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Sechzehntes Kapitel.

Christoph Töbing hatte die Mitteilung der hübschen Witib kurze Zeit in seinem Gemüte gewälzt und erwogen, dann aber beschlossen, mit seinem Vater zu sprechen.

Der Bürgermeister saß in demselben holzgetäfelten Gemach, in demselben geschnitzten Schreibstuhl, in dem bis vor zwanzig Jahren sein Vetter gesessen hatte. Stats war nun längst daran gewöhnt, hier der alleinige und unbeschränkte Eigentümer zu sein und hatte fast vergessen, daß es je anders gewesen. Da wo er so oft dem hochmögenden Hieronymus Töbing gegenüber gesessen, saß jetzt sein Sohn Christoph mit dem derben, stark geröteten Gesicht und den zwinkernden Augen. Heute aber lag ein Zug von Ernst und Nachdenken auf dem erschlafften Antlitze des Lebemannes.

»Mir ist ein seltsam Gerücht zu Ohren gekommen, Herr Vater,« hob der Junker an. »Frau Barbara von Dassel soll ihre Everings-Hälfte an den Buchdrucker Stern verkauft haben, dessen Sohn ich neulich in der guten Kemenate der gestrengen Frau antraf. Eben jenem Lump, mit dem ich raufte. Vielleicht ist er gar des Handels wegen da gewesen?«

Der Bürgermeister geriet in das größte Erstaunen. Ihm erschien das Gerücht unglaublich. Er wiederholte dem Sohn, daß er mit seinem werten Kollegen Dassel ausgemacht habe, Beaten solle die Pfannenhälfte als Erbteil zugeschrieben werden. Wie nun wohl die Tollheit solchen heimlichen Verkaufs denkbar sei?

Dann fiel ihm ein, daß die Evering der Frau Barbara zugehöre, daß die Frau gern groß thue und verschwende. Aber was konnte Stern damit wollen? Ein Bürger durfte kein Sülzgut verwalten, das war männiglich bekannt. So wurde hin und her erwogen. Endlich gelangten Vater und Sohn zu dem Beschluß, mit offner Frage zu Dassel zu gehen und nach dem erhaltenen Bescheid ihre weiteren Maßnahmen einzurichten.

Der behagliche Senator empfing die steif eintretenden Gäste mit freundvetterlicher Herzlichkeit. Er führte sie in die Wohnstube zur ebenen Erde, jagte ein paar Kinder hinaus und nun waren die drei Männer allein.

Nach kurzer Vorrede, wie er sich immer auf des wohllöblichen Herrn und Gevatters Wort verlassen, wie schwer es ihm werde, Zweifeln Raum zu geben, wie nur die Notwendigkeit ihn zwinge, zu reden, kam Stats Töbing auf das üble, ihm zu Ohren gedrungene Gerücht eines Verkaufs der Evering.

Der Senator fiel vor Schrecken und lebhafter Abwehr fast vom Stuhle. »Unmöglich, Liebwertester!« rief er empört. »Die Böswilligkeit der Leute ist so groß, wie kann man meinem ehrbaren Hause solch ein Schandmal anheften wollen? Und nun gar ein Verkauf außerhalb der Gilde, nein, mein hochmögender Herr, und Ihr, bester Junker, Ihr müsset alles thun, solchen Gerüchten, so sie Euch vorkommen, eifrig zu widersprechen!«

Der Bürgermeister wiegte den Kopf. »Wir möchten die üble Kunde, Herr Kollege, auch gern von Eurer Frau Eheliebsten in eben der bestimmten Weise widerlegt sehen!«

»Sogleich soll meine werte Barbara dies thun.« Eilfertig trippelte der dicke Mann zur Thür, öffnete sie und befahl einem draußen stehenden Diener, die Frau Senatorin zu bitten, die Herren mit ihrer Gegenwart zu beehren.

Die stattliche Hausfrau des Senators trat mit so viel Freundlichkeit ein, wie ihr zu Gebote stand. Die Gäste gingen ihr höflich entgegen, die üblichen Reden wurden gewechselt, dann aber kam Stats in der mächtigen Erregung, welche die schwebende Frage ihm bereitete, auf den Anlaß seines Besuchs und das umgehende Gerücht.

Die starke Frau konnte nicht umhin, unter den prüfenden Blicken der Gegenübersitzenden die Farbe zu wechseln. Ihre große Nase wurde spitzig und die Augenlider zuckten. Als sie antworten wollte, mußte sie zweimal Anlauf nehmen, die Kehle schien ihr trocken und das Kinn bebte. »Ihr seht – werte und hochlöbliche Herren« – brachte sie endlich heraus, »wie eure üble Verleumdung mir zu Herzen geht. Fragt doch auf dem Sülzamte nach, auf wessen Namen die Pfanne steht. Forschet doch, wo ihr wollt. Dann aber kommt wieder zu mir, Abbitte zu leisten für solcherlei widrige Anschuldigungen!« Die sittliche Entrüstung Frau Barbaras schien groß.

Es blieb den Töbings nichts übrig, als nach weiteren Reden hin und her das Haus, halb überzeugt von ihrem Irrtum, zu verlassen.

»Geheim hat sie den Handel gehalten, so dein Gerücht ihr nicht doch unrecht thut,« sprach der Vater.

