Felix Dahn
Bissula
Felix Dahn

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Achtes Kapitel

»Steht, Männer des Linzgaues!« rief da eine metalltönige, helle Stimme, und gegen den Tribun heran brach sich Bahn durch Alamannen und Römer ein Jüngling, von goldbraunen Locken das schöne Haupt umflattert. Aber die Römer hatten nicht Lust, noch Gewohnheit, ihren Feldherrn Einzelkämpfe mit den Barbarenfürsten ausfechten zu lassen. Ein riesiger Illyrier trat von links aus der Reihe vor seinen Führer und zielte scharf auf des Jünglings Antlitz mit seinem Wurfspeer: der Speer kam nicht zum Fliegen: denn bevor er geschleudert ward, sprang ein alamannischer Knabe von unten gegen den Hochausholenden und traf ihn mit seinem ganz kleinen Speerlein in die vom klaffenden Panzer jetzt nicht geschützte Achselhöhle: – er schrie und fiel.

»Dank, Brüderlein!« rief Adalo, und nun, dicht vor Saturninus haltend, rief er diesem auf lateinisch zu: »Wo ist Bissula?« Allein der Römerfeldherr hatte nicht Gedanken übrig für ein Barbarendirnlein – nur damals im Lager, als er ihre Bärin brüllen hörte, war der Gedanke an die Kleine pfeilschnell durch sein Gehirn geflogen: – er gab keine Antwort und zückte nur drohend das vom Blute Ebarbolds triefende Schwert.

Des Edelings Speer flog: Saturninus fing ihn mit dem Schild: aber dieser war nun, mit der langen Lanze behaftet, so ungefüg zu handhaben, daß er ihn fallen ließ. Er sprang mit scharf gezieltem Schwertstoß gegen den Jüngling, der sofort nach seinem Wurf das kurze Schlachtbeil aus dem Gürtel gerissen hatte. So grimmig hatte jeder nur des andern Fällung im Sinn, daß keiner an die eigene Verteidigung dachte. So trafen beide: und beide fielen. –

Mit Anspannung aller Kraft – und sie war groß! – hatte der Alamanne auf des Gegners Stirne gezielt: unwillkürlich hatte dieser den Helm vorgesenkt: der fürchterliche Hieb zerschlug aber doch diese beste Arbeit der besten römischen Helmfabrik – zu Trier – und drang durch Erz und Doppelleder des Helmfutters noch in den Schädel. Der Helm ward später gefunden: und dieser »Schwabenstreich« ist lange gefeiert worden in der Halle des Hirschhofs.

Aber deren Herr schien nie mehr in diese zurückkehren, sondern Ebarbold und Ebarvin folgen zu sollen. Denn gleichzeitig hatte das Römerschwert den schlichten Holzschild des Germanen durchbohrt und war tief in dessen linke Schulter gefahren. Sippilo fing des nach rechts stürzenden Bruders Haupt, – ein paar Gefolgen faßten seine Füße, und so trugen sie ihn rasch aus dem Gefecht.

Decius, von des Ausonius Seite vorspringend, übernahm nun den Befehl über die Römer. Aber er konnte die Ordnung nicht mehr retten. Denn der Fall des Führers – Dank Adalos furchtbarem Streich – entscharte jetzt in wilder Flucht den Hügel hinab die bis dahin zusammenhaltende Schar. Zuerst stoben nach rechts und links auseinander die Vordersten, die den Zweikampf mit angesehen.

Die tieferen Glieder hielten noch zusammen: aber nun traf sie ein Stoß von rückwärts, vom Lager her – und da war alles aus.

Das war Hariowald, der Herzog. Endlich – viel zu spät für seinen Grimm – hatte auch er das Lager durchmessen, die Porta decumana erreicht. Das größte Hindernis für die Verfolgung war nun geworden, was vorher der Hauptgrund für das Stocken, Stauen und die Auflösung des römischen Rückzugs gewesen war: der Troß, die Wagenburg.

Hinter derselben, also zwischen ihr und dem Seethor hatten zahlreiche Römer, hatten zumal die germanischen Söldner, die Bataver, gewöhnt an solches Gefecht, wieder standgehalten; und ziemlich lang hatte es gewährt, bis der Herzog durch Feuer, Beilhiebe und Blut sich Bahn dadurch gebrochen. Wohl hatte er gleich nach links und rechts durch die Querstraßen Scharen entsendet, das Hindernis zu umgehen und die Verteidiger in beiden Flanken zu fassen, – mit Todesangst hatte Herculanus die Alamannen durch die Quergasse an seinem Zeltversteck vorbeitoben hören: – aber manche Zeltgassen standen in vollen Flammen, andere waren ebenfalls von verlassenem Gepäck und Troßgerät gesperrt: so hatte es lange gewährt, bis endlich der Herzog mit den Seinen, die Wagenburg durchbrechend, die letzten Verteidiger vor sich hertreibend, das decumanische Thor erreichte und nun mit seiner ganzen siegtrunkenen Schar den Römern des Decius in den Rücken fiel. Da war alles verloren!

