Felix Dahn
Bissula
Felix Dahn

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Erstes Buch

Die Freie

Erstes Kapitel

Wer einmal zu Friedrichshafen am schönen Bodensee an klarem Augustabend die Sonne prachtvoll versinken sah hinter den Buchenwipfeln von Manzell, – wer die Fluten des Sees und die schneeigen Häupter der Alpen vom Säntis bis zu den Allgäuer Bergen erglühen sah in purpurnem Licht, während die Glockentöne des Ave Maria leise hinzittern über Wald, Wiesgrund und Wasser, – der wird seiner Lebtage das friedevolle Bild dankbar tragen in seinen Gedanken. Dorthin führt uns die kleine Geschichte von der kleinen »Bissula«. –

Aber damals, im Jahre 378 unserer Zeitrechnung, sah es noch gar unwirtlich und oft auch unfriedlich aus auf dem ganzen Nordufer des »Venetus lacus« (Bodensee). Urwald und Ursumpf bedeckten die Niederungen: nur selten, spärlich verstreut, erhoben sich Ansiedelungen auf getrocknetem, gerodetem Bauland. Viel tiefer landeinwärts als heute erstreckte sich damals der See: und noch bedeutend weiter als der See ein feuchtes Mittelding von Seegebiet und Uferland, eine Art Grenzstrich zwischen Wasser und Wiese, der, den größten Teil des Jahres über von Sumpf überzogen, dem Wildschwan, dem Reiher und zahllosem kleineren Wassergevögel Zuflucht zugleich und Weide bot.

Dies Land war schon geraume Zeit im Besitz der Alamannen.

Auf dem Südufer des Sees aber behauptete sich noch die römische Macht: vor allem, um die wichtige Legionenstraße zu beherrschen, welche aus Gallien über Augst (Augusta Rauracorum) bei Basel, Windisch (Vindonissa) nach Arbon (Arbor felix), Bregenz (Brigantium) und von da weiter nach Osten führte, den Zusammenhang der westlichen und der östlichen Teile des Reiches aufrecht haltend und zumal die Bewegungen der Truppen erleichternd, die bald vom Rhein an die Donau eilen mußten, die Goten im Osten, bald von der Donau an den Rhein, die Franken am Niederlauf oder die Alamannen am Oberlauf dieses Stromes abzuwehren.

Auch für dieses Jahr schien eine solche Hilfeleistung notwendig zu werden: – diesmal in den Ostprovinzen, wo gotische Völker, zumal Westgoten, flüchtend vor den Hunnen, Aufnahme auf römischem Gebiet gefunden, aber, zur Verzweiflung gebracht durch die Mißhandlungen der römischen Statthalter, drohend die Waffen erhoben hatten. Der Imperator des Ostreichs, Valens, hoffte zwar, allein mit ihnen fertig zu werden: nur ungern hätte er den Ruhm des Sieges geteilt mit seinem jugendlichen Neffen und Mitkaiser Gratianus im Westreich. Gleichwohl hatte er diesen auffordern müssen, sich bereit zu halten, im Fall der Not die gallischen Legionen dem Oheim zu Hilfe in die Donaulande zu führen. Gratianus aber hatte erwogen, daß er Gallien und den Rhein nur dann verlassen könne, wenn er vorher durch einen Rachezug die Alamannen für die jüngsten Grenzverletzungen gestraft und wenigstens für einige Zeit von neuen Einbrüchen abgeschreckt hatte.

Zugleich wollte er für den Fall der Abberufung an die Donau wenigstens einen Teil des langen Weges frühzeitig zurückgelegt haben, um dem Oheim die etwa verlangte Hilfe rascher bringen zu können. So war er denn Ende Juli mit dem größten Teil der Truppen von seiner Residenz Trier aufgebrochen und über Zabern und Straßburg auf dem linken Rheinufer nach Augst bei Basel gezogen. Hier und in Windisch schlug er zwei Lager und behielt die Hauptmacht um sich geschart, mit Neugestaltung der Provinz beschäftigt und der Nachrichten von den Ostlanden gespannt gewärtig, während der Streifzug gegen die Alamannen auf dem nördlichen Ufer des Sees einer kleinen Abteilung übertragen ward, die, rascher beweglich, für die Märsche in Wald und Sumpf besser geeignet und jedenfalls für ihren Zweck völlig ausreichend schien. Denn das Unternehmen galt nur dem Linzgau (so benannt von dem Flüßchen, das heute noch Linz, häufiger »Ach« heißt), den »lentischen« Alamannen, die, auf dem West- und Nordufer des Sees heimisch, zuletzt im Frühling dieses Jahres die römischen Grenzlande beunruhigt hatten.

