süßes Kind besitzen und freute sich mit allen Kräften ihres zärtlichen Gemütes darauf. Daß dies Glück dem lieben närrischen David nicht so ganz einzugehen schien, war ihr verwunderlich. »Warte nur,« hatte sie, ihn liebkosend, manchmal gesagt, »wenn unsere Hoffnung in Erfüllung gegangen ist, wirst du's schon lernen, dich mit mir zu freuen.« Nun hatte er, der immer hinaus verlangte, eine Reise nach Celle an den Herzogshof gemacht und kam grilliger, als er gegangen, zurück. Ja die Männer waren sonderbar! Nur ihr guter Andreas blieb immer zufrieden. Etwas nachdenklicher war er freilich auch geworden, seit der Junker, der Herzensfreund, fort war. Ach, sie entbehrte ihre Hete ja auch und konnte also den Bruder wohl begreifen.

Am Abend nach seiner Rückkehr saß David seinem Schwager Andreas im Wohnzimmer bei einem Kruge Bier am Mitteltische gegenüber. Mine nähte mit stillem Lächeln ein kleines Mützchen, das sie manchmal über ihre geschlossene Hand paßte.

Der Heimgekehrte hatte gleich beim ersten Wiedersehen flüchtig von seiner Begegnung mit Töbing erzählt, nun kam Andreas darauf zurück und fragte besorgt nach dem Freunde. David Stern war nicht gut auf ihn zu sprechen; er schalt über die Not, welche Töbing der Stadt bereite und äußerte die Meinung, daß ein unruhiger Tobegeist in dem Verbannten stecke, den fern zu halten die wohlweisen Väter der Stadt gut thun würden, sintemalen Friede ernähre und Unfrieden verzehre.

»Auch ich fürchte, er würde nicht Frieden halten, ich kenne seine unruhige Seele,« entfuhr es, fast wider Willen, dem Freunde.

»Drängt ihn die Sündhaftigkeit des natürlichen Menschen zur bösen That, muß er tapfer und mit Gottes Hilfe widerstehen,« entgegnete David streng.

»Es ist sicherlich die fürnehmste Aufgabe seines Erdenganges, Versuchungen, die in ihm liegen, sieghaft zu bestehen,« sprach Andreas sinnend. »Allein das Wesen der Menschen ist unterschiedlich gebildet. Wir können nicht wissen, wie schwer jeder mit Begehrungen oder den Bleigewichten der Unterlassungssünde kämpft. Ich habe nie das Bedürfnis gefühlt, mit dem Sülfmeister-Regiment zu ringen, oder wie du auf Abenteuer in die Welt zu ziehen, aber ich weiß, daß wir allzumal Sünder sind und mangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollten.«

»Ich kann nicht zugeben, daß man die Sünde mildiglich anschaut. Gottes Gebote stehen da. Ewige Seligkeit und ewige Verdammnis locken und dräuen. So möge der Mensch hier fürsorgen, damit er jenseits bestehe.«

»Gott wird nicht nach der einen kurzen Prüfung dieses Erdenganges für Ewigkeiten entscheiden. Wie verschieden ist die eingeborene Lage einer Seele, wie verschieden werden ihr Förderungen zu Teil oder treten Versuchungen an sie heran. Bittere und Kurzsichtige sprechen Gott die Gerechtigkeit und Güte ab. Ich getroste mich des wundervollsten Ausgleiches auf einer anderen Stufe meiner Seelenbahn. Das Leid, so wir hier erfahren, stammt zumeist von unserm Unverstande. Wir brummen und stürmen wider die Schranke, die wir nicht sehen, wie die Fliege ans Glasfenster, wir stoßen uns hart und schelten, daß nicht Freiheit ist, wo wir meinen, sie müßte sein.«

»Aber wir haben doch Gottes Wort und Offenbarung, uns den Weg zu weisen; so wir abweichen, geschieht es uns recht, Strafe zu erleiden.«

