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Achtzehntes Kapitel.

Christoph Töbing schritt unruhig in seinem Zimmer auf und ab. Sein Vater war nicht wohl und doch erheischte die Notlage der Stadt eine wichtige Beratung. Die drei anderen Bürgermeister wollten zu Stats in dessen Schreibstube kommen, und der Sohn erwartete ihr Erscheinen. Er fühlte sich bedrängt von mancherlei heißen Empfindungen und unruhigen Gedanken.

Seine Leidenschaft für die kleine Bürgerswitwe hatte in der letzten Zeit mehr und mehr zugenommen, Ursel aber wußte ihn immer noch fern zu halten. Auf dem ihm bekannten Wege der Überredung und Verführung kam er mit der Schlauen, die sich geschmeidig wie ein Kätzchen jeglicher Annäherung zu entziehen wußte, nie zum Ziele, und doch meinte er, nicht mehr ohne sie leben zu können. Vergeblich hatte er ihrem Bruder noch die Gefängnisstrafe im August streichen lassen, gefördert hatte auch dieses seine Wünsche nicht.

Nach wie vor war er dann und wann zum alten Stern gegangen, der den Käufer auch immer gut aufgenommen. Aber wie selten hatte sie sich blicken lassen, deretwegen er doch gekommen. Mit einem nie zuvor gekannten Herzklopfen hatte er bei Stern die Thür im Auge behalten und war, wenn er fühlte, er könne nun nicht mehr bleiben, ärgerlich und mit dem Vorsatz, nie wiederzukehren, fortgestürmt – um doch nach wenigen Tagen sich wieder einzufinden. Er hatte dabei eine ganz andere Benutzung der Zeit angefangen und anfangen müssen. Um mit dem alten Buchdrucker und Händler in Verbindung zu bleiben, und mit ihm über seine Sachen zu sprechen, konnte er nicht umhin, etwas von dem zu lesen, was er kaufte oder zur Auswahl mitnahm. Zuerst wurde dies ihm sauer, er war gar nicht daran gewöhnt, ruhig auszuharren, nach und nach fand er hier und da Geschmack an dem Gedruckten. Sein Lebenswandel änderte sich dabei, ohne daß er es beabsichtigte. Seine Zechgenossen sahen ihn nicht mehr so oft wie sonst in ihrer Mitte, und den wüsten Gelagen, den Umzügen und Raufereien, an denen er sonst teilgenommen, blieb er fern.

Dazu kam die immer mehr steigende Not und Angst um der Stadt Schicksal. Christophs Vater kränkelte schon seit längerer Zeit und mußte zur Erledigung manchen Geschäftes den Sohn zu Hülfe nehmen. So war auch von dieser Seite der Ernst des Lebens und eine das Nachdenken anregende Arbeit an den Wildfang gekommen und hatte ihn gezähmt.

Ah, da waren ja die hochmögenden Herren Kollegen seines Vaters! Bedächtigen Schrittes nahten sie dem Hause. Christoph eilte hinaus, öffnete den Bürgermeistern selbst die Thür und führte sie in seines Vaters Zimmer hinauf, wo man Stats Töbing, trotz der Augustwärme in einen Pelz gehüllt, im weichen Lehnstuhle fand. Er sah sehr gealtert und zusammengefallen aus, konnte wenig sprechen und ließ alle Geschäfte, die ihm sonst zugekommen wären, durch Christoph besorgen, was der derbe, entschlossene Junker auch ohne Zaudern oder Bedenken that.

Der schwedische General Banner stand mit seinem Heereshaufen bei Ülzen, Leslie nahte aus einer andern Richtung. Es blieb kein Zweifel, daß beider Armeen in den nächsten Tagen vor den Thoren der Stadt zusammentreffen würden. Abgesandte waren da gewesen, die eine unerschwingliche Summe an Kriegssteuer und zur Ablösung der Belagerung gefordert hatten. Der Rat wußte nicht, woher die Mittel dazu nehmen. Er ging seit langer Zeit nicht mehr Hand in Hand mit der Bürgerschaft, der er kaum noch mitteilte, wie die Angelegenheiten standen, und wußte sich nur zu einem Mindergebot der Zahlung aufzuraffen. Zornig waren die Gesandten abgeritten. Zugleich hatte der Rat durch heimliche Boten sich mit dem Herzog in Verbindung gesetzt und angefragt: ob die Stadt, wenn sie sollte berannt werden, Hülfe und Entsatz vom Fürsten erwarten dürfe. Hierauf war nun eben die Antwort eingegangen und wurde von Christoph in seines Vaters Schreibzimmer vorgelesen.

