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Neuntes Kapitel.

Am zweiten Abend nach dem Auflauf auf dem Marktplatze wurde die Zusammenkunft der »Getreuen-Brüderschaft« im Salzschuppen hinter der Kaufhausbrücke vom Hauptmann Stern mit seinen Ratssöldnern überfallen, und Franz Töbing davon geführt.

Diese Schreckenskunde, von den Zeugen der That, die man hatte laufen lassen, eifrig verbreitet, durcheilte die Stadt, wurde in jedem Hause besprochen und wirkte erregend und erbitternd auf die Gemüter.

Den Bestrebungen Töbings hätte kein größerer Dienst erzeigt werden können. Mehr als durch Aufstände und Streitschriften war er jetzt durch das, was er für die Sache des Volks erleiden mußte, ein Liebling und Held der Menge geworden. Ihn zu fangen, ihn einzukerkern, ihn wohl gar zu töten – abscheulich! Das durfte man sich von den Gewalthabern nicht gefallen lassen. Was hatte Franz Töbing denn Schlimmes gethan? Er war doch kein gemeiner Dieb und Mörder! Er hatte nur den gestrengen Herren die Wahrheit gesagt – denn was er aufgestellt, verhielt sich so – er meinte es gut mit dem kleinen Manne und dieser mußte ihm dafür beistehen.

Es wurde alsbald bekannt, daß Franz Töbing im Turm Springintgut saß, der zwischen dem Michaeliskloster und dem Kalkberge lag, wo man bessere Gefangene und zumal solche, die aus dem Rathause leicht befreit werden konnten, altem Brauche nach unterbrachte.

Ein Zusammenlaufen, Zischeln und Bereden ging durch die Straßen der Stadt. Etwas Besonderes war im Werke, das konnte Jeder, der das gewöhnliche Treiben in Lüneburg kannte, wohl merken und in Erwartung eines Gewaltstreichs von Seiten des Volks wurde die Wache des Turmes Springintgut verstärkt.

Als der Nachmittag heran kam, fanden größere Rottierungen auf dem Markte und in den Straßen statt, die zum Turm führten, und bald war ein starker Haufen wohlbewaffneten Volkes bei einander, der unter Führung von Bernd Kröger, dem Schmied Rode und andern von der Brüderschaft nach dem Springintgut hinaus zogen.

Vom Hauptmann David Stern angeführt, warfen sich hier die Söldner den Andringenden entgegen. Aber des Volkes Übermacht und Wildheit war zu groß, ihr Ansturm zu mächtig. Während Stern sich außen mit einer verzweifelten Schar herum schlug, drangen ganze Haufen auf einmal in den Turm, warfen nieder, was sich ihnen entgegen stellte, stürmten die Treppen hinan, brachen die Thür der Zelle ein, in welcher der Gefangene saß und führten diesen unter Siegesgeschrei ins Freie.

Ebenso rasch, wie die Bande gekommen, zog sie, den Befreiten in ihrer Mitte, wieder von dannen. Es war auf beiden Seiten der Kämpfenden Blut geflossen, sie hatten sich einander Wunden geschlagen, getötet war Niemand. Und als die gewaltthätige Schar den Turm verlassen hatte, wußten die Söldner kaum, wie ihnen geschehen, so plötzlich und mächtig war der Überfall gewesen und so schnell war er verlaufen.

Den johlenden Siegern voran schritt Franz Töbing, halb erfreut, halb beschämt von dem was für ihn geschehen. Auf seiner einen Seite ging Kröger, das Beil auf der Schulter tragend, mit dem er die Thür des Gefängnisses eingeschlagen, auf der andern Seite Rode mit einer blutig gefärbten Eisenstange in der rußigen Faust.

Der Weg nach dem Markte, wohin alles drängte, und von da nach dem Sande, zu des Befreiten Wohnung, führte an der Marienkirche und dem Hause des Bürgermeisters Töbing vorbei. Franz hatte nicht daran gedacht, daß dem so sei. Er fühlte, als er nicht mehr abbiegen konnte, daß es seine Eltern schmerzen werde, ihn in diesem wilden Geleit zu sehen und ließ einen scheuen Blick über das stattliche Haus seiner Geburt hingleiten.

Da stand richtig seine arme Mutter in ihrem prächtigen Erker und neigte sich, vielleicht ihren Augen nicht trauend, blassen Schrecken im Gesicht, aus dem offnen Fenster. Als seine und ihre Blicke sich begegneten fuhr sie wie taumelnd zurück.

Und weiter drängte die Menge. Alle Leute liefen an Thüren und Fenster. Hier und da wurde von den Siegestrunkenen Unfug verübt, ein Karren umgestoßen, ein Stein hinausgeschleudert, einem geizigen Meister das Fenster zertrümmert. Endlich war Franz wieder daheim bei Johannes Stern, und die Menge, der er in kurzer Rede gedankt, hatte sich verlaufen.

Dieser Aufstand und die Thatsache, daß das Volk die Ratssöldner unter ihrem waffenkundigen Hauptmann überwältigt habe, verfehlte nicht, ein ungeheures Aufsehen in der Stadt hervorzurufen. Die wunderlichsten Mutmaßungen und Gerüchte gingen um. Absetzung des Rats und Einsetzung von Franz Töbing als Bürgermeister, Verteilung alles Eigentums der Sülfmeister und Vertreibung der Söldner aus der Stadt, war der aufregende Inhalt aller Gespräche, die an diesem Nachmittage in Zechstuben und Gildehäusern geführt wurden ...

