Felix Dahn
Bissula
Felix Dahn

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Viertes Kapitel.

Auch vor dem Zelte des Herzogs loderte ein mächtig Feuer, unterhalten von Unfreien, die an spitzen Stangen Schenkel und Rücken eines frisch erlegten Hirsches brieten. Adalo schritt daran vorbei, Zercho bedeutend, hier zu warten, schlug die Segeltücher auseinander, die über das Holzgestell des Zeltes gespannt waren, und trat ein. Das Dach war gebildet aus zusammengewölbten Tannenzweigen; an den Stangen des leichten Gezimmers hingen und lehnten überall Schutz- und Trutzwaffen. Den Rasenboden bedeckten Felle, die dem Eingang gegenüber zu einem erhöhten Ruhesitz übereinander geschichtet lagen: ein Vorhang von dichtem Linnen zog sich hinter diesem durch das Zelt, hier einen kleinen Raum, den Schlafwinkel, von dem Vorderzelt scheidend. In der Mitte war ein eiserner, nach oben spitz zulaufender Dreifuß aufgestellt, in dessen zackige Krone war eingeschraubt ein brennender Kienspan: mattes, rotes Licht sprühte dieser spärlich, ungleich flackernd, aus.

Auf dem Hochsitz von Fellen, den Rücken an den Hauptpfahl des Zeltes gelehnt, saß Hariowald, der Herzog; er begrüßte seinen jungen Gesippen schweigend, mit einem Blick des Auges, und schien nur zu achten auf die eifrigen Worte eines andern Gastes, eines Mannes von etwa vierzig Jahren, der, in eine Eberschur gehüllt und auf dem Haupt den »Eberhelm« – mit den Hauern des Tieres –, zu seiner Rechten saß. Der alte Herzog, eine gewaltige Hünengestalt, fast um eines Hauptes Länge noch den hochgewachsenen Adalo überragend, war eine wunderbare Erscheinung.

Das riesige Knochengerüst dieser Gestalt schien einem viel älteren Menschengeschlecht anzugehören. Tief lag unter buschigen, hoch geschwungenen Brauen das meergraue, abgrundtiefe Auge (– das linke hatte längst ein balearischer Schleuderstein zerstört: unheimlich klaffte die leere Höhlung –): des Blickes Glut war keineswegs erloschen, aber durch altgewohnte Selbstbeherrschung gebändigt. Diese stets wahrnehmbare Zurückhaltung heiß in der Brust lodernder Leidenschaft verlieh dem Hochgewaltigen, den man trotz seiner fünfundsechzig Winter nicht greisenhaft nennen konnte, etwas großartig Geheimnisvolles. Mit Ehrfurcht, mit scheuer Erwartung, ja mit leisem Grauen, was streng Geborgenes er plane, sah man zu ihm empor. Das adlerhafte Auge war unerforschlich, er schloß es halb: schlug er es dann auf, so blendete der Blitz, der lodernd daraus sprühte. Den Ausdruck des Mundes aber verhüllte der prachtvolle, über die Ringe der Brünne bis auf den Erzgurt herabwogende, breite Rauschebart von edelstem Silberweiß, der auch die Wangen umrahmte und sich mengte mit dem reich wallenden Haupthaar gleicher Farbe. Und wie das Auge, so hielt auch die mächtige, tiefe, metalltönige Bruststimme jene Kraft fast immer zurück, die man doch spürte, wie leise, wie verhalten der Gewaltige sprach. Selten, sehr selten waren die Bewegungen der machtvollen Glieder und mit einer Absicht, die längst zur Gepflogenheit geworden war, gemäßigt. So saß er da, von langfaltigem, blauem Mantel die Schultern umflossen, in hoheitvoller Ruhe, ohne Helm: man sah die majestätische Schöne des mächtig gewölbten Hauptes, das er, nachdenklich zuhörend und vor sich hinschauend, rückwärts an die Zeltstange gelehnt hielt. Einen furchtbaren Speer hatte er im rechten Arm, das Fußende auf die Erde gestemmt, die Erzspitze ragte über seine Schulter: mit sanfter, fast liebkosender Handbewegung streichelte er manchmal die Siegesrunen, die in die Rinde des Eschenschaftes geritzt waren.

