Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Erstes Buch.

Erstes Kapitel.

Dunkel lag die schwüle Sommernacht auf dem gewaltigen Donaustrom. –

Fast einem Meeresarme glich die unüberblickbare Breite der Fluten, die, an den beiden Uferseiten oft in Schlamm versumpfend, auch in der Mitte des Bettes die ungeheueren Massen ihrer Gewässer nur träge vorwärts wälzten nach Osten: denn sehr zahlreich waren die kleinen Werder, die, mit Busch- und Baumwerk üppig begrünt, dem rinnenden Zuge hemmend sich vorgelagert hatten. – Eines dieser schmalen Eilande erhob sich nur wenig über den Spiegel des Flusses; rings von manneshohem Schilf umgürtet trug es nur ein paar Bäume: uralte Weidenstämme, nicht sehr hoch aufgeschossen, jedoch von mächtigstem Umfang, knorrig, mit phantastischen Auswüchsen an Krone, Ästen und Rinde.

Der Mond stand nicht am Himmel; und die Sterne waren bedeckt von dichtem Gewölk, das der feuchtwarme Südwest mit triefenden Schwingen langsam vor sich her schob. Im fernen Osten aber zuckte zuweilen fahler Schein über den schwarzen Himmel hin, geisterhaft, unheimlich; noch drohender drückte dann die dem raschen Aufleuchten folgende tiefe, wie Verderben brütend schweigende Nacht. – – Mit leisem Gurgeln und Zischen drängte sich das Gerinn des Stromes langsam, zögernd an der kleinen Aue vorüber, die, im Westen breit, gegen Osten spitz zulaufend, ungefähr ein Dreieck bildete. Das Schilf ging allmählich auf den sumpfigen flachen Ufern der Insel in dichtes Weidengebüsch über und in stachligen Seidelbast. – Rings alles dunkel, einsam, still: selten nur stieg in dem tiefen Strom ein Raubfisch empor, der, in nächtlicher Jagd, patschend aufschlug: dann ein kurzes Kreiseln auf der Oberfläche – gleich wieder alles ruhig. – – Da flog plötzlich aus dem Gebüsch des linken, des nördlichen Ufers ein großer Vogel schwerfällig auf: – laut kreischend, mit schrillem Warnruf. Er strich langsam auf den Werder zu: aber, im Begriff, auf einer der alten Weiden aufzubäumen, – schon schwebte er über deren Wipfel – schwang er sich plötzlich, jäh ablenkend, mit wiederholtem, aber noch viel lauterem Ruf des Schreckens und der Warnung, hoch empor und eilte nun, mit hastigem, scharf klatschendem Flügelschlag, in ganz anderer Richtung, nach Osten, dem Strom folgend, davon: bald war er in dem Nachtgewölk verschwunden.


Auf dem Eiland aber regte sich's nun leis in dem Weidengebüsch. Eine Gestalt, die bisher, ganz versteckt in dem Strauchwerk, auf dem feuchten Ufersand sich niedergekauert gehalten hatte, richtete sich ein wenig auf. »Endlich!« sprach eine jugendliche Stimme leise. Der Jüngling wollte aufspringen. Aber ein zweiter Mann, der neben ihm in dem Gestrüpp verborgen lag, zog ihn am Arme nieder und flüsterte: »Still, Daghar. Die den Reiher aufgescheucht, können auch Späher sein.«

Von dem Nordufer her näherte sich nun rasch der kleinen Insel, von dem dunkeln Spiegel der Flut noch dunkler, weil massig, sich abhebend, ein länglicher Streif, wie ein schwarzer Schatte dahingleitend. Es war – schon konnte man es jetzt unterscheiden – ein Kahn: pfeilschnell schoß er heran; und doch völlig lautlos. Die vier Ruder mieden sorgsam jedes Geräusch beim Eintauchen, beim Anziehen und beim Aufheben. – Schon flog, mitten im Anlaufen geschickt gewendet, der Nachen nicht mit dem spitzen Vorderbug, sondern mit dem breiten Hintergransen in das dichte Schilf: das knisternde Reiben der steifen Rohre an der dahingleitenden Seitenwand des Bootes, das wehende Rauschen der dabei gestreiften federgleichen Blüten war der einzige wahrnehmbare Laut. Die beiden Ruderer sprangen an das Ufer und zogen den Kahn noch höher auf das Land.

