Felix Dahn
Chlodovech
Felix Dahn

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XXXII.

Der Ehrwürdige schien richtig geweissagt zu haben.

Von dem Märzfeld aus brach das Heer Chlodovechs sofort auf und zog gen Süden gegen die Loire, von Norden her das Gebiet Alarichs bedrohend, während Gundobad mit seinen Burgunden von Osten aus durch die gebirgige Landschaft der Auvergne den Goten in die rechte Flanke fiel. Diesem Doppelangriff fühlte sich Alarich nicht gewachsen: er war völlig unvorbereitet, – traute er doch Chlodovechs Freundschaftsworten von Amboise! – schlecht gerüstet, es fehlte an Geld, er mußte zu Münzverschlechterung, zu Zwangsanlehen greifen. Er nötigte auch die Katholiken, gegen ihren Willen, zum Kriegsdienst wider die Vorkämpfer ihres Glaubens! –

Während seine eilenden Boten über die Alpen flogen, die Hilfe Theoderichs anzurufen, versuchten seine beiden Königen entgegengeschickten Gesandten, die Angreifer, die ohne jede Kriegserklärung losgeschlagen hatten, durch Vorstellungen, durch Verhandlungen aufzuhalten. Vergeblich! Chlodovech lachte: »Ich thu' euch nichts zuleide, ihr Herren, aber kehrt um. Kommt mit! Jedoch sorgt für gute Pferde, sonst sind wir lange vor euch bei eurem König.« Diesen raschen Stößen bog Alarich aus: zur schweren Verstimmung seiner Goten gab er, nach Westen zurückweichend, alles Land bis Poitiers den Feinden preis. Hier, im Innern seines Reiches, der sehnlich erwarteten Hilfe der Ostgoten näher, wollte er Verstärkungen heranziehen und in der gewaltigen Feste Poitiers die Angreifer hinhaltend abwehren, entschlossen, ohne die Ostgoten sich auf keine offene Feldschlacht einzulassen.

Aber einstweilen wirkte zu seinem Verderben die religiöse Färbung, die Chlodovech – übrigens ohne Heuchelei – diesem Kriege zu geben verstanden hatte: er führte ihn als einen heiligen Krieg, als einen Kreuzzug des rechten Glaubens gegen die Ketzer: – den Heiden in seinem Heere war das gleichgültig, ja manche von ihnen wurden von den wunderbaren Erfolgen ihres christlichen Königs selbst zu seinem Glauben herübergezogen.


Etwa einen Tagemarsch nördlich von Poitiers lagerte eines Abends das Frankenheer; am andern Morgen sollte die Stadt erreicht und eingeschlossen werden: man mußte sich auf eine langwierige Belagerung gefaßt machen. Vor dem Zelt, in welchem Guntbert die Wodanfahne mit dem Kreuz untergebracht hatte, lagen zwei Männer auf dem weichen Rasen hingestreckt, aber ihre Waffen bereit zur Hand: – denn sie sollten das doppelt geweihte Feldzeichen bewachen –; auf einem Schemel stand zwischen ihnen ein hoher eherner Henkelkrug, dunkelroten Weines, den sie in vollen Zügen tranken. Der eine hob das Gefäß gen Himmel und sprach: »Hör's, Wodan, das trink' ich dir um Sieg!« Und er trank und wischte den bärtigen Mund. »Höre, Geremarlein,« sprach der andere, »ich meine nachgerade, wir sollten einem andern zutrinken, wollen wir des Sieges sicher sein.« – »Einem andern? Tius? Den laß du nur den Alamannen.« – »Nicht doch! Ich meine: dem neuen Gotte unseres Königs: dem Herrn Christus.« – »Wie, Frecholein? Was sprichst du da? Warum?« – »Ei, weil es mit Händen zu greifen ist, daß der neue Gott stärker ist, als der alte. Ich rede nicht mehr von der Lauterschlacht: – obwohl ich dort schon unter dem Hengste des hünenhaften Königs lag und gerettet ward nur durch Chlodovechs Speerwurf, den ihm Herr Christus selbst geschickt in jene Gurgel lenkte: – ich will nur von dem sprechen, was wir alles in diesen Wochen staunend selbst mit Augen gesehen haben.« – »Ja, es ist wahr! Seine Heiligen haben unserm Herrn sichtbarlich alle Wege gebahnt durch ihre Wunder! Nun, er hat sie auch wohl verdient durch seine Gunst und Gaben! Im Gebiet von Tours – zu Ehren des Halbgottes, den sie dort anbeten . . . wie heißt er doch?« – »Sankt Martinus. Ist aber kein Halbgott, nur so ein – nun, sagen wir ein Viertelgott! Und sie beten ihn nicht an, sie verehren ihn nur.« – »Schau, du bist ja schon ein halber Diakon, so fein verstehst du dich auf diese feinen Sachen! Nun, da durften wir nicht wie sonst in Feindesland heeren, plündern und brennen nach Herzenslust: nur Futter für die Gäule nehmen.« – »Und auf dem ganzen Zug mußten wir aller Kirchen und ihrer Güter, – sind viele! – aller Geistlichen schonen.« – »Und gute Weissagung soll dem König geworden sein zu Tours! Wie war das doch? Du hast ja die Bischöfe aus unserm Lager dorthin begleitet.«

