Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Fünfzehntes Kapitel.

Der alte Mann war in sich zusammengesunken, wie geknickt; er war auf eine Bank geglitten und hielt das Antlitz verhüllt in den Falten seines Mantels; vergebens bemühten sich Priscus und die weströmischen Freunde, ihn aufzurichten. Nun sprang er plötzlich, emporschnellend, auf vom Sitz. »Ich werde das bezeugen, verlaß dich darauf, Herrscher der Barbaren. Solche Gesinnung, solcher Frevel einzelner Schurken muß abgeschüttelt werden vom Römernamen. Ich thu's! Ich thu's! Und tötet mich der Kaiser um der Wahrheit willen . . . – er soll die Wahrheit hören. Er und der versammelte Senat.« – »Gut! Du gefällst mir, Alter. Und wann ihr dann den Mörder vor den Kaiser und vor den Senat stellt, dann bindet ihr ihm die Hände auf den Rücken, – diesen Beutel soll er auf der Brust tragen, und ihr fragt dann Chrysaphios, ob er den Beutel kenne? Zu Theodosios aber sagt: so spricht Attila, der Sohn Mundzucks, des Abendlandes Herr:

›Du, Theodosios, und ich, wir haben Eines gemein: von edlen Vätern sind beide wir entstammt. Attila aber hat den Glanz des Vaters gewahrt und noch erhöht, du dagegen, Theodosios, hast den ererbten Glanz geschändet. Nicht nur ein schatzungspflichtiger Knecht Attilas bist du geworden, – nach der allerniederträchtigsten Sklaven Weise zum Morde Attilas, deines Herrn, hast du dich mit anderen Knechten desselben verschwören wollen.‹

Wie ist doch der Römer Stolz so tief gesunken! Ich weiß es noch, in meiner Knabenzeit: wie schlug gleich fernher grollendem Donnerrollen an erschrockener Völker Ohr der Name: Roma! Und Cäsar, Imperator! Als ich meinen Vater fragte: ›sage, wer ist das, der Cäsar? der Imperator?‹ antwortete er rasch: ›Husch, husch, nenne ihn nicht. Der erste Cäsar war ein Gott auf Erden und alle seine Nachfolger haben von seiner Schrecklichkeit und Herrlichkeit geerbt. Und Imperator? Das heißt Herrscher sein über alle Macht und Pracht der Erde.‹

Und nun? Und heute?

Zwei Cäsaren bitten in des Hunnen Holzzelt um Frieden, jeder will mich heimlich auf den andern hetzen. Sie erkaufen den Frieden mit vielem Gold, mit schimpflicher Schatzung. Und dann erfrechen sich diese Römer immer noch, Bilder malen zu lassen, als ob sie die Herren, wir Hunnen die Knechte seien! In dem rauchenden Mailand ritt ich über die Haufen der Erschlagenen hin – neun Kohorten waren's gewesen – in den Palast der Cäsaren; in dem Speisesaal stand ein Bild ganz aus kleinen bunten Steinen zusammengesetzt: kunstvoll, das muß ich sagen. Was stellte es dar? Kaiser Valentinian, wie er auf dem Throne zu Ravenna sitzt in stolzer Siegesherrlichkeit, und neun Barbarenkönige knieen vor ihm im Staube und schütten ganze Schilde voll Goldes als Schatzung aus vor seine Füße. Die beiden vordersten aber, auf deren Hacken er trat, tragen hunnische Tracht, und als ich die Züge näher anschaue, – Bruder Bleda und mich stellte das Lügenbild dar. Schon hatte ich die Streitaxt erhoben, den frechen Betrug zu zerschmettern: – da kam mir ein weiserer Gedanke! Schaut her, ihr Römer: die Wahrheit seht ihr hier!«

Auf seinen Wink schlugen die Diener an der breiten Hauptwand hinter seinem Stuhl die Teppiche zurück: ein umfangreiches Mosaikbild ward sichtbar: es stellte die geschilderte Huldigung dar, alles andere war unverändert geblieben: nur saß statt des Kaisers Attila auf dem Thron und die beiden vordersten, auf die Erde gestreckten Männer in dem ganz treu wiedergegebenen Gewand der Imperatoren – trugen die Züge von Theodosios und Valentinian.

