Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Neuntes Kapitel.

Es erscholl plötzlich in die tiefe Stille vor dem Ausbruch des Sturmes hinein ein lauter Ruf in hunnischer Sprache: »Lüge! Alles Lüge!«

Hoch von oben her, wie vom Himmel, schien das Wort zu kommen. Erstaunt blickten die Germanen, erschrocken die Hunnen empor in die Richtung des Schalles.

Hoch auf dem Flachdach eines der Holztürme ward sichtbar eine ragende Gestalt in lichter Gewandung, das Haupt wie von eitel Glorienschein umflutet: es war Ildicho: ihr goldnes Haar leuchtete in dem Vollglanz der untergehenden Sonne. Und sie rief aus aller Kraft ihrer Brust auf die atemlos lauschenden Tausende herab mit machtvoller, weithin vernehmbarer Stimme: »Belogen seid ihr, Hunnen, und betrogen! Nicht an Bluterguß starb er. Ein Weib hat ihn getötet: ich, Ildicho, erwürgte ihn in seinem Rausch mit diesen meinen Haaren! Daher die gelben Haare zwischen seinen Zähnen.«

Die Wirkung dieser auf dem ganzen Mittelplatz vernommenen Worte auf die Tausende von Hunnen war eine ungeheure; sie schauten die stolze, lichte Gestalt der glanzumfluteten Jungfrau, wie sie von dem überall sichtbaren Flachdache emporragte, einer Göttin vergleichbar: ihre edle Erscheinung, ihr Stolz, ihr todverachtender Mut, die Wahrhaftigkeit in dem Klang ihrer Stimme ließen keinen Zweifel aufkommen in ihrer Rede.

»Wehe! Wehe!« – »Von Weibeshand getötet!« – »Wie schon sein Vater!« – »Das ist der Fluch!« – »Er hat sich an ihm erfüllt!«

»Er wird sich weiter erfüllen!« – »Von Geschlecht zu Geschlecht!« – »Weh seinen Söhnen!« – »Ach, er ist auf ewig verwünscht.« – »Auf ewig ein ekler Wurm!« – »Weh uns! Wehe!« – »Welch Entsetzen!« – »Flieht hinweg von seinem verwünschten Leibe!« – »Fluch bringt die Nähe solcher Leiche! Tödlichen Fluch!« – »Flieht! Flieht!«

So rief, so klagte, so schrie, so tobte, so raste es über den weiten Platz hin. Und nach allen Seiten stoben sie auseinander, heulend, die Waffen wegwerfend, zu Fuß, meist aber zu Roß und dann das Roß mit wilden Geißelschlägen zu raschestem Lauf hetzend, Weiber, Kinder, Fußgänger, Freund und Feind in blinder Flucht überrennend.

Die Hunnen waren wie der Sand am Meer: unwiderstehlich in sieghaftem Anprall, trieb der günstige Wind des Glückes sie vorwärts, haltlos aufgelöst und unaufhaltbar nach rückwärts auseinanderstiebend, traf sie ein Windstoß des Unheils von vorn.

Blindes Entsetzen, Verzweiflung entscharte die vielen Tausende zu besinnungsloser Flucht. Vergeblich warfen sich ihnen ihre Führer, ihre Fürsten entgegen: umsonst beschwor sie der greise Chelchal, das spärliche Haar raufend, doch die Leiche des Herrn nicht im Stiche zu lassen, vergebens schlug Dzengisitz mehr als einen der Fliehenden mit der Geißel zu Boden: er ward selbst vom Pferde gestoßen, zu Boden gerissen von den vielen Hunderten, die, zu dichten Knäueln geballt, von allen Seiten auf ihn einfluteten: er verschwand unter den Füßen der Gäule, der Menschen.

Da war es Chelchal gelungen, auf die oberste der Stufen zu klimmen, die von allen Seiten das Zelt umgaben: von dieser erhöhten Stellung aus schrie er nun über die durcheinanderkreischende Menge hin: »Glaubt ihr doch nicht, der Germanin! Sie lügt! Wie, auch du fliehst, tapfrer Dsorrtilz? Stehe doch! Sie lügt.« Und er faßte mit beiden Händen einen vorüberstürmenden Krieger an den Schultern. Es war der Führer der Wächter, – er hatte mit Chelchal die Leiche gereinigt und gepflegt. Aber in verzweiflungsvoller Angst riß sich der Mann los und schrie aus Leibeskräften: »Nein! Sie lügt nicht! Laß mich los, Alter! Flieht, ihr Freunde, flieht von der verfluchten Leiche. Ich hab's gesehen! Ich schwör' es: ich sah mit Grauen, mit grausendem Ahnen – die gelben Haare – in seinem Munde: sie lügt nicht! Sie hat ihn erwürgt mit ihrem Haar! Flieht!« Und er rannte dahin, und überall, so weit sein Schreien drang, verstärkte es das Entsetzen. Nur eine kleine Schar ihm treu ergebener Sklaven und ein paar Häuslinge vermochte der Alte durch Bitten und Gewalt bei sich um das Totenzelt versammelt zu halten: er zitterte, die Germanen würden dasselbe sofort bedrohen.