Aber auch die vorläufig Geschlagenen hielten nicht still, ohne an Maßregeln zur Gegenwehr zu denken.

Der Senator Stats Töbing, dem es um das Ansehen der Familie bei dem Treiben des Vetters längst bange geworden war, und der die jetzt manchmal hervortretende Schwäche und Ratlosigkeit des Bürgermeisters Töbing fürchtete, war sogleich zu Jürgen Dassel geeilt. Dieser behagliche Mann stand mit allen Parteien gut und ließ sich weder beirren noch verblüffen. Er vermochte Hieronymus Töbing am besten zu beeinflussen und würde mit Stats und noch ein paar zuverlässigen Collegen das rechte Mittel ausfindig machen, den gefährlichen Franz zu beseitigen. Es war doch immer klüger und besser, die Vorschläge gegen den Empörer und Unruhestifter gingen von der Partei des eigenen Vaters und den Verwandten aus, als von der feindlichen Seite.

Stats selbst kam früher als die Zusammenberufenen, die alle wie zufällig eintreffen sollten, in seines Vetters, des Bürgermeisters, Arbeitszimmer an. Er fand Hieronymus Töbing, den starken Mann, in einem dumpfen, ratlosen Zustande. Die blinde Zuversicht auf die eigene Machtvollkommenheit, mit der er bis jetzt alle besonderen Unternehmungen angegriffen und eher zum Abschluß gebracht, ehe er Gewißheit hatte, damit durchzudringen, war völlig von ihm gewichen. Verwirrt und zerstreut lauschte er den einleitenden Worten des schlauen Freundes.

»Es ist 'mal so Vetter,« sagte Stats halblaut, »so morgen der alte Elver die vier Bürgermeister zur Beschlußfassung wider die Meutemacher zusammenruft, können sie leicht zu hart mit ihm umgehen.«

»Mögen sie's – mögen sie's! Glaubst du, ich bin ein so feiger Mann, daß ich mich vor der Pein am eignen Fleisch und Blut fürchte? Nein – Recht muß Recht bleiben!« Der alte Mann trocknete sich die Stirn.

Der Bürgermeister Jürgen von Dassel trat ein: »Ihr wisset Töbing, daß ich zu Euch stehe. – Ich habe Eurer heute mit Betrübnis gedacht!«

Auch die Senatoren Thomas Töbing und Ludolf Laffert, der Schwiegersohn des alten Elver, kamen und sprachen in vorsichtigen Worten ihr Beileid aus. Töbing versuchte sich dagegen zu wehren. Es sei nicht nötig, daß man ihn bedaure, er stehe noch immer seinen Mann und gebe den verlorenen Sohn ohne Murren preis. Dabei blickte er wie verwirrt um sich und seufzte zum Gotterbarmen.

»So ein Ding üblen Anschein hat,« begann der kleine Stats nicht ohne überlegene Salbung, »soll man doch trachten, eine leidlich gute Wendung zu finden. Es ist kein Karren so fest gefahren, daß man ihn nicht mit vereinten Kräften aus dem Dreck zieht. Derohalben will es mich wie eine gnädige Fügung Gottes bedünken, das wir Wohlmeinenden uns allhier getroffen haben. Lasset uns beraten, was zu thun ist, unsere gute Stadt gegen wildes Wesen zu schützen, des Rates Ansehen wiederum zu stärken und doch dem Rädelsführer nicht all zu hart mitzuspielen.«

»Ja, Stateke, wo sollen wir ihn unterbringen, daß sie ihn nicht mit Teufelsgewalt herausholen?« fragte der Bürgermeister Dassel kopfschüttelnd.

»Sollte er auf dem Kaltberge nicht sicher eingesteckt sein?« meinte Laffert.

»Schlimmeres können ihm seine ärgsten Feinde nicht anthun,« rief Thomas Töbing. »Ich kenne die Felsenlöcher aus dem Kalkberge, und wenn der Plebs so toll wird und losbricht wie heute, holen sie ihn auch da heraus.«

»Er muß fort, es wird nicht anders gehen,« sagte Stats.

»Wir könnten ihn nach Celle an den Herzog verschicken!« rief Dassel, froh über seinen guten Einfall.

»Werden wir den Vorschlag durchbringen?« fragte Stats bedenklich. »Die anderen Herren vom Rat könnten sagen, es heiße, unser Unvermögen anerkennen, mit dem Aufstande fertig zu werden, und es sei nicht klug, dem Herzog solcherlei Einmischung in der Stadt Ordnung zu gestatten.«

»Sie werden das nicht sagen, wenn wir sie gar nicht fragen,« erwiderte Dassel mit schlauem Augenzwinkern. »So Gefahr im Verzuge ist, sind zwei Bürgermeister, die dasselbe wollen und ein Viertel des Senats für sich haben, beschlußfähig. Ich als jüngster Bürgermeister bin der Sprecher und stelle meinen Vorschlag zur Beratung. Wer ist dagegen?« Er blickte zuerst Hieronymus Töbing an, der zusammengesunken in seinem prächtigen Schreibstuhle saß. Es konnte zweifelhaft sein, ob der Mann mit dem starren Blick und der zuckenden Hand, die gedankenlos mit der schweren Ehrenkette des Bürgermeisters spielte, der Verhandlung gefolgt war.