Die beiden Wartenden hatten sich einstweilen erhoben: schweigend reichten sich die vier Männer die Hände: kein Wort ward gewechselt. Schweigend gingen sie von dem Ufer weiter in das Innere der Aue, die im Westen, Norden und Süden sanft sich erhöhte, nach Osten steiler abfiel; sie näherten sich so den mächtigen Weidenstämmen oben auf dem Scheitel der Insel. Da machte der ältere der beiden früher schon Angelangten Halt, hob das behelmte Haupt, warf das langwallende weiße Haar in den Nacken und sprach mit Seufzen: »Gleich nächtlichen Schächern müssen wir uns zusammenstehlen – wie zu verbotener Meinthat.« »Und es gilt doch der edelsten aller Thaten,« rief der Jüngling an seiner Seite, den Speer fester fassend: – »der Befreiung.«

»Der Tod schwebt über unsern Häuptern!« flüsterte warnend der jüngere der beiden Ankömmlinge, den braunen Bart, den ihm der nasse Wind in das Gesicht schlug, niederstreichend.

»Der Tod schwebt überall und immer ob den Sterblichen, Graf Gerwalt,« erwiderte sein Kahngenosse: Festigkeit und Zuversicht lagen in seiner Stimme. »Ein wackres Wort, König Ardarich!« rief der Jüngling. »Nur die Art des Todes macht den Unterschied,« nickte der in den langen weißen Haaren. »Gewiß, König Wisigast,« fiel Gerwalt ein. »Und mir graut vor den Qualen, unter denen wir sterben werden, ahnt er nur, daß wir uns heimlich trafen.« Er schauderte.

»Allwissend ist er doch nicht!« eiferte der Jüngling grimmig. »Das ist nicht einmal Wodan,« meinte der greise König. »Aber kommt,« mahnte Gerwalt, den dunkeln Mantel fester um die stämmigen Schultern ziehend. »Der Wind wirft uns plötzlich ganze Schaufeln voll Regen in die Augen. Dort – unter der Weide – finden wir Schutz.«

Alle vier traten nun auf die Nordostseite unter den Schirm des breitesten der Weidenstämme: reichlich fanden sie hier Raum nebeneinander.

»Beginne gleich, König der Rugen,« mahnte Gerwalt, »und ende bald. Weh' uns, wenn wir nicht sichere Stätte wiedergewonnen haben, bevor der erste Tagesdämmer aufglänzt. Seine Reiter, seine Späher stecken, jagen, lauern überall. Wahnsinn war es, daß ich mich bereden ließ, hierher zu kommen. Nur, weil ich so hoch dich ehre, König Wisigast, meines Vaters Freund, nur weil du, König Ardarich, mir die Schwertleite gabst vor zwanzig Wintern, – weil ich euch beide warnen will, solang ich Atem habe, zu warnen. Bloß deshalb ging ich mit zu diesem tödlichen Wagegang. – Mir war's, auf dem schattendunkeln, leise fortziehenden Strom: – wir fahren nach Hel!« »Nach Hel kommen nur Feiglinge,« brauste der Jüngling auf, zornig die dunkelblonden, kurzkrausen Locken schüttelnd, »die den Bluttod scheuen.«

Der Braunbärtige fuhr mit der Faust an das Kurzschwert im Wehrgehäng.