Der Landesherr schrieb, der Rat möge den äußersten Fleiß anwenden, daß die Stadt nicht überrascht werde. Herzog Georg wolle versuchen, die Vereinigung der schwedischen Heere zu hindern, die Dinge ständen jedoch mißlich und der Rat werde gut thun, die Kostbarkeiten der Stadt zu salvieren und zu rechter Zeit beiseite zu bringen.

»So hegt er selber kein Vertrauen auf einen glücklichen Ausgang!« rief Christoph erschrocken.

»Eine gar arge Zeit!« seufzte Thomas Töbing.

»Unsere Mauern und Wälle werden uns schützen,« sprach Witzendorff, wenn auch etwas weniger zuversichtlich als sonst.

»Den Rats-Silberschatz müssen wir aus den Schränken unter Anwendung größter Vorsicht in das verborgene Kämmerlein am Archiv bringen,« flüsterte Laffert wichtig.

»Damit die Feinde uns unter der Folter das Geheimnis erpressen,« jammerte der kranke Stats.

Es kam nach langer Beratung kein neuer Gedanke zum Vorschein und man ging mit dem Entschluß auseinander, in jedem mißlichen Augenblick das eben Nötige zu thun.

Schon am andern Tage trat das gefürchtete Unglück ein. Als Thomas Töbing zu seinem Vetter Stats hereinstürzte und schrie: »Die Schweden sind da, man sieht sie von den Wällen aus auf zwei Straßen heranrücken!« sank der kranke Bürgermeister mit lautem Stöhnen im Stuhl zusammen. Ein Schlag hatte seinem Leben ein Ende gemacht und die übrigen Hausgenossen eilten auf des Vetters Hülferufe herbei; da war nichts zu machen, aber der Jammer war in diesem schrecklichen Augenblicke doppelt groß.

Die Würde des ersten Bürgermeisters ging nun, dem Brauche nach, auf den Ältesten im Amt, den schwachen Thomas über. Er klammerte sich in seiner verzweifelten Ratlosigkeit an den härter gearteten Christoph und flehte ihn an, einstweilen in dieser Zeiten Not noch für den Vater einzutreten, er wolle es schon mit den Kollegen ausmachen. Und Christophs breite Schultern nahmen willig neben der Sorge im eigenen Hause auch noch die für das Wohl der bedrängten Stadt auf sich. Er folgte Thomas zum Rathause, wohin eben eine außerordentliche Sitzung der gesamten Körperschaft einberufen worden war und trat hier, als gehöre er rechtmäßig dazu, mit in die angstbewegte Verhandlung ein. In der Hülflosigkeit, in der man sich befand, war jeder, der Ruhe und Festigkeit bewahrte, hochwillkommen.

Noch während man saß und sich um einen rettenden Einfall mühte, kam eine neue schwedische Botschaft und diesmal sogar von Banner und Leslie zugleich. Sie verlangten Bier und Brot für 20 000 Mann. Es blieb nichts übrig, als diese Leistung für den andern Tag zu versprechen.

Am nächsten Morgen war die Stadt von drei Seiten eingeschlossen. Das Brot wurde Haus bei Haus von Ratsdienern und Söldnern eingesammelt. Fünfzig Tonnen Bier mußten die Brauer liefern. Nach dieser bereitwilligen Leistung schickte Banner einen Oberst herein, der forderte, daß einige Bürgermeister zur Besprechung mit dem General ins Lager hinaus kommen möchten.

Thomas Töbing, mit seinem Gehülfen und Witzendorff begaben sich mit kleinem Geleit zum Feldherrn. Wenn man auch schweren Herzens ging, so hatte man sich doch dem glimpflichen Verlangen nicht wohl entziehen können.

