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Viertes Kapitel.

Die sieben herzoglichen Brüder von Celle hatten dem Lande einen Beweis großer Liebe und Verträglichkeit gegeben. Ihr Besitz war schon mehrfach durch Erbteilungen zersplittert. Daher traten sie nach dem Tode ihres Vaters, des Herzogs Wilhelm – des Sohnes von Ernst dem Bekenner – zusammen und machten unter Beirat tüchtiger Männer aus, daß der Älteste stets das Regiment führen, alle übrigen aber wie eine Familie, mit geringem Handgeld im Schlosse zu Celle ihre Heimat finden sollten.

Die jüngeren Brüder begaben sich auf Universitäten, in fremde Dienste oder lebten zeitweise auf Jagdschlössern; ihren Mittelpunkt fanden sie aber immer in Celle. Die Einnahmen der Herzöge waren knapp, die reichsten Städte hatten sich durch Verträge oder Vorschüsse in besonderen Notzeiten von regelmäßigen Steuerleistungen losgekauft, jede Steuer mußte von den Landständen erbeten werden und wurde oft erst nach langen, demütigenden Auseinandersetzungen bewilligt. Unter diesen Umständen hatten die Lüneburger Sülfmeister, welche aus dem Vollen wirtschafteten, einiges Recht, nicht allzu hoch zu ihrem Landesfürsten emporzublicken.

Auf den ältesten Bruder, Herzog Ernst II., war in der Regierung des Fürstentums im Frühjahr 1611 der zweite Sohn Wilhelms, Christian, gefolgt, welcher nun, altem Brauche gemäß, sich zum 13. August mit einigen seiner Brüder und einem großen Gefolge der Ritterschaft in Lüneburg angemeldet hatte.

Bevor noch die Festlichkeiten herangekommen waren, die während einiger Tage des Bürgermeisters Töbing ganze Zeit und Kraft in Anspruch zu nehmen drohten, beschloß er, der irregehenden Liebesleidenschaft seines Sohnes einen Riegel vorzuschieben. Franz hatte sich nach jener harten Auseinandersetzung, in der nichts entschieden worden war, düster und zurückhaltend gezeigt. Beide, Vater und Sohn, empfanden vor der Fortsetzung jenes Gesprächs eine gewisse Scheu und hielten den von der Mutter vorgeschlagenen Waffenstillstand aufrecht. Witzendorff hatte sich auf Töbings Wunsch bereit erklärt, die Verlobung bis nach der Huldigungsfeier zu verschieben. Jetzt galt es für Hieronymus Töbing, die Zeit gut zu benutzen und Franz heimlich entgegen zu arbeiten.

Als der Bürgermeister am zweiten Nachmittage nach ihrer heftigen Unterredung seinen Sohn ausreiten sah, machte er sich sofort auf den Weg nach dem Korbelinschen Hause. Die Sommerhitze lag schwer auf der Stadt. Die Handwerker, welche sonst gern vor den Thüren ihrer Häuser arbeiteten, hatten sich in die kühleren Gewölbe zurückgezogen. Viele Leute waren in den Krautgärten vor den Thoren, die reicheren hielten ihr Mittagsschläfchen. So waren die Straßen ziemlich menschenleer, was dem dahinwandelnden Bürgermeister auf seinem unerfreulichen Gange zu keiner geringen Erleichterung diente. Er kannte den Brauer Korbelin ganz gut, sie mochten von gleichem Alter sein. Als Knaben hatten sie sich gelegentlich auf der Straße gerauft, nachher war hier und da ein sehr verschieden bemessener Gruß unter den Altersgenossen ausgetauscht worden. Töbing meinte, seit Jahren kein Wort mit dem Brauer gewechselt zu haben, dennoch bezweifelte er keinen Augenblick, daß er eine gute Aufnahme finden werde. Korbelin, in dessen Schänkstube sich jetzt die Junker versammelten, galt für einen dem Sülfmeister-Regiment ergebenen Mann. Er hatte es nie an Ehrerbietung und kluger Fügsamkeit fehlen lassen. Unter diesen tröstlichen Gedanken war der Weg über den Marktplatz in die Bardowikerstraße bald zurück gelegt. Zwischen den beiden vorgebauten Ausluchten der Trinkstuben trat der Bürgermeister durch die hohe Thür ein.