»Wärs doch möglich, sichere Auskunft zu erlangen!« rief der Sohn. »Halt, ich hab's! Ich gehe zu Stern. Ich habe ihm die Güte angethan, für meinen Widersacher um Nachlaß eines Monats zu sollicitieren. Man wird mich allda gut empfangen.«

»Welch' braver Junge du bist!«

Sie trennten sich und bald darauf stand Christoph Töbing dem alten Buchdrucker in seinem Schreibstüblein gegenüber. Der Junker hatte sich nicht geirrt, seine großmütige Verwendung war ihm vom ganzen Hause hoch angerechnet worden, Ursel hatte geschwiegen, und so glaubte Johannes Stern sich dem Edelsinnigen besonders verpflichtet. Er räumte ihm den eigenen Schreibsessel ein und sprach seinen Dank in bewegten Worten aus.

»Selbigen Dank vermögt Ihr mir zu bethätigen, Meister Stern,« erwiderte Christoph hochfahrend. »Ich weiß von dem Handel, welchen Ihr mit Frau Barbara von Dassel in punkto der halben Pfanne abgeschlossen. Mich verlangt nun, die näheren Umstände zu erfahren.

Der alte Stern, erschreckt und überrascht, erblaßte. So klug und geschäftskundig er war, fehlte ihm doch im Augenblicke die Gewandtheit, sich heraus zu reden. Was sollte er thun? Ja, er mußte alles ableugnen – wie durfte er diesem Nächstbeteiligten den wahren Sachverhalt verraten.

Eben öffnete er den Mund, um hervorzustammeln: wie kommt Ihr darauf – wer hat solcherlei Un – als zu seiner großen Erleichterung die Thür leise aufging und seine Tochter, Frau Ursel Prigge, sachte und freundlich wie ein Hauskätzchen hereinschlüpfte. Der alte Mann atmete auf und trocknete sich den Schweiß von der Stirn. Des Junkers Aufmerksamkeit hatte sich sofort dem jungen Weibe zugewandt.

Ursel, die erfahren, daß Christoph Töbing bei ihrem Vater sei, fand es höchst verlockend, den Gefälligen zu begrüßen. Sie mußte ihren Dank aussprechen und ihm weiteren Straferlaß abzuschmeicheln suchen.

»Welch' Vergnügen, Euch zu sehen, Schönste,« lächelte der Junker, auf Ursel zutretend. »Wollt Ihr mir Lohn bringen für meine Gutthat? Unsere Abrede lautete dahin.«

»Ich weiß von keiner Abrede,« sagte sie mit einem Seitenblick auf ihren völlig zerstreuten Vater, aber mit reizendem Lächeln, Christoph verständnisvoll zuwinkend. »Warmen Dank aber sollt Ihr bekommen und die Bitte, bei dem einen Monat nicht stehen zu bleiben.«

Er nahm ihre Hand, die sie ihm willig ließ. Wie süß und flehend sie ihn anblickte. Zum Anbeißen hübsch sah das frische blonde Weib aus. Christoph hätte sie gleich kurzweg in die Arme schließen mögen, aber es war in Gegenwart des Alten unmöglich. Dann wand sie mit leisem Kichern ihre Hand aus der seinen und glitt durch enge Spalten zwischen Büchern und Papierhaufen zum Fenster. Hier stand sie, gedeckt durch Vater und Schreibtisch, unerreichbar für ihn.

Sein Unmut über diese Entziehung sprach sich darin aus, daß er sogleich auf den für Stern so peinlichen Gegenstand zurück kam. »Wollet Ihr wirklich leugnen, daß Ihr die halbe Pfanne Evering an Euch gebracht habt?« fragte Christoph den Alten streng.

Dieser hatte jetzt Zeit gefunden, sich zu sammeln; er richtete sich fest auf und erwiderte ebenso ruhig wie der Frager: »Es stehet Euch frei, Junker Töbing, so Ihr Partnerschaft mit dem geringen Manne fürchtet, die Bücher des Sülzamtes einzusehen. Ob ich Geschäfte mache, was ich für Geschäfte mache, und mit wem, ist nicht mein Brauch, Fremden mitzuteilen.«

»Ihr setzet Euch ja aufs hohe Pferd, Meister,« höhnte Töbing. »Meine Quelle, aus der ich schöpfte, ist eine gute und eben zur Hand.«

Der Alte blickte erstaunt auf.

Ursel war dem Gange des Gesprächs achtsam gefolgt, es schien auch gar nicht, als ob sie über die mögliche Wendung in Verlegenheit gerate. Als der Junker sie jetzt starr ansah, errötete sie kaum, sie kam sogar dem augenscheinlich beabsichtigten Verrat zuvor und sprach wohlgemut mit ihrer hellen Stimme: »Ich, Vater, war's, die dem löblichen Herrn Christoph Töbing mitteilte, daß Ihr für mein Erbgeld die halbe Evering von der Dasselin erhandelt.«

Der Alte fuhr empor, als habe er einen Schlag bekommen: »Unglückliches, unverständiges Kind, was hast du dir angerichtet! Woher weißt du? O ihr Weiberzungen!«

Sie lachte. »Na, so gar schlimm wird's doch nicht werden?«

»Dummheit – Dummheit – wie ist's möglich! Mein ganzer langerwogener Plan – die gute Anlage des Geldes – natürlich lassen sie nun die Pfanne kalt stehen. So wie das Amt weiß, sie ist in Bürgerhänden, hört Besiedung und Rente auf. Und ist's durch Deine Plapperzunge ausgekommen, wird, da wir Schweigen gelobt, Frau Barbara nicht mehr für den Riß stehen. Es kann einen Prozeß geben, du trägst den Verlust, es ist dein halbes Wittum!«

»Wie machen sie's denn, wenn sie die Pfanne kalt stehen lassen?« fragte Ursel listig lächelnd.