Die Abgeordneten fanden den Oberbefehlshaber, um den sich rasch mehrere Offiziere versammelt hatten, in einem der bereits verwüsteten Gärten vor dem Thore außerhalb Schußweite. Hier eröffnete der General den Lüneburgern barsch, der Stand des Krieges mache es nötig, sich der Stadt zu versicheren, sie müsse schwedische Besatzung einnehmen. Thue sie das gutwillig, so wolle er ihr die Plünderung, wobei es ohne Mord und Brand nicht abgehen würde, ersparen, sonst habe er Mittel, seinen Willen anderweitig durchzusetzen.

»Wollet uns gnädigst mit solcherlei schlimmer Zumutung verschonen, hochedler, großgünstiger Herr!« jammerte Thomas. Banner wandte ihm unmutig den Rücken.

»Lasset uns noch einmal handeln,« sprach Witzendorff, »die Stadt wird das Möglichste thun, sich loszukaufen.«

»Nichts da!« rief der Feldherr. »Meine durstigen Brüder, so Ihr da vor Euch seht, die nicht viel um und an haben, und denen ich gerne etwas gönne, werden, falls ich Ordre gebe, die Schlüssel zu Euren Thoren und Geldkasten bald finden.«

»Gewähret uns nur die Frist, uns mit unserm Landesherrn ins Einvernehmen zu setzen,« bat Christoph.

»Laßt die Widerrede,« sprach Banner scharf. »Ich will Eurem Herzog Georg die Stadt zu weiteren Werbungen entziehen, ihm auch sonst auf die Finger klopfen. Ihr nehmt Besatzung in die Stadt und in Eure Kalkbergveste ein, oder Ihr seid verloren. Ich kenne die schwachen Punkte Eurer Befestigungen. Auf der Sülze steht viel Holz, so ich da hineinfeuere, geht alles in Flammen auf. Morgen früh verlange ich Eure Entscheidung.«

Tief bekümmert kehrten die Abgesandten heim und erstatteten den versammelten Vätern der Stadt Bericht. Sie wußten alle, daß sie sich, ihr Hab und Gut mit Einnahme schwedischer Truppen in Feindeshand gaben, aber sie mochten doch noch das geringste Übel erwählen, wenn sie es thaten.

Gegen Abend verbreitete sich die Kunde, der Rat wolle den Schweden die Thore öffnen und eine Besatzung einnehmen.

Dies rief bei den tapfern Bürgern auf den Wällen, die gerüstet und kampfbereit dastanden, lebhaften Widerspruch hervor. Sie glaubten sich mit Aussicht auf Erfolg verteidigen zu können, brannten darauf, ihre Kräfte mit denen des Feindes zu messen, waren widerwillig gegen den Rat gesonnen und hingen treu an ihrem Landesherrn. Ungeduld verzehrte sie. Nur ungern hatten sie, während der Rat unterhandelte, den Kampf gegen die Belagerer hinausgeschoben. Sowie der Morgen graute, begannen sie gegen den Feind zu feuern. Die Schweden, im Vertrauen auf der Stadt Kleinmut, hatten sich unvorsichtig vorgewagt und erlitten nun große Verluste. Der Rückzug, den sie aus ihren gefährdeten Stellungen nahmen, verstärkte den Mut der Bürger; der Entschluß, für die Freiheit Lüneburgs bis auf den letzten Mann zu fechten, herrschte auf allen Wällen. In Menge wurden Pechkränze und Handgranaten, Morgensterne und Lanzen herbeigeschafft und die Salinearbeiter mit nassen Laken zum Löschen bereit gestellt. Die Weiber kamen auf die Wälle, brachten ihren Männern Speise und Trank und flehten, sie möchten aushalten, auf daß man nicht in Feindeshand gerate, und die liebe Heimat dem Schicksale Magdeburgs verfalle.

Die Schweden zogen Laufgräben, fuhren Batterien gegen die Stadt auf und trafen Zurichtungen zum Sturm.