Allein das lag ihnen fern. In der Überraschung über die plötzliche fast wundergleiche Errettung aus ihrer verzweifelten Lage hatten sie noch gar keinen Entschluß fassen können. Auch mußten sie sich unablässig einzelner Hunnen erwehren, die, ohne Angriff oder Rache zu beabsichtigen, lediglich in dem blinden Drang, dem Fluche, der an der Leiche haftete, zu entfliehen, wie nach allen andern Seiten, so auch nach der Südseite, wo die Gepiden standen, davonzueilen versuchten und um sich schlugen auf Feind und Freund, auf alles, was sie aufhielt. Manchmal gelang es den blind Anstürmenden, die Reihen der Gepiden zu durchbrechen und gen Süden weiterzufliehen. So kam es also hier und da zu kleinen Gefechten zwischen einzelnen oder ganzen Knäueln von Hunnen mit den Germanen: aber ohne Gefahr für diese; denn den Verzweifelten fehlte wie die Absicht so die Leitung des Kampfes: sie wurden von den Nachdrängenden in die Speere der Gepiden getrieben und gestoßen: fast ausschließend Hunnen, nicht Germanen fanden den Tod bei diesem verworrenen Ringen.

Vergeblich aber bemühten sich Wisigast, Daghar und ihre paar Gefolgen, von der Südseite des Mittelplatzes aus über denselben hin auf die nordöstliche Ecke zu gelangen, wo Ildichos Holzturm ragte: allzu zahlreich waren die zwischen ihnen und jener Straßenecke durcheinander wogenden, dicht geballten Haufen von Hunnen zu Pferd und zu Fuß, von ledigen Rossen, die den Reiter verloren hatten, von Weibern und Kindern.

Daghar richtete unter seinen nur wenig fördernden Anstrengungen, vorwärts zu dringen – gar manchen Hunnen, der ihm nicht rasch genug auswich, hatte er niedergestoßen mit dem kurzen Wurfspeer – das Auge gespannt immer wieder zu dem Dach empor, auf welchem die hohe Gestalt der Geliebten deutlich sichtbar war. Die Hausthüre zu öffnen, hatte sie wiederholt vergeblich versucht, bevor sie die Angst, die Erregung über den wachsenden Lärm auf dem Platze bewogen hatte, die als Treppe dienende Leiter hinanzueilen und von dem Dach hinabzuspähen: denn wie die einzige von außen zugeschlossene Thüre waren auch die Fensterläden des Hauses fest von außen mit Riegeln gesperrt.

Allmählich drang Daghar doch dem Hause näher, Dank seinen grimmen Stößen, während König Ardarich seine Gepiden geschlossen beisammenhielt gegenüber Chelchal, der nun nachgerade doch wieder eine solche Anzahl von Hunnen um sich geschart hatte, daß ein Angriff derselben nicht mehr unmöglich schien: so beobachtete der Gepide vorsichtig, zum Schlagen bereit.

Plötzlich schrie König Wisigast laut auf: »Weh, Daghar! Schau empor! Sie ist verloren! Auf dem Dach! Schau hin! Ein Hunne!«

Daghar hielt inne im Vorwärtsdringen und sah empor: »Dzengisitz!« stöhnte er. »Sie ringen!«

Mit furchtbaren Streichen brach er sich Bahn durch die dichten Haufen der Feinde: aber so wenig diese seinen Waffen, seiner Verzweiflung gewachsen waren, – er mußte sich sagen, wäre selbst der Weg zu dem Hause ganz frei gewesen, er konnte nicht mehr rechtzeitig eintreffen oben auf jenem Dach, das Mädchen aus dem ungleichen Kampfe mit dem Unhold zu retten. Aber rächen wollte er die Geliebte! Und grimmig brauchte er fort und fort den Wurfspeer zum Stoße.

 


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