Felix Dahn
Chlodovech
Felix Dahn

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VI.

Wenige Jahre nach Chlodovechs Thronbesteigung schrieb Theoplastus, Bischof der burgundischen Stadt Genf, an Remigius, den frommen, weisen und edeln Bischof von Reims, welche Stadt Chlodovech längst gewonnen hatte: »Remigius, dem in Christo geliebten Bruder, der da zu Reims den Bischofstuhl schmückt, sendet bischöflichen Gruß Theoplastus von Genf. Es ist wohlgethan, geistlicher Pflicht und weltlicher Klugheit gleich entsprechend, daß die Hirten der christlichen Herde über die trennenden Grenzen der weltlichen Reiche hinweg sich brüderlich die Hände reichen und gemeinsame Zwecke gemeinsam verfolgen, ohne Rücksicht auf die Vorteile der Staaten, denen sie – dem Leibe nach – angehören.

Denn der Seele nach gehören sie nicht den weltlichen Reichen an, sondern dem Reiche Gottes: die weltlichen Reiche aber und ihr Recht sind nur ein notwendiges Übel, eine Frucht des Sündenfalles: im Paradiese gab es weder Recht noch Richter: eine Folge also der Verführungsthat des Teufels sind Recht und Staat, diese leidigen Krücken der erkrankten Menschheit: die gesundete wirft sie von sich am Tage des Gerichts, da Recht und Staat untergehen werden, zugleich mit dem Teufel, von dem sie verschuldet sind, wie Sankt Augustinus schreibt in seinem herrlichen Werke ›vom Gottesstaat‹: dies Buch sollte man als Gesetz verkünden in allen Staaten von Christen. Da würde kein König mehr der Kirche Rechte kränken können: denn alle Geltung – schreibt Sankt Augustin – die dem Staate, dem weltlichen Gesetze, zukommt, kann nur das ewige Gesetz der Kirche ihm verleihen. Daran müssen wir denken Tag und Nacht und danach unsern Gehorsam gegen die Könige der Welt bemessen.

Auf diese Gedanken ward ich geführt, weil, was ich dir, in Christo geliebter Bruder, vorschlagen werde – unter dem Siegel priesterlichen Schweigens! – dir vielleicht auf den ersten Blick bedenklich erscheinen kann, als ob es mit der Treue des Unterthans gegen seinen König etwa nicht sonderlich gut vereinbar sei. Allein in der Priesterweihe legen wir den natürlichen, den weltlichen Menschen und unsere Volkesart ab und ziehen einen geistlichen Menschen an: nur der weltliche aber war an den Staat gebunden, nur ihn verpflichtete der Eid der Treue, den jener – noch als Laie – geschworen hatte.

Es handelt sich – kurz gesagt – darum, die Herrschaft eures jungen Königs über dies unglückliche Reich der Burgunden auszudehnen. Du staunest, du fragst: ›Wie kommt ein Bischof dazu, sich einen Heiden zum Herrscher zu wünschen, statt der beiden christlichen Könige, unter denen er steht?‹ Die Antwort lautet: die burgundischen Könige sind Ketzer, Arianer. Sie sind nicht Christen: denn sie gehorchen nicht bischöflicher Vermahnung: und der heidnische Frankenkönig? Nun, der muß eben katholisch werden!

Mit unsäglicher Mühe habe ich seit Jahren im Verein mit den Mitbischöfen in Burgund König Gundobad von seiner arianischen Ketzerei hinweg für das Bekenntnis des heiligen Athanasius zu gewinnen gesucht: ein großes Religionsgespräch zwischen uns und seinen arianischen Balspriestern, in dem ich alle Kraft des Geistes – sie ist, wie du weißt, nicht ganz gering! – aufwandte, brachte ihn nur zu einem Achselzucken, wie weiland Pontius Pilatus!