»Beginne, Freund Wisigast,« mahnte König Ardarich, sich an den Stamm der Weide lehnend und den Speer schräg vor die Brust drückend, den flatternden Mantel zusammenzuhalten. »Und du, jung Daghar, bändige dich. Ich sah diesen Alamannengrafen einst neben meinem Schildarm stehen, dort – an der Marne – da hielten nur noch die allertodeskühnsten Helden stand.« »Was ich zu sagen hätte,« begann der Rugenkönig, – »ihr wißt es selbst. Unertragbar ist's, des Hunnen Joch! Wann wird es fallen?« »Wann die Götter es brechen,« sprach Gerwalt.

»Oder wir,« rief Daghar. Aber König Ardarich sah sinnend vor sich hin und schwieg.

»Ist es etwa nicht unertragbar, Graf Gerwalt?« fragte der König, »Du bist ein tapferer Mann, Suabe: und ein stolzer Mann, stolz, wie dein ganzes hochgemutes Volk. Muß ich dir vorhalten, was du kennst, was du erduldest, so voll wie wir? Der Hunne herrscht, so weit er will. Nicht Rom, nicht Byzanz wagt noch den Kampf mit ihm, dem Schrecken aller Länder! Und den Schrecken aller Meere, den furchtbaren Vandalen Geiserich, nennt er seinen Bruder. Alle Völker hat er sich unterworfen von den Thoren von Byzanz im Mittag bis zu den Bernsteininseln des Mitternachtmeeres. Und wie herrscht er! Nach Willkür! Nach Laune ist er manchmal großmütig, aber nur seine Laune auch begrenzt ihm immerdar die Gewalt, überall die Grausamkeit, den Frevel. Kein König ist seiner Würde, kein Bauer seiner Garbe, zumal kein Weib seines Gürtels sicher vor seiner Willkür, seinem Gelüst. Jedoch tiefer noch als die andern Stämme, die er mit seinen Hunnen bezwang, erbarmungsloser tritt er uns in den Staub, uns, die Völker mit lichtem Haar und blauem Aug', die wir in Asgardh unsre Ahnen haben. Uns »Germanen« – wie der Römer uns nennt – nicht unterdrücken nur, – schänden will er uns.«

»Ausgenommen mich,« sprach König Ardarich ruhig, ein wenig sich aufrichtend, »und meine Gepiden.«

»Jawohl,« rief Daghar unwillig, »dich – und dann noch den Amaler Valamer, den Ostgoten. Euch rühmt er seinen Speer und sein Schwert. Euch ehrt er, – aber um welchen Preis! Wofür zum Lohn?« – »Zum Lohn unsrer Treue, junger Königssohn.« »Treue! Ist das der höchste Ruhm? Mich lehrte man anders in der Skiren Königshalle! – Der blinde Vater, König Dagomuth, sang es zur Harfe schon dem Knaben, bis ich's spielend lernte:

Reichster Ruhm,
Edelste Ehre,
– Höre 's gehorchend: –
Ist Heldenschaft.«

»Und gut hast du, jung Daghar, beides vom Vater gelernt: die Heldenschaft und das Harfen. Den besten Sänger, den hellsten Harfner rühmen dich ringsum Männer und Maide. Und tapfer sah ich – zu meines Herzens Freude – das Schwert dich schwingen gegen Byzantiner und Sklabenen. Nun lerne noch dies: – vom älteren Manne lernen, Daghar, ist nicht schmachvoll! – all' Heldentum hebt an mit Treue.« »Und das ist alles?« fragte Daghar ungeduldig. »Von mir – zu ihm – ja!« »So hast du denn, Freund Ardarich,« mahnte König Wisigast, »kein Herz für deine Stammgenossen, Nachbarn, Freunde? Es ist wahr –: der Gepiden und der Ostgoten Rechte hat er – bisher! – gewahrt: euch hält er die Verträge ein. Aber all' uns andre? Meine Rugen, Dagomuths Skiren, die Heruler, die Turkilinge, die Langobarden, die Quaden, die Markomannen, die Thüringe, deine Suaben, Gerwalt, – ist es ihm nicht Wollust, auch den Treuverbliebenen jedes Vertragsrecht nach Willkür zu brechen? Euch ehrt – euch belohnt er mit reichen Schatzgaben, mit Beuteanteilen, auch wo ihr gar nicht gefochten habt – und uns? – Uns bricht er und nimmt er, was uns gebührt. Glaubst du, das weckt nicht Haß und Neid?« –