Bei Dassels nochmaliger entschiedener Frage: »Stimmt Ihr mir bei, Collega?« nickte der Versunkene und murmelte: »Ja, ja, Ihr habt ganz recht.«

Die drei Senatoren waren ergriffen von dem Wesen des Vaters. Es sah dem des einst so herrschsüchtigen, überlegenen Bürgermeister kaum noch ähnlich; und um die peinvolle Auseinandersetzung zu beenden, stimmten auch sie rasch zu.

Jetzt meldete ein Diener den Stadthauptmann David Stern.

Der Bürgermeister richtete sich empor, er wußte, daß der Kriegsmann ihm die Kunde von der gewaltsamen Befreiung des ihm anvertrauten Gefangenen bringen werde und ging dem Eintretenden stramm entgegen. »Ihr habt Eure Pflicht nicht erfüllt, Mann – Ihr – Ihr,« – die mühsam zusammengeraffte Kraft war zu Ende.

Stern trug eine blutige Binde um den Kopf, unter der sein gelbes Gesicht fahl hervorsah. »Wir haben unser Bestes versucht, hochmögender Herr,« sagte er verdrossen.

Dassel legte sich ins Mittel. Er kündigte dem Hauptmanne an, daß er den Rädelsführer wiederum heimlich greifen und durch zuverlässige Leute heute Abend noch aus der Stadt nach Celle bringen lassen solle. Ohne Umstände nahm er an Töbings Schreibtische Platz, setzte einen Befehl an Stern auf, den alle anwesenden Ratspersonen unterschrieben und entwarf eine kurze Bittschrift an den Landesherrn, in der er Se. Fürstlichen Gnaden submissest anging, den Unruhstifter und Aufwiegeler, Franz Töbing, in guten Gewahrsam zu nehmen. Weitere Berichte zur Untersuchung des Falles würden alsbaldigst folgen. Nachdem auch diese Schrift im Namen des Rates von Lüneburg unterzeichnet worden, händigte Dassel beide Urkunden dem Wartenden ein, worauf der Hauptmann das Zimmer verließ. Einen Augenblick stand Töbing zögernd, dann folgte er rasch dem Landsknecht. Draußen auf dem Gange holte der Bürgermeister den Davonschreitenden ein. »Noch ein Wort, Stern,« flüsterte der Hausherr, sich scheu umblickend.

»Was befehlen Eure Gestrengen?«

»Spielt ihm nicht zu hart mit, Mann.«

»Ich gab Eurer Wohlweisheit meine Hand darauf, nie milde mit denen zu verfahren, so gegen den Rat aufstehen,« sagte der Hauptmann fest.

»Es würde Euer Schaden sein, Stern; Ihr wisset, die Ratsknechte stehen unter meinem besonderen Befehl.«

»Ein Schaden wär's an meiner Seele, so ich gegen den geschworenen Eid ginge.«

»Ich hoffe, Ihr krümmt einem Junker kein Haar,« murrte der Bürgermeister drohend. Er verschwand in einer nahen Thür und trat durch das Seitengemach wieder in die Schreibstube zu den Genossen.

Diese hatten, als er hinaus eilte, angenommen, daß er der Sammlung bedürfe und gaben sich den Anschein sein Wiedereintreten nicht zu beachten. Sie waren während seines Fortseins dahin übereingekommen, daß sie erreicht hätten, was sie erstrebt, und daß ihr Werk gethan sei. Es wurde nur noch kurz beschlossen, auch die beiden Gesellen, welche neben Töbing gegangen, zu fangen und in den Turm zu stecken.

Nachdem sie das Haus verlassen hatten, warf sich der Bürgermeister an den Schreibtisch. Auch er setzte jetzt einen Brief an den Herzog auf, in dem er den Landesherrn beschwor, glimpflich mit seinem irre geleiteten Sohn umzugehen, ihm erträgliche Haft zu geben und Gnade vor Recht zu üben. Er, der tiefgebeugte Vater, hoffe, daß bei einsamem Nachdenken sein Sohn in sich gehen und auf den rechten Weg zurückkehren werde. Mit diesem Schreiben sandte der gequälte Mann sogleich einen reitenden Diener nach Celle ab.

Johannes Stern hatte den, auf dessen Wirken er so große Hoffnungen setzte, mit Frohlocken wieder bei sich aufgenommen. Wenn das Volk so thatkräftig auf Seiten des Aufwieglers stand, würden die ersehnten Neuerungen nicht auf sich warten lassen. Franz Töbing saß mit seinem Hauswirt in dessen Geschäftszimmer links vom Hausflur, sie machten miteinander Pläne, was weiter zu thun sei, und wie man aus dem heutigen Erfolge nachhaltige Vorteile ziehen könne.

Der trübe Novemberabend war längst hereingebrochen. Der Wind jagte durch die Straßen und pfiff um die Ecken, ein feines Schneegeriesel begann herabzusinken und sich auf Kanten und Vorsprünge zu legen. Vereinzelte Wanderer auf den Straßen eilten, so rasch sie konnten, unter Obdach zu gelangen.

