Felix Dahn
Bissula
Felix Dahn

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Vierzehntes Kapitel.

Bei Tagesanbruch schmetterte die Tuba durch das Römerlager, die zur Teilnahme an dem Streifzug bestimmten Scharen zum Aufbruch mahnend.

»Wo ist mein Neffe?« fragte Ausonius, den schönen kantabrischen Schimmelhengst besteigend, den alten Prosper, welcher ihm den Bügel hielt. »Er pflegt mich doch sonst als der erste an meinem Bette zu begrüßen.« – »Er ist schon lange vorausgeeilt mit seinen Panzerreitern. Noch vor dem Tribun brach er auf!« – »Welcher Eifer! Das gefällt mir,« sprach der Oheim, den Hals seines edlen Rosses klopfend. »Zu Hause in Burdigala verbrachte er seine Zeit nur mit . . . –« »Mit dem Ausgeben deines Geldes, o Patronus,« brummte der Alte. »Bah, laß ihn, Graukopf! Mein Geld, – bald ist es sein Geld!« – »Verhüten es die olympischen – vergieb: die Heiligen!« – »Thu' dir keinen Zwang an um meinetwillen. Mir sind sie auch lieber. Sie haben den Vorzug, besser in die Metra zu passen, wenigstens die meisten. – Wo ist Saturninus?« – »Auch schon voraus. Er läßt dir sagen, du mögest folgen: des Weges könnest du nicht verfehlen. Siehe, dort die letzten Helme seiner Nachhut. Sein Landsmann Decius führt sie.« – »Ich sehe! Vorwärts! Wie schön das Morgenlicht uns zulacht! Hilf mir, unbesiegter Sonnengott!« Er gab dem Roß den Sporn und sprengte, gefolgt von einer glänzenden Umgebung von Reitern, den Hügel hinab und durch die porta principalis dextra hinaus nach Osten, der Sonne entgegen.

Ein mitgeführter Wegweiser hatte bereits bei dem ersten Tagesdämmern die gangbarsten Steige gesucht und bezeichnet durch kleine, in bestimmten Abständen niedergelegte Steine, welche die ihn begleitenden und bewachenden Pioniere in Säcken mit sich trugen. Bald gelangte der Präfectus Prätorio von Gallien, zum Teil auf dem uns bekannten Pfade, den wenige Tage vorher Adalo eingehalten, an Suomars einsames Waldgehöft. Mit pochendem Herzen begrüßte er, wieder erkennend, die erinnerungstraute Umgebung: den kleinen Bühl, darauf die breitästige Eiche, den nahen Quell: nichts war verändert in den wenigen Jahren: nur ein Stück Ackerlandes mehr dem durch Feuer gerodeten Urwald abgewonnen. An dem Pfahlzaun, der die Hofwere umhegte, sprang er ab: sein Gefolge hatte er an dem Eichenbühl Halt machen lassen. Das Blut stieg ihm ins Gesicht, so gespannt war seine Erwartung: die schmale Zaunthüre stand halb geöffnet. Er trat in den Hofraum: da stieß er einen Ruf freudigen Staunens aus: in dem Wiesengrund vor der Hausthüre war ein kleiner Blumengarten abgegrenzt: mit Rührung erkannte er an den bunt prangenden Blumen, welche jetzt im schönsten Sommerflor standen, die Sämereien und Stecklinge wieder, die er dem Kinde drüben in Arbor geschenkt, ja bis aus Gallien verschrieben hatte. Italische und gallische Blüten und Sträucher, sichtbar mit liebenden Händen gepflegt, veredelte, gefüllte Rosen, dann immergrüner Taxus begrüßten ihn in dichten Beten: auch die Stämmchen der Obstbäume: der pontischen Kirschen, der picentinischen Äpfel, der aquitanischen Birnen hatten sich lustig bis über die Höhe der Hausthüre emporgereckt. »Ja, ja,« lächelte er »was erwächst, was erblüht nicht alles in fünf Jahren!« Da schwirrte etwas zu seinen Häupten: aus den Luken des Stalldaches flatterte ein ganzer Schwarm zierlich kleiner, blaugrauer Täubchen über den Garten hin in das nahe Haferfeld.

»Sieh,« rief Ausonius, ihnen nachschauend. »Meine lykischen Felstäublein aus Burdigala! Wie hat sich doch das Eine Paar gemehrt!« Er zögerte, in das Haus zu treten. Wohl sagte er sich, schwach, ja nichtig sei die Hoffnung, die Gesuchte zu finden. Aber hier schien alles von ihrer Gegenwart zu zeugen: da lag auf der Bank vor dem Hause sogar – wohl erkannte er sie! – die zierliche Gartenschere, die er ihr aus Vindonissa geschickt hatte! Er wollte nicht die Schwelle überschreiten und sich jede Hoffnung nehmen. Da klirrte Erz von der geöffneten Hausthür her: – ein Centurio von der Schar des Herculanus trat heraus, ehrfurchtsvoll grüßend. »Alles leer, vir illuster! läßt dir der Tribunus sagen. Und wir sollen dich fragen – wir brennen alle Höfe der Barbaren nieder – ob wir auch dies . . .« –

