Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Zweites Kapitel.

Endlich, am folgenden Tage, geriet das ganze Lager in aufgeregte Bewegung, vergleichbar einem Ameisenhaufen, der plötzlich aufgestört wird. Ein paar hunnische Reiter waren herangesprengt und hatten die bevorstehende Rückkunft ›des Herrn‹ verkündet.

Da wirbelte und kreiselte alles durcheinander in den Straßen und auf den weiten, runden Plätzen des Lagers: Männer, zu Roß und zu Fuß, Weiber, Kinder, Freie, Knechte, Mägde, Hunnen und Angehörige der unterworfenen Stämme, drängten sich gegen die Südseite hin dem Herrscher entgegen.

Bald darauf traf Ediko in dem Lager ein, suchte die vier Gesandten auf und lud sie ein, unter seiner Führung den Einzug des Herrschers, diesem entgegengehend, sich wie die andern Tausende anzusehen. Eifrig, gespannt folgten ihm die Gesandten; sie unterließen es, nach früheren Erfahrungen, den Schweigsamen zu fragen, woher er komme. Vigilius ward nicht von ihm aufgefordert, mitzugehen, obwohl Ediko, wie die Freunde von ihrem Gefolge vernahmen, eine sehr lange geheime Zwiesprache mit ihm in dessen Gastwohnung gepflogen hatte.

Ediko geleitete nun die Fremden; ehrfurchtsvoll gaben die Hunnen den Weg frei überall, wo der Vertraute ›des Herrn‹ nahte: zwei Krieger riefen, vor ihm herschreitend, zuweilen seinen Namen: das genügte. Attila einzuholen, war ein langer, langer Zug von jungen Mädchen etwa eine halbe Stunde vor dem Südthor auf der breiten Römerstraße, die gen Südwesten nach der Donau führte, ihm entgegengegangen. Die höchst Gewachsenen hielten, je zu zweien links und rechts auf beiden Seiten der Straße aufgestellt, an hochgeschwungenen dünnen halbkreisförmigen Holzreifen breite bunte Linnentücher zum Schutz gegen die Sonne ausgespannt. Zwischen je zwei solchen Reifenträgerinnen schritten zwei andere Mädchen im Takt auf und nieder: jedesmal vier Schritte vorwärts und zwei zurück: je acht in eine Farbe gekleidet: man hatte die schönsten Mädchen aller im Lager vertretenen Stämme und Völkerschaften hierzu ausgesucht; sie bewegten während des vorwärts und rückwärts Schreitens anmutig den Oberleib und die nackten Arme, in rhythmischen Biegungen sich hin- und herwiegend, aufrichtend und wieder neigend, nach dem Takt eintöniger Lieder, die sie dabei sangen, – alle in hunnischer Sprache. Mit Staunen betrachteten die Fremden das eigenartige, durchaus nicht reizlose Schauspiel.

Nun wirbelte fernher Staub empor auf der Straße: Attila nahte.

Voran dem Zuge jagte ein dichter Haufe hunnischer Reiter auf ihren kleinen Gäulen mit zottigen, struppigen Mähnen. Die hunnischen Männer trugen weit flatternde, von den Römern ›Sarmatica‹ genannte Mäntel, die an daran gefestigten Riemen zusammengeschnürt und auch wohl als Pferdedecken verwendet werden konnten. Darunter bedeckte ihnen Brust und Rücken ein westenähnliches Wams aus ungegerbten Pferdehäuten und ein daran festgehakter breiter Gürtel den Unterleib: aber nur bis an die halbe Lende: wie die Arme waren die Beine weit oberhalb des Knies nackt: Schuhe waren unbekannt: um den linken Knöchel war ein Riemen geschnürt, der an der Ferse den oft bloß aus einem starken und spitzen Dorn bestehenden Sporn festband.

