Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Achtes Kapitel.

Nachdem bei dem Blick auf den Liebling sich sein Antlitz aufgehellt hatte, nahm es nun wieder einen finstereren, ja drohenderen Ausdruck an, als zuvor: er lehnte sich zurück, furchte die starken, borstigen Brauen und sprach, lauter als sonst: »Habt ihr's gehört, ihr Skiren und Rugen und Goten da unten? Sind auch Germanen, diese Lugionen. Oder waren es, vielmehr! Schon gar manchen Splitter eures treulosen Volkes hab' ich so zerspellt. Geht das so fort mit euren Treubrüchen, wird man bald nicht mehr bloß fragen: ›wo sind die Lugionen?‹ sondern: ›wo sind die Germanen geblieben?‹ ›Zerschmolzen sind sie,‹ wird man dann singen in den Zelten der Hunnen, in den Hütten der Sklabenen, ›zerschmolzen, wie der Schnee im Sommer. Nicht Vetter, nicht Erbe von ihnen ist übrig geblieben. Untergegangen ist es ohne Spur, das hochfärtigste Geschlecht der Erde, das allen Völkern verhaßte, die stolzherzigen Germanen!‹« Und er griff wieder nach einem Stücke noch halbrohen Fleisches.

Da richtete unten an der Tafel der greise König Wisigast das ehrwürdige Haupt empor, sah ihm in die Augen und sprach mit fester Stimme: »Unsere Völker mögen leiden: – sie leiden schon lange schwer! – nie werden sie untergehen.« – »Und weshalb, du Zuversichtlicher?« »Die Götter, unsre Ahnen in Asgardh, schützen uns!« rief jung Daghar. »Und wer schützt eure Götter?« höhnte der Hunne. »Sollen doch auch sie einst untergehen!« »Am Ende aller Dinge,« erwiderte Wisigast. »Dann aber,« fiel Daghar ein, »in jenen letzten Kampfestagen der Welt, werden neben den dumpfen Riesen die Nachtvölker stehen: Finnen, Sklabenen und Sarmaten und vor allem – du: an des Fenriswolfes Seite, Herr Attila, seh' ich schon deinen Schatten die Geißel schwingen! Doch an unsrer Ahnen, der Asen, Schildseite werden, dicht neben den Einheriar, die aus Walhall niederschweben, wir Germanen die letzten Speere werfen und mit und neben unsern Göttern fallen.« »Ich möchte dann wohl,« entgegnete Attila, »jener schwarze Rauchriese sein, der, nach eurem Glauben, euch alle in Feuerqualm verzehrt.« »Und selbst mit untergeht,« fiel Daghar ein, »auf daß ein neuer Himmel glanzvoll sich wölbe über eine neue Welt: – ohne Hunnen und andere Nachtvölker! Dieser Welt wird abermals Wodan walten, der Schuld entsühnt, und Frigga, die blonde Herrin, und Baldur und Donar der Getreue. Und wie sollte Siegvater unser entraten können? Mir ist, Wodan bedarf unser so notwendig wie wir sein! Neue Germanen schafft er sich wieder, zu seines Herzens Stolz und freud'ger Liebe. Aus der Esche den Mann, aus der Erle das Weib.« Er schwieg: Begeisterung leuchtete aus seinem hellen Auge, verklärte die stolzen Züge: er war sehr schön in diesem Augenblick, der junge Königssohn; die Weihe der Dichtung glänzte auf seiner hohen Stirn: er suchte Ildichos Auge: ihre Blicke fanden sich: voll warmer Liebe, bewundernd, sah sie in sein edles Antlitz.

Attila nahm ihn scharf wahr, diesen Austausch von Blicken und von Liebe. »Das Weib!« wiederholte er heiseren Tones: »Ja freilich, das darf nicht fehlen. – Und gewiß hat diese Germanin der zukünftigen Welt wieder so schönes, starkes, goldenes Haar, wie deine Braut dort, nicht?« – »Gewiß. Unsere Frauen sind unsres Volkes höchstes Heiligtum. Heilig und weissagend und den Göttern näher als wir Derben, sind die Zarten. Und ihre Schöne, ihre Reine ist das letzte Geheimnis, ist der holde Runenzauber unsrer Kraft.«

Flammenden Blickes sah er auf Ildicho: diese erglühte: aber sie senkte die langen Wimpern nicht in falscher Scham: fest und selig sah sie ihm tief in die Augen. Attila nickte Chelchal zu, bedeutungsvoll. Dann spottete er weiter: »Nicht gerade viel Mannesstolz lag in der Rede. Wir Hunnen können unsre Weiber missen: – wir nehmen uns dann – andre. Wie reich ist doch deiner Tochter goldnes Haar, alter König! Gehört das auch zu jenem geheimen Zauber?«

»Das reiche, goldne, todesmutige Herz,« antwortete Wisigast.

»Ja und –« fiel Daghar ein: er ward immer hitziger, der kalte Spott des Hunnen stachelte ihn bis zur Wut – »da du doch so neugierig danach forschest, so höre die Antwort: ja, auch dies Haar!« Und zärtlich strich er leicht über die prachtvollen Zöpfe der Geliebten hin. Denn heißerregt war er nun aufgesprungen und hatte sich, in zwei langen Schritten, neben Ildichos Stuhl gestellt.