Der Brauer eilte alsbald dem auserlesenen Gast selbst entgegen. Er kam vom Maischbottich und hielt die Rührkrücke noch in der Hand. Er hatte ein lose zugebundenes Hemde, mit herauf gestreiften Ärmeln, und Leinenhosen an. Unter der großen blauen Latzschürze trat seine Körperfülle rundlich hervor, seine bloßen Füße steckten in Pantoffeln, in denen der dicke Mann sich aber ganz behende bewegen konnte. Obwohl er, wie der Bürgermeister, ein hoher Fünfziger war, lag doch in seiner ganzen Erscheinung nichts Ältliches. Ein Kranz braunen, krausen Haares zog sich um die glänzende Platte, aus den Fältchen des vollen roten Gesichts leuchteten lebhafte dunkle Augen hervor. Korbelin führte den Gast in die Herrenstube zur Linken, die zu dieser Stunde leer war, und fragte ohne Verlegenheit oder Aufdringlichkeit, in schlichter Ehrerbietung: ob er dem Hochmögenden mit einem kühlen Trunk aufwarten könne? Er habe ein leichtes, schaumiges Sommerbier im Keller.

Töbing, der ohne bestimmten Angriffsplan gekommen war, fühlte sich plötzlich leutselig gestimmt, und bat den andern, er solle auch für sich einen Krug mitbringen und ihm Bescheid thun.

So saßen sich die beiden Väter alsbald unter Bedingungen gegenüber, die einem gütlichen Übereinkommen nicht ungünstig schienen.

Der Bürgermeister begann sogleich von der Angelegenheit, die ihn hergeführt, zu reden: »Mein Sohn verkehrt hier in Eurer Zechstube, Meister. Es ist nichts dagegen zu sagen, daß die Sülz-Junker sich bei Euch zusammen finden. Doch fürchte ich, Franz Töbing will mehr als Euer Bier. Die Leute munkeln, er schleiche Eurem Kinde nach. Da ich Euch als rechtschaffen kenne, und hoffe, daß Eure Tochter Hedwig eine tugendsame Jungfer ist, so wollte ich Euch hiermit offen gewarnt haben.«

Korbelins rotes Gesicht hatte sich während der Rede des Bürgermeisters dunkler gefärbt, seine buschigen Brauen zogen sich zusammen, und er setzte den Krug hart auf den Tisch. Aber im Tone der gewohnten Ehrerbietung antwortete er dem Oberhaupte der Stadt: »Allen Dankes Wert, Euer Gestrengen, es soll mir keiner nahe kommen, der Hete Korbelins Ehrbarkeit angreift! Ich halte die Meinen, denen die Mutter fehlt, in fester Zucht und Ordnung. Das Mädchen darf den Gästen nicht vor die Augen treten. Ich möchte die Hand dafür ins Feuer legen, daß alles, was man Euer Ehren zugetragen, eitel Verleumdung ist.«

»Nein, nein, Brauer! Mein Franz hat leider eingestanden, daß er um das Mädchen streicht.«

Korbelin fuhr auf und seine wuchtige Faust fiel hart auf den Tisch: »Was hat er eingestanden?«

»Nun, Übles scheint es noch nicht zu sein. Aber er geht ihr nach. Sie gefällt ihm. Er wäre im stande, sie ehrbarer Zucht und Sitte abwendig zu machen.«

»Das soll, so Gott mir gnädig ist, nicht sein, Herr. Mir ist meine Tochter so lieb, wie Euch der Sohn. Daß es zu etwas Rechtem zwischen ihnen nicht kommen kann, weiß ich. Und – fügte er mit drohender Gebärde hinzu – von müßigem Liebesspiel will ich Kind und Haus schon rein halten.«

»Mehr ist von Euch nicht zu verlangen, Korbelin. Begriffen habt Ihr, daß ein Paar aus den beiden nie werden kann. Ihr seid gewarnt und müßt nun nach dem Rechten sehen.« Wohlwollend sprach der Bürgermeister noch von städtischen Dingen, doch der Brauer blieb einsilbig. Bald schieden sie unter höflichen Worten voneinander, während sie beide im Geiste überschlugen, was nun geschehen könne und werde.