»Gewiß,« seufzte Ardarich, den grauen Bart streichend. »Es soll ihn ja wecken!« »Er legt es darauf an,« fuhr der Rugenkönig fort, »uns andere zur Verzweiflung, zum Losbrechen zu treiben.« »Um euch sicher zu vernichten,« nickte Ardarich traurig.

»Deshalb fügt er zum Drucke den Hohn, die Schmach. So hat er den Thüringen zu der alten Jahresschatzung von dreihundert Rossen, dreihundert Kühen, dreihundert Schweinen plötzlich auferlegt eine Jahresschatzung von – dreihundert Jungfrauen.«

»Ich erschlag' ihn doch noch, den Jungfrauenschänder!« schrie da laut jung Daghar.

»Nie gelangst du, Hitzkopf,« erwiderte Gerwalt, mit der Hand winkend, »auf Speeresweite an seinen Leib. In dichten Klumpen umballen ihn überall auf Schritt und Tritt seine Hunnen wie Bienen den Schwarmkorb.« – »Und die tapfern Thüringe« – forschte König Ardarich sehr aufmerksam – »haben sie's schon bewilligt?« – »Weiß nicht,« fuhr Wisigast fort. – »Ja, vor ein paar Jahren, da ging ein Hauch des Hoffens durch die zitternden Völker: sie hoben aufatmend die gebeugten Häupter! Als dort in Gallien – gedenkst du's noch, Freund Ardarich? – jener Fluß nicht mehr fließen konnte – so voll lag er von Leichen! – und blutschäumend über die Ufer quoll?«

»Ob ich's gedenke!« stöhnte der Gepide. »Zwölftausend meines Volkes liegen dort.« – »Da mußte er, der Allgewaltige, zum erstenmal weichen.« »Dank den herrlichen Westgoten und dank Aëtius,« rief Daghar.

»Und als er bald darauf,« fiel Gerwalt ein, »auch in Italia umkehrte vor einem alten Mann, einem Priester aus Rom, der an einem Stecken ging, da hofften die Geknechteten im ganzen Abendland –«

»Es geht zu Ende, die Gottesgeißel ist geknickt,« fuhr Wisigast fort. »Schon flackerte dort und da die Flamme der Freiheit auf!« rief Daghar. »Zu früh!« sprach der Gepidenkönig ernst. »Ja freilich, zu früh,« seufzte Gerwalt. »Mit Strömen Bluts hat er gelöscht.« – »Und jetzt!« klagte Wisigast. »Verderblicheres als je zuvor plant er für das nächste Frühjahr. Zwar seine letzten Ziele hält er noch streng verhüllt: – nur ahnen mag man sie: – aber ungeheuer müssen sie sein, nach den ungeheueren Mitteln, die er aufbietet. All' seine Völker – wohl viele hundert Namen! – aus beiden Erdteilen! Und aus dem dritten, aus dem mittägigen Land, aus Afrika, reicht ihm der Vandale die Hand zum fürchterlichen Bunde!«

»Wem mag es gelten? Wieder dem Westen?« forschte Gerwalt. »Oder dem Ostreich?« fragte Daghar. »Oder beiden!« schloß Ardarich. »Wie dem sei,« fuhr der Rugenkönig fort, »sechsmal so stark wie vor drei Jahren wird er sein! Und die Gegner? In Byzanz ein Schwächling auf dem Thron! Im Westen? Aëtius in Ungnade bei Kaiser Valentinian, vom Mörderdolch bedroht. Bei den Westgoten drei, vier Königsbrüder, hadernd um die Krone. Verloren ist die Welt, für immerdar verloren, werden auch Gallien und Spanien geknechtet. Dann stürzen auch Byzanz und Rom. Er muß fallen, bevor er auszieht zu diesem letzten Kampf, zu einem zweifellosen Sieg. Sonst ist der Erdkreis ihm verknechtet. Hab' ich recht oder hab' ich unrecht, Freund Ardarich?«

»Recht hast du,« seufzte der und drückte die geballte Linke an die Stirn.