»Ja, er war von ihnen angewiesen worden, wohl darauf zu achten, was in der Basilika Sankt Martins werde gesungen werden gerade in dem Augenblick, da seine Gesandten die reichen Geschenke auf den Hauptaltar legen würden.« – »Nun und?« – »Es ward gesungen – so hat mir's einer der Priester übersetzt – ›du, Gott, hast mich gerüstet mit Stärke zum Streit und wirst unter mich werfen, die sich wider mich stellen. Du wirfst meine Feinde in die Flucht vor mir, daß ich meine Hasser verderbe.‹«

»Hm, das ist ein guter Anfang,« meinte Frecho und that einen tiefen Zug. »Aber ich will dir,« lachte Gero pfiffig, »verraten, wer dies Wunder gewirkt hat.« – »Nun, Sankt Martinus, ohne Zweifel.« – »Nein! ganz ein anderer: der schwarze Priester.« – »Cautinus? Der? Wieso?« – »Als die Geistlichen fort waren, erbat er sich heimlich gegen reichen Lohn von mir das rascheste Roß, ritt auf näherem Wege, von einem Turoner geführt, durch die Wälder voraus und verkündete Bischof Licinius die Stunde, wann Chlodovechs Boten in der Basilika ankommen würden.« Frecho stutzte: »Das wäre! . . . Aber andere Wunder kannst du nicht hinwegstreiten. Ein Haufe Heiden – wilde Alamannen von Arbon – vergriffen sich – trotz des königlichen Banngebotes! – an dem Kloster des frommen Abtes Maxentius an dem Seure-Fluß: sie raubten vom Altare weg die heiligen Geräte: der Abt läuft hinzu, abzuwehren: da schwingt der Führer das Schwert gegen sein Haupt: der Mönch hebt beschwörend den Zeigefinger der rechten Hand: regungslos und unbeweglich in der Luft bleibt der erhobene Schwertarm. Der König eilt auf die Nachricht erschrocken herbei, wirft sich dem christlichen Zauberer zu Füßen und erfleht Verzeihung. Da bekreuzt der den Alamannen, er berührt den Arm, das Schwert entfällt dem, er sinkt zu Boden und bittet um die Taufe, er und das ganze grimme Rudel. Hätt' ich das mit angesehen, – ich glaube, ich hätt' es ebenso gemacht. Der König aber schenkte dem Kloster zur Sühne ein ganzes Landgut, die reiche Villa Milo.« »Ei,« lachte Gero, »der Heilige machte ein gutes Geschäft: – für einen nicht empfangenen Hieb und ein Kreuzschlagen viele Hufen Landes.« »Ja,« erwiderte Frecho, »auf das Geschäft verstehen sich die Heiligen. Und das gerade gefällt mir an ihnen: darum möcht' ich mich an sie halten: sie wissen nicht nur im Himmel, auch auf Erden trefflich Bescheid. Sind kluge Handelsleute! So meinte jüngst auch unser Herr bei einem andern großen Wunder. Als er neulich mit der Vorhut an die Vienne kam, hatte das Flüßchen, durch einen Wolkenbruch wild angeschwollen, die Brücke fortgerissen und strömte tief und reißend dahin. Fußvolk und Reiter, die durchschwimmen wollten, ertranken in den schäumenden Strudeln. In ratloser Verlegenheit ward das Heer stundenlang aufgehalten: endlich rief der König in die noch immer gießenden Wolken hinauf: ›Heiliger Martinus, schaff' Hilfe und Rat und ich schenke deinem Kloster zu Tours das kostbare Roß, das ich jetzt reite.‹