Andreas lächelte mild. »Ich hoffe besseres. Wie sollte Gott durch das Ungemach, auf Menschenart, strafen wollen? Alles Böse und Gute, was wir erfahren, kann nur ein Mittel zur Erziehung unserer Seele sein. Unser Wachsen und Werden hat kein Ende. Selbst dem Greise kann jeder Tag noch zum Lernen und innerlichen Gedeihen helfen. Und wird mit dem Abend der Tag abgebrochen, so kommt ein neuer Morgen zum Weiterstreben. Es kann nach diesem kurzen Erdengange unsere Rechnung noch nicht abgeschlossen sein. Der Tod ist nur der Übergang zur neuen Prüfungszeit und bei Gott sind wir nicht eher, als wenn wir ihm ähnlicher geworden sind, als es in diesem Leben geschehen kann. Seine Allweisheit wird noch höhere Stufen für uns bereit halten, als wir in dieses Lebens Banden erklimmen können. Werden nicht auch die Völker eines nach dem andern aus Rohheit und Barbarei zur Gesittung erzogen? Die Völker aber bestehen aus Menschen, also sind es diese und ihre stufenweise höher gewachsenen Seelen, welche den Fortschritt bringen.«

»Es herrschen allerwegen noch Irrlehren, Sünden und Schandthaten genug!« sagte David gereizt und legte sich breit auf den Tisch, den milden Schwager ihm gegenüber scharf anblinzelnd. »Und die, so schlaffe Nachsicht üben, wissen warum. Ihrem Glaubensmangel denken sie ein Mäntelchen umzuhängen, indem sie fünfe gerade sein lassen.«

»Für uns scheint der Fortschritt alles Irdischen nur langsam zu gehen; und doch wie schnell mag es sein, mit dem Begriff der Ewigkeit gemessen. Jede Uhr hat ihre Hemmung und braucht sie auch. Also geschieht es, daß wir nicht geradeswegs auf das Gute gehen, und daß Überschreitungen uns hindern.«

»Mir scheint, du willst solche gar entschuldigen?« Der Landsknecht schlug auf den Tisch. »Ich will keine Grübeleien und Spitzfindigkeiten. Ich will nur mein schlichtes Christentum und gehe stracks nach Gottes Wort, wie Doktor Martinus es uns dargelegt. Alles was darüber hinaus drängt, ist vom Übel. Lasset euch nicht mit mancherlei und fremden Lehren umtreiben, sagt St. Paulus.« Er hatte sich selbst in Zorn geredet, sprang empor und schritt erregt auf und ab. »Soll man hier noch Schaden an seiner Seele erleiden,« murmelte er zwischen den Zähnen, »wohl gar heidnische Gesinnungen annehmen?« Ohne eine Gutenacht wandte er sich und ging in das Schlafzimmer.

Mine blickte ihm erschrocken nach. Sie legte eilig ihre Arbeit zusammen und küßte, wie sie jeden Abend that, Andreas, der sich erhoben hatte. Dieser verließ mit betrübtem Kopfschütteln das Wohngemach und begab sich in seinen Turm. Der jungen Frau wollte es diesen Abend nicht glücken, ihrem Gatten noch ein einziges freundliches Wort abzugewinnen.

Es war Mitte Oktober geworden, als Franz Töbing endlich wieder in der Heimat ankam, die er fast ein Jahr hatte meiden müssen. Erfüllt von stürmischen Empfindungen durchritt er, auf dem Pferde, welches sein großmütiger Gönner, Herzog Georg, ihm geschenkt, das überwölbte Thor und die wohlbekannten Straßen. Er wußte genau, wie die Bedingungen lauteten, unter denen der Prinz ihm alle seine Fürsorge hatte angedeihen lassen. Und diese Bedingungen waren ihm von ganzer Seele recht. In dem Schreiben des Rats, welches die Zustimmung zu seiner Rückkehr enthielte, stand, daß man der gebesserten Gesinnung des Gefangenen vertraue, und gegen Sr. Fürstlichen Gnaden Befürwortung sich nicht länger widerstrebend verhalten wolle; wesmaßen der Verbannte, bei eingezogenem Leben, in seiner Vaterstadt geduldet werden solle. Alle diese Worte brannten in des Heimkehrenden Gedächtnis.