»Gans!« schrie der Alte gereizt. »Thust du nichts in deinen Kochtopf und kein Feuer darunter, so wird keine Suppe fertig.«

»Wir haben aber doch nur eine halbe Pfanne. Ich kann nicht die Hälfte eines Topfes kochen lassen und die andere nicht.«

Die Männer blickten sich überrascht an. »Dann wird wohl die Pfanne nur halb gefüllt,« meinte Christoph.

»Und der Besitzer der andern Everingshälfte trägt die Feuerungsunkosten allein?« fragte Ursel harmlos.

Die beiden Männer waren aufs neue betroffen. Stern fühlte sich erleichtert. Er sah eine unerwartete Hülfe. Auf welche Auskunft solch' kleines Weiberköpfchen verfiel. Der Vater nickte ihr befriedigt zu.

Christoph strich seinen rotbraunen Bart und fühlte, daß er auf der Hut sein müsse, da sein Vorteil ernstlich in Frage kam. »Nun, nun, Frau Priggin,« brummte er, »wir könnten uns ja vielleicht verständigen.«

»Ich denke auch,« sprach sie wieder leichthin. »Mir liegt freilich nicht gar viel an dem Sülzgut. Ich habe für meine Kleider und mein bischen Vergnügen doch noch reichlich, und es könnte mich eigentlich – komme danach, was da wolle – weidlich ergötzen, den Leuten zu erzählen, daß Ursel Prigge 'ne halbe Pfanne besitzt.«

»Kind, Kind, keinen Übermut! Ja, was verstehen Weiber von Geld und Geldeswert!« seufzte der Alte.

»Ihr werdet doch das nicht thun?« hatte Junker Töbing entsetzt gerufen. Eilig überlegte er, daß ihr Plappermaul ihm arge Verlegenheiten bereiten konnte. Wenn das Gildeamt erfuhr, daß eine Bürgerfrau Partnerin der Pfanne sei, würde es ohne Zweifel Rechtsstreitigkeiten und Weiterungen anzetteln. Entweder stand dann seine halbe Pfanne mit der ihren kalt, oder, er mußte das teure Holz zur Besiedung allein bezahlen. Heftig sagte er daher: »Ihr müßt auf alle Fälle Euer flinkes Zünglein hüten!«

»So? Muß ich? Weshalb, hochmögender Herr?« Sie sah ihn, vorgeneigt, die Hand auf des Vaters Tisch stützend, das ganze blühende Gesichtchen ein Schelm, lächelnd an.

Ihr Anblick verwirrte ihn, so sehr die schwebende Geschäftsangelegenheit, die er in ihren unvorsichtigen Händen gefährdet sah, auch seinen Sinn erfüllte. Zerstreut stammelte er: »Ihr seid mir doch Dank schuldig – von wegen des erlassenen Junimonds!«

»Na, gedankt mein' ich, hätt' ich Euch. Wie wär's aber, wenn wir einen neuen Vertrag über den Juli abschlössen?«

Der alte Stern sah, starr vor Überraschung und Spannung, wohin sein schlaues Töchterlein wollte.

»Auch den Juli sollte ich meinem Beleidiger noch erlassen?« brauste Töbing auf. »Nimmermehr!«

»Ich fürchte,« entgegnete sie und stützte ihr rundes Kinn in die Hand, ihn neckisch anblinzelnd, »wenn mein lieber Hein in den Turm muß, und also ein Schatten auf die Sterne fällt, werd' ich, um ihren Glanz herzustellen, doch erzählen, daß ich eigentlich zur großmächtigen Sülfmeistergilde gehöre.«

»Satansweib!« schrie Christoph und schlug mit der geballten Faust auf einen hohen Haufen alter Bücher, daß der Staub heraus flog.

»Auch mit dem Gottseibeiuns soll man sich nicht erzürnen,« sprach sie ehrbar.

Er mußte lachen, als er sie ansah. »Ihr wickelt einen um den Finger, Frau Ursel Prigge,« murrte er, halb noch ärgerlich, halb belustigt.

»Laßt Euch wickeln, es soll Euer Schaden nicht sein. Ich schweige. Wir kochen in aller Heimlichkeit zusammen unsere Salzsole, streichen vergnügt jeder unsern Part ein, Ihr schenkt Heinrich den Juli und alles ist in Ordnung.« Sie streckte ihm ihre kleine Hand über alle die Papiere auf dem Tische hin und sah ihn bittend an.

Welche Macht ihr lachendes Blauauge über ihn besaß! Dennoch zögerte er, es wurmte ihn, daß sie ihn also in der Klemme hatte, aber er fand keinen Ausweg.