Erprobten Feldherrn war die Führung des Streifzugs anvertraut. Fußvolk, Reiter wurden ihnen nach eigner Auswahl zugeteilt; ein starker Troß sorgte für Nachführung der Lebensmittel und des übrigen Gepäcks; zusammen waren es wohl über dreitausend Mann. Nach alterprobter, sieghafter Römer-Feldherrnschaft, – die Eroberung fast der ganzen damals bekannten Erde war ihr Ergebnis gewesen – sollten, wie bei großen Kriegen, auch bei diesem kleinen Streifzug die Feinde von mehreren Seiten zugleich »wie mit der Zange gepackt werden«: – ein Lieblingsbild der römischen Kriegslitteratur.

Ein Teil der Truppen – so die gesamte Reiterei, mehrere Geschwader »Cataphraetarii«, »Panzerreiter«, die ganz in Schuppenpanzern staken, Kohorten der zweiundzwanzigsten Legion, ferner ausgezeichnete germanische Söldner, Bátăver – sie galten als die vorzüglichsten aller Hilfsvölker – endlich erlesene Scharen der kaiserlichen Leibwachen zu Fuß, meist Illyrier und Thraker, sollten von Windisch aus nördlich ziehen, den Rhein überschreiten, auf der alten Straße nach Norden marschieren, von da sich aber plötzlich und überraschend nach Osten wenden, das Westende des Bodensees umgehen, so dessen Nordufer gewinnen, den ganzen Linzgau von Westen nach Osten durchdringen, hier, im Herzen der Feinde, an vorbestimmter Stelle, Halt machen und der zweiten Abteilung die Hand reichen. Diese zweite Schar sollte inzwischen auf der großen Süduferstraße von Windisch nach Arbon (Arbor felix) marschieren, sich hier einschiffen, den See in gerader Fahrt durchschneiden, auf dem Nordufer landen und nun den Linzgau von Osten nach Westen durchziehen, bis sie die erste Abteilung erreichte.

So sollte den Barbaren, unter Verwüstung ihres gesamten Baulandes, das Ausweichen nach Westen wie nach Osten gesperrt werden. Die etwa auf ihren Kähnen versuchte Flucht nach Süden, über den See, sollte ihnen die römische »Bodenseeflotte« abschneiden. Jahr für Jahr, zuletzt noch in diesem März, waren über deren Stärkebestand und Tüchtigkeit die glänzendsten Berichte nach Gallien gesendet worden. Und was nach solchem Treibjagen von zwei oder drei Seiten noch übrig war, sollte von den nun vereinigten Scharen, so weit möglich, in den unwirtlichen Nordwald getrieben und in die Donau geworfen werden. Als Ort des Zusammentreffens war beiden Scharen der hochragende Hügel bezeichnet, auf welchem, eine halbe Stunde nördlich von Friedrichshafen, heute die Kirche von Berg weithin die Niederung überschaut. Damals hieß er der »Idisenhang«, d. h. der Hügel der Waldgöttinnen. Die römischen Schiffe mußten, bei gerader Überfahrt von Arbon aus, ohnehin in der Bucht des heutigen Friedrichshafen landen. Für das Landheer hoffte man leidlichen Weg zu finden auf den Überresten einer alten Straße, die sich früher – in besseren Tagen Roms – auch auf dem Nordufer des Sees hingezogen hatte.

Und jener steil abfallende, nach allen Seiten frei ausblickende, die ganze Gegend beherrschende Hügelkopf – der »Idisenhang« – war ein wahres Muster jener Stellungen, auf welchen der Römeradler bei seinen Beuteflügen zu kurzer Rast zu halten liebte. Hier sollte ein Standlager errichtet, von hier aus das Land der Barbaren nach allen Richtungen von kleinen Scharen durchstreift werden, während jenes feste Lager besetzt blieb und die Verbindung mit dem See, der Flotte, dem Südufer aufrecht hielt, bis man das ganze Unternehmen als beendet betrachten und zu dem Kaiser nach Windisch zurückkehren konnte.

 


 


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