Die Röte des Zorns und der Scham überflog die Stirnen der Gesandten. Attila bemerkte es mit ruhiger Befriedigung: »Zieht die Hüllen wieder vor,« gebot er, »die Wahrheit ist von ihnen schwerer zu ertragen als von mir zu Mailand die verlogne Prahlerei. Aber noch ist das Ärgste, die ärgste Wahrheit nicht gesagt. Einen der Cäsaren hab' ich vor aller Welt als elenden Mörder hingestellt, – nein, er ist zu feige, selbst den Dolch zu führen. Als Anstifter zum Meuchelmord. Und wen will er dingen? Meinen nächsten Diener. Aber der Germane ist zu treu, zu stolz – und ist klüger als die Klügsten zu Byzanz. Nicht mich, die Verräter verrät er. Und wer war willig, morden zu helfen? Ein Gesandter des Kaisers! Das uralte, das heilige Recht der Völker, das selbst die wilden Skythen zu verletzen sich scheuen, mißbraucht der Kaiser zum Morde. Hört es, meine Hunnen, hört es, Germanen und Sklabenen, und alle Völker des Erdballs: ehrlos ist Rom, niederträchtig ist der Römer Kaiser, ein Schandwort ward der Name der Cäsaren, und wie ich hier ausspeie, so speie ich aus meinen Gedanken jede Achtung vor Rom, speie dem Kaisertum ins Angesicht.

Nun aber vernehmet, ihr Gesandten, die Bedingungen, unter denen ich beide Kaiserreiche mit Krieg, das will sagen: mit unabwendbarer Vernichtung! – verschonen will. Ich fordere zu meinen zweihundert Frauen noch eine: Honoria, des Kaisers Schwester. Du rufst, sie ist schon vermählt, Maximinus. Ist das ein Grund? Höchstens für mich könnte es ein Grund sein, sie zu verschmähen. Und gelüstete mich nach des Kaisers eignem Weib, – er würde es mir geben aus eitel Furcht, die zottigen Hunnengäule wiehern zu hören vor dem goldschlüsseligen Thore seines Palastes. Aber« grinste er – »es gelüstet mich nicht nach ihr: sie soll sehr häßlich sein, die Basilissa. Dagegen Honoria, die schöne, die üppige . . .! Schon vor Jahren schickte sie mir heimlich ihr Bild und einen Verlobungsring, Reich und Bruder verratend, den Kaiser anklagend, daß er sie unvermählt verblühen lasse, mich auffordernd, sie zum Weibe zu machen. Ich weiß, daß ich nicht besonders hübsch und kußlich anzusehen bin – und sie weiß es auch! Aber eine Römerin, der das Blut einmal siedend geworden, – den Satan der Christenhölle nähme sie zum Mann. Wohlan, vermählt oder unvermählt, – ich will sie haben. Doch verlange ich eine meiner würdige Mitgift. Ihr habt mir abzutreten alles Land an der Donau der Länge nach von meiner päonischen Grenze an bis nach Novae in Thrakien und fünf hunnische Tagesritte in der Breite: an dem Strome dürft ihr nicht mehr Markt halten – unter solchem Anschein kundschaftet ihr meine Grenzen aus: erst in Naissus.«