Um Mittag verlangte noch einmal Banners Bevollmächtigter, General Torstenson, Einlaß. Er begab sich zur Fortsetzung der Unterhandlungen nach dem Rathause, wo das Kollegium unter dem Druck des verzweifelten Notstandes vergebens nach einem Auswege suchte. Über den Gemütern aller Einwohner lag, gleich einer Gewitterschwüle, zitternde Bangigkeit vor dem Kommenden, nur die Bürger auf den Wällen hielten den Mut aufrecht und waren zu eifriger Verteidigung entschlossen.

Man sah die Gesandtschaft abreiten; was war abgemacht? Hatte der Rat in seiner feigen Ohnmacht nachgegeben? War er auf einen Vertrag eingegangen, dem die tapfere Bürgerschaft ihre Zustimmung versagen mußte?

Andreas Soltau saß auf dem flachen Dache seines Turms, von dem aus man einen freien Blick auf den Wall und ins Land hinein hatte. Man konnte hier sowohl die Maßnahmen der Verteidiger, wie auch die Annäherungsarbeiten der Feinde beobachten.

Johannes Stern, der seines Alters halber nicht mehr zu den Kämpfern gehörte, samt Seutemine und Ursel waren bei ihm.

Da die schwedischen Geschütze, seit die Gesandtschaft herein war, geschwiegen hatten, hielt man sich ohne Gefahr hier oben auf. Die Hinausspähenden bebten vor Sorge und Unruhe. Vor ihnen auf dem Walle – doch weiter dem Sülzthore zu – wußten sie Hans und Heinrich unter den Kampfbereiten. Wie mochte die schwebende Entscheidung fallen? War die Gefahr, eine Belagerung auszuhalten, größer, oder drohte Ärgeres, wenn eine schwedische Besatzung einzog?

Jetzt sahen sie David Stern, neben der von Holt getragenen Ratsfahne, mit einer Abteilung seiner Söldner vom roten Thore heranrücken. Kein Blick des Hauptmanns traf die Seinen, das strenge Gesicht starrte entschlossen geradeaus. Der Fähnrich aber konnte auch jetzt nicht unterlassen, den Frauen selbstgefällig zuzuwinken, worauf Ursel lächelnd dankte.

Die Aufmerksamkeit der Männer richtete sich nach rechts, auf das Sülzthor, wo, wie man längst wahrgenommen, die Kagelbrüder sich in Menge zusammengezogen hatten. Jetzt traf die Ratstruppe bei den Bürgern ein.

Scheint das nicht ein feindliches Gewirr? Laute Stimmen tönen herüber, ein Mann kommt eilig daher gerannt. Es ist Niklas Kröger. »Was giebt es?« ruft ihm Johannes Stern besorgt vom Turme aus zu.

»Sie sind aneinander. Ich hole uns die Bäcker und Schmiede zu Hülfe!« und fort stürmte er nach links davon. Wieder einer kommt daher. »Die Söldner wollen das Thor öffnen – die Schweden sollen herein. Wir leiden's nicht!«

»Großer Gott!« schreit Seutemine, »Streit unter den Söldnern und Bürgern, da sind Vater und Sohn die Führer.«

Johannes Stern, dem derselbe Gedanke gekommen war, hat schon die kleine Leiter ausgehängt, die seit jener alten, schlimmen Zeit vielfach auf dem »Grauen Mann« gebraucht wird und die Verbindung mit dem Walle so leicht hergestellt. »Ich muß dazwischen, es giebt sonst ein Unglück,« sagt Stern zu dem erblaßten, zitternden Andreas und steigt über die Leiter hinaus.

Seutemine, die also ihre schlimmsten Befürchtungen anerkannt sieht, hat alle natürliche Scheu vergessen und folgt ihrem Schwager, so gut ihre bebenden Glieder sie tragen. Ursel hüpft leicht hinterher. Sie traut sich auf einen der Streitenden den größten Einfluß zu.

Andreas, dem seine zunehmende Schwerfälligkeit das Hinabklettern über die Leiter unmöglich macht, steht klopfenden Herzens mit gefalteten Händen und erleidet die Angst, welche er einst um Franz Töbing auf derselben Stelle empfunden, um seinen geliebten Pflegesohn, der dem nämlichen Degen sich gegenüber befindet, unter dem jener Tapfere verblutete. Und diesmal ist es der leibliche Sohn jenes gefährlichen Mannes, um den Andreas zittert.

