Felix Dahn
Chlodovech
Felix Dahn

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III.

Nach wildem Aufschrei des Schmerzes, mit dem sich die hehre Gestalt der Königin über den Gatten geworfen, war sie allmählich von seiner Brust herab auf die Knie geglitten, mit beiden Armen seine Schultern umfaßt haltend: sie konnte nicht weinen.

Nicht lange hatte Chlodovech bei dem Vater geweilt: heiß waren ihm die Thränen in die Augen geschossen, heftig hatte er geschluchzt; aber bald wischte er das Naß von den Wangen und sah von dem ernsten, durch den Tod geweihten, strengen Antlitz hinweg: es schien ihm zu drohen oder doch die letzte Mahnung – wie versteint zu verewigen. Unstet wandte er das Auge und ließ es im Gemach umherwandern: da traf es auf den neben dem Speer an der Wand lehnenden Königsstab, einen weißen Eschenstock, der oben in eine greifende Hand von Gold auslief.

In leisen, kleinen Bewegungen des feingliedrigen Leibes glitt Chlodovech langsam hinter den Rücken der Mutter, wandte sich und geschmeidigen und geräuschlosen Schrittes huschte er in jene Ecke, haschte mit katzengleich sichrem, unhörbarem Sprung und Griff den Stab und war im Augenblick durch die enge Wandthür verschwunden. Bald scholl sein freudiger Schritt in dem entlegenen Hofe, wo er die im Palatium lebenden Knaben der Edelinge zum Nachtmahl versammelt wußte: plötzlich sprang er unter sie: erschrocken fuhren sie auf: »Was denn? Was denn?« rief er, den Stab über seinem Haupte schwingend. »Ja, fürchtet euch nur! Und gehorcht mir. Mein Vater liegt tot und ich bin euer König. Hier halt' ich seinen Stab: laß sehen, wer ihn mir wieder abnimmt.«

Der Sohn hätte nicht nötig gehabt so ängstlich jedes Geräusch zu vermeiden bei dem Verlassen des Gemaches: denn die Witwe, die ihm freilich den frechen Griff nach dem Königsstab verwehrt haben würde, den nur die Wahl des Volksheeres gültig verleihen konnte, lag so tief in ihren Schmerz versunken, daß sie noch geraume Zeit nichts Äußeres wahrnahm. So hatte sie es auch nicht bemerkt, als, lange nach Chlodovechs Entfernung, der Vorhang des Haupteingangs ganz leise auseinander geschoben ward und eine schlanke graue Gestalt auf der Schwelle sichtbar ward.

Freilich, so schattenhaft, so unirdisch leicht schien das zarte Wesen, die Bewegungen waren so leis, wie die Jungfrau nun im Rücken der Trauernden über den glatten Marmorestrich gegen das Sterbelager dahinglitt, daß sie mehr einer Geistererscheinung als einem Menschenweibe glich.

Als die Schlanke an dem Fußende des Lagers angelangt war, ließ sie sich hier niedergleiten, drückte demütig das blondgelockte schmale Haupt, die weiße Stirn mit den stark durchschimmernden blauen Adern auf die Zehenspitzen des Toten und umfaßte mit den fromm zum Gebet gefalteten Händen seine Knöchel. Lange lagen sie so, die beiden Frauen, die Witwe zu Häupten, das Mädchen zu Füßen des toten Mannes.

In tiefem Schweigen stand das Gemach: auch von außen drang kein störender Laut herein: es war wie ein Grab, so feierlich: die Schauer der Ewigkeit webten um die drei Gestalten.

Endlich erhob sich, tief aufseufzend, Basina, beugte sich über den Gatten und drückte einen Kuß auf seine bleiche Stirn. Nun zurücktretend gewahrte sie die rührende Gestalt, die so demütig da auf der Erde neben dem Pfühle hingegossen lag. Sonder Erschrecken, ohne Befremdung sogar sah sie auf das Mädchen in den grauen Schleiern herab; sie nickte leise, als habe sie das erwartet. »Genoveva!« sprach sie nun ernst, aber ohne Strenge.

Die Beterin richtete sich langsam auf: auch sie ohne Hast, ohne Scheu: sie schlug die tiefdunkelblauen Augen mit den großen Augensternen voll auf und hob einen langen Blick zu dem gewaltigen Weibe empor, das sie hoch überragte; sie rang nach einem Worte: sie fand keines.

»Ich wußte,« sprach die Frau, »du würdest kommen, wann – aber woher wußtest du . . .?« »Die Heiligen!« erwiderte das Mädchen mit wohltönender Stimme. »Sie sprachen diese Nacht im Traume zu mir: ›Geh' hin, Genovefa. Er wird die Sonne nicht mehr aufsteigen sehn. Geh' hin und bete bei dem Toten für seine Seele.‹ Darf ich, Frau Königin?« Basina zog die starken Brauen in die Höhe. »Immerhin! Überflüssig für ihn: – denn er sitzt jetzt selig an Walvaters Seite. – Aber dir, deiner Seele, thut es gut. So bete denn. Ich lasse dich allein bei ihm. Im Tode – wie so oft im Leben. Du hast ihn mir nehmen wollen: . . . unsern Göttern, mein' ich. Er blieb ihnen treu.« »Ich wollte seine Seele retten,« hauchte Genovefa und erschauerte. »Ich weiß. Und ich weiß auch – nur für den Christenhimmel wolltest du mir ihn nehmen. So wähntest du wenigstens. Ich ließ dich gewähren mit dem Lebenden . . .« »Ich – die Mutter – die Schwestern danken ihm alles! Leben – Ehre« – sprach hastig die Christin. »Als nach der Erstürmung von Avron die Krieger mich davonschleppten, hat er . . .« – »Ja. Und dein Dank war warm. – Ich verstand es. Und versteh' es. Ich gehe, seine Gruft zu bestellen. Küsse ihn, Genovefa.« Und hoch aufgerichtet schritt sie hinaus. Da warf sich das bleiche Kind in heißem Schmerz neben dem Toten nieder, faßte seine herabhängende Hand und küßte sie: »Ah, auf ewig verdammt, verdammt um das Weib des andern! O heilige Jungfrau – erbarme dich seiner! – Verdammt um ihretwillen!«

 


 


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