Felix Dahn
Bissula
Felix Dahn

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Fünftes Kapitel.

Bald wäre nun aber doch wohl der Edeling mit den Seinigen durch dies Thor eingedrungen, dessen einer Flügel draußen Feuer gefangen hatte und immer stärker zu glimmen und zu rauchen begann, während der andere unter den wuchtigen Axthieben immer breiter auseinander splitterte, wäre nicht auf der entgegengesetzten Seite des Lagers eine Wendung des Kampfes eingetreten, die auch für das Ringen um die Porta decumana entscheidend werden sollte.

Kaum war Bissula in Betäubung gesunken, als durch alle Lagergassen, welche von Norden gegen dies Südthor führten, Reiter, ledige Rosse, Fußvolk, Troßknechte, Sklaven in wilder Flucht hinabstürzten mit wüstem Geschrei.

»Flieht,« rief ein Schuppengepanzerter, in vollem Jagen an Herculanus und Davus vorbeisprengend. »Die Barbaren über uns!« »Das Lager ist genommen!« schrie ein Kelte, aus einer Seitengasse hervoreilend. »Sie sind am prätorischen Thor über den Wall gestiegen!« – »Nein, die Erde hat sich aufgethan! Der Orkus hat die Barbaren mitten ins Lager hinein gespieen!« »Flieht,« kreischte das Weib eines Troßknechtes, »ich sah Saturninus von seinen eigenen Leuten niedergerannt! – Alles ist verloren!« Und in der That: – so schien es. Ausonius war durch Prosper geweckt worden. Während er sich waffnete, erschien Decius, ein wackerer Anführer, der ihn im Namen des Tribuns aufforderte, die Verteidigung der Porta principalis dextra mit einer Kohorte der XXII. Legion zu übernehmen: dieselbe sei bereits dahin beordert: »Ich werde dich begleiten.« – »Was? Die Barbaren? Sie greifen an?« – »Hörst du sie nicht?« – »Ja wirklich! Auf welcher Seite?« – »Auf allen Seiten!« – »Ich eile.« Damit schritt Ausonius, den Helm aufsetzend, aus dem Zelt. »Was ist der Beschluß des Tribuns?« fragte er, indem er in die nächste Lagergasse rechts einbog. »Ausfallen?« – »Nein! Im Lager bleiben! Es verteidigen bis aufs äußerste! Die Übermacht draußen ist zu groß.« Damit hatten die beiden die Legionäre und bald mit ihnen das Ostthor des Lagers erreicht: – von hier entsendete Ausonius Prosper, Bissula zu schützen, aber auch zu bewachen, daß sie nicht entspringe.

Inzwischen hatte sich Saturninus überzeugt, daß für den Augenblick dem Wall neben dem prätorischen, dem Nordthor keine dringende Gefahr drohe. Er eilte die Walltreppe herunter, des Kämpfers Aufgabe wieder mit der des Feldherrn vertauschend.

Er erteilte auf dem freien Raum am Fuße des Walles, etwa hundert Schritt nördlich von der Tanne der Erdgöttin, den um ihn versammelten Führern kurz und rasch seine Befehle: »Alle Reiter sitzen ab und kämpfen zu Fuß von den Wällen: bis auf das erste Geschwader der Panzerreiter, dies aber steigt nicht ab – hört ihr? – bei Todesstrafe! – unter keinem Vorwand: – es führt alle ledigen Pferde an die Porta decumana: denn kommt es zum Ausfall oder« – fügte er leiser, nur für seine Nächsten verständlich, bei – »zum Abzug aus dem Lager, geht es gen Süden, Nannienus die Hand zu reichen. Ist er selbst nicht angegriffen, wird er alsbald die Barbaren dort an jenem Thor vom Rücken fassen.«

»Hilfe an die Porta principalis sinistra!« erbat ein von Westen her ansprengender Reiter.

Saturninus wandte sich, mit diesem Boten zu sprechen.

So drehte er der Tanne den Rücken zu: aber kaum hatte er dem Reiter ein paar Worte zugerufen, als ein hinter dem Feldherrn stehender Centurio einen Schrei des Entsetzens ausstieß und ihn am Arme packte: »Schau um, Tribun! – Dort – bei der Tanne – die Erde bebt – der Abgrund thut sich auf: – die Altarsteine sind aufgesprungen!« Da tönte schon der Schlachtruf der Barbaren: »Wodan! Wodan! Alamannen!« mitten im Lager, und Saturninus sah erbleichend, wie wenige Schritte neben der Tanne eine hochragende Riesengestalt in weißem Helm mit langem Speer einen keltischen Bogenschützen niederstach, der aufschreiend zurückspringen wollte: drei – sechs – acht – schon waren es zwölf Barbaren tauchten aus der Erde auf. Mit einem wilden Schrei des Zornes warf sich der tapfere Mann gegen den Riesen.

Aber er erreichte ihn nicht mehr: seine eigenen Soldaten rannten ihn nieder. Es waren die »Kelten«: hitzig, tapfer im Angriff, aber nach einer ungünstigen Wendung leicht entmutigt.

Sie sahen die Feinde mitten im Lager: nur wenige hatten bemerkt, woher sie gekommen, wie gering ihre Zahl, die freilich jeden Augenblick wuchs: von blindem Schreck ergriffen, viele die Waffen wegwerfend, ergossen sie sich in wilder Flucht.