»Es bleibt unversehrt!« Der Mann nickte befriedigt. »Du befiehlst, was ich wünsche! Es wäre mir schwer gefallen. Sind das doch umbrische Rosen, vicentinische Malven, wie sie um meiner Eltern Haus ranken bei Spoletium! Mitten in den Sümpfen der Barbaren! Wer mag dies Wunder geschaffen haben?« – »Ein Poet,« lächelte Ausonius, »und die vierte, die jüngste der Grazien. – Also Saturninus war schon selbst hier?« – »Ja, aber noch vor ihm – mit mir – dein Neffe. Alles durchsuchte Herculanus sorgfältig, ja gierig. Er verbot mir, ihm zu folgen: am Eingang mußt' ich warten.« – »Der gute Junge! Er wollte selbst sie mir zuführen, mich überraschen!« – »Gleich nachdem Herculanus fort, sprengte Saturninus heran.« – »Wohin wandte sich von hier der Zug?«

»Dort hinein in den Wald! Links, immer links: vom See ab! Sonst versinkt Roß und Mann. Du findest Posten gestellt im Walde – je dreihundert Schritt! Ich bilde hier den Anfang der Kette mit drei Mann!« – »Sorge, daß Hof und Garten ja nicht versehrt werden! Ich verspreche dir dafür einen Krug besten Räterweins.« Damit wandte er sich, stieg wieder zu Pferd und ritt mit seinem Gefolge nach links über das gerodete Land und die Wiesen, die das Gehöft umgaben, auf den Eingang des nahen Buschwalds zu, wo Helm und Speer des nächsten Postens hell im Sonnenglanze blitzten. – –

Herculanus aber hatte sich nicht begnügt mit der genauen Durchforschung des verlassenen Hauses. Auch die Umgebung hatte er sorgfältig abgesucht, ob er nicht eine Spur der Verschwundenen fände. In dem gestrüppigen Buschwald konnte er bald nicht mehr fort: er sprang ab, übergab seinen mauritanischen Rotscheck dem einzigen Reiter, der ihm hatte folgen dürfen, und schlüpfte nun durch das Dickicht.

Eine Art von Wiespfad, die er mit Anstrengung entdeckt und eine Strecke weit verfolgt hatte, hörte jetzt plötzlich auf. Während er aber vergeblich nach Steinen oder Holzstückchen suchte, die bis dahin, obzwar in weiten Abständen, die Richtung des Gangsteigs angedeutet hatten, bemerkte er deutlich in dem sumpfigen Wiesboden des Waldes frische menschliche Fußspuren.

Und es waren nicht Römer, die hier gegangen! So weit waren die Truppen noch nie nach Osten vorgedrungen. Und es waren nicht Eindrücke, wie sie des Suchers eigne schwere römische Marschschuhe zurückließen: absichtlich trat er ganz leicht auf, dicht neben den vorgefundenen Stapfen: aber wie ganz anders ward die Spur! Gleich füllten sich seine tiefen Tritte mit dem rotgelben Moorwasser, das bei jedem Druck aus dem Grunde quoll. Hier aber war jemand vor kurzer Zeit leichter auftretend, barfuß, gegangen. Und zwar mehrere Menschen.

Denn neben einer Spur, die etwa einem Kind anzugehören schien, war, stets einen Schritt weiter zurück, ein etwas breiterer und tieferer Eindruck wahrzunehmen und, stets rechts davon zur Seite, ein schmales, aber tiefes Löchlein, mit Wasser gefüllt, wie von dem spitzen Fußende eines Stabes, während teils links daneben, auf schlechter gangbarem Grund, teils ein paar Schritte voran ein schwerer, breitspuriger Mannestritt unverkennbar schien.

Mit heißem Eifer folgte der Römer den Fußtritten: fand er nicht die Gesuchte, immerhin erwarb er sich das Verdienst, zuerst die Richtung zu entdecken, in welcher die Barbaren geflohen. Da schienen plötzlich die Spuren aufzuhören vor einem dichten Weißdornbusch, der mitten im Wege stand. Vor der tastenden Hand, die das Gedörn zur Seite schob, flog ängstlich ein braunes, rotbrüstiges Vögelein auf: – vorgebeugt spähte der Sucher in das Gebüsch: da entfuhr dem froh Überraschten der wilde Schrei: »Ha! Sie ging hier! Sie selbst!«

Langsam, langsam zog er durch seine Hand ein leuchtend rotes Haar, das sich hier an einem Dorn gefangen: es war wohl eine Elle lang. Und jenseit des Weißdornbusches waren nun auch ganz deutlich – schärfer als irgendwo zuvor – auf einer feuchtsandigen Strecke – die Tritte wahrzunehmen. »Was eines Kindes Spur schien, das kam von ihren Füßen! Nach!«

 


 


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