»Frieden ernährt, Unfrieden verzehrt!« sprach sie eindringlich.

»Na, mag's sein – in des Kuckucks Namen!« rief er, ergriff ihre Hand und drückte diese so heftig, daß die kleine Frau aufschrie. Dann that ihm seine Derbheit leid, er bat, sie möge ihm nicht zürnen, solle ihm gestatten, sie wiederzusehen und ging endlich, von Johannes Stern unter Dankesworten bis zur Hausthür geleitet, davon.

Als der alte Stern zur Tochter ins Schreibstübchen zurückkehrte, flog ihm die Schelmin lachend und tanzend um den Hals. »Bin ich eine Gans?« rief sie, »o, ihr schwerfälligen Männer, wenn man euch nicht zu Hülfe käme!«

Christoph ging von wechselnden Gedanken und Empfindungen erfüllt nach Hause. Ein erneutes Entzücken über das reizende junge Weib überwog immer wieder die geschäftlichen Erwägungen, denen er eigentlich nachhängen wollte. Das Bild seiner Braut erblaßte mehr und mehr neben jener, die es ihm angethan. Nun war auch nicht einmal anzunehmen, daß Beate sonderlich vermögend sei. Was sollte er mit ihr? Die Verlobung mußte auf alle Fälle gelöst werden. Er wußte, wie kühl sie zu einander standen, von Anfang an gestanden hatten, wie er durch derbe Zudringlichkeit und Eifersucht sich vergebens bemüht hatte, sie zu gewinnen. Natürlich erzürnte er die ganze Sippe, er kannte seinen üblen Leumund, aber was machte er sich daraus? Mochten die Klatschbasen ihn lästern! Die Dasselin sollte erfahren, daß er um ihren Handel wußte, sie sollte damit gezwungen werden, ihn frei zu geben, ihn glimpflich zu behandeln; doch wollte er vorsichtig zu Werke gehen, damit sie die durch Ursel angeregten Bedenken nicht ahnte und in der Furcht blieb, an Stern die Kaufsumme erstatten zu müssen. Er hoffte, mit Hülfe seines Vaters, dem er alles genau mitzuteilen dachte, sich glimpflich aus der Schlinge zu ziehen.

*

Als Hans Stern, in Begleitung Davids und der andern Männer, bis in die Nähe seiner Heimatsstadt gekommen, wurden die Empfindungen, mit denen er vor einigen Tagen geschieden war, wieder lebendig in ihm. Das Bild seines Bäschens Ursel trat lebhaft und geschmückt mit allem Liebreiz, den er an ihr kannte, in seine Erinnerung. Fast wie ein körperlicher Schmerz peinigte ihn das Gefühl seines Zerwürfnisses mit ihr. Sollte es denn nicht doch möglich sein, ihr den grenzenlosen Leichtsinn zu vergeben? Die Seinen hatten es auch gemeint und Ursel frei gesprochen. Die Fröhliche und Lebhafte hatte ihm, mit ihren zwei Jahren mehr, immer so viel gegolten. Sie besaß etwas von dem süßen Wesen seiner guten Mutter und war dabei doch fixer und anschlägiger. Wie sollte er sie entbehren? Er hatte nie eine rechte Schwester sein genannt, Ursel war es ihm gewesen, welch ein schönes Band hatte sie umschlungen! Besaß er wirklich das Recht und die Macht, diese langgewöhnte Zusammengehörigkeit zu zerreißen? Seine wirkliche Schwester hätte er auch einer Unvorsichtigkeit, einer Thorheit halber nicht verstoßen dürfen. – Da ritten sie durch den dämmerigen Bogen des Sülzthors in die Stadt ein.

»Euer Stall wird doch für meine drei Tiere reichen?« fragte David Stern, »sonst kannst du mich mit den beiden Handpferden nach der Reitendendiener-Gasse begleiten.«

Hans zog dies vor. Er meinte, der Vater solle lieber erst den alten Stall beim Hause hinter der roten Mauer ansehen. Es lag ihm alles daran, dem Heimkehrenden zu entschlüpfen und seine gute Mutter auf das bevorstehende Wiedersehen vorzubereiten; welche Bestürzung mußte seine Kunde hervorrufen!

Der Hauptmann war's zufrieden. Sehnsucht nach den Seinigen plagte ihn augenscheinlich nicht Er sagte offen, daß er nur, um heute noch die Herren vom Rat zu sprechen, gestern schon aus Ülzen geritten sei und einige Wegstunden näher hierher übernachtet habe. Man sei in Ülzen aufsässig wider die Eingelagerten, der Leutnant halte sie nicht recht in Ordnung. Er könne Peter Holt, der auch ihr Fähnrich sein und die Fahne überführen solle, nicht lange in der üblen Lage belassen. In kürzester Frist müsse der Bote hinüber reiten, der Holt Entscheidung gebe.

Nach Unterbringung der Rosse ging der Hauptmann zu dem ihm von altersher wohlbekannten Töbingschen Hause an der Marienkirche. Er war aber nicht der Mann, sich mit Erinnerungen und Vergleichungen zwischen einst und jetzt aufzuhalten; wenn er es that, wog er höchstens seinen damaligen Vertrag gegen den jetzt zu erlangenden ab und nahm sich vor, fest auf seinem Rechte zu stehen. Bei dem streng lutherischen Schwedenregiment des Obersten Stammer, von General Banners Korps, konnte er immer mit den Seinigen ankommen, doch zog er den Platz eines Söldnerhauptmanns in der Stadt seiner Geburt vor. Das Alter meldete sich, und da mochte ihm Frau Seuteminens Pflege gut dünken.

