Felix Dahn
Chlodovech
Felix Dahn

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XXV.

An dem Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages war in der geräumigen Basilika des heiligen Johannes, die sich dem Palatium gegenüber erhob, doch bei weitem nicht Platz zu finden für alle, die das große Ereignis angezogen hatte: die freudig bewegten Katholiken der Stadt, die eifrigen neu Gewonnenen, und zumal große Haufen von heidnischen Franken, eingerufene Heermänner und viele fränkische Umwohner, zu denen die Nachricht rasch gedrungen war: diese zog die Neugier, das Staunen herbei, auch das Verlangen, die nie geschauten Wunder des alle Sinne bezwingenden Gepränges kennen zu lernen, die damals die Kirche allein zu entfalten vermochte. Sie wurden nicht enttäuscht, sondern berückt und bezaubert.

Die Königin wußte, wie stark diese Mittel wirkten: hatte sie doch sogar gehofft, selbst Chlodovech, den ungleich mehr als sein Volk an Prunk und Pracht gewöhnten, durch die bei der Taufe des ersten Sohnes dargelegte mystische Herrlichkeit bis zur Annahme ihres Glaubens zu betäuben: das war damals freilich mißglückt. Aber man zählte darauf, wie all' diese Blendung wirken müsse auf die schlichten Naturmenschen, auf die salischen Heerleute, die da aus ihren Holzgehöften im Rheinsumpf oder im Scheldewald in die Stadt, an den Hof, in die Kirche gekommen waren und nie dergleichen geschaut noch geahnt hatten.

Die triumphierende Kirche zeigte heute wohlweislich all' den Pomp, all' den Reichtum an Mitteln der verschiedensten Künste, Kunsthandwerke und sinnberauschenden Luxusgenüsse, über die damals eben nur sie in ihren Basiliken gebot. Schnee und Schmutz waren aus den ›Breitstraßen‹, ›Plateä‹, säuberlich hinweggefegt, bunte Teppiche und Decken wurden nach altrömischer Sitte über die gereinigten Flächen gespreitet und aus den Fenstern aller Gebäude gehängt, die Kirchenmauern und die Säulen des Portikus waren mit weiß glänzendem Linnen überzogen, und mit Kranzgewinden aus immergrünenden Blättern umschlungen. Wohlgerüche, süß, nur allzusüß, – bis zur Betäubung, bis zur Umnebelung der Denkkraft, – strömten aus den Weihrauchbecken, die weißgekleidete Knaben, einander ablösend, unermüdlich schwangen: zahllose Wachskerzen – die Grundholden der Kirche hatten vor anderen Dingen als ›Wachszinsige‹ vor allem Wachs für diese Kerzen zu liefern, man kannte diese Art Beleuchtung kaum im Königspalast – verbreiteten, ausstrahlend vom Altar und dem Taufbrunnen, ein blendendes Licht, das die Augen zu schließen zwang. Und so vernahm die Menge, vom Weihrauch eingelullt, mit gesenkten Wimpern den süßen Gesang, den unsichtbare Kinder, den Liedern der Engel vergleichbar, hoch von den Logen oberhalb der Absis erschallen ließen.

»Da verhängte,« schreibt der ehrliche Gregor von Tours, »Gott über alle Anwesenden solche Gnade, daß sie wähnten, unter den Düften des Paradieses zu weilen.«

Ähnliches empfand wohl – in seiner Weise – ein hünenhafter Heermann aus dem Kohlenwald, der nie eine Stadt, nie eine Kirche von innen gesehen hatte: »Du, Sigiboto,« meinte er, seinen Nachbar in der Mark und im Heerkeil anstoßend, »das ist schöner und herrlicher als ich Walhall schildern hörte. Mich gelüstet, dem König in seinen Himmel zu folgen.« »Mich nicht,« erwiderte der andere. – »Warum nicht? Was gebricht hier an allem besten?« – »Hei, nichts, was zu hören und sehen und riechen ist. Aber – was meinst du, daß in jener großen Kufe ist?« – er wies auf den in den Stein-Estrich eingelassenen Taufbrunnen – »ich hab' hineingeschaut: Wasser, elendes Wasser. Zu trinken giebt es nichts, so scheint's, im Christenhimmel. Ich fahr' gen Walhall.«

Gegen Mittag füllten sich das Innere der Basilika und der Portikus draußen vor den geöffneten Thüren und die Stufen des Anstiegs und der breite Platz zu dessen Füßen und alle einmündenden Straßen.