Als Stern mit den Frauen dem Thore zulief, hatte sich die Wut der beiden Parteien bereits auf das äußerste gesteigert. Vater und Sohn standen sich, von den kampfbereiten Ihrigen umgeben, mit der blanken Klinge in der Faust gegenüber. Unter den Bürgern hatte man den festen Entschluß gefaßt, den Feinden das Thor nicht zu öffnen. Man hielt die Walltreppe, die zum Thore führte, besetzt und gab nicht Raum, Die Söldner dagegen wollten den Ratsbeschluß vollziehen, und, nach dem mit Torstenson getroffenen Abkommen, eine Besatzung einlassen.

Die Männer waren alle bewaffnet und in wilder Erregung. Harter Wortwechsel und Püffe von hüben und drüben waren der Entscheidung mit dem blanken Degen vorausgegangen. Jetzt schien diese unvermeidlich.

Seutemine flog, gejagt von grenzenloser Angst, den Ihrigen voraus. Sie sah die beiden Feindseligen, sie sah die wohlbekannten Züge durch Grimm verzerrt, noch ein Augenblick und das Unglück war geschehen. Atemlos, mit fliegenden Gliedern, aber so kühn wie nie zuvor, umklammerte sie mit ihren beiden schwachen Händen des gefürchteten Gatten Arm und zwang ihn so den Degen zu senken.

»Was willst du thun, David? – Unser Sohn – um Gotteswillen auseinander!« schrie sie halb sinnlos in ihrer Muttersorge.

Ursel hatte sich schmeichelnd an Hans gewagt, war aber unsanft von diesem beiseite geschoben. Plötzlich stand Christoph Töbing neben ihr, er war als Begleiter seines Vetters Thomas herangekommen, der, bei der Nachricht, es gebe Widersetzlichkeiten auf dem Walle, vom Thore aus heraufgestiegen war.

»Ihr hier im Gewühl, Liebste? Eilt, daß Ihr in Sicherheit kommt,« raunte der Junker Ursel zu.

»Ich bin bei meinem Verlobten,« antwortete sie leise, während der Gedanke, ihn durch Eifersucht zu kirren, ihr durch den Kopf blitzte.

»Ursel, Eurem –«

»Nun ja, dem Elternwillen nach,« flüsterte sie milder zurück und schenkte ihm einen strahlenden Blick.

»Ich leide es nicht!«

»Was wollt Ihr dagegen thun?« Sie zuckte die Achseln und lächelte ihn an.

Dieser kurze verstohlene Wortwechsel war mitten im Getöse des neu entflammten Streites geführt worden.

»Zurück, ihr Kagelbrüder! Ich, euer erster Bürgermeister gebiete es,« hatte Thomas Töbing mit seiner zagenden Stimme gerufen.

»Macht kein Federlesens, wohlweiser Herr!« zürnte David. »Die Aufsässigen müssen der Gewalt weichen.« Ein harter Stoß ließ sein jammerndes Weib zurücktaumeln, er hob den bewaffneten Arm, da fiel ihm Johannes hinein: »Du sollst nicht gegen die Deinen wüten!« Ein kurzes Ringen und auch der schwache Alte lag auf der Erde.

»Vorwärts, ihr Ratsknechte!« befahl der Hauptmann.

»Hütet euch, Söldner!« schrie Hans dagegen, »wir dulden's nicht – wir öffnen unsere Stadt dem Feinde nicht – wir sind Manns genug sie zu verteidigen!« Hier und da packten sich die Widersacher.

Christoph war auf seines schwachen Vetters Bitten dazwischen gesprungen. »Ihr Unvernünftigen allesamt!« rief er. »Die Waffen fort, Ratsdiener, ihr sollt kein Bürgerblut vergießen! Begreift doch, Kagelbrüder, daß ihr der Gewalt, der Notwendigkeit weichen müßt! Wie könnt ihr 200 wohlgeübten Ratssöldnern und dem äußeren Feind zugleich Trotz bieten?«

»Das ist unsere Sache, Herr,« antwortete Hans barsch. »Gebt Raum, so Ihr nicht zwischen die Klingen geraten wollt.«

»Es kommt Zuzug!« hieß es plötzlich von beiden Seiten. Wer mochte es sein, die von Kröger aufgebotenen Zünfte oder die übrigen von der Ratstruppe?

