Felix Dahn
Attila
Felix Dahn

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Fünftes Buch.

Erstes Kapitel.

Als Chelchal in das Lager und in seine Wohnung zurückgekehrt war, fand er hier einen Boten Attilas, der ihn sofort in das Haus des Herrschers zu holen Auftrag hatte. »Es eilt sehr,« drängte der Mann: »der Herr hat mit mehreren Gesandten verhandelt. Er zürnt. Die Fremden ritten stracks davon.« –

Unbeweglich, wie aus gelbem Holz geschnitzt ein böser Götze, stand Attila in dem Schreibgemache seines Hofpalastes an einem mit Briefschaften und mit römischen Straßenkarten des Abendlandes, zumal Galliens, Germaniens, Rätiens, Vindeliciens, Noricums und Pannoniens, dicht bedeckten Erztisch.

Gespannt, besorgt blickte der Alte auf seinen Herrn: gewaltig mußte der Sturm gewesen sein der Gedanken und der Leidenschaften, der ihn durchbraust hatte: sein Leib war mächtig durchschüttert: die Zornader an seiner Stirn trat, stark geschwollen, hervor. Er schien schwer zu schlucken, zu würgen: er rang nach Luft, nach einem Wort: aber bevor er den Mund zum Sprechen öffnen konnte, verzog es ihm die Lippen wie im Krampf und er spuckte auf den glänzend weißen Teppich, der den Estrich von gestampftem Lehm bedeckte: da ward das Weiß ganz rot.

»Das ist Blut!« rief Chelchal erschrocken, heranspringend.

