Felix Dahn
Chlodovech
Felix Dahn

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XXIX.

Von Thérouenne aus wandte sich der Unermüdliche sofort gen Süden nach Le Mans: dort herrschte als Gaukönig Chararichs Bruder Rignomer, der zur Blutrache rüstete. Aber seine Gauleute zeigten wenig Lust, dem überall erfolgreichen Sieger entgegenzuziehen: sie drohten, sich zu widersetzen. Chlodovech erfuhr, daß es auf dem Sammelort vor Le Mans zu Gewaltthaten kommen könne. Alsbald meldeten sich bei Rignomer zwei treffliche Pfeilschützen, Überläufer, die, unfreie Knechte Chlodovechs, wie sie sagten, dem Christen nicht länger dienen wollten: gern nahm sie jener auf. Sie hießen Geremar und Frechramn: aber der König hatte ihnen längst nach den beiden Wölfen Wodans die Kosenamen ›Gero‹ und ›Frecho‹ gegeben.

Bei der Heeresschau vor den Thoren von Le Mans, am Rand eines Waldes, schien es nun zu Gewalt nicht kommen zu sollen: zwar schalten die Krieger laut und hoben auch wohl drohend die Fäuste gegen den König, aber keine Waffe ward wider ihn gezückt. Da, wie er auf eine solche ungeberdige Schar zuschritt, kamen plötzlich aus dem Waldesdickicht ihm gegenüber zwei Pfeile geflogen, die ihn in die Stirne trafen: tot fiel er zur Erde. Die Mörder wurden nie entdeckt. Das Heer lief auseinander, nachdem es noch den Beschluß gefaßt hatte, Chlodovech einzuladen, des erblos Verstorbenen Königsstab aufzunehmen. Alsbald hielt er seinen glänzenden Einzug in Le Mans und alle drei Gaue schworen ihm den Eid der Treue.

»Hei,« meinte Chlodovech, »so heißes Eisen muß man schmieden. Sichtbarlich wollen es die Heiligen, – wie ich – daß diese elende Zerbröckelung des Frankenvolkes in kleine Fetzen, die nicht gedeihen, nichts leisten können, aufhöre. Wohlan, thun wir nach ihrem Willen.« Gleich nach dem Einzug in Le Mans schrieb er einen Brief an Chloderich, den Sohn des Königs der Uferfranken; er hatte erfahren, daß der Vater zur Zeit jenseit des Rheines im ›Buchonischen Wald‹, im Chattenland, bei Fulda, des Weidwerks pflog. Der Brief trug weder Aufschrift noch Unterschrift: – zwei Bogenschützen – Gero und Frecho, sie hatten sich gar bald wieder bei ihrem Herrn eingefunden – führten ihn in einem hohlen Pfeile – und der Brief lautete: ›Jener Freund, dem du nach dem Sieg an der Lauter geklagt, daß der alte längst morsche Baum noch immer nicht fallen will, teilt deinen Schmerz. Was nicht fallen will zu rechter Zeit, muß man fällen: jetzt ist günstige Gelegenheit. So rät dein Freund. Er wird dich bei der Arbeit unterstützen.‹

Alsbald schickte Chloderich die Bogenschützen als Jagdgehilfen dem Vater in den Hessenwald zu. Der alte Mann verschlief einmal die schwüle Mittagsglut im kühlen Buchenwald in seiner offnen Hütte von grünem Gezweig. Als er bei Sonnenuntergang noch nicht wieder erschien, bog sein Falkenwart die Äste auseinander, lugte hinein und schrie laut auf: tot lag der Greis, zwei Pfeile in der Stirn; das ehrwürdige lange weiße Königshaar war über und über von Blut gerötet.

Alsbald kamen zu Chlodovech, der einstweilen nach Paris zurückgekehrt war, seine beiden Wölfe und brachten des neuen Königs der Uferfranken Antwort: »Siehe,« meldete er, »mein Vater ist leider vor der Zeit gestorben und ich halte sein Reich unter meinen Händen. Schicke mir verlässige Boten: gern will ich von des Vaters Schätzen dir ablassen, was dir gefällt.« Sofort sandte Chlodovech seine beiden Boten wieder nach Köln mit dem Bescheid: »Ich danke für deinen guten Willen. Aber man soll die Waisen beschützen, nicht berauben: du sollst meinen Leuten, wann sie kommen, nur alles zeigen: ungeteilt soll alles Einem Herrn gehören.« So viel Enthaltung bewundernd sprach Chloderich zu den beiden: »Wohlan, so kommt mit in die Schatzkammer.« Und er wies ihnen den ganzen Hort, bestehend in erlesenen Waffen, in Schmuck, Gerät und Geschirr von Gold und Silber und kostbaren Gewanden, die an den Wänden hingen. Mit gierig funkelnden Augen sprach da Gero: »Wohl, wohl! Das alles ist eines echten, mächtigen Königs würdig.«