Seutemine, die sich wieder emporgerafft hatte, war an ihres Sohnes Brust geflogen und beschwor ihn, sich zu fügen. Die Spannung, welcher Partei Hülfe zu teil werden sollte, hemmte den Fortgang des Zwistes.

Im Lauftritt stürmte ein großer Zug Männer auf dem Walle heran, scharfe Augen erkannten die Nahenden an ihren gleichmäßigen Hellebarden, es waren die anderen Söldner unter ihrem Leutnant.

Die Übermacht auf der Ratsseite wurde somit erdrückend für die widerstrebenden Bürger; knirschend erkannten diese, daß ihnen die Macht fehle, für ihren Willen einzutreten. Vergebens forderte Hans sie zornig zum Stehen, zur Verteidigung der Walltreppe auf, Mutlosigkeit hatte sich der Leute bemächtigt, sie verliefen sich nach allen Seiten und eilten, in Sorgen wegen des baldigen Einrückens der Schweden, nach Hause, um ihr Heimwesen zu beschützen.

Hans sah sich von seinen Gesellen verlassen, dagegen von Mutter, Ohm und Braut umringt. Mit unendlich bitteren Gefühlen gab er seine gute Sache verloren, räumte dem ungeliebten Vater das Feld und folgte der Mutter zum Turm, wo Andreas ihm die Arme entgegenstreckte.

»Gott sei gelobt!« rief der Verwachsene, »ich fürchtete, dein Schicksal würde wieder ganz dasselbe werden, wie es schon einmal gewesen ist.«

Für die Stadt brach nun eine so lange, notvolle Zeit an, wie sie im Laufe des ganzen Krieges noch nicht vorgekommen war. Die schwedische Besatzung, welche Banner in die Stadt und die Bergveste gelegt hatte, mußte verpflegt und besoldet werden, und außerdem hatte der Rat mit hoher Summe die Plünderung abzukaufen. Dies alles zu leisten, alles nötige Geld zusammen zu bringen, war eine harte Zumutung für die Einwohner Lüneburgs. Der Rat suchte vergeblich aus andern Orten Geld zu leihen und mußte endlich sogar dazu schreiten, etwas von dem der Stadt gehörigen herrlichen Silbergeschirr an die reiche Stadt Hamburg zu verkaufen.

Der Oberst Stammer lag mit seinem ganzen Regimente in der Stadt einquartiert und die Bürger hatten nicht wenig von dem rohen, anspruchsvollen Kriegsvolke zu leiden. Eine der ersten Maßregeln des Obersten war, die städtischen Söldner für die Krone Schwedens in Eid und Pflicht zu nehmen; und wenn auch der Ratsknechte Gehorsam für ihre eigentliche Obrigkeit nicht dadurch aufhörte, so durften sie doch nicht gegen die Schwedens kämpfen. Damit war alle Gegenwehr, die möglicherweise noch innerhalb der Mauern stattfinden konnte, gelähmt. Nachdem Lüneburg auf diese Weise zu einem Rückhalt für die schwedischen Eindringlinge gemacht worden war, zog Banner mit der Armee dem Kriegsschauplatze in Pommern zu.

Christoph Töbing hatte sich in dieser ganzen Zeit als so entschlossen und brauchbar gezeigt, daß der Rat, ohne ihn schon an Stelle seines Vaters zu wählen, doch seine Teilnahme an allen Sitzungen nicht mehr entbehren mochte. Der unruhige Junker war dadurch in einer Art beschäftigt, die seine Zeit und Kraft in vernünftiger Weise in Anspruch nahm und ihn immer mehr einem geordneten Leben zuführte.