Da stapfte vorsichtigen Schrittes eine Abteilung der Stadtsöldner den Sand herauf. Der weiche Schnee, in dem sie gingen, und die heulenden Windstöße verbargen jeden Laut ihres Kommens. Jetzt standen sie vor Johannes Sterns Hause. Der Anführer trat auf die Thürstufen und gab einen halblauten Befehl. Die Klingen der Stoßdegen wurden bloß. Dann öffnete der Hauptmann die Hausthür und trat mit einem Teile seiner Mannschaft ein. In feindlicher Absicht überschritt er die Schwelle des Hauses seiner Väter, aber die beschworene Pflicht gebot es ihm.

Johannes Stern hatte jetzt das Geräusch gehört und kam, seine hohe kupferne Lampe empor haltend, auf die nur vom Küchenfeuer schwach erhellte Diele. Da standen die Brüder als feindliche Parteien, beide bleich und verstört, einander gegenüber.

»Ich komme,« hob David trockenen und harten Tones an, »im Namen des Rats, deinen Einlieger, den Flüchtling Franz Töbing, wiederum dingfest zu machen.«

Es war dem Buchdrucker, als bekomme er einen Schlag. Seine stolzen Hoffnungen zu nichte! Wie dreist, wie töricht war es gewesen, diese Maßregel nicht zu erwarten, den Genossen nicht längst in Sicherheit gebracht zu haben! Die Schreibstube hatte keinen zweiten Ausgang, durchs Fenster konnte Töbing nicht entfliehen, denn vor dem Hause, er sah es durch die offene Thür, standen gleichfalls Bewaffnete. So blieb ihm nichts übrig, als den Gesuchten auszuliefern.

Franz Töbing mochte denselben Erwägungen Raum gegeben haben. Düster, aber gefaßt, erschien er auf der Zimmerschwelle und überlieferte sich den Häschern. Johannes warf ihm einen Mantel über die Schultern und dann trat der Gefangene in das Schneegeriesel hinaus.

Inmitten seiner schweigenden Begleiter ging Franz Töbing quer durch die ganze Stadt. Er hatte daran gedacht, nach dem Rathause, wieder in den Springintgut oder gar auf den Kalkberg gebracht zu werden. Nichts von alledem. »Wohin führt Ihr mich, Hauptmann?«

»Ihr werdet es sehen.«

Es ging zum Sülzthore hinaus. Die weißlich schimmernde Fläche des freien Feldes lag vor ihnen. Da trafen sie auf vier Berittene, die ein lediges Pferd hielten. Dem Gefangenen wurde unter dem Mantel der rechte Arm an den Körper festgeschnürt, dann hob man ihn aufs Roß und gab ihm die Zügel in die Linke. Zu jeder Seite, hinter und vor ihm, ritt einer der Begleiter –, so trabten sie in die öde Winternacht hinein.

Bald wurden die gefrorenen Geleise so tief und das Schneetreiben so stark, daß sie Schritt reiten mußten. Franz hatte den jungen Kriegsmann an seiner Seite erkannt, es war der Fähnrich Peter Holt.

»Wohin geht unsere Reise, Herr Fähnrich,« fragte Töbing den sorglos Pfeifenden.

»Warum sollte ich es Euch jetzt nicht sagen, Junker? es geht nach Celle. Es scheint, Ihr habt dem ehrbaren Rat so hart zugesetzt, daß er sich nicht Manns genug neben Euch fühlt und den Landesherrn zu Hilfe nimmt.« Ein kurzes Auflachen des leichten Gesellen verriet, daß er keine allzu große Ehrerbietung für die Väter der Stadt empfand.

Franz achtete nicht darauf. »Nach Celle!« tönte es in seinem Herzen wieder. So führte sein Geschick ihn ohne eigenes Zuthun zu ihr, die ihn so flehentlich gebeten, ihr nicht zu folgen. Zu ihr, seiner Hete! Die Winternacht erschien ihm wärmer, der Weg ebner, er freute sich, wenn es rascher vorwärts ging.

Die Reisenden waren genötigt, bald zu übernachten und erst am dritten Tage langten sie in der Herzogsstadt an. Der Fähnrich ließ den Gefangenen, unter Bewachung seiner Leute, im Kruge zurück und begab sich, um eine Unterredung mit Sr. Fürstlichen Gnaden nachzusuchen und das Schreiben des Rats zu überbringen, ins Schloß.

Herzog Christian hatte vor ein paar Stunden den Brief des Bürgermeisters Töbing, dessen Bote einen Vorsprung gehabt, empfangen und besprach jetzt den ganz absonderlichen Fall mit seinem Kanzler, dem Dr. Hedemann. Beide kamen dahin überein, daß dies ein Beweis von Kleinmut der hochfahrenden und selbstgewissen Körperschaft sei, und daß man, wenn Töbings Aufwiegelungen – von denen der Herzog schon längst gehört hatte – auch in des Fürsten Sinne günstig sein mochten, doch scheinbar auf seiten des Rats treten müsse. Eine Ablehnung der Bitte erschien wenigstens nicht rätlich.