»Vorsicht – Vorsicht,« sprach er zu sich selbst, während er mit düster glühendem Blick um sich schaute. »Ich wollte das Ziel im Sturm gewinnen. Sie sitzen zu fest im Sattel, die Hochmögenden, es kostet mehr, als ich dachte, sie heraus zu werfen.«

Hier und da wurde er erkannt und freudig begrüßt. Er war in seiner wilden Jugendzeit, als er der reichen Sülzjunker Führer abgab, schon der wohlbekannte Liebling des Volks gewesen. Mancher Blick schlug sich aber auch scheu zu ihm empor, manches Auge zwinkerte ihm mit heimlichem Einverständnis zu, dies waren solche, mit denen er seine Umtriebe geteilt. »Wartet nur, in Kürze werden wir uns wiederfinden,« murmelte er.

Sein Gastfreund Johannes Stern zauderte keinen Augenblick, den Mietsmann wieder aufzunehmen. Es war dem schlauen Buchdrucker eine wohl erprobte Gewißheit, daß man ihm von seiten des Rats ob dieser Hausgenossenschaft nichts anhaben könne. Er dachte, sich auch ferner ins Fäustchen zu lachen, heimlich Bescheid zu wissen und zu helfen, nach außen aber den Harmlosen zu spielen. Es war noch immer Johannes Sterns heißester Wunsch, durch Töbings Vermittelung an der beneideten Sülfmeister Macht und Vorzugsstellung zu rütteln. Vielleicht, daß es jetzt, nachdem man Lehrgeld gezahlt, besser gelingen würde.

Franz Töbings erster Gang, nachdem er von seinem alten Hofstübchen Besitz genommen, war zu seinem getreuen Andreas. Es gab für beide einen Augenblick der reinsten Freude, als sie sich wieder sahen und einander in die Arme schlossen.

»Mein Franz, mein armer Langentbehrter, welches Glück, daß sie dich frei gelassen,« sagte Andreas und zog den Ankömmling in die Nische, in der sie so oft gesessen.

»Ah, hier ist endlich Heimatluft!« sprach der Verbannte tief aufatmend.

Andreas stand neben ihm, sah ihn innig an und legte die Hand auf seine Schulter. »Du hast gelitten, Franz, du bist abgemagert, deine Augen sind groß und glühend geworden, dein Haar ist verwildert. Und hier diese Falte zwischen den Brauen ist mir auch neu.«

»Sollte ich nicht leiden?« fuhr der andere aus. »Fast ein Jahr saß ich, verzehrt von Ungeduld, in einsamer Turmzelle, fortgerissen von allem, was meine Seele mit Leidenschaft umfaßte. Unterlegen war ich, ohne Gewißheit, den Kampf wieder aufnehmen zu können – es brachte mich oft zum Stumpfsinn, oft zur Verzweiflung, also gehindert zu sein.«

»Ja, es war gewiß eine schwere Prüfungszeit. Ich habe genau gewußt, was sie dich kosten würde. Vielleicht bist du jetzt zur Einsicht gekommen, daß man die Sonne nicht vom Himmel reißt – bist geheilt?«

»Du kennst mich und hältst das für möglich? Glaubst du wirklich, ich könnte den Kampf, die That meines Lebens, aufgeben? Hörtest du nicht, daß ich den angetragenen Schwur verweigert habe?«

»Ich hörte und fürchtete,« seufzte Andreas, »und doch schien mir auch das, was Stern anführte, begründet.«

Töbing lächelte überlegen und berichtete von seinen Unterredungen mit dem General-Wachtmeister des Königs von Dänemark, dem Herzoge Georg. Der weltunkundige Freund staunte. Ja, es lag am Tage, daß ihrem Landesherrn mit dem Bruch der Sülfmeister-Herrlichkeit gedient sein mußte. Denn nur so konnte der Herzog die verpfändeten und verlorenen Gerechtsame des Regenten wiedergewinnen und die Stadt in das ihm erwünschte Abhängigkeitsverhältnis zurückdrücken. Eine aus allen Ständen zusammengesetzte Ratskörperschaft, wie sie Franz einzuführen strebte, würde nie die Macht besitzen, wie diese seit Jahrhunderten zusammengewachsene Patriziergilde, die so fest im Regiment saß, und die alle jene für den Fürsten demütigenden Privilegien errungen hatte – errungen allerdings mittels des Geldes der ganzen Stadt, das heißt auch aller nicht mitsprechenden Stände.