Nun, da er nicht hören will, soll er fühlen! Er unterdrückt uns nicht gerade, aber er läßt uns auch nicht frei gewähren: – freilich auch seine arianischen Bischöfe nicht: die Kirche aber ist nicht frei, wenn sie nicht herrscht. Darum haben wir, die rechtgläubigen Bischöfe im Reiche der Burgunden, unsere Augen auf einen andern geworfen, den ungehorsamen Ketzer durch einen ungehorsamen Sohn der Kirche zu ersetzen: auf euren König: Chlodovech.

Es ist staunenswert, was dieser junge Heide in den wenigen Jahren seiner Herrschaft vollbracht hat: er gemahnt an den Knaben David, den Sohn Isais. Noch nicht zwanzig Jahre alt, hat er Syagrius, den letzten Befehlshaber, der noch römischen Besitz in Gallien behauptete, vor seiner Stadt Soissons geschlagen: – er selbst – der junge König – soll in dem Kampfe das Beste gethan haben. Auf seinem Rotroß seiner Gefolgschaft vorausjagend, entriß er mit eigner Faust dem Tribun den letzten Adler der letzten römischen Legion, der noch in Gallien die goldnen Schwingen hob, ihn und vier Centurionen im Einzelkampf um dieses Feldzeichen erschlagend. Er – der erste, weit vor all' seinem Heer! Dann zerschlug er mit seiner Streitaxt das Thor von Soissons, drang ein, nur von einem Gefährten gefolgt und wehrte sich, den Rücken an den Wall gelehnt, lange, lange Zeit, bis die Nachdringenden ihn, den nach vielen Wunden Gefallnen, unter dem Schilde seines blutenden Gefährten hervorzogen.

Und seit er Soissons gewonnen – bei der Teilung der Beute mit seinen Franken soll er allerdings das meiste heimlich für sich beiseite gebracht haben! – hat er wie ein fressend Feuer um sich gegriffen. Oder vielmehr: Gott und die Heiligen haben ihn von Erfolg zu Erfolg getragen, wie da geschrieben steht in den Psalmen: ›Ich werde die Völker unter dich zwingen und die Leute werfen unter deine Füße, ich will deine Feinde zerstoßen wie Staub vor dem Winde.‹

Er findet keinen Widerstand – oder überwindet ihn, wie von den Flügeln der Engel hinüber getragen. Bis an die Seine, ja bis an die Loire hin, gewann er alles Volk, mehr durch Klugheit als durch Waffengewalt, die Römer und die alten Einwohner in der Bretagne fallen ihm zu. Bald wird er in Paris einziehen, wo die fromme Jungfrau Genoveva, seines Vaters Schutzbefohlene, eine Heilige, die bei lebendem Leib allerlei Wunderzeichen verrichten soll, die Seelen der Einwohner für ihn gewinnt. Nun, in Christo geliebter Bruder, und dieser Mann, dem sichtbarlich Gott und die Heiligen die Wege bahnen – was ist er? Ein Heide! Freilich!

Seine Erfolge aber sind so groß, daß man nicht mehr sagen kann: Gott läßt sie nur zu, zur Strafe unserer Sünden, wie Pest oder Hungersnot, nein: Gott will durch diesen Mann seine Kirche verherrlichen auf Erden. Und wir – wir müssen dazu helfen mit irdischen Mitteln zu himmlischen Zwecken. Das ist des Priesters, des Bischofs wichtigste Pflicht! Denn von Anfang hat der Merowing – klug oder gut – sich gar freundlich gestellt zu den Bischöfen seiner Städte. Er, – der Heide! Ganz anders als jene gottverfluchten Könige der Goten und unsere burgundischen: die beide zwar Christen heißen, aber üble Ketzer sind! Zehnmal schlimmer der Ketzer als der Heide! Der Heide hat das Wort des Heils noch nicht vernommen oder nicht verstanden, der Ketzer hat es vernommen und in Unheil verkehrt. Die Ketzer verfolgen die Katholiken: – die Heiden lassen sie gewähren, ja, ich kenne manchen heidnischen Germanen, der, wie vor seinen Göttern, vor Sankt Martinus fromm die Kniee beugt: wenn er zwölf Götter verehrt, warum nicht vierundzwanzig? Schon jetzt, da Chlodovech noch Heide, sehnen gar viele Katholiken in Burgund und im Westgotenreich – so schreibt mir zum Beispiel der Bischof von Langres – seine Herrschaft herbei: er schützt sie jetzt schon, die Arianer bedrücken sie. Dieser Merowing scheint von Gott berufen, große Macht in Gallien zu gewinnen: wohlan, er soll sie üben: aber im Dienste der heiligen Kirche.