Hans hatte richtig geahnt. Als er nach herzlicher Begrüßung mit Mutter und Ohm die große Kunde von der Rückkehr des Vaters meldete, fand er eitel Bestürzung. Wie konnte es anders sein, nachdem man seit sechzehn Jahren nichts von dem Hauptmann gehört hatte? Wie sollte man sich mit dem finstern, strengen Mann einrichten? Andreas und seine freundliche Schwester waren so ganz anders geartet. Und wie vermochte Hans, mit seiner offenkundigen Parteinahme wider den Rat, sich zu dem eifrigen Diener und Gehülfen des Rats, der sein Vater war, zu stellen?

Scheu und beklommen traten die Geschwister dem Heimkehrenden entgegen, der, langgeübtem Kriegsbrauch und altem Hausherrnrechte nach, ohne Umstände Besitz ergriff und sich nach Bedarf einrichtete.

Verhandlungen mit dem Rat, die sich wider Erwarten hinzogen, nahmen David in der nächsten Zeit ganz in Anspruch und beeinflußten seine Laune ungünstig. Der alte Kriegsmann hatte gewähnt, alle Verhältnisse in der Heimat ebenso wieder zu finden, wie er sie verlassen, aber er sah die Machtlage verschoben. Die regierenden Herren zeigten sich als unentschlossen, zaudernd und knickerig; welch ein anderer Mann war, gegen diesen traurigen Stats, der rasche Bürgermeister Hieronymus Töbing gewesen. Die früher so gehorsamen und unterthänigen Bürger hatten in der Zeiten Not gelernt, die Köpfe zu heben und mitzureden.

Als David von der »Getreuen Brüderschaft« hörte, die man als Macht anerkannte und beinah fürchtete, schrie er, er wisse ein Mittel, sie still zu kriegen, er führe dasselbe an der Linken und habe es erprobt; er schlug dabei auf seinen langen Degen und die alten Augen flackerten unheimlich. Aber seinen Worten folgte im Kreise der vier Bürgermeister ein bedenkliches Achselzucken.

»Wollet Euch nicht vermessen, Hauptmann,« sprach Stats Töbing bedächtig, »mit Gewalt gegen sie zu gehen. Man soll die Kuh, so uns Milch giebt, nicht wund schlagen, absonderlich in Zeiten, wo man sich nach Nahrung und Notdurft bänglich umthut. Wir dulden nicht, daß sie ihr dummes Gebrüll unter unsere Stimmen mische, wir treiben sie in ihren Pferch zurück, aber schonen müssen wir sie.«

Also abgewiesen, begann der alte Haudegen erst allmählich die neue Lage der Dinge zu begreifen und sich in die Umstände zu schicken. Wäre ihm nicht die häusliche Pflege seiner gutwilligen Frau äußerst wohlthuend gewesen, er hätte sich kaum halten lassen. So aber gab er zum ersten Male im Leben, wenn auch verdrießlichen Sinnes, nach und schloß nach etwa achttägigem Verhandeln und Feilschen mit dem Rate ab.

Als Hans am Tage nach seiner Ankunft zuerst das Haus seines Ohms und Meisters aufzusuchen ging, überfielen ihn mit neuer Macht die Gedanken an Ursel und sein getrübtes Verhältnis zu ihr. Stets war sein gutes Einvernehmen mit dem Bäschen etwas Selbstverständliches gewesen. Es hatte seit Ursels Witwenschaft sogar einen noch wärmeren Zug bekommen. Freilich konnte er sich nicht verhehlen, daß er manches an ihr tadle; sie war ohne Frage eitel, gefallsüchtig und wetterwendisch. Aber das Spielen und Gaukeln ihres zierlich geputzten Persönchens besaß doch großen Reiz für ihn, den er gern hatte auf sich wirken lassen. Und ihr ganzes freundliches, aus der Kinderzeit stammendes Verhältnis sollte nun wegen jener einen Unbesonnenheit aus und zu Ende sein? Er sollte ihr von nun an den Rücken wenden? Wie sauer ihm das werden würde!

Die Seinen hatten ihn gleich mit der freudigen Botschaft empfangen, daß auf Verwendung Junker Töbings Heinrich noch für den Juni und Juli auf freiem Fuß belassen werde. Der gute Hein selbst war am Abend freudig bewegt gelaufen gekommen und hatte dem Freunde jenen seltsamen Handel mit Christoph in des Vaters Schreibstube berichtet, infolgedessen der Pfannenbesitz gesichert und zugleich der Juli erlassen war. Hans hatte nicht umhin gekonnt, zu staunen und sich über Ursels Verschlagenheit zu ergötzen. So war denn sein Zorn auf das liebe Geschöpfchen erheblich gemildert worden.

Als Hans trotz allem mit abgewandtem Blick an Ursels Wohnung vorbei über Sterns Hof schritt, um nach der Druckerei zu gehen, hörte er plötzlich leichte Schritte huschen und fühlte seinen Arm von zwei kleinen Händen umklammert.

