Hedwig Courts-Mahler
Der Abschiedsbrief
Hedwig Courts-Mahler

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Das Begräbnis Doktor Friesens war vorüber, und der Vetter war als unbestrittener Erbe eingesetzt worden. Diesem lag viel daran, möglichst schnell alles Nötige zu erledigen, denn es ging jetzt in den Frühling hinein, und als Landwirt war er zur Zeit fast unabkömmlich. So übertrug er Doktor Tanner den Verkauf der Villa mit allem Inventar. Einige Stücke desselben, die er zu behalten wünschte, sollten eingepackt und nach dem Gut geschickt werden.

Als Lutz sich jetzt als Liebhaber für die Autos meldete, wurde er mit dem Vetter schnell handelseinig. Lutz bekam die beiden Wagen für den außerordentlich billigen Preis von zehntausend Mark, den er sofort bar erlegte. Er wußte, die Wagen waren das Doppelte wert, und war sehr stolz und froh über diesen Kauf. Lutz hatte sich die Sympathie der glücklichen Erben erworben, und man wollte ihn ein wenig dafür schadlos halten, daß er so plötzlich seine Stellung verlor. Die andern Angestellten und Dienstboten bekamen auch eine Entschädigung. Lutz meldete den Glücksfall mit den billig erstandenen Autos Lonny mit strahlenden Augen und sagte ihr zugleich, daß er am nächsten Sonntag abend endlich wieder einmal frei sein werde. Die Herrschaften reisten am Sonntag nachmittag ab, er mußte sie noch zur Bahn bringen, dann gehörten die Wagen ihm. 158 Und sie konnten, das war ein weiterer Vorteil für ihn, so lange in der Garage bleiben, bis die Villa verkauft werden würde. Auch seine Wohnung konnte Lutz solange behalten; er mußte sich nur verpflichten, die Herrschaften, die noch einige Male wegen der Erbschaftsangelegenheit in Berlin zu tun hatten, zu fahren.

Es war anzunehmen, daß sich für die Villa so schnell kein Käufer finden würde, und Lutz ging mit Freuden auf diese Bedingung ein. Er würde auf diese Weise eine ganze Weile die Garagenmiete sparen. Zudem war ihm auch noch ein beträchtlicher Vorrat an Benzin zugesprochen worden; die Erben waren in ihrem Glück großmütig gewesen. Lutz war sehr glücklich über das alles.

Doktor Tanner hatte die Praxis Doktor Friesens und den größten Teil der Angestellten mit übernommen, auch den Bürovorsteher. Nur einige junge Leute waren entlassen worden, die schnell eine andere Stellung fanden. Auch Zörner blieb bei Doktor Tanner.

Sehr gern hätte dieser auch Lonny für sich verpflichtet, er wußte ganz genau, was für eine hervorragende Stütze er an ihr hätte, aber Lonny sagte ihm, daß sie sich bald verheiraten würde, und da mußte er verzichten, so leid es ihm tat.

Dies alles wickelte sich ziemlich schnell ab.

Über die schlimmste Zeit wollte Lonny Doktor Tanner ihre Hilfe noch zur Verfügung stellen, und das nahm er nur zu gern an.

 

Nun war endlich der Sonntag herbeigekommen, an dem Lutz von Lonny und ihren Eltern erwartet wurde. Frau Hermine war eifrig beschäftigt, ein Festmahl zu bereiten. Sie konnte sich anscheinend nicht genug tun, um gutzumachen. 159

Lonny war immer wieder von ihr ausgefragt worden, ob sie wirklich die Angelegenheit mit dem Abschiedsbrief ohne Trübung ihres Verhältnisses zu Lutz erledigt habe. Es war, als habe sie eine heimliche Angst, daß Lutz jetzt noch zurücktreten könne. Diese Angst, die Lonny herausfühlte, war ihr ebenso unerklärlich wie das ganze Verhalten der Stiefmutter.

An jenem Tag, als Frau Hermine die Zeitung so ängstlich vor den Augen ihrer Angehörigen verborgen hatte, gab es am Abend die übliche Aufregung, die immer eintrat, wenn einmal die Zeitung verlegt oder verschwunden war. Der Major hatte schlechte Laune gehabt und über Nachlässigkeit gewettert. Meta bekam einen Rüffel, konnte sich aber nicht entsinnen, wo die Zeitung geblieben war, und Frau Hermine erklärte schließlich beleidigt, es sei doch an so einem ereignisreichen Tag unwichtig, wo die Zeitung geblieben sei. Lonny, die dazukam, als dies Thema erörtert wurde, hörte gerade, wie die Stiefmutter sagte, auch sie habe keinen einzigen Blick in die Zeitung tun können, weil ihr so viel Wichtiges im Kopf herumgegangen sei. Das fiel Lonny auf, weil sie sich erinnerte, daß die Mutter am Morgen, als sie ins Wohnzimmer trat, so vertieft in das Blatt gewesen war, daß sie ihren Eintritt nicht bemerkt hatte. Die Szene mit der heruntergefallenen und dann wieder in der Morgenrocktasche verschwundenen Zeitung stand noch ganz deutlich vor ihr. Aber sie glaubte, daß die Mutter nur in Geistesabwesenheit oder Nervosität so gehandelt hatte und sich dessen wohl kaum bewußt gewesen war. Wenn sie jetzt sagen würde, daß die Zeitung möglicherweise noch im Morgenrock der Mutter steckte, ginge eine neue Hetzjagd nach dieser Zeitung los. So betrat Lonny, ohne ein Wort zu sagen, das Schlafzimmer der Eltern und faßte 160 in die beiden Taschen des Morgenrocks ihrer Mutter. Darin fand sie aber die Zeitung nicht mehr. Die Stiefmutter hatte sie also irgendwohin gelegt, und es war klüger, nicht mehr davon zu reden, zumal der Vater sich zu beruhigen begann. Die Stiefmutter hatte dann allerlei wichtige Gesprächsstoffe aufgebracht, so daß die verlorengegangene Zeitung in Vergessenheit geriet.