In der Absis der Basilika, hier, wie gewöhnlich, nach Osten liegend, auf dem Hochaltar standen die Bischöfe Remigius von Reims, Avitus von Vienne – als Gast der Königin, – Heraklius von Paris, Theoplastus und viele andere in ihren goldgestickten weißen und roten, oft seidenen Gewändern, ungezählte Geistliche zu ihren Füßen auf den niederen Stufen. Ihnen gegenüber in dem Querschiff, zwischen den beiden Kanzeln, der nördlich links für die Vorlesung des Evangeliums, der südlich rechts für die der Epistel, thronte die Königin, das Antlitz verklärt von unaussprechlicher Freude und ihr zur Rechten – so hatte sie befohlen – saß Genoveva, deren Gebet das beste gethan. Der Raum unmittelbar vor dem Altar war durch zwei Stufen über den Boden der Kirche erhöht und durch zierlich geschnitzte, mit Purpurtüchern überhangne Schranken – »cancelli« – abgeschlossen: das Sanctuarium enthielt in der Mitte den Chor, das heißt den Altar und an den beiden oberen Enden der Seitenschiffe links das ›Senatorium‹ für die vornehmsten Laien und die klosterlosen Mönche, rechts das ›Matroneum‹ für die edeln Frauen und die Nonnen. Das ganze Mittelschiff und die Vorderseiten der beiden Seitenschiffe waren ausgefüllt von den fränkischen Heermännern, die, dreitausend an der Zahl, im Schmuck und Glanz ihrer besten Waffen dem Vortritt ihres Königs folgen wollten: darunter sah man Ansovald, dann die Grafen von Paris und von Soissons, von Rouen und von Amiens, von Arras und von Tournay, von Tongern und von Namur, von Reims und von Meaux. Ebenfalls durch Schranken abgesperrt zog sich hart am Eingang quer ein schmaler Raumstreif hin, ›das Rohr‹, ›Narthex‹, in dem die nicht zur Gemeinde Gehörenden das Evangelium und die Epistel anhören durften: aber die Ausgeschlossenen und die Büßenden lagen vor den Thoren, draußen, in dem Portikus, mit dem Antlitz auf den Marmor-Estrich hingestreckt.

Die Säulen, die, je zwölf an der Zahl, in zwei Reihen das breitere Mittelschiff von den beiden Seitenschiffen abgliederten, waren das wenigst schöne an dem Bau: das heißt, manche von ihnen war an sich gar prächtig: allein man hatte bei der Errichtung der Kirche – etwa ums Jahr vierhundert – diese vierundzwanzig Säulen nicht neu und einheitlich hergestellt, sondern sie genommen, wo man sie fand: in andern, zerfallenden Basiliken, in Tempeln der Olympier, aus dem Palatium, aus den städtischen Hallen und Bädern: so standen sie durcheinander: dorische, ionische, korinthische, von schwarzem, weißem, gelbem, rotem, braunem Marmor: heute aber störten diese Widersprüche wenig, denn sie waren fast in ihrer ganzen Höhe von prachtvollen roten, goldgestickten Umhüllungen umkleidet, die auch von den zierlichen Halbbogen, die sich von Säule zu Säule schwangen, herabhingen. Das Innere der Wände und die flache, getäfelte Decke war über und über geschmückt durch Mosaiken, die Christus, die Apostel, den Ausgang des heiligen Geistes in Taubengestalt, zahlreiche Heilige, dann aber die sinnbildlichen Gestalten altchristlicher Kunst darstellten: den seine Lämmer weidenden Hirten, den von der Schlange umringelten Baum der Erkenntnis, und andre mehr. Am reichsten prangte solcher Schmuck auf Goldgrund in Mussiv-Werk an dem ›Triumphbogen‹, der, Antikes in das Christliche übertragend – früher hatten die Bilder der Imperatoren die Absis geschmückt – den Sieg Christi über den Tod bedeutend, bei der Mündung des Langschiffs in das Querschiff in gewaltigem Schwung auf zwei mächtigen Säulen von Seitenwand zu Seitenwand sich hob und senkte. Aber die reichste Pracht war erfindungsreich gehäuft auf Ausschmückung des Taufbeckens, des ›Baptisteriums‹, das neben der linken, der nördlichen Kanzel, sieben Fuß tief in den Boden der Kirche eingelassen und mit geweihtem Wasser gefüllt war. Der schöne Tiefbau des Brunnen-gleichen Beckens aus weißem, parischem Marmor stammte aus den Bädern der ›Amphitrite‹, die Julian der Abtrünnige nach seiner Thronbesteigung hatte aufbauen lassen, ›in dankbarem Gedenken der Stadt seiner lieben Parisier, die seinen Stern zuerst aufsteigen sah‹. Der ganze kreisrunde Rand war mit goldenem Beschlage belegt: und auf diesem Beschlag erhob sich ein hohes, in einer vergoldeten Stangenspitze auslaufendes Zelt aus feinster, weißer Wolle, von roten Seidenbändern gestreift: die Spitze der Stange aber trug ein Kreuz und in der Mitte des Kreuzes lag, von undurchsichtigem Glase bedeckt, ein Splitter des Kreuzes Christi.

