Felix Dahn
Bissula
Felix Dahn

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Siebentes Kapitel

Allein der Neffe irrte. Ausonius war nicht tot. Bei dem Versuch, von einem Wagen auf den andern zu springen, war er zwischen beiden hinabgestürzt und hatte sich den Fuß etwas verletzt. Aber Decius und einige Legionäre der XXII. hatten ihn wieder aufgerichtet und alsbald an das decumanische Thor geleitet. Hier hatte einstweilen der Tribun rasch seine Anordnungen getroffen, die vereinzelt eintreffenden Flüchtlinge gesammelt, eine Kernschar seiner Illyrier um sich gereiht, der er auch die Fahne übergab. »Wo ist die Ala der Panzerreiter, die ich hierher befehligt hatte, das Absitzen verbietend? Sie brauchen wir jetzt – an der Spitze des Ausfalls.«

»Ach, Tribun, in der Not, in der Bedrängung des Thors und der Wälle sind wir doch alle abgestiegen und haben zu Fuß mitgefochten, – unsere Gäule sind durchgegangen: sie rasen durch die Seitengassen.« – »Das ist des Herculanus Mannszucht! Also – die Reiter fehlen uns! Wohlan, dann die Speere voran! Die Verwundeten in die Mitte! Hierher Ausonius, hinter meine Schar! So! Auf mit dem Riegel! Reißt das Thor auf! Wir schlagen uns durch, nach den Schiffen! Zum Ausfall! Drauf!«

Da wurden denn plötzlich die bisher so zäh verteidigten Thorflügel, der rechte halb zerschmettert, der linke halb verbrannt, von innen aufgeschlagen, und die Römer brachen, die letzte Kraft zusammenfassend, von ihrem trefflichen Feldherrn in Person geführt, durch sein Beispiel und durch die Aussicht auf Rettung zu einer äußersten Anstrengung gespannt, hinaus ins Freie.

Furchtbar war der Zusammenstoß.

Die Wirkung des überraschenden Anpralls auf die Barbaren war sehr stark. Sie wurden, so viele ihrer auf dem schmalen Erdstreifen zwischen Thor und Graben gestanden, sämtlich in den Graben hinunter geschleudert. – Adalo war nicht in dieser Zahl: – er war für einen Augenblick hinter den Graben zurückgewichen, die Anlegung eines Notstegs aus Baumstämmen über denselben anzuordnen, der gerade gegen das Thor führen sollte: er wollte dann auf demselben seine Krieger mit Balken gegen das bereits morsche Thor anrennen lassen, es vollends einzustoßen. So entging er dem Sturz in den Graben, den Sippilo mitmachte, übrigens, wie bei dem Fall vom Wall herunter, unverletzt: hurtig kletterte der Knabe den Südrand des Grabens hinauf: die Sturmhaube mit den Rehkrickeln hatte er schon bei dem ersten Fall verloren, aber Schild und Speer auch diesmal tapfer festgehalten. Einen Augenblick lang schien es freilich, als ob auch die Römer, sowie sie das Thor durchschritten und nun freien Ausblick nach dem See gewonnen hatten, in neuem Schreck sich auflösen würden.

Denn einstweilen war auch der Angriff auf die Schiffe und das Schiffslager, wie es nun schien, geglückt. Bisher hatten die Verteidiger auf den Wällen immer noch sehnlich auf Nannienus geharrt und vergebens über die stürmenden Barbaren und deren Pechfackeln hinweg nach dem See ausgeblickt.

Aber jetzt, da sie das Freie vor dem Thor erreicht, sahen sie eine mächtige Lohe am Seeufer aufflammen: den Lärm des Gefechts, das etwa eine halbe Stunde entfernt da unten entbrannt war, hatten sie, umtobt von dem unmittelbar um sie herumrasenden Kampf, nicht wahrnehmen können: nun aber erkannten sie alle, was Saturninus längst aus dem Ausbleiben des tapferen Freundes erschlossen hatte: die Flottenabteilung war selbst aufs heftigste bedrängt.