Die von Natur gelbe Haut dieser Mongolen nahm an den Gesichtern, Nacken, Hälsen, Armen und Beinen unter dem Brand der Sonne, unter dem niemals abgespülten Staub der Steppe eine tief dunkelgelbe, fast hellbräunliche Färbung an, wie gebeiztes Krummholz oder Kienspäne. Das Haupt trugen sie meist unbedeckt: nur die Reicheren schmückten hohe spitz zulaufende Mützen aus schwarzem Lammfell. In langen schlichten Strähnen, niemals kraus oder gelockt, hing ihnen das schmutzigbraune Haar von den niedrigen, zurückfliehenden Stirnen vorn ins Gesicht, bis auf die häßlich vorstehenden spitzen Backenknochen und in die schmalen geschlitzten schwarzen Augen, denen die Brauen nahezu völlig fehlten; an Festtagen schmierten ihnen die Frauen diesen Hauptschmuck reichlich mit Pferdetalg ein, daß er weithin glänzte und – roch. Auch die Wimpern waren schwarz und kurz, der Bartwuchs höchst spärlich: nur von dem Kinn starrten ihnen einzelne Büschel steifer, mißfarbiger, borstenähnlicher Haare wagerecht gerade hinaus.

Der Schmuck der Mäntel und der Untergewande bestand bei den Reichen in dick und geschmacklos, plump und massig aufgenähtem Gold- und Silberzierrat: Bruchstücke, Scherben von allerhand römischem Gerät, aus Schalen oder Krügen oder von Beschlägen von Thüren oder Wagen herausgebrochene Trümmer, oder auch durchlochte Gold- und Silbermünzen, quer über die spitzigen Mützen genäht oder an einer schmalen Lederschnur um den gelben Hals gereiht: hell klirrte dann alles aneinander bei jeder kleinsten Bewegung des Gaules: das freute die Hunnen. Nicht ohne Geschmack dagegen verstanden die hunnischen Frauen bunte, handbreite oder fingerschmale Linnenstreifen zu weben, die dann in mannigfaltigstem Wechsel der hellen, oft grellen Farben auf die Weibermäntel und das Weiberhemd genäht wurden und sich gut ausnahmen; statt des Gürtels hielt ein knotiger Strick ihnen das schmutzige Hemd zusammen: auch der Frauen Haar war sehr kärglich, desto reichlicher dessen Pflege durch Talg und – vor allem – durch Stutenmilch.

Die Waffen der Reiter waren der Langbogen und kleine kurze schwarze Bolzen von Rohr oder Holz, nicht immer mit eiserner, aber sehr oft mit vergifteter, in den Saft der Tollkirsche oder des Bilsenkrautes getauchter Spitze: sie führten viele Dutzend solcher Geschosse in den langen, krummgeschweiften, häufig zierlich geschnitzten und reich mit Edelsteinen und Perlen besetzten Köchern von Lindenholz, die ihnen an langem Lederriemen auf dem Rücken schwangen. Vor und bei dem Ansprengen überschütteten sie den Feind mit einem ganzen Schwirrgewölk solch kleiner Pfeile: auch bei dem Ansprengen: denn sie hielten sich lediglich durch den Schenkeldruck auf dem sattellosen Roß auch in schnellster Gangart; der Zügel, – ein Strick, – lag ihnen auf dem Halse des Tieres, und beide Hände hatte der Reiter frei zum Gebrauch der Waffen. Außer Bogen und Pfeil führten sie auch lange, dünne, spitzige Lanzen: unterhalb der Spitze flatterte wohl, mit rotem Bande zusammengeschnürt, ein Büschel Menschenhaare von dem Haupt eines mehr als gewöhnlich gehaßten erlegten Feindes. Ganz besonders häufig aber bedienten sie sich einer mörderischen Geißel: an einem kurzen Stiel von Holz oder Leder waren fünf, sieben, neun Stränge von stärkstem Büffelleder befestigt, mit faustdicken Lederknoten, in welche Bleikugeln oder schwere Steine genäht waren: meisterhaft verstanden sie die furchtbare Waffe zu führen und weithin sicher zu schwingen, so daß die schweren Kugeln den Kopf und jeden Knochen des Feindes, den sie trafen, zerschmetterten: die ›Hunnica‹ oder, seit des großen Herrschers Emporsteigen, die ›Attila‹ nannten die gefürchtete Geißel die andern Völker.