Nach langem Harren der Menge erschollen von dem linken Seitenschiff her aus einem angebauten kleinen Oratorium drei Schläge auf ein ehernes Becken und in feierlichem Zug erschien eine Anzahl von Bischöfen und Priestern, Chlodovech in den lang wallenden weißlinnenen Taufgewanden hereinführend. Bei seinem Anblick brachen alle die vielen hundert Priester in den brausenden Ruf aus: »Gesegnet bist du, der du suchest den Herrn. Der Sieg ist mit dir.«

»Dies letzte ist das beste an der Sache,« sprach Chlodovech mit tiefstem Ernst, an den Brunnen herantretend.

Nun schritten Remigius und Avitus – mit Groll im Herzen blieb Theoplastus zurück, – von dem Altar zu dem Täufling herab und reichten ihm die Hände, wie er die Marmorstufen in den Brunnen hinabstieg. Als er, vom Wasser bis an das Kinn umspült, auf der letzten Stufe stand, sprach er mit lauter, weithin durch die Kirche schallender Stimme, – es sollte eine Bitte sein, aber es klang wie ein Befehl: »Ehrwürdiger Herr Bischof von Reims, ich begehre von euch durch den Taufbund aufgenommen zu werden in die Gemeinschaft der katholischen Kirche.« Da sprach feierlich Remigius: »Dir werde nach deinem Willen zum Heile deiner Seele: beuge den Nacken, fortab gesänftigt, Sugamber, tauch' unter, spüle ab das Siechtum des alten Aussatzes und die lange getragnen Flecken mit frischem Naß.« Hier erfaßte er das rote Haupt mit den langen merowingischen Königslocken und tauchte es unter, so daß es triefend wieder emporkam.

»Nun steig' heraus, ein zweiter Constantinus!« Wenig ahnte der fromme Mann, wie viel weissagende Wahrheit er aussprach, in diesen zwei Worten. Constantin hat das Römerreich, Chlodovech das Frankenreich, und so das ganze Abendland dem Christentum überliefert.

Den Augenblick, da der König wieder der Seitenkapelle zuschritt, die Taufkleider abzulegen, nutzte Theoplastus, sich an ihn heranzudrängen: »Vergiß nie, Herr König,« raunte er ihm ins Ohr, »wem du diese Stunde verdankst. Ich war's, der Hrothehild . . .«

»Hast du sie vielleicht entführt, du?«

Gereizt erwiderte der Bischof, so laut er konnte, – denn er wollte den König vor allem Volke zwingen, mit dem Heidentum gewaltsam zu brechen: »O neugewonnener Bruder. Bete an, was du verbranntest, verbrenne, was du angebetet!« »Schweig doch, bei Wodans Zorn!« flüsterte ihm Chlodovech wütend zu. »Sollen die Heiden hier mich auf dem Fleck, gleich an dem Taufbecken – noch naß! – ins Himmelreich schaffen? Ich mag noch nicht da hinauf. Was denn? Die Franken mögen glauben, an wen sie wollen, wenn sie nur meine Schlachten schlagen. Laß mich in Ruh'. Ich bin ganz naß. Ich friere.«

 


 


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