Da antwortete ihm unwillig Romulus: »Auch wenn du Honorias Hand erhalten könntest, – auf das Reich würdest du dadurch keinerlei Ansprüche gewinnen. Nach Römer Recht ist das Reich der Männer, nicht der Weiber.« – »Aber nach Hunnenrecht, nach dem ich lebe, erben auch Weiber. Was schert mich Euer Recht? Doch ich bin noch nicht zu Ende. Alle Überläufer gebt ihr heraus: viertausendneunhundertdreizehn sind's, nach meiner Liste. Ihr zahlt die schon früher verlangten fünftausend Pfund Gold, ihr stellt hundert Geißeln senatorischen Standes, ihr schleift die Mauern von Byzanz, Rom und Ravenna, und ihr haltet Ruhe, während ich, wann der Schnee dieses Winters geschmolzen sein wird in den Wäldern der Germanen, alles Land nehme vom Pontus bis zum britischen Meer und von den Säulen des Herkules bis vor die Thore von Adrianopel! Wenn ihr nicht all' das thut, nach jedem Wort, das ich jetzt sprach, dann wehe euch, Byzanz und Rom! Ihr steht allein! Hoffet nicht, wie vor drei Jahren, auf die Westgoten. Drei Brüder bedrohen sich dort mit Schwert und Dolch und hadern um den blutbespritzten Thron. Und wagt es der, welcher Sieger bleibt, mir zu trotzen: mein tapfrer Freund Geiserich, der Vandale, landet mit tausend Trieren an den Mündungen des Rhodanus: Sueben und Alanen, damals gegen mich, sind jetzt für mich: für mich durch Gold gewonnen die damals gespaltenen Franken, das letzte Häuflein der Burgunden wird zerstampft von den Hufen meiner Rosse – ihre besten Scharen liegen schon seit fünfzehn Jahren erschlagen mit ihrem kühnen König Gundicar auf dem Blutfeld bei Worms! – die Alamannen wagen nicht, meinem Machtgebot zu trotzen, die Thüringe öffnen mir – wie damals – zitternd die Verhacke, die ihre grünen Hage sperren – Markomannen und Quaden werf' ich als meine Vorhut voraus, Ostgoten, Gepiden, Langobarden, Heruler, Rügen, Skiren, meiner Hunnen westliche Hälfte – all' das walz' ich gegen Niedergang, gegen den Rhein: Gallien und Italien werden mein, Spanien und Britannien werden Geiserichs. Und zu gleicher Zeit fluten gen Aufgang meiner Hunnen östliche Horden mit Anten und Sklabenen, Avaren, Sarmaten, Skythen – mit Völkern, deren Namen ihr noch nie gehört, deren Schrecklichkeit ihr nie erfahren: gar mancher Mann unter ihnen achtet einen Menschenschenkel leckerere Speise denn Rind oder Schaf! – Sie alle schleudere ich am gleichen Tage – meine Söhne führen sie: denn ich will Geiserich die Hand drücken auf den Trümmern von Toulouse! – die Donau abwärts auf Theodosios. Hab' ich doch im fernsten Ost und Süd auch Parther, Perser und Isaurier, Saracenen und Äthiopen gegen euch zur Rache gespornt. Wehe euch an dem Tage, da Parther und Hunne einander lustig entgegentraben im Hippodrome zu Byzanz!«

Er hielt inne, sich weidend an dem Entsetzen der Gesandten. Er schien auf eine Erwiderung zu harren, so erwartend heftete er die Augen auf sie. Ein langes, banges Schweigen entstand. Endlich vermochte der reizbare Rhetor die Spannung nicht mehr zu ertragen: der Drang, zu widersprechen, riß ihn fort, löste ihm die Zunge: ganz tonlos, mit beinahe versagender Stimme, kam die Erwiderung heraus: aber sie ward zur Frage: »Und was . . . wenn du uns all' das nahmst, – was willst du uns gnädig – lassen?« »Die Seelen!« antwortete Attila sofort. »Ja, noch mehr! Dem Großpriester dort in dem entmauerten Rom das Grab jenes jüdischen Fischers, das ihm so teuer ist. Und euch allen – eure Mütter für immer. Eure Weiber, Töchter und Schwestern aber nur so lange, – bis mich einer von ihnen gelüstet. – Still, du da, tapfrer Primutus! – Kein Wort! – Keinen Seufzer auch! Alles müßt ihr gewähren, alles, was ich will, und fordere ich eure Eingeweide aus euren lebenden Leibern! So hilflos, so rettungslos liegt ihr zu meinen Füßen! Ihr könnt gar nicht widerstehen, selbst falls ihr den Mut dazu fändet. – Geht! Ihr seid entlassen! – Das war der Tag und dies war die Stunde, da Attila, des Kriegsgottes Schwert, Rache nahm an Rom für alle Völker, die es getreten hat viele Jahrhunderte lang.«

 


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