Als am Abende dieses Tages Franz Töbing wie gewöhnlich des Brauers Haus betrat und nach kurzem Umherspähen auf der Diele die Stufen zum Zechstüblein hinan steigen wollte, kam der Hausherr auf ihn zu, winkte ihn beiseite und führte den Erstaunten in einen stillen, dämmerigen Winkel des großen Hausflurs. Hier hob der Brauer an:

»Euer hochmögender Herr Vater ist hier gewesen, Junker, und hat mir gesagt, daß Ihr mit unrechten Gedanken in mein ehrbares Haus kommt. Solches will ich nicht dulden.«

»Wie kann mein Vater mich also beschuldigen, er weiß doch –«

»Still, junger Herr, hört mich an, ich will auf meinem Grund und Boden ausreden! Das Schleichen hinter der Hete leide ich nicht. Ihr kommt mir nicht wieder über die Schwelle. Wenn ich Euch auf dem Meinigen treffe, walke ich Euch mit meinen Brauknechten so rechtschaffen durch, daß Euch alles Wiederkommen vergehen soll. Und wenn Ihr zehnmal zur Sülfmeister-Gilde gehört und des Bürgermeisters Sohn seid, es geschieht doch. Habt Ihr mich verstanden?«

Der stolze Junker erzitterte vor Zorn; er wußte sich aber zu beherrschen. »Ich schwöre Euch, Meister Korbelin, daß ich nichts Arges gegen Euer vielliebes Kind im Sinne führe,« sprach er mit vor Bewegung heiserer Stimme. »Ich werbe allhier, als ein reifer Mann, um Hedwig und begehre nur sie zum Eheweibe zu erhalten. Verlobt sie mir kraft Eures väterlichen Rechts, dann will ich meines Vaters Einwilligung schon erlangen.«

»Ich weiß aus des Bürgermeisters eigenem Munde, daß es nichts damit ist. Und seiner Gestrengen haben Recht. Von mir aus soll wider Ordnung und Sitte kein Tüttelchen geschehen und mein Kind ist zu gut, sich zuzudrängen, um über die Achsel angesehen zu werden. Begreift also, Junker, daß alle Eure schönen Worte in den Wind geredet sind und verlaßt mein Haus auf Nimmerwiederkehr.«

»Treibt Ihr mich fort, so halten meine Freunde zu mir und Eure Herrenstube wird leer,« grollte Töbing.

»Mag sie's. Lieber ein ödes Zechstüblein und ein ehrbar Haus, als großer Verdienst bei Schimpf und Schande!«

Mit einer drohenden Miene, die der Bewerber nicht wohl mißverstehen konnte, nahm der Brauer eine Maisch-Krücke von der Wand und wies nach der Hausthür.

Franz Töbing ging. Mit geballten Fäusten und zusammengebissenen Zähnen wanderte er ruhelos durch die abenddämmerigen Straßen. Als er einmal wieder vor Korbelins Hause vorüberstrich, hörte er die anderen Junker in ihrer Trinkstube lärmen. Er wurde sich bewußt, daß er ein Ausgestoßener sei und lachte in verächtlichem Ingrimm laut auf. Es war bisher sein Ehrgeiz gewesen, als Führer jener übermütigen Gesellen zu gelten, aber wie schaal und leer war im Grunde ihr ganzes Thun! Er fühlte sich in diesem Augenblicke weit über ihr kindliches Treiben hinaus gewachsen. Mochten sie ohne ihn bleiben! Aber Hete – sie konnte er nicht entbehren, wie sollte er's nur anfangen, sie wiederzusehen? Er versuchte, als es dunkler geworden war, auf seinem alten Schleichwege durch den Garten zum Ziele zu gelangen. Als er aber über des Nachbars Planke in Korbelins Hof springen wollte, sah er zwei Knechte auf dem Holze sitzen, die miteinander schwatzten und lachten. Voll von bitterem Verdruß kehrte er um.

Der ruhelos Umhergetriebene beschloß nun, seinen einzigen Freund, Andreas Soltau aufzusuchen, und machte sich auf den Weg nach dem Anwesen hinter der roten Mauer.

Bevor er das Haus erreichte, begegnete ihm ein Mann, der ihn anredete.

»Ihr wollt ohne Zweifel zu meinem Schwager Andreas, Junker Töbing?« sagte der Entgegenkommende und lüftete die Mütze. »Ich habe mein Weib zu ihrer Schwester begleitet und wäre da geblieben, wenn ich Andreas zu Hause getroffen hätte. Der ist wieder drüben im Heiligen Geist bei dem Mönch, darum ging ich. Begehrt Ihr's aber, kann ich meinen Schwager für Euch rufen.«

Franz Töbing hatte längst den Buchdrucker Johannes Stern erkannt. Der Junker war zu unmutig, um selbst von dem Freunde sich Erleichterung zu versprechen. Er war eben in der bösesten Laune. Nichts schien ihm erfreulich, sein verstörter Sinn reizte ihn, jeglichen Vorschlag abzuweisen.