So fand der Fähnrich eine günstige Aufnahme. Der Befehl zur Unterbringung Töbings in einer oberen Turmzelle des Schlosses wurde gegeben und der Gefangene dahin überführt.

Bald sah sich Franz Töbing in einem festen, aber nicht ganz unbehaglichen Raum allein gelassen und mußte sich sagen, daß er hier vielleicht für lange Zeit von jeglichem Verkehr abgeschnitten sein werde. Er hatte mit der Reise nach Celle unbestimmte süße Hoffnungen verknüpft und fand sich nun doch von der Möglichkeit, mit Hete in Berührung zu treten, so fern, als lägen weite Länder zwischen ihnen. Die Behandlung, welche er erfuhr, war nicht hart. Er bekam gute Verpflegung, Schreibzeug und Bücher. Der Schloßknecht, welcher ihn bediente, war ein gesprächiger alter Mann, von dem der Gefangene erfahren konnte, was er wissen wollte. Von seinem hohen Turmfenster übersah er die unter ihm liegende Stadt und versuchte sich in ihren Straßen zurecht zu finden. Alsbald erkundigte er sich bei seinem Pfleger nach verschiedenen Kirchen, Plätzen und Häusern und fragte auch nach der Bussenschen Brauerei. Er erhielt über alles genügende Auskunft und wußte nun wenigstens das Dach zu finden, unter dem die Geliebte weilte.

Der Winter ging herum, ohne für den Gefangenen die geringste Veränderung zu bringen. Sein unruhiger, ungeduldiger Sinn hatte ihm schwere Tage bereitet, aber auch sie waren vorüber geschlichen und hatten besseren Platz gemacht. Die Not war seine Lehrmeisterin geworden, sie gab ihm Bücher in die Hand, aus denen er sich sonst nicht viel gemacht, und er hatte nun doch an manchem Studium Gefallen gefunden. Was ihm den eisernen Willen stärkte, ruhig auszuhalten, war der Gedanke an die Absicht, mit der man ihn hierher verbannt. Die Lüneburger Gewalthaber wollten ihn mürbe machen, so daß er um Vergebung bat, und den Gefallen that er ihnen niemals. Sein starrer Mannestrotz stählte ihn zum Helden für seine Sache. Je mehr er ihretwegen leiden mußte, je lieber wurde sie ihm, und je größer wuchs in ihm der Wille empor, die alten Verkehrtheiten in seiner Vaterstadt auszurotten, koste es was es wolle. Er wußte es täglich gewisser, daß er – wenn er seine Freiheit je wieder erlangen sollte – genau da wieder anfangen werde, wo er notgedrungen aufgehört hatte. Nur mußte er dann heimlicher und vorsichtiger zu Werke gehen.

Mit dem Frühjahr wurde seine Sehnsucht nach der Freiheit noch lebhafter, aber kein Anzeichen trat ein, das ihm die Hoffnung auf Erlösung gegeben hätte.

So ging der Sommer an dem Vereinsamten vorüber. Er sah das Leben unter sich, aber er nahm keinen Teil daran. Doch alles, was er litt, konnte weder seinen Mut brechen noch seinen Sinn demütigen. Immer wilderer Trotz und glühenderer Eigenwille bäumten sich in ihm auf.

Da gewahrte er eines Tages, aus seinem engen Fenster hinaus spähend, daß etliche kriegerisch aussehende Männer über die Zugbrücke des Schlosses in den Vorhof ritten. Scharfen Auges erkannte er seinen Gönner vom Huldigungsschmause, den Herzog Georg von Celle und Lüneburg als den Voranreitenden. Mehr als ein Jahr war seit der früheren Begegnung verstrichen, aber jedes Wort von damals hatte sich fest in Töbings Gedächtnis eingeprägt und eine große Hoffnung schlug jetzt flammend in ihm empor. Der Fürst hatte ihm Anteilnahme bezeigt, sollte des gnädigen Herrn Hilfe nicht zu erlangen sein?

Franz gewann mit einem Goldgulden aus seiner Mutter Beutel den Schloßknecht zum Botengange. Wenn Herzog Georg sein Schicksal erfuhr, würde er vielleicht der flehentlichen Bitte um eine Unterredung Folge leisten.

Franz Töbings Erwartung sollte nicht getäuscht werden. Bei Nennung des Namens war dem Fürsten der kühne Bändiger des milchweißen Hengstes sogleich erinnerlich gewesen. Er hatte sich mit seinem Bruder über den Anlaß verständigt, der den Lüneburger Sülzjunker hier in den Turm geliefert und seine frühere Teilnahme war wieder lebendig geworden. Vielleicht mochte der Ungestüme jetzt für seinen Dienst zu gewinnen sein.

Am nächsten Morgen trat der Herzog Georg in Töbings Zelle.

Wie ein Odem der Freiheit wehte es dem Gefangenen entgegen; er wollte den Fürsten geziemend begrüßen, aber er brach mit einem jauchzenden Laut zusammen und umschlang des Erstaunten Kniee. »Fast ein Jahr, daß ich niemanden sah als den alten Knecht,« stammelte Töbing.