Welch eine Flut neuer Gedanken und Möglichkeiten! Welch eine Umgestaltung aller Verhältnisse in Lüneburg! Allein, würde eine solche Umgestaltung wirklich nur Glück und Segen bringen?

Diese Gedanken und Fragen beschäftigten die Freunde während der nächsten Tage, die Töbing zum Teil im »Grauen Mann« zubrachte, auf das lebhafteste. Das Wesen der beiden, ihre Stellung zum Leben und ihre Forderungen an dasselbe waren zwar sehr verschieden, aber Töbing fand doch nirgend sonstwo das, was ihm hier immer gegeben worden: die wärmste Teilnahme und ein klares Begreifen und Erwägen der Thatsachen. Der stets arbeitende Verstand des verwachsenen Denkers hielt mit seinem treuen Herzen Schritt, und Franz empfand voll regen Glücksgefühls, wie viel ihm der andere war.

Sobald die Dämmerung herein brach, ließ sich Franz Töbing nicht mehr im Turmzimmer des Freundes festhalten. Andreas wußte, wohin es den Ungestümen zog und mußte seufzend geschehen lassen, daß er seinem Drange folgte. Es galt, alle die alten Mitglieder der »Getreuen Brüderschaft« wieder aufzusuchen, mit ihnen neu anzuknüpfen und geheime Zusammenkünfte vorzubereiten. Am Tage durfte dies nicht gewagt werden, aber im Dämmerlichte des früh herein brechenden Abends konnte das Stadtkind, welches Gäßchen, Höfe, Hinterthüren und Winkel genau kannte, bis spät hin einem lichtscheuen Werben obliegen.

Zu seinem aufrichtigen Bedauern fand Töbing die beiden Getreuen, Bernd Kröger, den Bäcker, und Rode, den Schmied, nicht mehr in Lüneburg; sie waren nach vorhergegangener Gefangenschaft vor kurzem vom Rat auf ewige Zeiten aus der Stadt verwiesen. Dies hatte besonders Kröger hart getroffen, der mit Weib und Kind bei seinen alten Eltern lebte. Sie alle litten schmerzlich unter der Trennung von Sohn und Familienvater, dem hauptsächlichen Ernährer, und waren von zorniger Rachlust gegen den Rat erfüllt. Des Greises und der Weiber Dräuen und Zanken konnte Töbing wenig nutzen, aber ein jüngerer Bruder Krögers, ein Lehrling in Sterns Druckerei, der kaum achtzehnjährige Niklas Kröger, der mit glühenden Augen und geballten Fäusten ihm zuhörte, war ihm ein willkommener Genoß. Niklas gab sich dem geliebten Meister seines vertriebenen Bruders mit allem unüberlegten Ungestüm der Jugend zu eigen, und Franz fühlte, daß er an dem eifrigen Burschen einen zuverlässigen Helfer gewonnen habe.

David Stern saß in der Bücherei seines Bruders neben diesem. Es war zwischen alle dem aufgestapelten Papier, den in Leder gebundenen kostbaren Raritäten, den Geschäftsbüchern und Druckproben kaum Platz für die beiden Männer in dem schmalen Gemach, und doch wußte der unruhige Landsknecht seinen langen Gliedern manchmal Raum zum Auffahren und Hin- und Herschreiten zu verschaffen.

Johannes schüttelte den Kopf. Der Bruder hatte ihm wieder von den Aussichten berichtet, welche der Herzog Georg ihm eröffnet, wenn er in seinen Dienst übertreten wolle und über seines Schwagers abweichenden Glauben geklagt.