Sofort zerteilte sich das Gewölk, die Sonne lachte auf uns nieder und sieh, aus dem nahen Walde trabte eine weiße Hinde, von unsern Hörnern aufgescheucht, auf den Fluß zu, setzte hinein und schritt – ohne schwimmen zu müssen – auf das andere Ufer. Sankt Martin hatte uns durch sein ihm geweihtes Tier eine Furt gewiesen. Mit freudigem Jubel folgte der König und sein ganzes Heer dem vom Himmel gesendeten Wegweiser. Drüben angelangt, reute nun aber den Herrn König seines Versprechens, denn das Tier war ihm wert und vertraut, wie kein anderes. Er sprach also zu dem Herrn Bischof Licinius, der in unser Lager übergegangen war und neben ihm ritt: ›Herr Bischof, – was ist denn deinem Kloster der edle Gaul nütz? Ich lös' ihn mit Gold.‹ ›Wird nicht angehen, mein Sohn,‹ meinte der fromme Herr kopfschüttelnd. ›Sankt Martinus läßt nicht los, was ihm gelobt ist.‹ Als aber der Herr König bat und bat, erwiderte endlich der Bischof: ›Nun wohlan, auf daß du die Güte des Heiligen erkennest: – er will verstatten, daß du das Tier lösest – doppelt kostbar, weil es dich so lange tragen durfte! – mit tausend Solidi.‹ Seufzend willigte der König ein und sprach: ›Sankt Martinus ist gut in der Not, aber teuer beim Handel.‹«

»So teuer ist Wodan nicht: – ich bleib' ihm treu,« sprach Gero, abermals trinkend. Ihm wie dem andern war schon die Zunge schwer von dem vielen, ungemischt getrunkenen Wein. »Ich glaube, ich weiß viel besser, woher es kommt, daß Glück und Sieg unsern Herrn so treu begleiten wie Wodan seine beiden Raben.« »Nun, woher meinst du?« forschte Frecho. – »Nicht von den Heiligen im Christenhimmel wahrlich!« – »Sondern? Woher?« – »Ei, man raunt allerlei im Volk der Franken, in meiner Heimat an der Westerschelde.« – »Was sagt man dort?« – »Chlodovech sei gar nicht König Childirichs Sohn!« – »Du, hüte deinen Kopf, Frau Basina ist . . .« – »Ganz unschuldig daran!« – »Höre, das ist . . .« – »Kein Rätsel. Sie lustwandelte einmal allein auf der einsamen Düne im heißen Mittagsonnenschein: wie in blauem Traum und Zauber lag das Meer: da stieg ein Meerwicht aus der tiefen See und bezwang die schöne Frau. Der Sohn dieser Stunde ist unser Herr. Darum helfen ihm die alten Götter, Und ich . . . ich hab's gesehen.« – »Was hast du gesehen?« – »Daß es wahr ist, was die Leute flüstern. Neulich sah ich ihn baden, schwimmen in der Seine. Er hat wirklich rote, borstenartige Haare, ein ganzes Büschel auf Nacken und Rücken. Das ist sein Erbe von dem borstigen Meerwicht. Ich bleibe bei den alten Göttern: sie sind auch stark. Und dann,« meinte er lallend, »wir haben doch allerlei gethan, was, mein' ich, dem Herrn Christus, den die Seinen als gar so brav und streng loben, nicht ganz gefallen hat. Weißt du noch, wie wir aus dem Walde jene zwei Pfeile auf Rignomer . . .?«

»Pah, gut geschossen war's,« meinte der andere. »Reich' den Wein herüber!«

Da schob sich ein behelmtes Haupt, das, unvermerkt aus dem Zelte herausgestreckt, schon geraume Zeit die Reden beider mit angehört hatte, noch merksamer lauschend hervor. »Hei, das hat der Herr König zu verantworten, der's befohlen.« Der Behelmte zuckte zusammen. »Ja, unser Herr König! Der hat ein gutes Gewissen. So eins möcht' ich auch haben.« – »Na höre . . .!« – »Freilich. Ein so gutes, geduldiges, unbissiges Gewissen! Er mag thun, was er will: es beißt ihn nie.« – »Und die zwei andern Pfeile! Wie grausig blutrot ward das weiße Haar des alten Königs!« »Auch das,« lachte der andere, »hat nicht nur sein Sohn Chloderich, hat auch wieder der König zu verantworten: er zahlte mehr dafür als der Sohn. Und mich freute es, wie ich – auf unsers Herrn Geheiß – dem mörderischen Sohn den Kopf herunter in die Truhe schlug.« »Ah,« stöhnte es hinter ihnen. Beide Zecher fuhren herum: aber sie sahen niemand, nur der Zeltvorhang wehte leise im Winde.

 


 


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