Auf jenen Vortrab hunnischer Reiter folgten, in großer Zahl, ebenfalls zu Pferde hunnische, germanische, slavische Häuptlinge, Fürsten und Edle in reichem Waffenschmuck, die Hunnen starrend und klirrend von Gold und funkelnd und blitzend von edeln Steinen in dem hellen Schein der Mittagssonne.

Hinter ihnen – in beträchtlichem Abstand – ritt ganz allein Attila auf prachtvollem Rapphengst. Roß und Reiter trugen nicht das geringste Stück von Schmuck: weder Griff und Scheide seines Schwertes noch seine Kleider noch das Gezäum seines Pferdes waren, wie sonst bei den Barbaren, mit Gold, Steinen oder anderen Kostbarkeiten geziert.

Die hohe, spitz zulaufende Lammfellmütze ließ den kurz gewachsenen Mann höher erscheinen, als er war; von seiner Gestalt war nicht viel zu sehen: ein langer und breiter Faltenmantel von feinem braunrotem Wolltuch flutete von dem breiten, kurzen Stiernacken und den mächtigen hoch hinaufgezogenen Schultern dem Reiter auf allen Seiten bis auf die Knöchel: an den Seiten aufgeschlitzt, gab er die nackten Arme frei; die Linke führte lässig den schlichten Riemenzügel; mit der Rechten dankte er zuweilen in langsamer, fast feierlicher Bewegung dem begeisterten Zujauchzen seiner Hunnen: – es klang wie Geheul der Wölfe: diese Bewegung glich nahezu einer Spendung des Segens: er winkte von dem hohen Roß herab nach unten, mit der vorgestreckten, leise gebogenen Hand, als ob Glück und Heil ausströmen solle von diesen kurzen, fleischigen, häßlichen Fingern.

Hinter dem Herrscher kam, abermals in beträchtlichem Abstand, eine zweite Schar von Vornehmen aus allen unterworfenen Völkerschaften seines Reiches; das Ende des langen Zuges bildete wie den Vortrab ein dichtes Geschwader hunnischer Lanzenreiter, das die erstaunlich reiche Jagdbeute umgab, die auf vielen niedrigen, breiten vierspännigen Karren nachgefahren wurde.

Ein riesiger Wisent – Attila selbst und allein hatte ihn gespeert – füllte für sich einen solchen Wagen. Kleinere Büffel, ein paar Bären, mehrere Wölfe, drei Elche, viele Hirsche, Eber und ein Luchs, dann allerlei Sumpfvögel, Reiher und Kraniche, die der kostbare isländische Falke geschlagen, wurden auf die übrigen Gespanne verteilt. Daneben lagen in malerischer künstlicher Unordnung Jagdwaffen und Jagdgerät jeder Art: Wurflanzen, Bogen, Köcher, Pfeile, Hifthörner, Weidmesser blitzten und funkelten zwischen den dichten Laubgewinden hervor, mit denen die erlegten Tiere zum Schutze gegen die Sonnenstrahlen überdeckt waren; aber auch lebendig in Gruben, Schlingen und Netzen gefangene Tiere wurden nachgeführt: ein dumpfes Brüllen, dann Grunzen und lautes Heulen war oft vernehmlich, begleitet von dem zornigen Lautgeben der vielköpfigen Meute: – gewaltige molossische Hunde, Bären- und Wolfsfänger, die in Gier nach den lebenden Feinden so heftig an der Koppel zerrten, daß sie manchmal die zurückstemmenden Knechte mit sich vor rissen.

 


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