»Ich weiß nicht, was du dir immer in den Kopf setzest, David,« sagte der Buchdrucker. »Du hast alles, was du vernünftiger Weise verlangen kannst. Eine angesehene Stelle, guten Verdienst –«

»Die Beutegelder im Kriege fallen ganz anders aus!«

»Na, – du hast dir ja schon ein kleines Vermögen damit gemacht, was willst du mehr? Du kannst doch nicht bis ins Alter hinein auf der Heerstraße liegen.«

»Das Alter ist mir noch fern! Die hinausgereckten sehnigen Arme bestätigten diese Versicherung. Ich bin nicht anders zufrieden, als wenn ich ein Roß zwischen den Schenkeln und den Degen in der Faust fühle.«

»Und Weib und Kind und Haus und Hof? Du darfst nicht alles im Stiche lassen. Aus eigenem freien Willen hast du dich hier gesetzt. Ein Schimpf ist es dem festen und ehrbaren Manne, sein Wollen ohne Grund zu ändern; und abscheulich unrecht und pflichtvergessen wär's obenein, wenn du dich jetzt davon machtest.«

»Aber ich klagte dir ja eben, Johannes, daß mir durch Andreas mein reines Christentum angetastet wird. Ist es nicht noch eine ärgere Pflichtverletzung, mein Seelenheil in Gefahr zu bringen? Kann man ohne Schaden mit einem Abtrünnigen am Bibelglauben zusammen hausen? Was ist aller irdische Genuß, was sind Wohl und Weh' gegen jene Hauptsache?«

»Der gute Andreas ist ein unschädlicher Schwärmer. Wie kannst du Glaubensstarker ihn und seine närrischen Hirngespinste fürchten?«

»Fürchten nicht, aber ich weiß nicht, ob es nicht fromme Notwendigkeit erheischen wird, ihm aus dem Wege zu gehen. Lasset Euch nicht verführen, schreibt Paulus an die Korinther, böse Geschwätze verderben gute Sitten.«

Der Buchdrucker, zu kühl und vorsichtig geartet, um weiter zu streiten oder gar heftig zu werden, brach mit der kurz hingeworfenen Bemerkung ab: »es kann dein Ernst nicht sein« und ging auf anderes über. »Mein Einlieger Töbing lebt doch jetzt so ruhig, daß er keiner Fliege im Wege ist. Ja, ja, ein gebranntes Kind scheut das Feuer.«

»Er thut wohl daran, so er Frieden hält. Müßte ich ihn ein zweites Mal aufheben, würde er schwerlich wiederkommen.«

»Ist nicht zu befürchten!«

Es war stürmisch geworden und die Bäume standen fast entlaubt. Die Sonne ging blutrot unter und warf ihre letzten Strahlen auf rot und gelbe Blätter, die an ihren Zweigen im Windhauch erbebten. Rotbraun lag die Heide da und die roten Türme und Mauern der Stadt paßten in dies rot in rot gemalte Bild.

»Wie der Winter sich trüb und dräuend ankündigt,« sagte Andreas, der neben dem Freunde auf dem flachen Dache seines Turmes stand und mit ihm über den Wall, dicht vor ihnen ins Land hinausschaute. »Die blutigroten Sonnenstrahlen bedeuten uns Frost und den kann man Ende Oktober noch nicht gebrauchen.«

»Was liegt daran,« erwiderte Franz Töbing gleichmütig. »Laß es frieren, schneien, stürmen. Es kann alles unter Umstünden zum Deckmantel meines Thuns dienen. Ich muß diesen Winter Pläne schmieden und so weit fördern, daß sie im Frühjahre stark und lebensfähig ans Licht springen können, denn bei gutem Wetter kämpft sichs am besten auf den Gassen, und diesmal soll alles wohl überlegt und mit voller Besonnenheit ausgeführt werden. Es ist herrlich hier oben in der Freiheit und der rote Abendschein gefällt mir wohl.« Nach kurzem Besinnen fuhr er fort: »Legten wir zwischen die Mauerzacken eine kleine Leiter, könnten wir sonder Mühe oder Gefahr von hier aus auf den Wall gelangen.«

»Wozu,« fragte Andreas erstaunt. »Es gehen vor dem Sülzthore und vor dem Rotenthore Treppchen aus der Stadt auf den Wall. Wie sollte mirs also beikommen, von hier aus auf den Wall zu steigen, wo ich es rechts und links viel leichter habe?«

Töbing lächelte überlegen. Er warf prüfende Blicke hin und her und schien befriedigt.