Der nächste Schritt, welchen die Väter der Stadt nach der Neugestaltung der öffentlichen Verhältnisse für nötig erachteten, war, ihrem Landesfürsten ein Entschuldigungsschreiben zuzusenden. Eine ungnädige Antwort erfolgte. So entschloß man sich denn nach langer Überlegung, da man den Druck des Schwedenregiments kaum ertrug, den Kurfürsten Georg Wilhelm von Brandenburg, der schon lange als Schutzherr der Stadt jährlich 200 Goldgulden bezogen hatte, um Hülfe anzugehen.

Oberst Stammer wurde auf Stadtunkosten samt seinen Offizieren im Gästehause des Rats, dem Schütting am Markte, verpflegt. Die Herren ließen es sich hier wohl sein und führten ein wüstes Leben. So vergingen die nächsten Monate.

Nur wenige Schritte straßab vom Schütting lag das Korbelinsche Brauhaus; der Abwechselung halber zogen die Schweden oftmals hierhin zum Bier und saßen dann lärmend und breit, statt aller anderen Gäste im aufgetreppten Zechstüblein.

Eines Tages begab es sich, daß der Oberst auf der Diele im weißen Dunstgewölk, das dem Braukessel entströmte, einer Mädchengestalt ansichtig wurde, die seine Aufmerksamkeit fesselte. Er eilte auf sie zu und hielt sie fest.

»Bei dem Leben meiner durchlauchtigsten Königin,« rief der gewaltige Kriegsmann, »dies gleißende Haar erkenne ich wieder! Ihr seid die schöne Jungfer vom Bretterwäglein in der Heide, die mir von den Lüneburger Söldnern abgesagt wurde!«

»O, großgünstiger Herr, laßt meine Hand los,« bat Hete erschrocken.

Korbelin kam dazu. »Sie ist mein Schwesterkind, Oberst Stammer,« sagte der Brauer und zog das Mädchen zu sich her. »Eine ehrbare Jungfer und angesehener Leute Kind; so Ihr Euch nicht selber Schimpf anthun wollt, laßt sie gehen.«

»Was ich mir anthue, weiß ich allein, Ihr Bierfaß! Wir sind hier die Herren und thun, was uns gefällt, dies Kind aber ist reizend und soll mein werden.«

Hete war entflohen und der Zudringling kehrte, vor sich hin lachend und seinen langen Schnurrbart aufwirbelnd, in die Gaststube zurück.

Einige Tage später kam Hans Stern, der von innerem Grimm über die schmachvolle Lage der Stadt verzehrt, nur seiner Arbeit gelebt und sich um öffentliche Dinge möglichst wenig gekümmert hatte, mit einer Bestellung aus der Druckerei in Korbelins Haus. Es war um Mittag, eine Zeit, in der selten Gäste vorsprachen. Frau Bärbe stand in der Küche und gab Hans den Bescheid, ihr Mann werde gleich nach Hause kommen er möge nur warten.

Hans trat auf die Diele zurück; sollte er in das Hinterzimmer gehen, wo er hoffen konnte, Hete zu finden? Nein, er wollte sie so wenig wie möglich wiedersehen. Schon wandte er sich dem Zechstüblein zu, als der jammernde Hülferuf einer Mädchenstimme ihn doch nach der Hofstube eilen ließ, er riß hastig die Thür auf und trat ein. Hete wand sich schreiend in den Armen des Obersten Stammer.

Wütend über diesen Anblick stürzte Hans sich auf den Offizier und entriß ihm das Mädchen. »Was wagt Ihr – was thut Ihr?« schrie er dem Schweden zu, »hinaus mit Euch aus dem Frauengemach!«

Hete war unter angstvollem Schluchzen in die fernste Ecke entflohen, der überraschte Eindringling aber wandte sich grollend gegen den Störer: »Was kümmert's Euch – was wollt Ihr – wer seid Ihr?«

»Ich bin ein Verwandter Korbelins und will das Hausrecht wahren. Hinaus mit Euch in die Zechstube!«

»Wisset Ihr nicht, daß wir Schweden hier die Herren sind?«

»Herren oder nicht, Ihr, ein hoher Offizier, werdet nicht aller Sitte bar sein.«

»Gelbschnabel, willst du mich Sitte lehren?«

»Ja, Oberst, da Ihr sie nicht zu kennen scheint.«

Eben wollte Stammer mit scharfer Entgegnung auffahren, als die Thür sich öffnete und Pavel Korbelin hereintrat.