»Aber,« fuhr Frecho fort, »dein Vater hatte doch auch – so erfuhr unser Herr – eine gewaltig tiefe Truhe, von unten bis oben mit Goldstücken gefüllt. Wo ist die?« – »Da hinten, hinter dem Vorhang, kommt her.« Und er öffnete den schweren, erzbeschlagenen Deckel einer halbmanneshohen Truhe. »Die schwersten Goldstücke liegen ganz am Grunde.«

»Ei, hole doch von diesen ein Paar herauf,« bat Gero. »Nur Eines!« meinte Frecho bescheiden, »Gern,« erwiderte der König, beugte sich weit vor, das Haupt in die Truhe vorreckend und mit dem rechten Arm nach dem Boden tastend.

Da fiel sein Kopf in die Truhe, daß sie voll Blutes ward. Denn Gero hatte die Francisca erhoben und ihm mit Einem Streich das Haupt vom Rumpf geschlagen. Frecho warf den Rumpf nach und schloß sorgfältig den Deckel.

Unentdeckt gelangten die Boten aus dem Palast, aus der Stadt und aus dem Uferfrankenland zu Chlodovech, der einstweilen mit einer kleinen Schar bis Tongern entgegengezogen war, ihren Bescheid erwartend. Chlodovech belobte, beschenkte sie und gewährte ihnen die Freiheit durch ›Schatzwurf‹, das heißt, er schlug jedem eine Münze, die er als Loskaufpreis hinhielt, aus der offnen Hand.

Sofort erschien er urplötzlich in Köln, wo die Ripuarier, führerlos und bestürzt, ihn gern aufnahmen. Er berief aus allen ihren Gauen eine Volks- und Heeres-Versammlung vor die Thore der Stadt und sprach: »Hört, was geschehen, sofern ihr es noch nicht deutlich vernommen habt. Während ich friedlich zu Paris saß und meine Gaue beglückte, redete Chloderich seinem Vater unablässig vor, ich trachte ihm nach dem Leben. Ängstlich wich der alte Mann – vor mir! – über den Rhein und verbarg sich in dem Wald der Chatten. Da sandte der Sohn zwei Schächer über ihn, die ihn in jener Einsamkeit töteten. Chloderich selbst aber ward, da er des Vaters Schätze aufthat, von einem Rächer des Alten getötet. Ich – wie ihr wisset – bin an all' dem unschuldig. Denn ich werde doch nicht das Blut meiner Gesippen vergießen! Das wäre ja Frevel! Nun seid ihr ohne Schützer und König. Zwar leben zwei Söhne Chloderichs: allein das sind wehrunfähige Knäblein von zehn und acht Jahren: die können euch nicht schützen, die müssen selbst beschützt werden. Wohlan, ich meine wir empfehlen sie dem stärksten Schutze: dem Gottes und der heiligen Kirche, indem wir ihnen die langen Königshaare scheren und sie in mein Kloster zu Micy schicken, das besonders zu solchen Zwecken von mir – ohne Zweifel auf Antrieb der Heiligen – gegründet scheint. Und da die Dinge nun – leider! – einmal so gekommen sind, will ich euch was vorschlagen, falls es euch genehm ist: wendet euch zu mir und lebet fortab unter meinem Schutz. Ihr habt gesehen, daß ich sieghaft bin und stark: die Gaue, die ich neu gewonnen, sind hochzufrieden: alle Franken, euch ausgenommen, stehen unter meinem Schild: wollt ihr allein euch ausschließen? Kommt auch zu uns andern! Dann sind wir stärker als all' unsere Nachbarn und können, sie bekriegend, Ruhm und reiche, sehr reiche Beute gewinnen.«

Als die Uferfranken dies angehört, schlugen sie freudig die Waffen zusammen, hoben ihn auf einen Schild und trugen ihn umher mit dem Jubelruf: »Heil Chlodovech, dem König aller Franken!

»Denn,« fährt der gutmütige und fromme Bischof Gregor von Tours, der uns etwa sechzig Jahre später diese Dinge erzählt hat, fort. »Denn Gott warf Tag um Tag Chlodovechs Feinde unter dessen Hand, zum Lohne dafür, daß er gerechten Herzens vor Gott wandelte und that, was wohlgefällig war vor Gottes Augen.«

Gregor wollte gewiß nicht die Lästerung aussprechen, solche Thaten seien wohlgefällig vor Gottes Augen: sondern er denkt an die Verdienste, die sich der König durch Annahme des rechten Glaubens und Bekämpfung der Heiden und der arianischen Ketzer erwarb: diese wiegen in seinen Augen so schwer, daß er meint, auch Gott müsse um jener heiligen Zwecke willen die blutigen Mittel verziehen und dem frommen Eiferer für den rechten Glauben Sieg auf Sieg verliehen haben: freilich eine seltsame Vorstellung vom lieben Gott!

