Felix Dahn
Bissula
Felix Dahn

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Der Richter aber furchte die Stirn: »Nun an das letzte Urteil des Heerdings! – Andere Götter schweben nun heran, als jene, die soeben des Knaben Stirnlocken unsichtbar gestreift: – furchtbare Götter! – Klage ist gekündet gegen einen Gaukönig der Alamannen.« –

»Ebarbold! Der Verräter! Der Ungehorsame! Der Heerverderber! Der Eidbrecher!« So scholl es drohend aus der Menge. »Friede! Schweigen im Ring!« gebot der Richter. »Wo ist der Kläger?« Da trat des Königs Waffenträger vor, zog das Schwert und sprach:

»Ich, Ebarvin, Erlafrids Sohn! Denn ich habe, wie alle Männer unseres Völkerbundes, schwere Eide geeidet bei allen Göttern und bei den Schrecken Hels, Trotz und Verrat gegen Bund und Herzog der Alamannen zu wehren, zu rügen und zu rächen, wo, wie, wann immer ich kann. Wohlan! Zwanzig Winter habe ich dem Vater König Ebarbolds und ebensoviele Winter diesem Ebarbold selbst den Schild getragen: – schwer fällt mir jedes Wort aufs Herz, das ich gegen ihn rede: aber schwerer wiegt der Eid, der furchtbare, den mir der Herzog abnahm für den Bund der Alamannen. – Wohlan: ich klage gegen König Ebarbold um Bannbruch, Banntrotz und Heerverrat. Dreimal hab' ich ihn gewarnt, dreimal hab' ich ihm offen gedroht, sein Trachten dem Herzog aufzudecken und dem ganzen Volk. Er hat dazu gelacht. Er hat es nicht glauben wollen. Er hat gemeint: ›Näher liegt dir am Herzen die Haut als der Mantel, näher steht dir der Ebergau als das Volk, näher dein Gefolgsherr als der Herzog.‹ Er irrt. So war es ehedem, so war es lange, lange Zeit. Und das war unser aller Unheil.

Wir haben's endlich gelernt: – die Römer haben's uns mit ehernen Ruten beigebracht: – wir haben's gelernt in blutigen Nöten: das Volk, der Volkerbund ist das Höchste: denn er allein schützt alle: mehr als der Finger gilt die Hand. Er aber hat mich und alle seine Gefolgen, ja alle Heermänner unseres Gaues bereden wollen und, da wir's weigerten, hat er uns befehlen wollen kraft seines Königsbannes, wenn das Volksding den Kampf beschließe und der Herzog aufbreche mit dem Heer, nicht zu gehorchen, sondern abzuziehen vom Weihberg, im Notfall mit Gewalt uns durchzuschlagen und von den Römern Schonung für unseren Gau zu erbitten unter Geiselstellung und Unterwerfung.«

Da durchdrang ein furchtbares Brausen die Reihen: die Waffen klirrten: der Zorn des Volks brach grimmig los: einige Jüngere sprangen, dräuend die Schwerter zückend, gegen den Angeklagten, welcher schweigend, aber trotzig, dicht vor dem Richtersteine stand.

»Halt,« rief der Herzog, »nieder die Waffen! Wer sie nochmal zückt im Dingfrieden, im Heerfrieden, – dem geht's an die Hand.« Er war rasch aufgesprungen und hielt nun von der oberen Stufe über des Bedrohten Haupt schützend seinen langwallenden, dunkeln Mantel. – Sofort legte sich der Lärm: beschämt traten die Hitzigsten zurück in den Ring.