»Nein, unrecht hast du, König Wisigast!« rief der Alamanne dazwischen. »Du hättest recht, wär' er ein Sterblicher wie wir und gleich andern Sterblichen bezwingbar. Er aber ist ein Unhold! Der Christenhölle entstiegen! so raunen unsere Priester des Ziu, eines Unholds Sohn und einer wölfischen Alraune. Speer nicht spürt er, Schwert nicht schlägt ihn, Waffe nicht wundet! Ich hab' es erlebt, gesehen! Ich stand neben ihm an jenem Strom in Gallien: ich stürzte, und Hunderte, Tausende stürzten neben mir unter dem Gewölk von Pfeilen und von Speeren: er stand! Aufrecht stand er! Er lachte! Er blies – ich hab's gesehen! in den spitzen, kargen Kinnbart – und die römischen Pfeile prallten wie Strohhalme zurück von seinem Elchvließ. Daß er kein Mensch ist, das zeigt am besten seine – Grausamkeit!«

Er verstummte und schauderte. Er schlug beide Hände vor die Augen. »Dreißig Jahre sind es bald,« fuhr er nach einer Weile fort. »Ich war ein Knabe. Aber immer noch seh' ich sie vor mir – auf den spitzigen Pfählen sich windend, noch hör' ich sie brüllen vor Schmerz – im Aufruhr gegen den Schrecklichen von ihm gefangen – den greisen Vater, den Bruder, die ganz schuldlose Mutter. Und – vor unsern Augen! – meine vier schönen Schwestern zu Tode gequält von ihm, dann von seinen Roßknechten! Mir stieß er das Antlitz auf den zuckenden Leib des Vaters und sprach: »So endet Untreue wider Attila. Knabe, lerne hier die Treue. – Ich habe sie gelernt!« schloß er mit bebenden Lippen.

»Auch ich,« sprach der König der Gepiden. »Anders: aber noch eindringlicher. Den Schrecken? Ich würd' ihn abschütteln. Ich hatte ihn abgeschüttelt! Aber mich zwingt der stärkste Zwang: die Ehre! – Auch ich fand – vor geraumer Zeit – wie heute du, Freund Wisigast! – das Joch nicht mehr ertragbar und wollte mein Volk, den Erdkreis retten. Alles war vereinbart: der Bund mit Byzanz, der geheime Vertrag mit gar vielen Germanenkönigen und Häuptlingen der Sklabenen. Ich lag in meinem Zelt und schlief – drei Nächte vor dem beredeten Tag. Als ich erwachte, saß er – er selbst – an meinem Bett! Entsetzt wollte ich auffahren. Da drückte er mich sanft mit der Hand auf das Lager zurück und sagte mir – unsern ganzen Plan und den Vertrag – vier Seiten eines römischen Briefes füllte er – auswendig! her. Dann schloß er: »Die andern sind schon gekreuzigt, alle siebzehn. Dir verzeihe ich. Ich lasse dir dein Reich. Ich traue dir. Sei mir fortan getreu.« – Am selben Tage noch jagte er mit mir und meinen Gepiden allein im Donauwald. Ermüdet schlief er ein, das Haupt auf meinen Knieen. So lang er lebt, muß ich ihm Treue halten.«