»Die Schiffe brennen! Das Schiffslager in Flammen! Die letzte Zuflucht hin!« riefen gar manche, sprangen aus den geschlossenen Reihen, flohen – und wurden augenblicklich von den Germanen eingeholt und vor den Augen der Ausharrenden niedergestoßen. »Ihr seht,« rief Saturninus, »wie es den Flüchtlingen geht! Bleibt geschlossen, wollt ihr am Leben bleiben. Geschlossen hinab an den See und wir retten uns selbst und die Freunde!« Das war einleuchtend. So folgte die ganze Schar dem unverzagten Führer, der, selbst der erste, den südlichen Grabenrand erklettert hatte.

Sowie er oben angelangt war, hörte er seinen Namen, aus den Reihen der Barbaren laut gerufen, an sein Ohr schlagen. »Wo ist Saturninus, der Feldherr der Römer?« klang es auf lateinisch. Von dem brennenden Lager grell beleuchtet, drang ein Führer der Germanen im reichsten Waffenschmuck den Seinen voran. Ein Eberhelm deckte sein Haupt: ein graubärtiger Gefolge hielt den langen Schild über ihn und fing damit zwei gutgezielte römische Wurfspeere zugleich. »Wo ist Saturninus? Ich muß ihn finden!« wiederholte der Germane, wieder einen Satz vorspringend und den nächsten Thraker mit der Streitaxt niederschlagend. »Hier,« antwortete der Tribun. »Doch jetzt ist nicht Zeit, zu unterhandeln.« »Nein, aber zu sterben!« rief Ebarbold und schmetterte die Streitaxt gegen den mächtigen, gewölbten Erzschild des Feldherrn. Hier biß sie ein, ohne den Träger zu verletzen. Vergeblich mühte sich der König, die Waffe wieder herauszureißen: sie stak unbeweglich. Und schon zückte der Römer das kurze, mörderische Breitschwert zum tödlichen Stoße.

Da sprang der graue Schildträger dazwischen, und warf den Schild vor seinen Herrn. Aber das norische Eisen drang durch die Eberschur und durch das Holzgefüge des Schildes dem Alten in die linke Brust: er fiel, durch die Wucht des Stoßes nach hinten geschleudert, auf den Rücken.

Ebarbold hatte inzwischen den Stiel der verfangenen Streitaxt fahren lassen, das lange, ungefüge Hiebschwert von der Seite gerissen und in weit ausholendem Streich über den stolz geschweiften Helmkamm des Feldherrn geschwungen: aber eh' es niederschlug, fuhr ihm schon das kurze Römerschwert, vom Blut des Waffenträgers rot, in den Hals: sterbend fiel er an des Alten Seite nieder. –

»Du – mit mir – für mich!« – mehr konnte er nicht sprechen. »Glaubtest du, ich würde von dir lassen? – Nicht ungefolgt soll der Eberkönig eingehen in Wodans Saal! – Nicht schimpflich auf die Ferse schlagen, wie geringem, unbegleitetem Manne, soll dir Walhalls Thüre! Wir – beide! – haben unser Wort gelöst! – Und zusammen – in Heldenehren – fahren wir nach Walhall.« – Da sank des Alten Haupt verstummend auf seines Königs Schulter. Sie schwiegen – beide: sie starben. –

Über die Gesunkenen hinweg war der Illyrier vorwärts gesprungen, – nachdem er zuvor den immer noch in seinem Schilde steckenden Stiel der Streitaxt des Königs mit dem Schwerte kurz vor der Axtöse abgehauen, – unter wildem Jubeln seiner Landsleute, die den Zweikampf genau gesehen: die Männer aus dem Ebergau aber bestürzte der Fall ihres Königs. Sie stutzten, – hielten an, – wichen.

»Vorwärts, hinunter an den See!« befahl der Tribun. »Seht ihr, sie weichen!« Es war ein gefährlicher Augenblick. Denn auch der nächste Haufe hinter den Eberleuten wankte, verwirrt von deren Rückwärtsgängen.

 


 


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