Zur Seite blickend, sah er in Ursels flehende blaue Augen: »Wie freue ich mich, daß du wieder da bist, mein gutes Hanseke, nun komme auch, brumme nicht mehr, es ist ja alles in Ordnung.«

Er that doch noch, was sie nicht wollte, brummte ein paar unverständliche Worte, ließ sich aber, ohne daß es ihr eben Mühe gemacht hätte, von seinem Wege ab und in ihr buntes Stübchen ziehen. Nun tanzte sie um ihn her, zupfte ihn, klatschte in die Hände und freute sich über seine glückliche Rückkehr, über ihr Wiedersehen, und daß er nicht mehr böse sei, so keck, anmutig und kindisch, wie nur sie es konnte. Er schüttelte freilich eine Weile den Kopf zu ihrem Geplauder, ließ sich aber doch halten, setzte sich wieder in den hochlehnigen Stuhl und erzählte endlich – selber erleichtert, daß nun der Bann zwischen ihnen gebrochen sei – von seiner Reise. Sie wußte sehr geschickt zu fragen, that auch, als gebe sie acht, wenn er aber von öffentlichen Verhältnissen sprach, wurde sie zerstreut und konnte ein leichtes Gähnen nicht unterdrücken.

»Und hast du gar nicht an mich gedacht?« fragte sie mit schiefem Köpfchen zu ihm auflächelnd.

»Ja,« erwiderte er ehrlich, »das habe ich gethan, doch mit bitteren Empfindungen. O, hüte dich, mein liebes Bäschen, mir wieder solchen Verdruß, solchen Kummer zu bereiten!« – Daß derselbe jetzt verflogen war, bewies er am deutlichsten dadurch, daß er ruhig davon sprechen konnte.

»Eigentlich sollte ich dir böse sein,« sagte sie mit ihrem bekannten Schmollen, »daß du kein Vertrauen zu mir hattest, daß du Schlimmes von mir denken konntest. Ich würde nie an dir zweifeln. Wie könnte ich wohl annehmen, daß du mit irgend einer Jungfer Liebeleien halber zusammen kämst.«

Hans konnte es selbst von sich nicht denken, und daher leuchteten ihm Ursels Worte plötzlich ganz besonders ein. »Ja, mein armes Kind,« sagte er warm und berührte streichelnd ihren blonden Scheitel, »mir kommt's jetzt selber vor, als wäre ich hart gegen dich gewesen; gegen dich, das Schwesterlein, meine beste Freundin von Kindesbeinen an.«

»Ach, ich habe während der ganzen Zeit deines Fortseins keine frohe Stunde gehabt. Frag' die andern, ob ich nur einmal lachen konnte. Er ist zornig von mir gegangen, war alles, was ich immerfort dachte. Hans, lieber Hans, ich kann ja nicht leben, ohne daß du mir gut bist.«

»Wirklich, Ursel?« Er fuhr in seltsamer Erregung vom Sitz empor. Sie stand neben ihm. Er glaubte zu fühlen, daß sie sich an ihn schmiege, da legte er den Arm um sie und zog sie fest an sich. »Ursel, Herzens-Ursel!«

»Mein alter, bester Hans!« Ihre Lippen fanden sich, das war zum ersten Male in beider Leben kein geschwisterlicher Kuß. Aber er erschrak davor, wie vor einem Versehen, einem Unrecht. Sie loslassend und ihr in die Augen blickend, fragte er mit gedämpfter Stimme: »Ursel, nun werden wir wohl Mann und Frau?«

Sie nickte, der alte Schelm spielte in ihrem runden Gesichtchen: »Ich glaube, es ist wohl schon lange so die Meinung gewesen.«

Eben wollte er sie noch einmal zur Bekräftigung ihrer Verlobung in die Arme schließen, als der Kopf des Vaters am offenen Fenster erschien.

»Ei, ei, Hans,« sprach Johannes Stern, mehr neckend als streng. »So lange schon auf dem Wege und noch immer nicht in der Druckerei?«

»Verzeiht, Ohm. Bitte, tretet zu uns ein.«

»Ihr habt euch wohl ausgesöhnt?« Hans lief die Stubenthür zu öffnen und der Alte humpelte herein.

Der junge Mann nahm die Hand seiner Braut, ein feierlicher Ernst legte sich über seine frischen, kräftigen Züge: »Wir sind einig geworden,« sagte er bewegt, »für das Leben zusammen zu gehören, wollet uns Euren Segen nicht vorenthalten, Vater, ich hoffe, Ihr gebt sie mir gern?«

Sterns herzliche Freude war unverkennbar. Er segnete das Paar, welches er so lange schon im Geiste verbunden, mit frommen inbrünstigen Worten, dann gewann wieder seine Befriedigung die Oberhand über der Stunde Ernst, und er sagte lächelnd zu seiner Tochter: »Ich dachte manchmal kaum, Ursel, daß du dich zu einer zweiten Heirat entschließen würdest, aber es freut mich über die Maßen, daß du so nach meinem Sinne thust.«

»Ich kann nicht ohne ihn fertig werden,« erwiderte sie mit ihrem lustigen Augenspiel, »und da muß ich mich wohl wieder ins Ehejoch fügen. Ich will aber nicht, daß von unserer Brautschaft die Rede sei. Eine Brautwitwe ist ein Unding. Lasset auch der schlimmen Zeiten halber den feierlichen Verspruch fahren. Der ganze Handel bleibt ja in nächster Sippe, was geht's die Zunft an? Ein heimliches Zusammengehören ist viel schöner, als großes Geprunke. In etlichen Monden mag die Hochzeit sein, bis dahin bleibt alles unter uns Dreien und wie es bisher gewesen!«

»Auch deine Mutter sollte es nicht wissen?« fragte Johannes kopfschüttelnd.