Aber wenigstens die Franken, deren Könige er ausgemordet, deren Gaue er gewonnen hat, waren, sofern sie von den blutigen Thaten erfuhren, derselben Ansicht wie Gregor: nirgends stieß er auf Widerstand bei den Leuten der Getöteten: im Gegenteil: mit Freuden schlossen sie sich ihm an, vom Glanz seiner Erfolge geblendet, von dem Gefühl der rasch steigenden Frankenmacht mit Stolz erfüllt. Tiefere Betrachtung wird die Erklärung solchen Beifalls darin finden, daß der Ruchlose klar erkannt hatte: die Zeit war reif, überreif, war danach verlangend, die Zersplitterung unter viele kleine Könige zu beenden und die Volkskraft einheitlich zusammenzuschließen zur Erreichung hoher Ziele: dies erfaßt und gewaltig durchgeführt zu haben, zwingt uns, Chlodovech bei aller Verwerfung seiner scheußlichen Mittel, als einen großen Staatsmann von weltgeschichtlicher Bedeutung anzuerkennen.

Offenbar war er sehr bald der Liebling des ganzen Volkes geworden, das ihn in früh – gleich nach seinem Tod – entstandenen Sagen feierte, auch mit Lächeln scherzhafte, humorreiche Geschichtlein seiner unbefangenen Ruchlosigkeit und ruchlosen Unbefangenheit und manches seiner Witzworte verbreitete: war er doch nur der echte Ausdruck, die gipfelnde Steigerung der guten und schlimmen Eigenschaften dieses Volkes selbst und seiner glänzenden, stürmischen, anbrausenden Tapferkeit, seines raschen, leicht beweglichen Geistes, seines schlagfertigen, spielerischen Witzes und jener jedes Gewissens baren Falschheit, um deren Willen die Zeitgenossen die Franken das treuloseste der Völker nannten, ›gewohnt, mit Lachen die Eide zu brechen!‹

Sie hatten ihre Freude an ihm.

Nachdem er nun den letzten ihm bekannten Gaukönig vernichtet und dessen Land gewonnen hatte, – es waren aber noch viele andere und meist seine Gesippen – berief er eine große Heeresversammlung aller Salier nach Paris, trat nach der Musterung in ihre Mitte und klagte laut und jämmerlich: »Ach, wehe mir Armem! Siehe, rasch hintereinander hat der Himmel, haben allerlei Unfälle all' meine Gesippen und Nachbarkönige dahingerafft! Allein steh' ich, entblößt, ein der Zweige beraubter Stamm. Sagt, ihr Leute, wißt ihr nicht, wo etwa noch ein Verwandter von mir – aus königlichem Blut – sich verborgen hält? Verhehlt es mir nicht, erfreut mich mit der Kunde, auf daß ich ihn hierher an meinen Hof laden könne!« Eifrig lauschte er überall hin. »Ihr schweigt? Ihr wißt also keinen mehr? Nicht Einen? Wie schade!« So entließ er sie.

»Das sagte er aber nicht,« bemerkt der treuherzige Gregor von Tours hierzu, »aus Schmerz über den Tod jener, sondern aus arger List, um so vielleicht noch einen Verwandten ausfindig zu machen und ihn umzubringen.«

Sogar weltlich gesinnte Geistliche, wie Theoplastus und Cautinus, verwarfen die Thaten ihres Beschirmers nicht ganz, die dessen Macht erhöhten. Zur Kenntnis der frommen Frauen im Palast, der Königin und Genovevas, drang nur das Allerwenigste und dies Wenige undeutlich, verschleiert; vor Remigius zu Reims vor allen und ähnlichen würdigen Bischöfen hielt der Schlaue jede verdächtige Spur verborgen: – die paar nicht zu verschweigenden Thaten auflodernder Hitze des Zorns gegen die offen erschlagenen Opfer rechnete ihm Hrothehild wie die ganze Zeit nicht allzuhart an: immerhin, riet sie dem Gemahl, einmal Remigius gründlich zu beichten. »Was denn? Was denn?« erwiderte der. »Daß er mich etwa exkommuniziert? Der ist's gleich im stande! Ist ja dumm! Hab' so viele Mühe gehabt, bis ich hineinkam in die Kirche, – jetzt laß ich mich nicht wieder hinaussperren. Muß denn gebeichtet sein, geh' ich zu Cautinus, der thut's billiger mit der Buße.«

 


 


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