»Und die Welt muß hunnisch sein und bleiben!« klagte der König der Rugen. »Ja, so lang er lebt.« – »Nach dem nächsten Sieg der Hunnen ist sie's dann für immerdar.« »Die Söhne Attilas,« sprach Ardarich nachdrucksvoll, »sind nicht er selbst.« – »Wohl! Aber Ellak ist kein Schwächling und stark genug, nach diesem neuen Siege zu behaupten, was der Vater gewann. Dann giebt es keinen Feind auf Erden mehr gegen das Hunnenreich.« »Dann – doch wohl!« sprach Ardarich. »Echte Königsrede,« rief Daghar ungeduldig. »Allzu rätselhaft! So muß denn gekämpft werden ohne die Gepiden – am Ende gegen sie! König Wisigast, schicke mich zu Balamer, dem Amalung. Ich will ihn –«

»Spar' dir den Ritt, jung Daghar,« sprach Ardarich. »Hat er auch den begnadigt und – gefesselt?« zürnte der Jüngling. – »Nein. Aber Blutbrüderschaft haben sie getrunken.« »Pfui des ekeln Hunnenbluts!« rief der Königssohn. – »Auch der Ostgote kämpft nicht gegen das Hunnenreich, solang Attila lebt.« »Der kann noch lange leben; sechsundfünfzig Winter zählt er erst,« grollte Daghar. »Und unterdessen geht die Welt verloren,« seufzte Wisigast.

»Besser die ganze Welt,« sprach der Gepide ruhig, voll sich aufrichtend, »als meine Ehre. – Komm, Gerwalt, wir brechen auf. Ich kam, weil ich längst ahnte, was Freund Wisigast sinnt. Ihn hören, ihn warnen wollt' ich um jeden Preis, auch unter Wagung des Lebens, nur nicht der Ehre. Alter Rugenheld im weißen Haar: – das hoffst du selber nicht, die Hunnenmacht zu brechen, wenn Valamer und ich sie stützen. Und wir müssen sie stützen, greifst du – jetzt! – sie an. König im grauen Bart, hast du die erste Königskunst noch nicht gelernt: – warten? Hörst du nicht, alter Kampfgenoß: warten!«

»Nein, nicht warten!« rief leidenschaftlich Daghar. »Laß, König Wisigast, Gepiden und Ostgoten den höchsten Kranz des Siegs, des Ruhms verschlafen. Wir warten nicht! Du sagst es ja, nach nächstem Frühjahr ist's zu spät. Wir schlagen los! Wie? Wir sollten nicht stark genug sein? Deine Rugen! Meine Skiren! Wisand der Heruler mit starker Söldnerschar! Der edle Langobarde Rothari mit seiner Gefolgschaft! Der edle Markomanne Vangio mit seinen Gesippen! Die drei Häuptlinge der Sklabenen Drosuch, Milituch und Sventoslav! Endlich versprach ja selbst der Kaiser zu Byzanz, durch seinen nächsten Gesandten an den Hunnen insgeheim uns Gold und Waffen . . .«

»Wenn er's nur hält!« unterbrach Ardarich. »Junger Königssohn, du gefällst mir. Harfen kannst du hell und schlagen und reden kannst du rasch. Nun lern' auch noch das vierte – schwerer und für den künftigen König nötiger als beides – schweigen! Wenn ich nun alle, die du aufgezählt, dem großen Hunnenchan angebe?«

»Das thust du nicht!« rief der Jüngling: aber er erschrak.