»Ich begreife,« sagte Georg gütig, und hob den Überwältigten empor. »Kommt, laßt uns Euer Schicksal, und was dafür zu thun ist, erwägen. Ich weiß, daß Ihr Euch gegen die Ordnung Eurer Vaterstadt vergangen. Aber mir däucht, Ihr habt gebüßt, und so ich beim Rat ein gutes Wort für Euch einlege, wird man vielleicht, wenn nicht in Eure Heimkehr, so doch in Eure Freilassung willigen.«

»Eine öde Freiheit, gnädigster Herr,« seufzte Töbing. »Mein Sinn steht nur danach, Begonnenes geschickter fortzusetzen.«

»Ihr Hartköpfiger! Würdet Ihr es verschmähen mit mir nach Dänemark zu gehen? Ich bin hier, um neu zu werben und mein Regiment »Lüneburg« zu verstärken.«

»Ich würde es nicht verschmähen, denn es wäre Erlösung aus diesen Grabesbanden. Aber, ich stehe nicht für mich, ob ichs lange aushielte, so mächtig zieht es mich an, die alte Stätte um den aufgenommenen Kampf bis zum endlichen Siege durchzuringen.«

Sonderbar! Der Herzog wiegte nachdenklich den Kopf, durch welchen ungewisse, lockende Gedanken schossen. »Euer heißestes Trachten ist also noch immer darauf gerichtet, das Sülfmeister-Regiment zu stürzen?«

»Ja, mein Fürst!« Ein wildes Feuer glomm in den tiefliegenden Augen des abgemagerten Gefangenen auf.

Der Herzog blickte ihn forschend an.

Das war ein Mann mit ungebändigtem Willen und starker Thatkraft. »Wisset Ihr, Töbing, daß Ihr Eurem gnädigsten Landesherrn eigentlich keinen besseren Dienst leisten könntet, als wenn Ihr den Hochmut des Rats, der seinem Gebieter schier abtrünnig geworden, niederlegtet?« fragte er halblaut und sehr ernst.

Franz fuhr empor. Blitzartig ging volles Verständnis dessen, was der Prinz wollte und erstreben mußte, in ihm auf. Er sah sich als Werkzeug benutzt, aber diente jener ihm und seinem Willen nicht gleichfalls? War seine Sache nicht unberechenbar zu verstärken, wenn er sie mit der Sache des verdrängten Herzogs verband? Dem Fürsten waren zwar Vorrechte auf Vorrechte entwunden, aber er bedeutete doch immer noch eine Macht und es war nur möglich, das vielköpfige Regiment zu stürzen, wenn man den einen, von Gottes-Gnaden dazu Eingeborenen, an die Stelle setzte. Verblendet durch die Aussicht, sein Ziel unter der Fürsten Beistand besser zu erreichen, übersah Töbing die Größe des Opfers an Selbständigkeit, mit dem die Stadt diesen Beistand erkaufen mußte.

Leuchtenden Blicks bat Franz Töbing den Herzogsbruder, ihm ganz zu vertrauen. Seien nur erst die jetzigen Machthaber beseitigt, so müsse des Landesherrn Übergewicht von selbst hergestellt werden.

»Ich glaube und traue Euch, Töbing,« antwortete Georg, das kluge scharf prüfende Auge unverwandt auf sein Gegenüber richtend. »Ihr sagtet offen nein, als ich Euch ein Fähnlein Reiter anbot, jetzt sagt Ihr ebenso offen ja, und ich bin gewiß, beides ist Euere wahre Meinung. Unser Vorteil in Lüneburg geht Hand in Hand, und ich will Euch in der Sache, die Ihr erstrebt, mit allen Kräften unterstützen.«

Als nächste Erleichterung gab Georg seinem Schützling – gegen das Versprechen Celle nicht zu verlassen – die Erlaubnis aus dem Turme gehen, und sich in Schloß und Stadt frei bewegen zu dürfen. Welch ein auserlesenes Geschenk war dies! Welch ein Glück bereitete es dem Gefangenen!

Sofort verließ Franz Töbing, nachdem sein gnädiger Herr gegangen, die Herzogsburg und eilte durch die Gassen der Stadt. Er brauchte nicht rechts noch links zu sehen, er brauchte niemanden zu fragen, unzählige Male hatte er mit Augen und Seele diesen selben Weg eingeschlagen. Irrtum war unmöglich. Nach wenigen Minuten stand er vor des Bierbrauers Bussen Hause am Markte. Tief aufatmend trat er durch die große Hausthür, die für die Einfahrt von Wagen gemacht schien, ein. Derselbe süßliche Braudunst wallte ihm entgegen, wie in Korbelins Hause; wie stark ihn die Erinnerung an damals packte! Eine weite Diele, im Hintergrunde arbeitende Menschen. Herdfeuerschein, laute Stimmen, links Bänke mit Tischen und Bierkrügen, doch keine Gäste. Rechts die Stubenthür.

Franz pochte hastig und trat ein. Sein erster Blick traf sie, seine Hete. Sie war allein. In der Nähe des Fensters saß sie am Spinnrade, sie blickte auf und fuhr empor:

»Franz!«

»Hete, Hete!« er wollte sie an sich reißen, aber sie wehrte ihm mit angstvollen Mienen. Wie bleich und trübe sie aussah.

»Bist du mir nicht treu geblieben, Mädchen?« sein Auge flammte wild.

