Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Fünftes Kapitel.

An dem Abend dieses Tages saßen in dem Hauptgemach eines der stattlichsten Häuser des Lagers zwei Männer beisammen, in vertrautes Gespräch vertieft: es war das Haus Chelchals.

Von der getäfelten Decke hing eine Ampel trefflicher orientalischer Arbeit hernieder und verbreitete ein sanftes, gleichmäßiges Licht über das nicht gar weite Gelaß, das in allem übrigen nicht römische oder griechische Einrichtung und Geräte darwies, sondern – mit Absicht, so schien es – die alte, rohe hunnische Weise in allen Dingen festhielt: niedrige Holzschemel, auf denen man mehr hocken oder kauern als sitzen mußte, allerlei Tierfelle, zumal aber Pferdehäute, gegerbt und ungegerbt, eine hohe, grob aus ungehobeltem Tannenholz gezimmerte viereckige Truhe, deren Deckel den fehlenden Tisch ersetzen mußte, sehr viel Reitgerät jeder Art, Jagdzeug, ausschließlich hunnische Waffen, außer den früher geschilderten auch hölzerne Wurfkeulen, hingen an den Wänden oder lagen ordnungslos auf dem Boden verstreut, dessen obere Schicht – gestampfter Lehm – statt von Teppichen mit Binsen und Schilf bedeckt war, dessen schmutzigem, scharf riechendem Rohr Erneuerung nicht würde geschadet haben.

Auf einem jener Holzschemel kauerte, den Rücken an die Wand gelehnt, Attilas gedrungene, kraftstrotzende Gestalt. Der mächtige, dicke Kopf war ihm von dem breiten Stiernacken in lange sinnender Betrachtung gegen die Brust herabgesunken; er trug denselben ihn völlig verhüllenden braunroten Mantel wie bei dem Einritt in das Lager. Er saß schweigend, regungslos; die kleinen, aber unschön hervorstehenden mißfarbigen Augen hielt er geschlossen; jedoch er schlief nicht: denn manchmal blinzelte er.

Der Boden des Gemaches war an dieser Stelle hoch mit Pferdehäuten bedeckt: – man hatte den Häuten Schweif und Mähne belassen und beide mit bunten Bändern und Goldfäden durchflochten. Auf diesen Häuten, quer vor den Füßen seines Herrn, lag der alte Chelchal, beinahe kahlköpfig, graubärtig: den rechten Ellbogen aufgestemmt, ruhte er das Haupt auf die Hand: er verwandte keinen Blick von Attila: nicht das rascheste Aufblitzen der scharfen Augen entging ihm.

Endlich nach geraumer Weile unterbrach der Alte das Schweigen. »Sprich, Herr,« sagte er, sehr ruhig, fast tonlos. »Es drängt dich, zu sprechen. All' diese Tage her spürte ich es, wann ich stundenlang neben dir ritt oder am Jagdfeuer lag, schweigend neben dir, dem Schweigenden, Brütenden. Du bist nun wohl zu Ende mit lang erwognen, tief geheimen Plänen. Ich weiß, dann drängt es dich, davon zu reden. Rede! Chelchal ist treu.«

Der Herrscher atmete tief auf: das rang sich schwer aus der breiten Brust, wie ein Stöhnen oder Keuchen. »Du hast recht, Alter. Wie oft. Wie nahezu immer, wann es gilt, mich erraten. Und du bist nicht neugierig, ich weiß: nicht darum ist es dir, daß du hörest, – nur darum, daß mich das Reden erleichtere. Ja, ich will, ich muß sprechen zu dir. Aber nicht nur von meinen Beschlüssen gegenüber diesen Gesandten da oder von meinen Plänen für morgen oder übermorgen oder übers Jahr, nicht nur von dem Künftigen. – Zuerst von dem Vergangenen: denn das Vergangene nur erklärt dir mein Jetzt und nur mein Jetzt mein Künftiges.

Komm, Chelchal, rücke näher herzu: nicht lauten Schalles kann man sagen, was ich zu sagen habe. Denn ausschütten will ich vor dir die letzten Fluten, die da wogen auf dem Grunde meiner Seele, dir zeigen das verborgenste Zucken meines Trachtens, meines Hasses. Nicht Tage, nicht Jahre nur, – jahrzehntelang hab' ich's mit mir umhergetragen, schweigend und schwer. Es ist Wollust, es – endlich! – auszusprechen. Wem sollt' ich mich vertrauen? Ein Weib erträgt solche Gedanken nicht. Meine Söhne? Sie sind zu jung. Ein Bruder . . .« Er zuckte leicht und verstummte.

Der Alte warf einen raschen, scheuen Blick auf ihn: »Du hast keinen Bruder mehr, Herr. Lange schon ist es her, daß Fürst Bleda . . .« – »Starb. – – Es hat mir seither manchmal – beinahe – leid gethan, daß er . . . starb. – Aber nein! Er mußte sterben. Sonst wär' er nicht gestorben. – Und er starb.«

»Und er starb,« wiederholte Chelchal, die Augen niederschlagend und starr zu Boden sehend.

»Nein, Alter,« rief Attila plötzlich schrill. »Er starb nicht.« – Und nun fuhr er wieder ganz leise fort: »Ich hab' ihn – mit dieser Hand –« er reckte die Rechte vor sich hin – »ermordet.«

»Du sagst es,« sprach Chelchal, ohne eine Miene zu verziehen, ganz ruhig; er schlug die Augen nicht auf.

»Es gefällt mir,« sagte Attila nach einer Weile, »daß du kein Erstaunen heuchelst. Du hast es also gewußt?« – »Immer.« – »Und die Hunnen?« – »Auch.« – »Haben sie's . . . verziehen?« – »Haben sie's dir je vorgehalten? Du thatest es, also war es notwendig.« – »Ja, notwendig, sollte des Rachegottes Wille geschehen. Du wirst das bald einsehen. Höre!«

»Ich höre,« sagte Chelchal. Er änderte nun seine Stellung auf dem Boden, er setzte sich, zog beide Kniee in die Höhe, lehnte die beiden Ellbogen darauf und vergrub das faltige Gesicht in den Händen; nur manchmal hob er wohl den Kopf und sah seinem Herrn in die Augen.

Matt und matter brannte während des langen Gesprächs die schwergoldne Ampel, die von der Mitte des Getäfels an rotem Lederband herunterhing: einst hatte sie in Jahves Tempel zu Jerusalem gebrannt: von den Legionen des Titus nach Rom geschleppt, war sie von Kaiser Constantius aus dem Pantheon genommen und Sankt Peter geschenkt, vor wenigen Jahren aber von Papst Leo neben andern Schätzen dem Hunnen entgegengetragen worden, ihn begütigend von dem Zug auf Rom abzubringen; Attila hatte sie Chelchal geschenkt, und nun hörte sie in dessen Haus in nächtlicher Stunde eine Beichte, inhaltschwerer, als sie je am Tiber vernommen hatte.

 


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