»Ich thu' es nicht, weil ich mir selbst gelobt, geheim zu halten, was mir hier vertraut wird. Ich darf es geheim halten: denn nur euch, nicht Attila droht dieser Anschlag Verderben. Du zweifelst, kühner Daghar? Alle, die du genannt – und wögen sie zehnmal schwerer! – nicht einen Span splittern sie aus Attilas über die Erde gespanntem Joch. Schad' um deine rasche Jugend, du feuriger Held! Schade um dein weißes, theures Haupt, mein alter Freund! Ihr seid verloren, laßt ihr euch nicht warnen. Wartet! – Du weigerst den Handschlag, Wisigast? Du wirst es bereuen, wann du einsehen wirst, daß ich mit Recht gewarnt. Aber meine Hand – ob heute ausgeschlagen – bleibt deines besten Freundes Hand. Und bleibt immer offen nach dir ausgestreckt: das merke! – Ich komme, Gerwalt.«

Und er verschwand nach links hin in dem Dunkel. Fast unhörbar glitt auf der Nordseite des Werders der schmale Nachen in die schwarze Flut. –

Nachdenksam sah der Greis dem Freunde nach; er stützte beide Hände auf den Knauf des mächtigen Langschwerts, das er unter dem Mantel im Wehrgehänge trug; langsam, wie von schweren Gedanken belastet, sank ihm das Haupt auf die Brust. »König Wisigast,« drängte der Jüngling, »du wirst doch nicht schwanken?« »Nein,« erwiderte dieser gedrückt. »Ich schwanke nicht mehr. Ich gab es auf. Wir sind verloren, wagen wir's allein.« »Und wären wir's,« rief Daghar ausbrechend in lodernder Glut, »wir müssen's dennoch wagen! Vernimm, was ich – vor den Fremden – verschwieg. Wir müssen handeln! Sofort!« – »Warum?« – »Weil . . . weil! Um ihrer, um deiner Tochter willen.« – »Ildicho! Was ist mit ihr?« – »Sein Sohn hat sie gesehen und . . . –«

»Welcher?« – »Ellak. Er kam in eure Halle, als du zu uns zur Jagd geritten warst.« – »Wer sagte dir's? Er doch sicher nicht.« – »Sie selbst –!«

»Und mir nicht?«

»Sie wollte dich nicht ängstigen, vor der Zeit, – du kennst ihre starke Seele! – ohne Grund vielleicht, meinte sie. Aber es ist Grund, zu handeln. Er sah die schönste Jungfrau in allem Germanenvolk und er begehrte sie: – wer kann sie sehen und ihrer nicht begehren? Er wird bei seinem Vater . . .«

»Ildicho? Mein Kind! Komm! Laß uns eilen! Nach Hause! Rasch.«

Sie schritten nach dem spitz zulaufenden Ostende des Eilands, wo ein Floß, aus sechs breiten Balken kunstlos gefügt, auf das schlammige Ufer gezogen und durch ein vor dem oberen Querbalken senkrecht in den Uferboden getriebenes Sperrholz fest gehalten war. Beide sprangen darauf. Daghar schlug das Gezimmer mit dem Floßhebel nieder und schob vom Ufer ab, pfeilschnell stromabwärts schoß das Floß; der Jüngling stieß vorn mit der Stange, bald rechts, bald links, hin und wieder springend, der Alte steuerte hinten mit dem breiten Floßruder: – auf das rechte, das südliche Ufer hielt er zu. – Beide waren hastig, heiß erregt, voll Ungeduld, nach Hause zu kommen. –

Und nun, nachdem auch das seltene, schwache Plätschern des Ruders in der Ferne verhallt war, nun lagerte wieder tiefes Schweigen wie auf dem Strome, so auf dem verlassenen Werder.

Eine Welle blieb alles ruhig.

Das ziehende Wasser gurgelte leise; das hohe Schilf neigte die tief dunkelbraunen, wehenden Blütenfahnen vor dem Westwinde bis auf den Spiegel des Stromes herab; eine breitflügelige Fledermaus huschte geräuschlos darüber hin, mit unfehlbar sicherem Erschnappen die Nachtmücken erhaschend. Sonst alles still, unbelebt.


Da schien sich der breite Stamm der Weide, unter welcher die vier Männer verhandelt hatten, seltsam zu erhöhen: zwischen seinen Wipfelzweigen hob sich aus dem Baum eine dunkle Gestalt.