»Nein, was ist dabei großes zu wissen, wir gehörten ja von jeher zusammen,« sagte sie leichthin.

»Darf ich's auch nicht deiner liebsten Muhme Seutemine sagen, Ursel?« bat Hans, dem ihr Aufgeben der üblichen Festlichkeiten wohl gefiel.

»Ihr ebenso wenig. Fügt euch, ihr plaudersüchtigen Männer, und verderbt es nicht mit mir.« Dann warf sie sich von des einen an des andern Brust, lachte und schmeichelte, daß man ihr alles versprach, was sie wollte.

Der Vater hatte das junge Paar bald verlassen, als aber Hans von seiner Braut schied, war die Druckerei schon geschlossen. Wie hatte sie ihn so lange fesseln und halten können? Fast schämte sich der Fleißige dieser vertändelten Stunde. Es sollte nicht wieder geschehen! Die Schelmin machte mit ihrem Liebreiz, ihrem Schillern und Wechseln des Wesens alles möglich; nun er sie nicht mehr sah, erschien es ihm unwürdig, sich also beeinflussen zu lassen. Er wurde sich aufs neue bewußt, mit welchen ganz andern Empfindungen für Ursel er gekommen war. Ja, der Abend, als er Christoph Töbing in der Mauergasse getroffen, stand wieder grell vor seiner Erinnerung und mischte sich störend in sein neues Gefühl für die Liebste. Sie hatte ja dem Junker viel abgewonnen, aber hatte sie nicht vielleicht ähnliche Künste gebraucht, jenen zu kirren, wie die waren, welche sie gegen ihn spielen ließ? Abscheulich, daß ihm solche Gedanken aufstiegen, er durfte ihr nicht Unrecht thun. Er kam sich so unzuverlässig und schwankend vor, wie er nie zu sein geglaubt und wurde fast erbittert gegen sich selbst, daß er auf dem ersten Heimgange von seiner lieben Braut also überlegen konnte. In dieser Stimmung erschien es ihm wie eine Erleichterung, seiner treuen Mutter von dem Vorgefallenen nichts sagen zu dürfen.

Da auf Ursels Wunsch die Verlobung geheim blieb, sah das neue Brautpaar sich nur flüchtig und selten allein. Es schien auch gar nicht, als ob einer von ihnen dazu dränge oder danach verlange, und so zeigte sich nach außen keine Veränderung in den Verhältnissen.

Ursel ging am nächsten Sonntage wie immer mit ihrer Mutter zur nahe gelegenen Sankt-Johannis-Kirche. Beim Hinaustreten sah sie im Gedränge, das sich hier allemal bildete, wiederum Christoph Töbing in ihrer Nähe; er grüßte sie verstohlen, aber mit eigenem Glanz auf seinem derben Gesichte.

Sie neigte, während sie mit einer Alten an ihrer Seite plauderte, unter sanftem Lächeln nur ein klein wenig den hübschen Kopf, aber ihr entglitt das Gesangbuch, es fiel gerade vor seinen Füßen nieder. Sie bückten sich beide gleichzeitig danach. Seine Finger preßten unter dem Buche die ihrigen und er flüsterte: »Ich habe Euch wichtiges zu melden.«

»Mein Vater spricht gern mit klugen Männern in seinem Schreibstüblein,« flüsterte sie unter flüchtigem Augenaufschlag. Dann war sie mit ihrer würdigen Begleiterin vorüber gezogen. Er stand noch eine Weile wie träumend beiseite und starrte ihr nach.

Am Montag Morgen fand sich Junker Christoph richtig in des Buchdruckers kleinem Zimmer ein. Er sagte, etwas weniger dreist als sonst, er hoffe, daß er dem Meister nicht ungelegen komme, er wisse zwar nicht viel von Büchern, würde jedoch nicht ungern seine Kenntnis vermehren und hier und da einen hübschen Druck erstehen.

Solche wohlmeinende Anrede zog bei Johannes Stern Schleusen auf. Er liebte sein Handwerk, schätzte die Wissenschaften, denen er diente, und hatte sich in einem langen, arbeitsreichen Leben eine Menge von Kenntnissen erworben, die er dem wohlgeneigten Junker gern zur Verfügung stellte.

Während der Alte diesen oder jenen Band zur Hand nahm, während er schilderte und erklärte, blickte der Gast immerfort auf und zur Thür. Dann, in einem Augenblicke, wo er nicht aufgesehen hatte, da Stern gewaltig in ihn hineinredete, war Ursel wieder so leise hereingeschlüpft, daß beide Männer von ihrer Nähe überrascht wurden.