»O Franz!« – Wie vorwurfsvoll sie ihn anblickte. »Solange du lebst, freie ich keinen andern.«

»So freue dich doch – wir haben uns wieder!«

»Ich kann nicht – ich darf nicht. Ich flehe dich an, geh! Wenn die Muhme Tibbeke käme, es wäre schrecklich.«

»Ich fürchte mich nicht vor der Muhme!« er lachte spöttisch auf.

»Du weißt nicht, was du mir anthust. Sie dürfen dich hier nicht finden. Ich beschwöre dich – fort – rasch fort!«

Ihre Angst war so sichtlich, daß sie ihm ins Herz schnitt. »Gut,« murrte er bitter, »ich gehe, doch nur, wenn du mir sagst, wann und wo ich dich wiedersehen kann. Es soll und muß alles zwischen uns klar werden.«

Sie zögerte und schwankte einen Augenblick, dann stieß sie scheuen Umblickens hervor: »diesen Abend in der Dämmerung. Im Baumgange, der vom Schlosse am Fluß hin führt.«

Trotz ihrem Widerstreben nahm er sie hastig in die Arme, küßte sie und riß sich dann mit hartem Entschlusse los. Aus dem Dunst auf der Diele hörte er eine keifende Weiberstimme, wurde jedoch nicht beachtet und fand sich, ehe er wieder recht zur Besinnung kam, auf dem Markte. Ich hätte sie nicht lassen sollen, doch mags sein. Heute Abend!

Er schritt zum Schlosse zurück. Eine große Überraschung wartete sein. Man berief ihn in des Herzogs Zimmer, wo er drei Männer im Gespräch bei einander fand: den Herzog Christian, dessen Bruder Georg und David Stern, den Stadthauptmann von Lüneburg.

»Kommt näher, Junker Töbing,« sprach der regierende Herr. »So Ihr geneigt seid, Euch zu schicken und dies mit einem Schwur in die Hand des Abgesandten bekräftigen wollt, entbietet Euch der ehrbare Rat der Stadt Lüneburg Frieden und willigt ein, Euch wieder in seinen Mauern zu dulden.«

Franz Töbing fuhr erglühend auf, »mich fügen – ich!«

Herzog Georg schnitt vortretend ihm das Wort ab. »Ich verstehe Euch ganz, Töbing. Ihr habt recht, einen solchen Eid nicht schwören zu wollen. Unser frommer und gewissenhafter Hauptmann wird das einsehen. Was heißt sich schicken und Frieden machen? Die mißtrauischen Väter der Stadt könnten jegliches Wort, das Ihr mit einem Eurer alten Anhänger wechseln möchtet, als Friedensbruch, als Eidbruch, ansehen. Sie würden Euren Schritten nachspüren und Ärgernis finden. Dann aber ständet Ihr ehrlos und im eigenen Gewissen bedrängt. Schwöret nicht. Ein solcher Eid ist Unsinn, ist eine Teufelsbrücke für den Zahmsten und Arglosesten.«

»Dank Ew. Fürstlichen Gnaden! Nein, ich schwöre nicht!«

»So bleibet Ihr außen, Junker,« sprach der Landsknecht achselzuckend.

»Laßt uns hoffen, David Stern,« fuhr Prinz Georg vermittelnd fort, »daß ein großgünstiger Magistrat so gut wie wir zur Erkenntnis gelangt, wie jener Eid einen weiten Spielraum zum Verderben des Angeklagten darbietet. Kein Mensch soll dem andern Gewissensfallen stellen. Das ist Sünde und selbst einem löblichen Rate nicht zu gestatten.«

Stern nickte voll Einverständnis.

Er hatte seinen Auftrag nicht in diesem Lichte gesehen. Die Auffassung des Fürsten bedrängte ihn indes und gab seiner starren Redlichkeit zu denken.

»Ich werde meine Ansicht von der Sache den Lüneburger Herren darlegen,« hob Georg wieder an. »Hoffentlich haben sie Einsehen und öffnen ohne jene Bedingung dem Verbannten ihre Thore.« Ein dankbarer Blick Töbings traf den Sprecher. Franz hatte jetzt klar erkannt, wie klug der Fürst ihn vertreten.

Nachdem die Männer auseinander gegangen waren ließ Herzog Georg den Stadthauptmann zu sich in sein Zimmer bescheiden.

»Ich bin aus dem Lager vor Kopenhagen herüber gekommen,« hob der Herzog zu dem vor ihm stehenden Söldner an, »um für mein zusammengeschmolzenes Regiment neue Mannschaft anzuwerben. Wie steht es Hauptmann, seid Ihr auf lange Zeit hinaus vom Rat in Eid und Pflicht genommen, oder seid Ihr frei im Bleiben und Gehen?«

Es blitzte im Gesichte des Landsknechts auf. »Ich hatte mich auf ein Jahr verpflichtet. Jetzt habe ichs frei monatlich bei der Löhnung den Werbeeid zu unterschreiben oder nicht. Das gilt aber nur für mich, die Truppe ist städtisch worden.«

»Ihr liebt es nicht, Euch an die Kette zu schmieden?« fragte der Prinz mit überlegenem Lächeln.