»Ich frage dich,« begann nun der Richter, »König Ebarbold', Sohn –«

»Spare die Worte, Graf des Linzgaus,« fiel dieser finster blickend, aber furchtlos, ein. »Es ist alles wahr. Bringt mich um: ihr habt die Macht dazu; so habt ihr denn das Recht. Ich will nicht leben! – Hätte ich leben wollen, – glaube mir, ich hätte fliehen können in meinen Gau oder ins Römerlager, lang bevor du mir durch deine Zwangboten die Königswaffen meiner Sippe abnehmen und mich auf Schritt und Tritt bewachen ließest, während du den elenden Fischer nur entwaffnet hast. Freilich: du hättest mich ja sogar binden lassen dürfen, nach dem neuen Bundesrecht! – Mich, vieler Könige Sohn und eines Gottes Enkel! – Seit ich meines treuesten Gefolgen, meines alten eigenen Schildträgers Abfall erfahren – ekelt mich's der Zeit! – Ich will nicht mehr leben in einem Volk, nach einem Recht, da das Scheußliche geschieht, daß der Gaumann den Gaukönig, der Gefolge den Gefolgsherrn geringer wertet als den leeren Schall dieses ›Bundes‹, als den kurz herrschenden ›Herzog‹ aus einem fremden Gau. Ich bin zu alt und zu stolz, dies neue Recht zu lernen! Du, machtgieriger Alter, hast mich doch schon lang in deinen blutigen Gedanken deinem wilden Wodan geweiht.«

»Nicht ich, du dich selbst, Ebors Sohn.«

»Also gut, – bring' mich um,«

»Nicht ich, – du selbst hast dich ausgethan aus deinem Volk durch solche Gesinnung! Ja, es ist besser, daß solche Männer, wie du bist, sterben, als daß sie leben: die Gaukönige, wenn sie trotzen, müssen Wodan bluten, der da Volkskönig ist über alle unsere Götter und alle unsere Völker.« »Mein Geschlecht,« sprach der König stolz, »steigt durch hundert Ahnen auf zu den Göttern: aber nicht zu jenem listigen, dessen geheime Ränke du nachahmst, der zwischen Völkern und Fürsten Zankrunen ausstreut: von dem Friedensgott, Fro, der Fruchtbarkeit spendet, stammen wir; seinen goldborstigen Eber hat er uns, seinen Söhnen, als Wahrzeichen, gesetzt auf Helm und Schild. Ihn ehrt' ich von je und den Frieden zumeist!« »Ha, Gott Fro,« erwiderte der Alte, nun grimmig, – denn er vertrug es schlecht, seinen Wodan schelten zu hören – »Gott Fro wird wenig sich freuen, schaut er nun bald seinen Enkel an übler Eibe zappeln, wie die langschnäblige Schnepfe, die in der Schlinge sich fing. Denn: – ich frage das Heerding: – sein Mund ist geständig der schwersten Schuld: – was droht ihm das Recht?« »Den Strang! Den Weidenstrang!« scholl es nun tausendstimmig. »Den Schmachbaum! Hängt ihn sogleich!« – »Aber zwischen zwei Hunde: – er ist der Wölfe nicht wert!« Da zuckte Schmerz über des Königs stolzes, kühnes Antlitz: er scheute nicht den Tod: – aber die Schmach. Er fuhr leise zusammen. Scharf hatte es der Herzog bemerkt. »Ich, der Richter,« hob er nun langsam an, »ich darf dies Urteil nicht schelten, – und der Schuldige kann es nicht. – Aber bedenkt, ihr Speermänner! Wenig Ruhm wird es unserem Namen bringen bei den anderen Völkern, wenn das Gerücht unter sie fährt: ›ein König der Alamannen schwebt wegen Heerverrats zwischen Wolken und Wasser.‹ – Ihr habt dem geringen Mann, dem Fischer, den Halm der Hoffnung dargereicht, ob ihn etwa der Hohe vor dem Schmachtod errette, ihn zu sich hinaufreiße nach Walhall oder gar – wider die Möglichkeit fast! – bei Vollendung der That, die ihr ihm aufgegeben, das Leben ihm wahre. Wohlan: – viel schwerer zwar ist dieses Königs Schuld als des allzu kindliebenden Vaters: – aber ehrt in ihm den Sproß des Erntegottes! Reizt zur Rache nicht Fro, daß er nicht viele Jahre unsere Saaten schlage mit Mißwachs! Leicht ist er erzürnt, der Gott des goldborstigen Ebers! Und gedenket auch dankbar dessen, der dieses Mannes Vater war.«

»Ein wackerer Held!« scholl es in der Runde.