»Hör',« flüsterte er, und schlang den Arm vertraulich um den Kleineren, »ich habe einen kühnen Plan, und du mußt mir beistehen. Sterns Wachsamkeit läßt mich schwer einen Platz finden, um in Sicherheit meine »Getreue-Brüderschaft,« die ich schon wieder auf dreißig Mann gebracht habe, zu versammeln. Zusammenkünfte, Beratungen sind aber nötig. Nun fällt mirs eben wie eine Erleuchtung ein, daß dein »Grauer-Mann« den besten ungeahntesten Versammlungsplatz gäbe. Nein zum Lachen wärs, spielten wir dem Hauptmanne so mit!«

»Du dächtest wirklich, in Sterns eigenem Hause?«

»Gerade das reizt mich. Du weißt, daß er in seinem Diensteifer jeden Abend von 7 bis 9 Uhr selbst mit der Scharwache über alle Wälle geht. Und gerade hier am Walle sind wir mittlerweile sicherer als in der Stadt. Die Runde tritt an einem der beiden Thore an, zwischen denen er wohnt, dies Stück ist entweder das erste oder letzte, welches er abschreitet. So ist es gar nicht schwer, ihn zu überlisten.«

Andreas hatte vor Schreck verstummt zugehört, jetzt schüttelte er voller Sorge den Kopf.

»Der geringste Argwohn, die kleinste Unvorsichtigkeit und Ihr seid hier gewisser überliefert, als sonstwo. Deine Keckheit geht zu weit. Dich reizt nur das Gewagteste. Es ängstigt mich furchtbar, dich in allen diesen Gefahren zu sehen.«

»Lieber Bedenklicher!« lachte der kühne Junker. »Das Unwahrscheinlichste ist immer das Sicherste. Und für mich sind leben und wagen gleichviel. Nur wenn ich mit allen Sinnen vorwärts strebe, fühle ich, daß ich lebe. Alles andere Dasein ist ein Halbschlaf, wie im Celler Turm. Ja, solch stilles Hinträumen im sicheren Einerlei ist mir schreckhafter als der Tod. Meinst du denn, daß wir nur leben, um unsere Tage sacht hin zu spinnen und zu verlängern?«

»Das nicht. Wir sollen ihnen Inhalt geben, aber für etwas Unmögliches sie aufs Spiel zu setzen, scheint mir frevelhaft.«

»Unmöglich? Da steckt es. Ich halte alles, was ich will, für möglich. Und Ungewisses, schwer Erreichbares reizt mich am meisten. Nach einer reifen Frucht, die von selbst abfällt, strecke ich die Hand gar nicht aus.«

»O warum bist du nicht lieber dem Werben des Herzogs gefolgt und mit ihm gen Dänemark gezogen, so dich in deiner Kraft nach besonderen Thaten verlangt. Du würdest dort weniger gefährdet sein als hier.«

»Ich dachte, du verständest mich besser,« erwiderte Franz mit hohem Ernst. »Mich treibt ja nicht die blinde Abenteuerlust eines unruhigen Sinnes. Mir sind mein klar erkannter Zweck, mein bewußtes Ziel alles. Ihnen gebe ich mich freudig hin, und wüßte ich auch, daß Kerker und Tod dahinter lauern.«

Es half dem sorglichen Andreas nichts, sich gegen des Übermächtigen Anordnung zur Wehr zu setzen. Töbing fand seinen Bundesgenossen in des Verwachsenen Liebe zu ihm. Der Zuversichtliche wußte Andreas zu überzeugen, daß hier doch der sicherste Versammlungsort sein werde. Man brauchte weder die Beobachtung spürender Nachbarn, noch die Neugier dreister Hausgenossen zu fürchten. Niemand würde in dem vorderen Anbau etwas von einem besonderen Treiben im Turm gewahr werden. Die beiden einsam im Winkel gelegenen Walltreppchen waren leicht zugänglich und ungesehen von fremden Augen zu überschreiten. Von diesen beiden Seiten aus sollten die Getreuen-Brüder den »Grauen Mann« einzeln auf dämmerigem Wall erreichen, über die Leiter herein steigen und von oben her in Andreas' stillem abgelegenen Gemach eintreffen. Schloß man vorsichtig die Laden, so drangen weder Lichtschein noch Stimmenlaut durch die klafterdicken Mauern.