»Ei, wie das?« meinte Attila, kopfschüttelnd. »Das will ich dir erzählen,« begann Daghar, tief atmend, nach Beherrschung ringend, »Nicht nur dadurch haben gar oft schon unsere Frauen uns den Sieg erringen helfen, daß sie im Speerkampf dicht hinter unserer Schlachtreihe standen, mit heiligen Gesängen uns anfeuernd, – jüngst haben markomannische Weiber ihre Männer und sich selbst gerettet und den Feinden den schon sichern Sieg entrissen – durch ihre Haare.« »Jawohl,« bestätigte Wisigast. »Es ist ein schönes Geschehnis.« Aufmerksam lauschte Ildicho: »Davon hört' ich nie,« flüsterte sie zu dem Bräutigam hinauf. »Wie war's?« – »Vor ein paar Wintern waren wendische Räuber – Czechen nennt man die stumpfnasige Horde! – in wimmelnder Übermacht von Aufgang her eingefallen in Bojohemum, der Markomannen bergumhegtes Land. Die Männer des überfluteten Ostgaus hatten sich mit Weib und Kind und Knecht und Magd und Herden und Habe geflüchtet in einen festen Verhau auf ragendem Waldberg an dem Albisstrom. Bald waren sie hier von den zahllosen Wenden eingeschlossen. Das Stürmen hob an. Lange hielten sie aus, die bärentapfern Markomannen: – Feuerzeichen bei Nacht, Rauchzeichen bei klimmender Sonne auf dem höchsten Gipfel des Berges sollten die Aufgebote der nächsten Gaue zum Entsatz herbeiwinken. Aber ach! immer seltner, immer spärlicher flogen von dem Verhack und dem Rasenwalle herab die Pfeile der Verteidiger zu Thal. Und doch hatten sie die Räuber durch nichts wirksamer abgewehrt als durch ihre gefürchteten, niemals fehlenden Pfeile.«

»Jawohl,« bekräftigte Wisigast. »Vor uns andern allen gelten als beste Schützen die Markomannen. Das lehrte sie Ullr, der Wodan des Winters, der kundige Jäger mit Bogen und Pfeil.«

»An Pfeilen und Bogen fehlte es nicht den pfeilfrohen Schützen, aber es fehlte nachgerade an Sehnen für die Bogen. Die aufgezogen mitgebrachten rissen eine nach der andern bei dem unaufhörlichen Abschnellen der Geschosse. Die Czechen, die unablässig – wie die Wölfe um den Schafpferch rennen, – den Verhack umkreisten, aber, nachdem sie viermal blutig abgeschlagen worden, nur in klug bemessener Entfernung, merkten es nun schnell, daß die Bedrängten fast gar nicht mehr schossen, nur Steine schleuderten und Äste. Mit wildem Geheul sprangen sie immer kecker, immer höher den Waldhang hinauf. Da riß auch Garizo, dem Gaugrafen, der Bogenstrang; seufzend warf er den nutzlosen Bogen zur Erde. Aber Milta, sein jung und schön Gemahl, das hart hinter ihm stand, die Pfeile ihm reichend, gab ihm gar bald den Bogen wieder in die Hand: sie hatte sich mit scharfem Sachs das prachtvolle starke Haar vom Wirbel geschnitten, zu unzerreißbarer Schnur zusammengedreht und den Eibenbogen damit besträngt: der Tapfre jauchzte laut auf, küßte sein Weib, ergriff die geliebte Waffe, zielte, schoß und durchbohrte dem Häuptling der Feinde, der schon an dem Verhau heraufkletterte, Pelzhelm und Kopf. Sofort folgten alle Frauen und Mädchen dem Beispiel Frau Miltas und wieder schwirrten nun in sausenden Schauern die tödlichen, die niemals fehlfliegenden Pfeile in die dichten Haufen der halbnackten Stürmer, die sich, siegesgewiß, tolldreist schon ganz nahe heran gewagt hatten. Sie fielen, Mann neben Mann, wie Ähren, drein der Hagel schlägt. Bedeckt mit Toten waren alsbald auf allen vier Seiten die Waldblößen um den Verhack herum: fluchend eilten die Fliehenden den Berghang hinab. Auch dieser Sturm war abgeschlagen, und bevor sich die Entscharten zu neuem Angriff gesammelt, tönte vom Niedergang von der großen, heiligen Irminstraße her, die den Gabretawald durchschneidet, das markomannische Stierhorn! König Hariogais selbst führte den Heerbann des West- und des Nordgaus zum Entsatz heran. Die Räuber flohen gen Osten, scharf verfolgt von den rächenden Reitern des Königs. Miltas Haar jedoch hat keinen Pfeil mehr entsendet: der Gemahl spannte es von dem Eibenbogen ab, küßte es zärtlich und hing es auf, ein herrlich Opfer, in dem Weihtum Friggas. Dies Weib, dies Haar, hat sie alle gerettet.«

»Das that ein Weib,« sprach Ildicho still für sich hin, »that eines Weibes Haar.« Sie griff nach des Geliebten Hand und drückte sie. Dieser hatte seinen Grimm im Laufe der langen Erzählung gebändigt: er trat wieder von ihr hinweg und nahm seinen Sitz, an seine Harfe lehnend, wieder ein.

 


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