»Laßt Andreas, wo er ist,« antwortete er unwirsch. »Der schwärmt doch lieber in allen möglichen übersinnlichen Grübeleien umher, als daß er sich mit der Wirklichkeit befaßt. Was schert ihn mein Verdruß? Ihr habt vielleicht mehr Sinn, als mein Freund, mit mir über den Hochmut der Sülfmeister und den albernen Zunftzwang in unserer Stadt zu schelten. Mir deucht, ich hörte sagen, Ihr wäret ein verständiger Mann. Ist dem so, werdet Ihr längst Euer Auge auf die Mißstände in Lüneburg geworfen haben.«

Der Buchdrucker erschrak bis ins Herz hinein, als er den Sohn des Bürgermeisters also reden hörte. Sprach der Junker doch genau das aus, was der wohlhabende und emporstrebende Mann oft in verschwiegener Seele gedacht hatte. Stern war klug und vorsichtig, er hätte nie sich selbst durch aufrührerische Reden Verlegenheiten bereitet. Als ihm aber einer von jener tief verhaßten, sich überhebenden Gilde mit derselben Meinung so offen entgegen kam, konnte er nicht anders, als dem Ankläger recht geben.

Es gereichte Franz Töbing zur größten Erleichterung, endlich einen Menschen gefunden zu haben, der, wie er bald merkte, mit ihm völlig eines Sinnes war, ja, der sich innerlich längst zermartert hatte, wie wohl Abhilfe zu schaffen sei.

Die beiden Männer verstanden sich so gut in ihren immer offener hervortretenden Ansichten, daß sie noch lange miteinander umherschlenderten und daß Töbing endlich den anderen nach seinem Hause begleitete. Er machte sogar Miene, sich noch mit Stern auf einer der Steinbänke vor der Hausthür niederzulassen. Der vorsichtige Buchdrucker bat aber, die heikelen Dinge – der Nachbarn halber – hier nicht weiter zu erörtern, dagegen ihm bald die Ehre eines vertraulichen Besuches zu gönnen. Töbing sagte bereitwillig zu und ging, gefestigt in seinem Groll und seiner Sache gewisser durch des neuen Bekannten Beifall, dem Elternhause zu.

So sehr Franz Töbing auch seinem Vater zürnte und Verlangen trug, mit ihm vorwärts zu kommen, so fand sich doch keine Gelegenheit zu weiterer Aussprache. Der Bürgermeister war jetzt, in den Tagen vor dem Herzogsbesuch, zu beschäftigt – vielleicht auch sehr geschickt im Ausweichen –, kurz, Vater und Sohn trafen sich nie allein. Bei den Mahlzeiten waren Hausfreunde und Diener anwesend, und ein geradezu gestelltes Ersuchen des Sohnes beantwortete der Vater mit einem finsteren: »Später!«

So kam der 13. August heran, für welchen des Herzogs Einzug in Aussicht stand. Man war in Lüneburg sowohl zum Empfange der hohen Gäste wie zu den Festlichkeiten der folgenden Tage vorbereitet. Am Morgen war ein herzoglicher Eilbote angekommen, der dem Rate Meldung brachte, Se. Fürstlichen Gnaden habe samt Gefolge in Ebstorf übernachtet und werde um zwei Uhr einreiten.

In der Stadt war alles Volk auf den Beinen. Die Bürgerschaft, längst dazu eingeübt, stand von der städtischen Schäferei, »Im Korbe,« an, bis zum Sülzthore, und von da ein paar Straßen entlang zu beiden Seiten des Weges aufgestellt. Um das Fürstenhaus her hatte man jedoch die neu angeworbenen Ratssöldner unter Anordnung ihres Hauptmanns David Stern Posto fassen lassen. Die von dem unternehmenden Landsknechtsführer angeworbene kecke Schar machte allerdings einen viel kriegerischeren Eindruck, als die ehrbaren Zünfte und Innungen in der ungewohnten Haltung und der selten getragenen Bewaffnung.