»Ihr hier, großmächtiger Herr, im Gemach der Weiber und Kinder?« fragte der Hausherr überrascht und zornig.

»Ja, ich bin hier, weil es mir beliebt,« antwortete der Schwede frech.

»Uns aber beliebt es nicht, Herr,« keuchte Hans, fast sprachlos vor Wut und hob seine Fäuste. Korbelin riß die Thür weit auf und rief: »Vorn im Gaststüblein ist Platz genug. Diese Schwelle überschreitet kein Mann ohne meinen Willen.« Mit funkelnden Augen standen die Lüneburger dem Fremden gegenüber. Er mochte den bitteren Ernst in Blicken und Geberden der beiden Männer erkennen und verließ mit drohenden Worten Zimmer und Haus.

»Jungfer Hete darf nicht hier bei Dir bleiben, Pavel,« war das erste, was der zornige Freund rief. »Sie ist keinen Tag, keine Stunde mehr sicher hier.«

»Ich glaube es selbst, Hans, doch wohin mit dem armen Dinge?«

»Meine Mutter würde sich freuen.«

»Ach ja, zur guten Base Seutemine,« sagte Hete mit schüchterner Stimme; sie stand verstörten Gesichts zur Seite und hob flehend ihre Hände. Wie ihr Anblick Hans nahe ging!

»Wir wollen sie,« sagte er unsicheren Tones, »in der Abenddämmerung, so verstohlen wie möglich, nach unserem Hause schaffen und aussprengen, sie sei nach Celle zurückgekehrt. Wir müssen sie hinter der Rotenmauer ganz verborgen halten. Ich will ihr mein Turmzimmer unter Andreas abtreten und selbst das Kämmerchen an der Küche nehmen. Im »Grauen Mann« wird niemand das arme Kind suchen, und dem kleinen Ohm ist die junge Hete immer willkommen.«

Nach dieser Abrede verließen die Männer das hintere Gemach.

»Wie schändlich, daß solcher Vorgang in unserer ehrbaren Stadt möglich ist, Pavel,« sprach Hans mit noch einmal aufloderndem Ingrimm. »Lieber Tag und Nacht auf den Wällen stehen oder mit zerschlagenen Knochen daliegen, als dieses.«

»Du hast recht, mein Junge. Wir wollten es anders; unser schwacher, elender Rat hat uns dies eingebrockt.«

»Man kann's nicht länger so ertragen! Es muß etwas geschehen. Ein Feigling, der also aushält! Ich reite je eher je lieber zum Herzog Georg.«

»Jetzt, mitten im Winter?«

»Es muß sein, ich fühle und sehe es klar. Will er uns helfen, so zetteln wir einen Aufstand an und lassen ihn herein. Der Herzog allein kann uns von diesen Teufelskerlen befreien. Wenn Hete in Sicherheit ist, spreche ich mit Ohm Stern, er wird mit mir einverstanden sein, und dann kann ich nichts besseres thun, als mich auf den Weg machen!«

»Du solltest, bevor du reitest, heimlich beim Rat vorstellig werden. Bedenke doch, wie die Stadt unter einer Belagerung, so wie unter harten Straßenkämpfen leiden würde,« entgegnete der ältere Freund vorsorglich.

»Ich hoffe, auf unsere Getreue Brüderschaft zählen zu können.«

»Sie haben wohl den guten Willen, aber die Not hat manchen gelähmt. Sie meinen, der Rat werde durch Vorstellungen Banner zur Wiederabführung der Besatzung bestimmen und scheuen die Gewalt.«

»Ich werde es ihnen schon darthun, daß unsere Befreiung nicht anders zu erreichen ist. Und wäre es nicht ein Labsal für unsern Grimm, diesen Fremdlingen an Hals und Kragen zu gehen?«

»Vergiß nicht, daß auch dein Vater mit seinen Söldnern ihnen hat schwören müssen.«

»Mich soll kein eigensüchtiges Bedenken hindern; mein Vater und ich stehen doch hart gegeneinander. Ich muß alles für der Stadt Wohl daran setzen.«


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