»Sieh Ursel!« rief der Vater erstaunt.

»Seid gegrüßt, Frau Priggin,« sprach Christoph und erhob sich mit einem Eifer, der fast wie Artigkeit aussah.

Das junge Weib that gleichfalls verwundert! »Ihr hier, günstiger und hochmögender Herr? Eine große Ehre für unser geringes Haus! Es scheint, Ihr gehöret zu denen, so Bücher und Wissenschaften lieben?«

»Es thäte wohl not, daß ich mir noch allerlei aneignete,« meinte er unsicher.

»Ist etwas gar Herrliches,« sagte sie mit einem Schelmblick auf den Vater, »leider bin ich auch ganz unwissend. Eigentlich ist's unrecht, dumm zu bleiben in solcher Gesellschaft, die von Weisheit triefet.«

»Du hast ja nie Geduld gehabt, mich anzuhören,« erwiderte der Alte verdrießlich.

»Ich möchte Euch mitteilen, werter Meister,« nahm Töbing wieder das Wort, »was sich aus unserer neulich ins Klare gebrachten Angelegenheit ergeben hat. Übel von der Dasselin hinter das Licht geführt, habe ich, unter Beistand meines Herrn Vaters, die Verlobung mit der Tochter des Senators gelöst.«

Die Blicke Christophs und der jungen Frau trafen sich wie zwei ineinander schlagende Flammen. Sie wandte sodann, tief errötend, den Kopf zur Seite, und er wagte unwillkürlich einen Schritt auf sie zu.

»Ihr müßt wissen, was Ihr thut, Junker,« sagte Johannes Stern noch immer unmutig. »So meiner Tochter Geschwätz Euren wohlanständigen Ehebund gehindert hat, haben wir Ursels Unvorsichtigkeit zu beklagen.«

»Mein Herz hatte nichts mit jenem Verlöbnis zu thun,« sprach Töbing heftig.

»Immer ein mißlich Ding, so ein Mann sein gegebenes Wort bricht,« entgegnete Stern fest, »und, wenn auch absichtslos, daran schuld zu sein, ist ein peinlicher Vorwurf.«

»Ich kann der liebwerten Frau nur dankbar sein, fühle ich mich doch äußerst erleichtert.« Seinem heißen Blicke wich Ursel aus.

Sie fing wieder von Büchern und den Lieblingswissenschaften des Vaters an, wodurch sich des Alten Laune merklich hob.

Nur schwer schien der Bücherfreund sich von allen Schätzen des Schreibstübleins zu trennen.

Als er gegangen war, sagte Stern streng zu seiner Tochter:

»Ich fürchte, du spielst mit ihm, Kind, und möchtest ihm gefallen. Denk an Hans und vergiß nie, daß einer von den hochgeborenen Sülzjunkern, selbst wenn du dich nicht verlobt hättest und für ihn zu haben wärst, doch kein Bürgerweib freit.«

»Pah, Vater, haltet mich nicht für einfältig, erwiderte sie schnippisch, ich werde mich vor Thorheiten zu hüten wissen. Ihr vergeßt ganz, daß wir unsern Hein noch für den August vom Turm befreien müssen.«

Sie ging und nahm sich vor, das nächste Mal, wenn Christoph komme, solle er vergebens nach ihr ausschauen. Sie war jetzt sicher, daß er so leicht nicht von ihr ließ.

Eilig winkte die kleine Listige ihren Bruder Heinrich aus der Druckerei zu sich her. »Deiner Beate Verlöbnis ist gelöst, mein Junge,« flüsterte sie ihm im Hofeckchen bei ihren Nelken zu. »Habe ich meine Sache nicht gut gemacht?«

Eine Purpurglut stieg in Heinrichs ehrliches Gesicht. »Aber, Schwester,« stammelte er vorwurfsvoll, »wie kannst du meinen, daß ich die Augen zu der hochgeborenen Jungfer erhebe?«

»Die Liebe kehrt sich daran nicht,« lächelte sie neckisch. »Nur getrost, Bruder! Die klugen Männer reden so viel, daß andere Zeiten kommen würden, daß die Sülfmeistergilde nichts mehr vor uns voraus haben solle. Glaub's doch und fasse Mut. Nimm das Gute, was du haben kannst und halte es fest. So sich aber besseres erreichen läßt, greife danach. Wer wollte einem das verdenken?«

Ihr Zureden that ihm wohl. Es traf wie ein belebender Sonnenstrahl die zarten Blüten seiner Empfindungen und Hoffnungen. Wie sollte er der Schlauen, die so sehr nach seinem Sinne sprach, nicht glauben?

Von dieser Zeit an verbrachte Heinrich Stern seine freien Stunden in den Gassen, welche in der Nähe der Münzstraße lagen. Manchmal sah man ihn auch aus einem dem Dasselschen Hause gegenüber befindlichen Fenster, wo ein Freund wohnte, umherspähen. So hatte er bald Tageseinteilung und Gewohnheiten der Beobachteten herausgefunden. Endlich gewahrte er einmal, daß Beate in Begleitung der alten Schaffnerin ausging. Er stürzte fort, um ihr zu begegnen; welche Seligkeit, sie zu sehen, ihren unter Erröten gegebenen freundlichen Gruß zu empfangen.


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