Hieronymus Töbing, der selbst noch einmal allerorten nachsah, hatte seine Freude an dem rechtzeitigen Gelingen des lange gehegten Lieblingswunsches und dachte mit der verstärkten Zahl der Ratstruppe den Herzögen großen Eindruck zu machen. Ihm kam alles darauf an, die Rechte der Stadt aufs neue festzustellen und dem Landesherrn zu zeigen, daß man, vorkommenden Falls, wohl im stande sein würde, verbriefte Privilegien mit Gewalt zu verteidigen.

Als der herzogliche Zug durch das tiefe, überwölbte Thor die Stadt betrat, begrüßte ihn das Geläut der Glocken von sämtlichen Kirchtürmen, während auf den Wällen und von der oberhalb der Stadt auf dem Kalkberge gelegenen Veste Kanonenschüsse erdröhnten. Die Häuser der Straßen, durch welche der Zug sich zum Markte bewegte, waren bis in alle Giebelluken hinauf mit neugierigen und fröhlichen Menschengesichtern besetzt. In den offenen Fenstern der Erker standen geputzte Frauen und auf den Straßen, hinter jener durch die Bürgerreihe gebildeten Abgrenzung, drängte sich die schaulustige Menge.

Nach den Vorreitern und Trabanten, welche mit der Fahne Niedersachsens, dem springenden weißen Roß im roten Felde, dem einziehenden Fürsten voran ritten, kam der jetzt regierende Herr, Herzog Christian von Celle und Lüneburg selbst. In ritterlichem Schmuck, den hermelinbesetzten Mantel über den Schultern, mit federumwalltem Hute, ritt er ernsten und sanften Angesichts auf prächtig geschirrtem Roß daher. Er war 45 Jahre alt, unvermählt und hatte bis jetzt, als lutherischer Bischof, Minden inne gehabt. Christian galt als ein milder, gerechter Herr und sein Äußeres widersprach dem guten Leumunde nicht.

Hinter ihm ritten in einer Reihe seine drei Brüder, die jüngeren Welfen-Herzöge August, Friedrich und Georg.

Besonders der letztere zog die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich. Man wußte, daß die verträglichen Brüder gelost hatten, wer von ihnen sich ebenbürtig vermählen und dem Lande die künftigen Herzoge geben, solle.

Das Los hatte den Vorjüngsten, den Herzog Georg, getroffen. Er war ein schöner, lebhafter Prinz von neunundzwanzig Jahren, der sich schon in Holland Kriegsruhm erworben hatte und eben im Begriff stand, nach Dänemark zu gehen. König Christian IV. hatte ihm das Patent eines Generalwachtmeisters und die Mittel gegeben, für Dänemark, zu dessen bevorstehendem Kriege gegen Schweden, ein Regiment von 2000 Mann anzuwerben. Dies Regiment »Lüneburg« befand sich schon unter seinen Offizieren auf dem Wege jenseits der Elbe, während ihr Befehlshaber die Huldigungsfestlichkeit mitmachte, um nachher die Seinen einzuholen.

Den fürstlichen Herren folgte die Ritterschaft im besten Waffenschmuck; es mochten an die hundert Pferde sein. Ein Troß von Wagen und Knechten schloß den Zug.

Als der Herzog vor dem Fürstenhause am Ochsenmarkte hielt, grüßten die Stadtpfeifer mit Pauken und Trompeten den Landesvater. Sie standen auf dem Söller des am großen Markte gelegenen Gildehauses der Sülfmeister, dem Schütting. Der ganze weite Platz war voll von hin und her ziehenden, neugierigen, festlich frohen Menschen, die kaum von den breitbeinig mit von sich gestreckter Hellebarde um das Herzogshaus her aufgestellten städtischen Söldnern am Andrängen gehindert werden konnten.

Auf der Treppe des Schlosses standen abgeordnete Unterbeamte des Rats zum Empfange des Bundesfürsten bereit. Ein Sekretarius trat vor und fragte in kurzer Ansprache, wann Se. Fürstliche Gnaden den Rat der Stadt in Corpore zur Audienz bei sich zu sehen beliebe?