»Gern grüß' ich dich sonst, Sohn Adalgers,« sprach des Herzogs anderer Gast, die Stirne furchend, »aber ungern zu dieser Stunde. Ich riet zum Frieden: – der Herzog schwieg: – nun kommst du – und du – ich weiß es! – träumst Tag und Nacht nur Kampf mit Rom.« Zornmütigen Blickes maß ihn Adalo: »Der Altfeind unseres Volkes steht im Lande und ein Gaukönig der Alamannen rät zum Frieden? – Ebarbold, Eburs Sohn, Furcht war deiner Sippe fremd . . . –« Der andere fuhr mit der Faust an das krumme Messer in seinem Gürtel, Adalo sah es nicht: er war im Bann von Hariowalds Auge: ein warnender Blick des Alten und der Jüngling beeilte sich, beizufügen – »und ist dir fremd, du eberkühner Held.«

Da ließ der Gast den Messergriff los und lehnte sich stolz zurück.

»Römisch Gold aber berückt dich nicht,« fuhr Adalo fort. »So hat dich Zauber verblendet.« »Oder dich und all' unsre wahnwitzige Jugend. Zius, des Kriegsgotts, roter Trank hat euch berauscht. Oder,« fuhr er leiser, mit scheuem Tone fort, »Er, Er will wieder einmal reichlich mit erschlagenen Helden bevölkern sein Walhall, Wodan der Wilde.« Da zuckte es über das Antlitz des Herzogs: nur ganz leise hob er den Speer und, unhörbar den andern, murmelte er: »Waltender Wodan, nicht räche die Rede!«

Ebarbold aber fuhr fort: »Sei's um die Knaben! Kampf ist all' ihre Kunst und wenig ist ihres Witzes. – Aber daß auch du, der sechzig Winter sah und fast ebensoviele Siege der Hochgehelmten, – daß auch du Krieg willst! Freunde, ich war in Rom: – ich habe dort die Hochburg bestiegen auf ragendem Fels: – sie strotzt von Gold und weißem Gestein! Ich habe gedient im Heer des großen Valentinian: ich habe jahrelang die ungezählten Tausende der römischen Krieger geschaut in den besten Waffen: gegen welche unsere Wehr wie die von Kindern ist.«

Der Herzog drückte unvermerkt seinen Speer fester an die Brust.

»Und die Kriegsmaschinen und die Riesenschiffe, drei Stockwerke Ruderbänke übereinander, und die Schätze gemünzten und ungemünzten Goldes und Silbers! Die ganze Scheibe der Erde, ganz Mittelgardh, soweit Menschen wohnen, – weiße, braune, schwarze – ich habe sie abgemalt gesehen auf einem langen, langen Streif von Eselshaut: – der Aufgang und der Niedergang der Sonne dient Rom! In seinem goldnen Hause auf einem der sieben Tiberberge hat der Imperator eine goldene Kugel stehen: da sind alle Provinzen abgebildet. Es ist ein Zauberwerk: schreitet irgend ein Feind über die Grenze im fernsten Süden oder Norden, so erklingt die Goldkugel und zittert an dieser Stelle: der Imperator hört es, sieht es, und – sendet die Legionen! Trotzen wir ihm nicht. Der Cäsar ist ein Gott auf Erden!«

»Hör' es nicht, Hoher!« flüsterte der Alte und strich, wie begütigend, über die Runen seines Speeres. Heftig wollte Adalo einfallen: – aber unwillkürlich suchte er des Schweigenden Auge: – und er bezwang sich.