Decius gelang es nur, einen ganz kleinen Haufen Illyrier zusammenzuhalten, nicht zwanzig Mann, die den verwundeten Feldherrn und Ausonius in der Mitte, die Reihe der Linzgauer durchbrachen, die einige Zeit mit der Bergung Adalos beschäftigt waren, und geradeaus gen Süden, nach dem See zu flüchten.

Klar war es: wenn überhaupt, war nur noch auf den Schiffen Rettung möglich. Denn alle die Flüchtlinge, die seitwärts nach rechts und links, nach West und Osten, auseinanderstoben, ereilte das Verderben. Ohne Führung, ohne Richtung, nur im allgemeinen nach dem See hin, liefen sie einzeln, paarweise, in kleinen Häuflein. Die Meisten gerieten in dem Dunkel der Nacht in die Sümpfe, der Furten unkundig und der wenigen erhöhten Steige: sie versanken, ertranken oder wurden von den Verfolgern niedergestreckt.

Hariowald erfuhr, sowie er das freie Feld erreicht hatte, des Königs Fall – er nickte schweigend – und, aus Sippilos Mund, des Edelings Verwundung. »Schwer?« – »Ja!« – »Wo?« – »In der Schulter: – durch und durch gestoßen!« – »Hm! – Er ist in seine Halle getragen?« – »Ja!« – »Holt sofort zu ihm die blinde Greisin – Waldrun – vom Weihberg, – Sie kennt die stärksten Kräuter: und sie weiß auch, wann und wie sie ohne Widerwort und bösen Ausgang – müssen gebrochen sein.« – »Sie ist wohl schon in dem Hirschhof.« – »Wie?«

»Sie hat die Nacht vorher geträumt, diese Schlacht sei sieghaft gewonnen, aber sie habe meinen Bruder, wie er schwer wund auf ihren Knieen lag, gepflegt. Sie bestand darauf, daß der Sarmate sie noch vor Beginn des Kampfes in unsere Halle herunter führte. ›Ich warte dort auf den Wunden‹ hat sie gesagt.«

»Aber du, Kleiner, du blutest ja auch, – da – am Arme.« – »Nur ein Wurfspeer hat mich gestreift! Ist nicht viel!« – »Genug für das erste Mal! Du wankst ja – was hast du noch weiter?« – »In der Wade – ein Pfeil: er ging aber gar nicht tief.« – »Du kannst ja kaum mehr stehen! – ich befehl's – hörst du? Bei Herzogsbann! Nach Hause mit dir! – Auch für dich wird Waldrun ein Kräutlein haben. Fort!«

Den unmittelbaren Befehl auch über die der Führer verwaisten Haufen Ebarbolds und Adalos übernehmend, zog der Herzog alle seine Scharen in breitester Front, die Flüchtlinge allumklafternd, auseinander und gab nur den einen Befehl: »Treibt sie in den See!« Mit Jauchzen und getreulich ward dies Gebot befolgt.

Der Herzog hatte sich auf eines der zahlreichen im Lager und nun auch schon vor demselben reiterlos umherrennenden Rosse geschwungen, seine Leute ahmten eifrig diesem Beispiel nach, und so ward denn die Verfolgung eine wilde Hetzjagd, zu Pferd und zu Fuß, die Höhe herab über das stets abfallende Gelände bis an den See. Das brennende Lager im Rücken, die brennenden Schiffe vorn warfen ein schauerlich schönes, ungleich flackerndes Licht auf das wilde, kriegerische Nachtbild.

Aber schon mischte sich, freilich noch ganz leise, leise, ein anderes Licht in das Gemälde, da, wohin das grellrote der Fackeln und der lodernden Zelte nicht drang: es war nicht mehr ganz schwarze Nacht: fern, im äußersten Osten, hob das Grauen des Tages an: denn mehr als zwei, fast drei Stunden der Septembernacht waren in dem Kampf um das Lager verflossen, seitdem die Rufer die zweite Stunde nach Mitternacht verkündet hatten.

 


 


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