Herzog Christian antwortete gnädig, daß er jederzeit bereit sei, einen löblichen Rat zu empfangen. Die fürstlichen Herren traten unter ihr Dach und die Abgeordneten begaben sich in das gegenüber gelegene Rathaus. Der versammelte Rat wartete dort des Bescheides und setzte sich alsbald in feierlichem Zuge in Bewegung, um den Herzog zu begrüßen. Von Ratsdienern geleitet, schritten voran die vier Bürgermeister in ihren pelzverbrämten, farbigen Samt-Schauben, mit den schweren Ehrenketten und dem schwarzen Barett. Ihnen folgten paarweise die zwölf Senatoren, denen sich Syndici und Protonotar anschlossen.

Als sie in die fürstliche Behausung eingetreten waren, wurden sie von dem Erbschenken Fritz von dem Berge empfangen und in des Herzogs Zimmer geführt; der erste Syndikus trat vor und hielt eine Begrüßungsrede.

Er versicherte, daß ein ehrbarer Rat nichts mehr begehre, als Sr. Fürstlichen Gnaden zu Dero jetziger Anwesenheit die gebührende Aufwartung, Traktement, Dienstbereitschaft und Willfährigkeit erzeigen zu dürfen. Also, daß daraus sein unterthäniger Respekt, Gehorsam und getreue Devotion gegen Se. Fürstliche Gnaden zu erspüren sei.

Man setzte sodann in gütlichem Übereinkommen fest, daß morgen, nach Prüfung der beiderseitigen Verpflichtungen, in Urkunden, Akten und Rezessen durch zuständige Beamte die Huldigung stattfinden solle. Schließlich bat der älteste Bürgermeister, Herr Konrad Elver, den Fürsten, ein in aller Unterthänigkeit dargebrachtes Geschenk des Rats gnädigst annehmen zu wollen. Der Herzog willfahrte und kurze Zeit nach Beendigung der Audienz wurden acht Lägel Wein, sechs Tonnen Hamburger Bier und ein Faß Eimbeker Broihan aus dem Ratskeller in den fürstlichen Keller überführt.

Die zahlreiche Begleitung der Herzoge hatte im Fürstenhause keine Unterkunft finden können. Bei dem von alters her gepflegten nahen Verhältnisse zwischen Celle und Lüneburg besaßen viele der fremden Gäste Freunde und Verwandte in der Stadt und eilten, nach Erledigung von Pflichten und Feierlichkeiten, diese aufzusuchen.

Auch im Hause des Brauers Korbelin wurde ein Verwandter als Gast erwartet. Der herzogliche Schreiber, Tobias Bussen aus Celle, ein Brudersohn von Korbelins Schwager, hatte sich in einem wohlgesetzten Briefe angemeldet und war willkommen geheißen worden. Im Zechstüblein der Junker, die alle auf dem Schütting tranken, stand ein zierlich hergerichteter Gasttisch für den werten Ankömmling bereit.

Hete war mit dem Ordnen desselben fertig und hatte eben das Letzte zurecht gerückt. Als sie, eine leere Zinnschüssel in der Hand, die Stufen des aufgetreppten Stübchens hinunter steigen wollte, öffnete sich die Hausthür und der Brauer trat mit seinem Gaste ein.

Korbelin sah heute in dem Wams von dunklem Tuch ganz stattlich aus, er winkte dem Schreiber ermutigend zu, näher zu treten und Tobias Bussen überschritt mit einem hüpfenden Bückling die Schwelle. Seine kleine magere Gestalt kam nur allmählich hinter dem dicken Brauer hervor; er war noch jung, aber nichts an ihm hatte etwas Freies und Jugendliches. Vom steif aufstrebenden rötlichen Haar an bis zu den gespreizten Händen und den vorsichtig trippelnden Füßen erschien alles hölzern und gebunden. Er trug sein Barett mit der schräg davor gesteckten weißen Schreibfeder, dem Abzeichen seines Standes, in der Hand und richtete den starren Blick seiner vorstehenden, wasserblauen Augen hinauf zu der lieblichen Jungfrau, die im Festputz dort eben die Stufen herab kam. Und Hete sah auch, in der Verwirrung, also angestarrt zu werden, lieblich aus. Sie trug die dunkle, bunt gestickte Plittmütze der Bürgermädchen, unter der ihre braunen Zöpfe über den Nacken herabfielen. Ein blauer gefalteter, unten gestickter Rock und ein schwarzes Mieder standen der schlanken Gestalt wohl. Das schmale feine Gesicht war voll Anmut in jeder Linie, die ernsten, dunklen Augen hatten einen besonderen Reiz.

In des Brauers Mienen leuchtete es wie ein neuer Gedanke auf, als sein Blick von dem einen der beiden zum andern ging.