Funkelnde Augen und zuckende Mienen antworteten verständlich genug. »Ich dachte – man kann nicht wissen. Übrigens habe ich mir jetzt ein junges Weib genommen.«

»Schade. Ich hätte Euch gern meiner Sache gewonnen Ihr würdet es auch weiter gebracht haben. Ich befördere jeden, der sich tüchtig zeigt und habe Gutes von Euch gehört. Paßt Euch jetzt der Wechsel nicht, so sollt Ihr mir auch später willkommen sein.« Wollte er vielleicht diesen eifrigen, strengen Vertreter der öffentlichen Ordnung in Lüneburg, Töbing aus dem Wege räumen?

Der Hauptmann schien einen Augenblick zu schwanken und zu zögern, dann beurlaubte er sich. Herzog Georg trug ihm noch die Besorgung eines Schreibens in des Verbannten Sache auf, dann entließ er ihn gnädig.

Wohl war Franz Töbing von dem Gespräch in des Herzogs Gemach erfüllt und erschüttert, dennoch wandten sich seine Gedanken bald wieder auf die entscheidende Begegnung, welche ihm der Abend bringen sollte. Er hatte seine Hete gesehen, hatte sie in den Armen gehalten, der heutige Abend führte sie ihm noch einmal zu, daneben verblaßte ihm alles andere.

Der laue Septembertag ging früh zur Neige; dem Ungeduldigen trat die Dämmerung viel zu spät ein. Längst wandelte er spähenden Blickes unter den alten Weiden am Flußufer, als endlich die erwartete schlanke Gestalt, das Kopftuch weit über die Schultern geworfen, wie ein Strahl der eben aufsteigenden Mondhälfte, im Baumgange erschien.

Er flog ihr entgegen und zog sie an sich. Sie bebte an seiner Brust und bat ihn, sie zu lassen. Er legte den Arm um sie, und sie schritten in dem weißlich wogenden Nebel, der vom Flusse aufstieg, langsam dahin.

»Sei stark, mein süßes Kind,« tröstete er sie, »ich habe einen Plan für uns, zu dem nichts fehlt als deine Einwilligung. Ich kann hier jetzt gehen, wohin ich will, habe eine wohlgefüllte Börse und bin bei den Herzögen in Gunst. So du dein Geschick ganz in meine Hand legen wolltest, würde ich Mittel und Wege zu unserer kirchlichen Einsegnung ausfindig machen und wir könnten glücklich sein.«

»Haltet ein, Junker,« flüsterte sie erschrocken. »Ich darf dies nicht anhören, es kann nie etwas mit uns werden.«

»Was ists denn, was macht dich noch so viel scheuer als sonst?« unterbrach er sie ungeduldig.

»Ich will versuchen es über die Lippen zu bringen,« murmelte sie fast schluchzend. »Wisset, mein Vater –«

»Nun?«

»Mein Vater – hat mir zugeschworen – er würde mich – verfluchen – so ich ferner an Euch hänge,« das verhaltene Weinen brach herzbrechend hervor.

»Hete, mein armes Heteke,« er legte beide Arme um sie, und ein Gefühl von Vernichtung überschlich auch sein Herz. Er hatte dem Zorn seiner Eltern Trotz geboten und er wußte, was dies hieß, von diesem zarten Geschöpfe konnte er nicht fordern, daß sie unter dem Fluche ihres harten Vaters neben ihm aushielt. Er wußte jetzt, daß sie für dieses Leben geschieden seien, falls es ihm nicht gelinge, in Lüneburg eine neue Ordnung der Dinge herbeizuführen und so den Brauer Korbelin zu gewinnen. Selbst in diesen seligen Augenblick, da er sie in den Armen hielt, drängte sich der wilde Mut, sein Werk in der Heimat fortzusetzen.

Sie glitt sanft aus seiner Umschlingung. »Ihr seht,« schluchzte sie, »daß wir uns trennen müssen und daß keiner uns zusammen treffen darf. Die gestrenge Muhme könnte es meinem Vater zu wissen thun und dann –« das Mädchen schauderte.

Eine schrille, meckernde Stimme rief ihren Namen.

»Geht – um Gottes Willen geht, herzlieber Franz! Sie haben mir Tobias nachgeschickt,« flüsterte das Mädchen und riß sich von ihrem Begleiter los.

»Ich schlage den Dintenklexer zusammen – ich leid' es nicht, daß er dich berührt!«

»Um meinetwillen, um Gewissen und Seligkeit willen, geh Franz, geh!« Sie lief durch Nebel und Dämmerschein, in den nur schwache Strahlen des Mondes fielen, dem Knirschenden davon.

Er stand eine ganze Weile angewurzelt, er durfte es ihr ja nicht anthun sich zu regen. Nur die Überzeugung, sie doch noch zu gewinnen, bändigte seine Wut.

Tage voll Ungeduld und Thatendurst kamen und gingen für den Verbannten; die Liebste sah er nur selten von ferne. Herzog Georg tröstete und ermutigte den Verzweifelnden und schrieb für ihn Briefe nach Lüneburg. Endlich hatte die Töbingsche Sippe es durchgesetzt, daß Franz heimkehren dürfe. Das Herz voll Dank für seinen Gönner und voll von Vorsätzen ihm zu dienen, und sein Werk weiter zu führen, ritt er der Heimat entgegen.


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