Zuerst tauchte auf ein behelmtes Haupt, dann ein breiter, ummantelter Rumpf, der sich mit zwei starken Armen auf die Krone des Baumes stemmte. Nun lauschte und spähte der Mann scharf umher. Da alles ruhig war und leer blieb, zog er auch die Beine aus dem Hohlstamm und sprang herab auf den Boden. Eine zweite, eine dritte Gestalt hob sich aus der breiten hohlen Weide und glitt herab.

»Hatt' ich nun recht, o Herr?« rief der dritte leidenschaftlich. Es war eine jugendliche Stimme. »War nicht alles, wie ich vorausgesagt?« Der Angeredete gab keine Antwort. Es war so dunkel: – seine Züge waren nicht zu sehen. Die Gestalt war stämmig, kurz, nicht edel gebildet. »Merke dir genau die Namen, Chelchal,« befahl der Angeredete dem andern Begleiter, statt dem Frager zu erwidern. »Ich vergesse sie nicht. Wisand – Rothari – Vangio – die drei Sklabenenhunde. Lade sie zu unserm größten Fest, den drei Tagen Dzriwils, der Rossegöttin. Das fällt nicht auf, ist Sitte. Sie und all ihre Gefolgen und Vettern, alle muß ich sie haben!«

»Herr, du bist also zufrieden? Gieb mir denn den vorbedungenen Lohn,« drängte der Mahner. »Meinst du, es ward mir leicht, die Treue und den jungen, edelsinnigen Herrn zu verraten, mir, seinem eigenen Schildträger? Nur die Gier, die rasende, die hoffnungslose – wenn du nicht halfst – nach jenes Mädchens unsagbarem, herzverbrennendem Reiz konnte mich . . . Du glaubst nicht, Herr, wie schön sie ist! Wie schlank, wie üppig doch, wie weiß . . . –«

»Schlank? – Und doch üppig? – Und weiß? Ich werde all' das sehn.« – »Wann?« – »An ihrem Hochzeitstag, versteht sich. Ich werde nicht fehlen dabei.« – »Eile! Du hörst, schon hat Ellak – mir eilt es! Wann – wann wirst du sie mir geben?« – »Sobald ich mich deiner Treue, deines Schweigens voll versichert. Sag' selbst: deinen nächsten Herrn hast du an mich verraten, den du wenig liebst, nur fürchtest. Welch Mittel soll ich wählen gegen dich, daß du nicht auch mich verrätst?« – »Welches Mittel? Jedes, das du willst. Das stärkste, sicherste, das dir einfällt.« »Das sicherste?« wiederholte der andre bedächtig, indem er ganz langsam unter seinen weiten Mantel griff. »Gut! Wie du selbst geraten.« Er holte flugs ein langes krummes Messer hervor und stieß es dem Ahnungslosen mit solcher Wucht schlitzend in den Bauch, daß die geschweifte Spitze unter den Rippen hervordrang.

Lautlos fiel der Mann auf den Rücken.

»Laß ihn liegen, Chelchal. Die Raben finden ihn schon. Komm.« – »Herr, laß mich allein hinüberschwimmen an den nächsten Werder, wo wir den Nachen verborgen haben. Ich rudere ihn her und hole dich. Du schwammst bereits von dort fast über den halben Strom hierher. Es wird dir zu viel.« – »Schweig. Der Mann, der jede Nacht ein Germanenweib zerstört, wird wohl zweimal in einer Nacht ein Stücklein Donau zwingen. – Das Schwimmen und das Horchen hat gelohnt. Nicht nur all jenes Unterholz, alt und jung, fäll' ich auf einen Streich: auch die beiden stolzen Eichen beug' ich: den Gepiden und den Amaler. Sie müssen meinen Söhnen gleiche Treue schwören, wie mir selbst. Oder sterben. Auf, Chelchal! Ich freue mich auf das kalte Bad. Komm, hochbus'ge Donau, komm in diese Arme!«

 


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