»Verrat! Verrat! Die Feinde sind im Lager!«

Mit diesem Geschrei hatte sich ein ganzer Schwarm von Fliehenden zwischen den Herzog und den Römerfeldherrn geworfen. Dieser war sofort wieder aufgesprungen. »Steht, ihr Memmen,« rief der Unverzagte und stemmte sich abermals, mit gezücktem Schwert, den Sinnlosen entgegen. »Seht euch doch um! Es ist ja nur eine Handvoll. Und wohin wollt ihr denn fliehen? Hinaus? Unter die Übermacht der Feinde? Nur das Lager rettet euch!«

»Zu den Schiffen! Zu Nannienus! Über den See! Nach Arbor!« »So stirb, du Feigling!« rief er grimmig, und stieß den nächsten Schreier nieder: – es war ein Fahnenträger der ›Kelten‹: er riß dem Sinkenden die von Purpurwimpeln umflatterte Drachenfahne aus der Hand, schwang sie empor, rief »Roma! Roma!« und drang vor. Wirklich brachte er für einen Augenblick die Fliehenden zum Stehen: – dem kühnen Häuflein der Eingedrungenen drohte jetzt allerhöchste Gefahr: – aber da ward des Feldherrn Ohr und Auge abgelenkt nach der Wallkrone.

Viele, viele der Verteidiger hatten bei dem Lärm in ihrem Rücken umgeschaut, Germanenhelme mitten im Lager erblickt, den Schreckensruf der Kelten gehört, den Feldherrn selbst stürzen sehen in dem Knäuel der Flüchtigen: sie mußten das Lager von andrer Seite her genommen glauben: sie fürchteten, jeden Augenblick von hinten angegriffen zu werden.

einzelneDa waren sie in Scharen von der Wallkrone in das Lager herabgesprungen oder auf den Walltreppen herabgerannt. Die Angreifer draußen, bisher durch einen dichten Hagel von Geschossen in Schach gehalten, sahen plötzlich ganze Reihen von Verteidigern da oben verschwinden, ganze Strecken des Walles leer werden: mit wildem Jauchzen kletterten sie nun kühner, zuversichtlicher auf den Leitern hinan: und als der Tribun jetzt empor sah, sprangen bereits die siegreichen Stürmer in dichten Massen vom Wall herab, von Norden her auf die wenigen um ihn gescharten Römer einhauend, während von Osten des grimmen Riesen furchtbarer Speer einen nach dem andern niederstreckte, den er erreichte.

Noch einen schmerzvollen Blick warf Saturninus auf die Wallkrone: ungezählte, immer neue Barbaren tauchten da oben auf! Da rief er mit laut durch den Schlachtlärm dröhnendem Befehl: »Räumt das Lager! Folgt dieser Fahne! Zur Porta decumana hinaus! Schließt die Reihen! Löst ihr sie, – seid ihr verloren!«

Das wirkte. Daß die eherngeschlossene Ordnung das beste, das einzige Mittel gegen germanischen Ansturm war, hatten diese Soldaten oft erfahren: die Hoffnung, die Waffenbrüder auf den Schiffen zu erreichen, belebte den Mut: nach Süden abziehend, folgten sie fechtend, in guter Ordnung, dem bewährten Führer.

Wohl drängten die Verfolger von Norden und von Osten hitzig nach: aber die Weichenden erhielten auf ihrem Rückzug nach Süden unablässig erhebliche Verstärkungen von Osten und von Westen, wo die Quergassen auf die Nord-Süd-Straße (die Via media) von beiden Seiten senkrecht mündeten.

Denn einstweilen hatten auch die Verteidiger des West- und des Ostthores den Schlachtruf der Alamannen innerhalb des Lagers und das Fluchtgeschrei der Ihrigen erschallen gehört, den hoffnungslos gewordenen Widerstand aufgegeben und sich, der bei Rückzug ein für allemal geltenden Lagervorschrift gemäß, auf die lange Mittelgasse zusammengedrängt, die nach der Porta decumana führte, dem stets vom Feind abgekehrten, d. h. der römischen Rückzugslinie zugewendeten Thore.

Ziemlich aufgelöst, fluteten freilich die Truppen vom Westthor herbei, wo die Stürmer schon früher erhebliche Fortschritte gemacht hatten. In guter Ordnung dagegen führten Ausonius und Decius die Legionare der XXII. vom Ostthor heran.

Saturninus erblickte jene beiden von weitem: erreichen konnten sie sich, getrennt durch den ganzen Strom der Marschierenden, nicht.

So gelangten die Scharen in besserer Haltung, nur in den hintersten Reihen von den Barbaren eingeholt und gedrängt, allmählich bis auf die Stelle, wo die Via principalis nahe dem decumanischen Thor die auf dieses zu führende lange Mittelstraße schnitt: hier war der ganze Troß, viel hundert Karren und Wagen, zusammengedrängt, ja ineinandergefahren.

Eine solche Wagenburg, für germanische Völker auf der Wanderung eine wertvolle Verteidigung, war für römische Marsch- und Fechtordnung die allergefährlichste Hemmung und Störung: denn, mochte man bei dem Versuch, sie zu passieren, sie umgehen oder überklettern, – in jedem Falle lösten sich notwendig die festgeschlossenen Glieder in lauter kleine Häuflein, ja in Einzelne, die hintereinander sich vorbeidrücken oder über die Wagen hinwegsteigen mußten.

Nicht umsonst aber hatte der alte Herzog den Lagerplan studiert: genau hatte er sich gemerkt, wo der Troß, die Wagen und Karren, verzeichnet standen, und mit Eifer hatte er alle Haufen seiner Krieger, wie sie nun durch die längst von innen aufgerissenen drei Lagerthore aus Nord, West und Ost ihm zuströmten, so über die Lagergassen verteilt in ihrem Vordringen und Verfolgen, daß sie von allen Seiten durch die Langgasse und durch die Quergassen die Flüchtigen gerade auf diesen Punkt zusammentrieben.

 


 


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