»Es ist meine Tochter Hedwig, Herr Sekretarius,« sagte Korbelin schmunzelnd. »Bediene uns rasch mit dem Besten, was das Haus vermag, Hete, und laß auch Base Fieke mit den Kindern hereinkommen, daß sie unsern Gast begrüßen.«

Er ging, während Hete davoneilte, mit dem Schreiber zum Zechstüblein hinauf.

Heute wurde des festlichen Tages halber nicht gebraut, das Haus lag ohne den Qualm und das süßlich duftende Gewölk wie leer da. Die Brauknechte hatten frei und trieben sich in der Stadt umher. Muhme und Kinder saßen eben im Sonntagsstaat auf dem Hofe, als Hete herzutrat, sie zu rufen.

»Herrjemine! Er ist also schon da,« sagte Fieke und stand auf, das kleine Mädchen, welches an ihr hing, abwehrend, »da müssen wir gleich noch den Kohl beisetzen.«

»Die Kohlsuppe ist längst heiß, Base. In Küche und Stüblein ist alles gerichtet, Schinken und Knackwurst stehen auf dem Tisch.«

Der jüngere Bruder und die Schwester des Mädchens liefen, von Neugier getrieben, ins Haus, um den Gast anzusehen, die Alte folgte langsam.

Tobias Bussen hatte sich's bequem machen und am Tisch Platz nehmen müssen. Der Wirt fragte nach seiner Schwester und deren Mann.

»Dero wohlmeinendem Ansuchen ergebenst zu dienen, verfehle nicht submissest zu referieren, daß sich sothane Personen geziemlichen Leibeswohles erfreuen,« antwortete der Schreiber mit heraufgezogenen Augenbrauen. »Meiner Wenigkeit ehrbarer Vatersbruder befindet sich in gedeihlichen Umständen. Sein Bier thut sich durch Kraft und Wohlgeschmack herfür und hat guten Abgang.«

»Und meine Schwester?«

»Frau Tibbeke Bussen, obwohl mit Kindern nicht gesegnet, ist eine rührige, wohlzufriedene Weibsperson. Und erlaube ich mir, zu supponieren, daß besagter Tibbeke löbliches Verdienst um die Wirtschaft dem Wohlstande des Hauses insonderheit förderlich sein möchte.«

Die Kinder kamen scheu herein und mußten dem Vetter die Hand reichen. Gleich darauf folgte Fieke. Auch sie fragte mit lobenden Worten nach der strammen Tibbeke, die sie von Kindesbeinen an gekannt und gepflegt hatte.

Jetzt trug Hete die dampfende Kohlsuppe auf, Kinder und Muhme zogen sich ans Fenster des Ausbaues zurück, wo sie auf die immer noch ungewöhnlich belebte Straße schauten und halblaut plauderten. Hedwig legte den Männern vor und nötigte sie, zuzugreifen.

»Der werten Jungfer Wohlreden könnte meiner Leibesbeschaffenheit zu ungunsten dienen, wesmaßen ich mich erdreisten muß, fürderhin zu remonstrieren,« wehrte endlich der Schreiber, das Mädchen starr anschauend, ab.

Das Mahl war beendet und Korbelin schlug einen Gang durch die Stadt vor, um dem Vetter die Schönheiten und Merkwürdigkeiten derselben zu zeigen. »Ihr müßt unsern Kalkberg mit der Veste darauf, so der Stadt schon seit Jahrhunderten zu eigen gehört, unsere herrlichen Kirchen und die starken Wälle kennen lernen, und wir alle wollen Euch begleiten.«

Die Frauen nahmen ihre Kopftücher; das Gemüseweib aus dem Nachbarhofe versprach aufs Haus zu achten und die kleine Gesellschaft setzte sich in Bewegung.

»Faßt euch an, Kinder, und lauft voran,« sagte Korbelin, »es geht erst zur guten Gottesgabe, der Sülze; und du, Heteke, reiche dem Vetter Tobias die Hand und führe ihn sänftiglich, auf daß er inne wird, zur Sippe zu gehören und mit Lust dessen gewahrt, was wir ihm zeigen wollen.«

Das Mädchen erschrak bei diesem Gebot, es gehorchte, aber mit scheuem Augenaufschlag. Bussen, gestärkt durch das freundliche Entgegenkommen des Vaters, bemächtigte sich der kleinen bewegungslosen Hand und führte seine Gefährtin dem alten Paare gespreizt voran.