»Ja,« brachte nun Attila heiseren Tones hervor. »Mein Blut – es stieg mir wie erstickend aus dem Herzen in den Schlund. Bald aber fließt – in Strömen! – andrer Blut.« – Er stockte; nach einer Weile begann er aufs neue: »Chelchal – denk' es – sie haben's gewagt – diese Thüringe – mir – in das Angesicht – zu trotzen. Und weißt du – warum?« – »Ich ahn' es.« – »Nun?« – »Wegen der Schatzung an Jungfrauen. – Ich warnte!« – »Gut, daß ich's dennoch forderte! Nun haben sie die Gesinnung verraten, die sie verderben soll. ›Alles,‹ – sprach Irminfried, der kecke Thüring, zu mir: – ›was sonst du begehrst: nimm – wir wissen, wir können deiner Übergewalt nicht widerstehen – nimm all' unsere Knechte, unsere Rosse, unsere Rinderherden, nimm allen Schmuck der Frauen, – nur dies Eine nicht.‹ ›Gerade das Eine will ich,‹ antwortete ich. ›Was thu' ich mit eurer bettelhaften Habe!‹ – ›Lieber soll unser Volk vergehn und der Thüringe Name nicht mehr gehört werden auf der Männer Erde.‹ Der Gesandte schwieg, die Stirne finster senkend. Doch einer zu seiner Rechten trat vor, faßte seine Hand und rief: ›Getrost, Thüring! Wir Alamannen stehen an eurer Schildseite. Unsere Wiesen und Halden hat des Hunnen Strom damals kaum gestreift: wir lagen abseit seiner fürchterlichen Straße: wenn ihr aber kämpfen müßt für die Gürtel eurer blondgezopften Mädchen – bei Ziu und Frau Berachta! – dann kämpfen wir neben euch. Unsere sechs Könige sind darin einig: und als ihr gemeinsamer Bote sag' ich dir das vor seinen zornigen Augen.‹ Und kaum war er zu Ende – ich stand sprachlos vor Staunen, vor Zorn – da trat schnell ein andrer vor und sprach: ›Und wir Chatten von der Logana und die Ufermänner vom Mittelrhein und selbst die fernen Salier von des Stromes Mündungen werden euch nicht fehlen. Vor drei Jahren noch fochten Franken wider Franken: die im Osten hatte der Übergewaltige da fortgerissen gegen die eignen Stammesgenossen im Westen: und schon hätte sein gleißend Gold beinahe jetzt auch die Könige im Westen gewonnen: als aber die Kunde dieses Greuels zu ihnen drang, – dieser Schatzung! – da beschlossen sie, ihm seine Geschenke zurückzuschicken – sie sind schon unterwegs! – Gar manche alte Sage der Thüringe weiß zu melden von eurer und unsrer Ahnen blutigen Kämpfen an dem Grenzhag. Aber als dieses Scheußliche ruchbar ward in unsern Walddörfern, da haben unsere Fürsten geeidet, – und geeidet haben alle zehn Könige der Franken – zu vergessen den alten Groll. Des Chatten Speer und des Franken Streitbeil werden euch nicht versagen, gilt es die Befleckung abzuwehren, daß nicht die lichten Götter Solches schauen. Bei Wodan und Frau Holde: baut auf uns! Und das Herrn Attila ins Angesicht zu sagen, dazu entsandten mich alle die Richter der Chatten und diesen Childibert da die Könige der Franken. Zuletzt aber trat hervor ein eisgrauer Recke, – riesengroß! – mehr einem ihrer aus Eichenbäumen gehauenen Götter sah er ähnlich als einem Sterblichen! – der zog ein langes Steinmesser aus dem Wehrgurt – drei meiner Fürsten sprangen sorglich vor – er hatte es zu verbergen gewußt bei der Abnahme der Waffen – aber er legte nur die Finger der Schwerthand daran und sprach: Ich eide auf den Sachs bei Sachsnot! Mich, Horsawalt, senden die Sachsen von der Mündung der Wisurgis. Und also sprechen sie: schickt, ihr Thüringe und alle Thüringegenossen in diesem heiligen Krieg, eure Weiber und Kinder zu uns: viel tausend Schiffe liegen an den Küsten von Sachsland und Friesenland: denn auch die Friesen haben's geschworen, – Ratbod hier, der Asege, der wird's bestätigen, – weichet kämpfend bis an unser Gestade: dort schlagen wir alle zusammen die letzte Schlacht: – sie soll dem letzten Kampf der Asen gleichen! – Erliegen wir, so nehmen die treuen Kiele zu den Weibern und Kindern an Bord auf, was noch atmet von Männern, und tragen sie durchs freie Meer nach sichern Eilanden. Laß doch sehen, ob die Hunnengäule uns nachschwimmen werden durch die Wogen der Brandung. Vorher aber reißen wir ein die uralten Deiche, die göttergeheiligten Landwehren, und ersäufen Roß und Reiter. So wird das Land Meer, doch bleibt es frei.‹ Und nun faßten sie sich an den Händen, der Alamanne, der Thüring, der Hesse, der Franke, der Sachse, der Friese, und trotzig schritten sie hinaus, – einig – sie! – die sich immer zerfleischt.« Erschöpft hielt er inne, tief Atem holend . . .

»Ich warnte,« wiederholte Chelchal. »Jetzt ist es zu spät. Ich warne nicht mehr. Nachgeben darfst du nicht. Biete nun rasch die Gepiden auf und die Ostgoten.« Aber grimmig nickend lachte Attila: »Sie weigern sich, zu kommen! Der Amaler läßt mir sagen: ein Wunschgelübde, ein Opfer halte ihn zurück in seinem Land, im heiligen Walde der beiden Götterjünglinge. Hui, ich bin sein Gott, und mir hat er zu opfern! Ich ahne den Wunsch dieses Gelübdes! Er gilt meinem Leben, daß es noch recht lange währe! Meinen Söhnen hat er nicht geschworen, denkt er wohl, wie der Gepide. Als ich Valamers Boten erwiderte, ihres Königs Brüder, die Unterfürsten Theodimer und Widimer, würden auf mich mehr als auf ihren Oberkönig hören, sprach der Freche: ›Die Goten haben gelernt, ihrem König und nur ihrem König zu gehorchen.‹ Da erzählte ich – statt der Antwort – dem Trotzigen das Geschick Karidads, des Häuptlings der Atatziren. Der schlaue Sarmate weigerte sich ebenfalls, der Einladung vor mein Angesicht zu folgern: ›Kann kein Sterblicher,‹ ließ er mir sagen, ›in der Sonne Angesicht schauen, wie könnte ich in das Angesicht des größten aller Götter schauen?‹ ›Er wähnte, auf die steilen Felsklippen seiner Berge könnten unsre Rosse nicht gelangen; aber sind schwindelfrei, unsere Pferdchen, kletterten hinauf wie die Ziegen.‹ ›Und du bringst,‹ gebot ich dem Gesandten, ›König Valamer als mein Geschenk dort jenen Ledersack, der vor meinem Schlafhaus an dem Pfosten hängt. Der Kopf des schlauen Fürsten steckt darin. Mein Sohn Ellak hat ihn mir geholt. Nun sind seine offnen Augen doch auf Attila gerichtet worden, aber starr, tot.‹« »Und der Gepide?« forschte Chelchal. »Ardarich ist treu.« – »Aber klug. Er will nicht kommen, will nicht auch meinen Söhnen schwören müssen. Er läßt mir sagen, er habe sein ganzes Heer aufgeboten, einen drohenden Angriff der Uturguren abzuwehren. Er hat nichts abzuwehren! Ich selber schütze meine Knechte.« Wieder hielt er inne; diesmal durchmaß er mit langen Schritten aufgeregt das Gemach.