»Bei Strataburg fiel er, in der blutigen Mordschlacht, an der Spitze des Keiles seines Gaus: – tapfer vorkämpfend seinem Volke fiel er endlich zusammen, – rücklings fiel er, auf seinen Schild: mit vielen Wunden auf der Brust, denn er wollte, der eberkühne Mann, den Rücken dem Feinde nicht zeigen. Dieser Held schaut jetzt aus Walhall auf uns nieder, – bang' klopft ihm das Herz um dies drohende Schmachgeschick: – Alamannen, laßt ihn nicht den Sohn zwischen Hunden hangen sehen: – gönnt auch dem König – wie dem Fischer – eine lösende That!«

Da warf der Verurteilte einen Blick des Dankes zu dem Manne empor, – den er so bitter haßte. Das Volk schwieg noch: sein Groll war allzu heiß. »Wenn er aber entspringt?« – »Wenn er mitten im Kampf zu den Walen überlauft?« So riefen zwei Männer zugleich.

Da entrang sich ein tiefes Stöhnen der Brust des trotzigen Königs: »Von dem Fischer hat das keiner gefürchtet! So niederträchtig darf man mich erachten.« Und er schlug die geballte Faust vor die Stirn.

Da trat Ebarvin vor, sein Ankläger, und sprach: »Hart waren diese Fragen und unverdient. Wenige im Volk werden das argwöhnen vom König des Ebergaus. Er sprach wahr: lang vor heute hätte er fliehen mögen: er wollte nicht fliehen. Ich glaub' ihm: ich kenne ihn, seit er zu sprechen lernte: nie hat er gelogen, so lang' er sprechen kann' er will sterben aus Groll gegen den Völkerbund, der da die Könige beugt und zwingt – und vielleicht auch: – aus Reue und Scham!« –

Der König machte, tief getroffen, eine rasche Wendung von dem Sprecher hinweg und schloß die Augen fest: aber gleich schlug er sie wieder auf mit trotzigem Blick.

»Wohlan, ich, ein freier, unbescholtener Mann mit breitem Ackergut im Ebergau, – ich bürge für ihn mit Leib und Leben, mit Eigen und Ehre! Ich gelobe für ihn: jede Waffenthat, die das Volk ihm auferlegt, dadurch vom Strang sich zu lösen, vollführt König Ebarbold: oder er fällt dabei auf seinen Schild.« »Ich danke dir, Ebarvin,« sprach der Gequälte, hoch sich aufrichtend: dies Vertrauen that ihm wohl, tief in der Seele. »So sei's! So sei's!« rief die Menge, bevor der Richter die Frage stellen konnte. »Der Herzog soll die That ihm küren!« »Wohlan,« sprach dieser, ohne Besinnen: »sie ist gekürt! Im Lager der Römer lebt ein Held, der ist ihr Haupt und ihre ganze Stärke: fällt der, fällt alle ihre Kriegskraft auseinander. Nennt mir den Mann!«

»Saturninus!« scholl's von vielen Seiten. Denn wiederholt schon hatte der Tribun in Germanien befehligt, und gar mancher der nun auf dem Weihberg Versammelten hatte früher um römischen Sold gedient.

»Ebarbold, bring' uns aus der Schlacht des Saturninus Haupt – und sei gesühnt! Willst du das, Eberheld?« – »Ich will's,« sprach dieser, hochaufatmend. »Reicht mir mein Schwert – gebt mir die Waffen wieder,« – der Schildträger hielt ihm die Scheide hin: er riß die Klinge heraus, streckte die Spitze gegen die Sonne und sprach: »Ich schwöre bei dieser Klinge – des einarmigen Kriegsgotts heil'gem Ebenbild: im nächsten Kampfe töt' ich den Tribun oder falle durch sein Schwert.« Lauter Jubel, lärmender Beifall erscholl nun: alle, auch die zuvor am bittersten gegrollt, waren jetzt doch im Innersten froh, daß statt der schmählichen Bestrafung des Stolzen eine ehrende Lösung gefunden war. Zufrieden blickte der Herzog auf das brausende Gewoge herab.

 


 


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