Aus dem unruhigen Treiben der Stadt, das ihn wenig freute, hatte Franz Töbing sich am heutigen Tage zurückgezogen. Er wollte nicht gerade über Land reiten, wie er sonst zu thun liebte, aber er lehnte einsam, in Gedanken versunken, an dem Gemäuer des alten Burgfrieds bei der Ratsmühle, auf hochgelegenem Walle, und schaute ins flache Land hinaus. Der Ilmenau-Fluß zog hier an der Stadt her und glitzerte im Goldglanz der sich zum Untergange neigenden Sonne. Des Mannes hinausschweifender Blick beherrschte einen weiten Kreis. Hinter den bunten Krautgärten vor den Thoren zogen sich Wiesen und Felder, begrenzt von Gräben, von Gebüsch und einzelnen Türmchen der Landwehr, um die Stadt. Dahinter lag die rötlichbraune Heide. Dunkle Föhrenwälder, aber auch manches Dorf und mancher Ackerhof, von Eichen und Buchengrün umschattet, unterbrachen die Einförmigkeit der Fläche.

Wie dem Beschauer alles wohlgefiel, wie es ihn befreundet ansah! Es war ja auch seine Heimat! – Und doch – Ein schneidendes Weh ging plötzlich durch seine Seele. Er wurde sich bewußt, daß er sich im Widerspruch zu der Stadtordnung befand. Aber hatte er denn unrecht? War denn da nicht viel Verkehrtes und viel zu bessern? Eine Ahnung, daß er auch für den teuren Ort seiner Geburt gutes erstrebe – nicht allein für sich – füllte seine Brust mit weiteren und edleren Regungen. Ja, was ihm unrecht, verkehrt erschien, meinte er, getrieben von lauterem Gerechtigkeitssinn, bekämpfen zu können und zu müssen!

Eine krähende Männerstimme in seiner Nähe störte ihn unangenehm aus seinem hohen Gedankenfluge auf:

»Wollet, vieltugendsame Jungfer, mich Eures Händeleins nicht berauben,« sprach der Herankommende, »dieweil dero Herr Vater statuiert haben, daß ich von selbigem geleitet werde. Glaubet, daß ich solche freundvetterliche Intention wohl zu schätzen weiß und nur widerwillig der holdsüßen Gefangenen mich entäußern möchte.«

»Es ermüdet mich, Herr,« antwortete eine milde Stimme, die Töbings ganzes Blut in Aufruhr brachte. »Wollet mich endlich hier loslassen, wo wir auf engem Pfade in die Höhe steigen und besser allein gehen.«

Und jetzt kam wirklich sie, seine Hete, an der Hand gehalten von einem Fremden, um die Ecke des Turmes auf den freien Platz. Zwei Augenpaare begegneten sich in freudigem Erschrecken, dann flammte etwas Neues, eine wilde Regung von Eifersucht, in Töbings Blicken auf.

»Habt Ihr nicht gehört, Gesell, daß die Jungfer Korbelin von Eurer lästigen Hand befreit sein möchte?« rief er barsch den erschreckenden Schreiber an.

Bussen gehorchte unwillkürlich; bevor jedoch noch eine weitere Aussprache erfolgen konnte, trat der Brauer mit der keuchenden Fieke und den Kindern gleichfalls herzu.

Korbelin maß den Junker mit strengem Blick. »Scheret Euch nicht um meines Kindes Bequemlichkeit, Junker Töbing. Ich denke, Ihr habt begriffen, daß ich Euch nicht gern um ihren Weg sehe.«

Jähe Röte schlug über Franz Töbings Gesicht, eine harte Antwort wollte ihm heraus fahren, aber sein Blick fiel auf Hete, die flehend ihre Hände erhob; sein Zorn auf ihren Vater zerschmolz, er wandte sich kurz und schritt nach der anderen Seite, den Turm umkreisend, von dannen.

Kochenden Blutes ging er über den Wall und bog in die Stadt ein; er mußte Mittel und Wege finden, Hete zu sehen, allein zu sprechen. Halt, die Gemüsefrau aus dem Nachbarhause, sie fand täglich Zugang bei Korbelins, sie hatte ihm schon öfter Botschaft getragen, es mochte kosten, was es wollte, er mußte sich des Weibes guten Willen dienstbar machen.


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