»Wenn es wahr wäre!« begann er aufs neue. »Wahr würde! Wenn sie wirklich lernten, ihren Königen gehorchen und sich verbünden! Es wäre das Ende! Sie dürfen es nicht lernen! Ich lasse ihnen keine Lernzeit dazu. Schnell, Chelchal! Wir warten nicht, wie ich wollte, das nächste Frühjahr ab. Sofort brechen wir auf. Ich zerstampfe sie zuerst, diese tollkühnen Germanen im Westen, diese meuterischen Knechte von der Moldava bis zum Rhein. Ihre Saaten, die Zäune ihrer Gehöfte, ihre Gehöfte und ihre harten Schädel – Alles unter die Hufe meiner Rosse oder unter die sengende Flamme! Diese Thüringe! Wie? Dreihundert ihrer Jungfrauen wollen sie nicht preisgeben? Wohlan! So soll, bevor die Blätter von den Bäumen fallen, in ihrem Lande weder Jungfrau noch Weib mehr ihres Namens atmen. Erst in die Schande mit ihnen, dann in die Flüsse! Und die Männer? Angenagelt an die Bäume! Reihenweise. Seltsame Eckern sollen sie tragen, die Eichen und Buchen ihrer waldgrünen Hage! Wo diese jetzt die hohen Wipfel rauschen lassen, soll Ödland liegen, unsern Steppen gleich. Dann werden ihre treuen Nachbarn sich besinnen, ob sie die Ausbrennung, die Ausmordung teilen oder mir die Geißel küssen wollen. Den Amaler aber soll mir sein Freund, der Gepide, beischaffen: oder beider Köpfe wandern in denselben Ledersack.«

»Und wann, Herr, brichst du auf gegen die . . . Thüringe nennt man sie jetzt: als ich ein Knabe war, hießen sie noch Hermunduren. Wann?« – »Morgen!« – »Du vergissest: übermorgen beginnt das Fest Dzriwills, der großen Rossegöttin, an dem alle Waffen ruhen und Blutvergießen, auch in todeswerter Verbrechen Bestrafung, schwerster – unerhörter! – Frevel wäre. Und du hast zu diesem Fest – vielmehr schon vorher! – beschieden den Rugenkönig, der die Tochter eigenmächtig verlobt hat und zu dem Fest – schon früher – alle seine – . . .« »Treuegenossen und Schicksalsgenossen!« rief der Herrscher, das Haupt auf dem kurzen breiten Stiernacken aus den hohen häßlich gekrümmten Schultern reckend, und wilde Freude funkelte aus den vorstehenden starr blickenden Augen. »Ei ja: die laufen mir gerade recht in die Hände! Bin in der richtigen Stimmung für sie! Den Feuerkopf von Bräutigam! – Und die Braut, – wie sagte doch der Knecht, den die Raben gefunden auf jenem Donauwerder? – schlank, aber üppig, und weiß! – Ich erwarte sie: – alle! –«

 


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