Der von Franz Töbing klug ersonnene Plan wurde mit der ganzen Wucht und Lebhaftigkeit seiner Natur in Angriff genommen und wenige Tage später mußte der bängliche Andreas den Beschluß des Freundes zur Thatsache werden sehen. Des Einsamen Turmgemach hatte nie, seit es diesem Besitzer angehörte, so viele Menschen in sich aufgenommen wie jetzt, die nach Anordnung ihres Führers sich hier trafen. Es hing von einer gewissen und doch nicht zu großen Helligkeit ab, ob man über den Wall hierher gelangen konnte. Der Schein des Vollmondes hätte die vielen Schleichenden den Wachen der beiden spitzen Mauertürmchen, die zwischen den Thoren lagen, verraten können und aus demselben Grunde durfte man keine Laternen gebrauchen. Die Nächte aber, in welchen eine schmale Mondsichel oder etwas Sternenschein so viel Helligkeit verbreiteten, daß mit der Örtlichkeit Vertraute sich zurecht finden konnten, waren zu jenen geheimen Zusammenkünften wohl geeignet.

Andreas drückte sich bei diesem unerwünschten Besuch still zur Seite. Franz Töbing aber stand unter den Getreuen in all seiner sieghaften Kraft; eine wahre Augenweide für den zagenden Beobachter, der meinte, auch der Fremdeste müsse ihn, den Andreas so sehr liebte, als den geborenen Herrn und Leitstern für viele heraus erkennen. Wie die eckigen, plumpen Gesellen zu ihm aufstarrten, wie sie nach und nach von ihm erwärmt, durchglüht und fortgerissen wurden. Der Verwachsene wußte ja, daß man dem begeisterten Freunde nicht widerstehen konnte!

Es war Franz Töbings Aufgabe, dem Häuflein, das er wieder um sich versammelt, alle seine Gedanken über Recht und Ordnung, über erwünschte Neugestaltungen und niederzulegende Schranken klar zu machen.

Er mußte der Lehrmeister aller dieser rohen, aber vertrauenden Seelen werden und sie mit seinem Geist durchdringen, damit sie begriffen, worauf es ihm ankam. Nicht die Freude am wilden Tumult, am Ungebührlichen und Schrankenlosen sollte sie hinreißen. Sie wollten nicht in kindischem Spiel Ärgerniß stiften; jeder Schritt, den sie nun gegen die Machthaber vorbereiteten und wagten, sollte planvoll überlegt, dann aber mit ganzer Umsicht und Kraft ausgeführt werden. Töbing dämpfte sogleich das Feuer, welches er angefacht hatte, zu maßvollem Glühen. Alles sollte jetzt nur Lehrzeit und Vorbereitung sein.

Nach zwei solchen Zusammenkünften, während man in der Zwischenzeit gewühlt und geworben hatte, fand es sich, daß die Menge der Getreuen zu groß geworden war, um sich zugleich im »Grauen-Mann« zu treffen. Es blieb Franz nichts übrig, als zu teilen. Einmal wollte er diesen Kreis um sich sehen, das nächste Mal den andern. Die ganze Schar fügte sich gehorsam, nur Niklas Kröger trat zum Schluß mit der leisen Bitte zu dem verehrten Junker heran, ihn doch jedesmal zu dulden. Er wollte sich zusammen drücken, wolle alles thun, was der löbliche Herr befehle, nur solle er ihm das Glück gönnen, in seiner Nähe zu bleiben, so oft es möglich sei, er kenne ja nichts Herrlicheres.

Des jungen Burschen Auge flehte so beweglich, sein ganzes Wesen war so sichtbarlich von Liebe und Treue erfüllt, daß Töbing lächelnd einwilligte und sagte: »Ich ernenne dich zum Meister unserer Leiter; ich kann Soltau nicht länger zumuten, sie zu legen, zu richten und fortzutragen, das mag dein Amt sein.«

Niklas strahlte vor Freude, er küßte heimlich den Mantel seines Herrn und kam sich wie mit hoher Würde belehnt vor.


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