Diese Gedanken nennst du vielleicht allzu weltlich? Denn wohl bekannt ist mir dein frommer, reiner, nur auf das Himmlische gerichteter Sinn.

Wohlan, so vernimm denn: die Heiligen haben jene Gedanken feierlich gebilligt. Viele Monate lang – seit jenem Religionsgespräch, in dem ich den schnöden Zweifler Gundobad zu überzeugen nicht vermochte, – zu meiner tiefen Demütigung! – wälzte ich Tag und Nacht diese Erwägungen im Kopf und bat die Heiligen, mich zu erleuchten. Vor drei Tagen schlief ich – nach langem Planen und Beten – ein: alsbald erschienen mir, vom Strahlenkranz die Häupter umleuchtet, die heiligen Bischöfe Martin von Tours und Hilarius von Poitiers, die ich zuletzt angerufen im Gebet, und sie sprachen: ›Mein Sohn Theoplastus, du bist auf dem rechten Wege: das Reich der Burgunden soll und wird den Franken zufallen und du selbst wirst den Merowing zum Taufbecken geleiten. Die Ehrung, die dir Gundobad versagt, wird Chlodovech dir reichlich leisten.‹ Nach diesem Gesicht ist mir der letzte Zweifel geschwunden: ich schwöre dir: so haben die Heiligen gesprochen.

Nun erwäge meine Worte, vor allem aber die der Heiligen, und verweigre nicht deinen Beistand zu einem frommen und heiligen Werk. Ich denke dabei nicht gleich an Krieg und Eroberung: ich will erst den Heiden für den rechten Glauben gewinnen, bevor ich ihm das Reich Burgund in die Hände spiele. Und dazu hat uns Gott ein trefflich Werkzeug gegeben!

Du weißt, wie die Dinge bei uns liegen. Unsere beiden Könige zwar, Gundobad und Godigisel, die Brüder, sind Arianer, aber ihre Nichte, Hrothehild, die Tochter des verstorbenen dritten Bruders Hilperich, durfte die katholische Mutter bis zu ihrem Tod im rechten Glauben erziehen: und ich habe Gott und den Heiligen versprochen, die Seele der Doppelwaise ihnen zu erhalten trotz aller Anfechtung. Ja, dieses schöne, kluge, willenszähe und mir, – das heißt der Kirche, – schrankenlos ergebene Mädchen, mein Patkind und Beichtkind, soll des Merovings Gemahlin werden: dann müßte es doch seltsam zugehen, wenn wir, falls sie und du und ich zusammen wirken, den Heiden, der schon jetzt den Katholischen so geneigt ist, nicht bald völlig gewönnen. Und als Gemahl der Tochter des verstorbenen Burgunden-Königs – den dritten Teil des Reiches beherrschte ihr Vater Hilperich – hat er ein Recht auf ein Drittel dieses Reiches: die beiden andern Drittel mag ihm dann Schwert oder Vertrag verschaffen. Der Mann aber, der dir dieses Schreiben überbringt, verdient dein volles Vertrauen: mündlich und schriftlich kannst du ihm alles mitteilen. Es ist mein Neffe Cautinus. Ich grüße dich mit apostolischem Gruße.«

 


 


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