»Wir haben's erfahren lang genug, mein' ich,« fuhr Ebarbold fort, – »von Geschlecht zu Geschlecht, – da wir noch jeder Gau frei fochten – lange bevor er gehört wurde und ausgeklügelt, dieser Name und Bund der Alamannen!«

»Er gefällt dir nicht, dieser Bund?« fragte jetzt plötzlich der Herzog. Der Gaukönig erschrak: so laut, so machtvoll dröhnte nun diese Stimme, die bisher immer geschwiegen. Scheu sah er auf: dann zuckte er die Achseln:

»Ob er mir gefällt oder nicht: – ich kann ihn nicht mehr lösen!«

»Nein, das kannst du nicht,« sprach Hariowald sehr ruhig und strich seinen langen Bart; aber aus dem grauen Auge schoß ein unheildrohender Blick. »Auch der Name ›Alamannen‹ gefällt dir nicht?« fragte Adalo unwillig. »Nein, Edeling, ›Gesammtmänner‹! Ha, unsere Ahnen setzten ihren Stolz darein, für sich allein zu stehen, Gau für Gau, ja in der alten Zeit Sippe für Sippe, nicht gelehnt an andere, – aber auch nicht gebunden an sie, nicht unterwürfig dem Spruch der Mehrheit!« »Ja, das ist's!« lächelte der Alte grimmig. Dann sprach er laut: »Du warst in der Romburg – ich auch. Aber ich habe dort erkannt, – mit meinem einen Auge! – was du nicht gesehn. Du sahst den gleißenden Glanz ihres Prunkes – er hat dich geblendet: – ich sah durch den Glanz auf das Morsche, das Ausgelebte dahinter. Und noch ein anderes« – fügte er geheimnisvoll bei, leiser sprechend – »sie haben seit ein paar Menschenaltern kein Glück mehr mit – mit ihren eignen Göttern! – Mit den neuen, mein' ich. Ja, der alte, den sie früher hatten« – nicht ohne Scheu, ja mit Ehrfurcht sprach er nun – »ich meine den mit dem Blitz und dem Adler! – das war ein Schlachtengott: – fast wie der unsrige! Oft schien mir sein Adler auf ihren Schilden die Flügel zu schlagen und sein Blitzstrahl drohend zu glühen: – oft und oft hab' ich sie siegen sehen unter jenem bärtig-schönen Gott und seinen Söhnen Mars und Herkules. Aber jetzt haben sie sich einen Jüngling zum Gott erkoren, sanft und gar edel-weise: – aber er ist kein Krieger gewesen, sagen seine eignen Priester: – er hielt nie ein Schwert in der Faust gefaßt: – nicht von ahnenreichen Göttern ist er entstammt: – eines Handwerkers Sohn war er: – und dieser – ein Zimmerer – war aus dem längst von Rom geknechteten Volk, aus dem viele zu uns gewandert sind, den Sack auf dem krummen Rücken, Pfefferhändler und Gewürzhöker: – aber in den Reihen der Legionen sieht man ihrer nicht viele. Seit die Walen jenen sanften Lehrer sich zum Gott gekoren, der sich nicht einmal selbst seines eignen Lebens wehren wollte, – seitdem ist der Sieg gewichen von ihren Fahnen. Aber was – neben ihrem Jupiter in den Wolken – ihnen auf Erden ehemals den Sieg gesichert hatte, jahrhundertelang: – das hab' ich auch gelernt –: das wies mir der Gott, den vor allen ich ehre! – Wißt ihr, was ehedem der Zauber war der Römermacht und ihrer Siege? Der eine Wille, der sie alle zwang! Sie waren schon ›Gesammt-Männer‹, alle für einen und einer für alle, viele hundert Winter lang, während wir noch, nach deines Herzens Wunsch und Wonne, Gau für Gau, jeder für sich, kämpften und – erlagen! Das ist deine Freiheit – die Freiheit der Zwietracht und des notwendigen Verderbens!«

Großartig schön verklärte nun der heiße Zorn der begeisterten Überzeugung des Alten edles Antlitz.

 


 


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