Also Frau Hermine richtete ein Festmahl und war den ganzen Tag geschäftig, daß es auch die Anerkennung der Anwesenden finden möge. Der Major stellte sogar zwei Flaschen Wein in einen Eimer mit kaltem Wasser – Eis zu halten war zu kostspielig.

Lonny ging der Mutter zur Hand, und dabei besprachen die beiden Frauen die Anschaffung von Lonnys Aussteuer. Sie wollte sie sich zum größten Teil selbst anfertigen und damit beginnen, sobald sie von Doktor Tanner nicht mehr gebraucht wurde. Denn Lutz wollte, wie er Lonny gesagt hatte, spätestens Pfingsten heiraten.

Punkt sieben Uhr traf Lutz ein, und zwar mit einem Strauß roter Rosen für Lonny und mit einigen schönen Fliederzweigen für Frau Hermine.

Man ließ ihn gar nicht dazu kommen, seine Werbung noch einmal vorzubringen, der Major schloß ihn herzlich in die Arme und nannte ihn seinen lieben Sohn, und Frau Hermine folgte seinem Beispiel mit großer zur Schau getragener Herzlichkeit. Dann schob sie ihn mit einem schelmischen Lächeln Lonny in die Arme. Zum ersten Male durfte sich das Brautpaar mit Zustimmung der Eltern küssen.

Trotz aller Glückseligkeit, die Lonny und Lutz empfanden, wirkte es doch seltsam auf sie, daß Frau Hermine sich gar nicht genug tun konnte, ihrer Freude 161 über die doch zustande gekommene Verlobung zu äußern. Immer wieder faßte sie Lutz' Hand und nannte ihn ihren lieben Sohn, dem ihr ganzes mütterliches Empfinden gehöre, soweit es nicht Lonny schon mit Beschlag belegt habe. Sie pries sich immer wieder glücklich, daß sie das Glück ihrer Kinder habe begründen können. Lutz konnte sich nicht versagen, bei sich zu denken, daß weniger mehr gewesen wäre.

Erst, als Frau Hermine wieder geschäftig in die Küche lief und der Major nach dem Wein sah, hatte das Brautpaar eine kleine Weile Zeit für sich. Und es sah sich glückselig an und küßte sich innig.

Als der Major wieder hereinkam, sagte er lächelnd:

»Es ist rührend, wie sehr Mama sich an eurem Glück freut. Ich habe wirklich nicht gewußt, wie sehr sie dich liebt, Lonny, und Lutz hat sie nun auch in ihr Herz geschlossen.«

Lonny sah zu dem Vater hinüber, ohne daß Lutz ihre Hand aus der seinen ließ.

»Ich habe es auch nicht gewußt, Papa, und ich komme mir sehr undankbar vor, weil ich zuweilen böse auf sie war.«

Lutz konnte aber so wenig wie Lonny das Gefühl nicht loswerden, daß die Majorin zu viel tat in ihren Liebesbeteuerungen. Wenn sie sich auch damit abgefunden hatte, daß Lonny eine nur sehr mäßige Partie machte, so konnte er ihr doch unmöglich den einst heißersehnten Freier für die Stieftochter ersetzen.

In diesem Sinn äußerte sich Lutz auch später Lonny gegenüber, als man das Brautpaar auf ein Weilchen allein gelassen hatte. Und Lonny erwiderte mit einem kleinen Lachen:

»Es geht mir wie dir, Lutz; auch ich bin noch immer ängstlich, daß diese Hochstimmung Mamas eines 162 Tages ins Gegenteil umschlagen wird. Aber es soll uns nicht kümmern, wenn es plötzlich anders wird; wir haben Papas Segen und Einwilligung, und das ist die Hauptsache.«

»Und du wirst nie wieder kleinmütig und verzagt werden, meine Lonny?«

Sie schmiegte sich in seine Arme.

Sie lachten beide glücklich, und Lonny sagte dann seufzend: »Wenn wir nur eine Wohnung bekommen, Lutz; das ist jetzt die größte Sorge.«

Er sah sie zuversichtlich und ein wenig übermütig an.

»Schlimmstenfalls setze ich irgend jemand erbarmungslos auf die Straße, um dir ein Nest bauen zu können. Sei nur ruhig, wir sind ja nicht an eine bestimmte Gegend gebunden, können weit draußen wohnen. Morgen erledige ich auf dem Polizeiamt meine Anmeldung als Droschkenautobesitzer und Selbstfahrer. Einen netten Chauffeur für den zweiten Wagen habe ich in Aussicht; es ist auch einer, der froh ist, Anstellung zu finden. An die Autos muß ich Zähler anbringen lassen. Und du sollst sehen, Lonny, wie sich die Fahrgäste auf meine schmucken Wagen stürzen, wir werden das Geld scheffeln.«

Lachend sah sie in seine übermütig funkelnden Augen.

»Schließlich wirst du gar nicht wissen, wohin mit allem Geld.«

»Oh, das hat keine Not, ich werde ja eine schöne Frau haben, und die werde ich mit Diamanten und Perlen behängen, wenn ich das viele Geld nicht anderweitig unterbringen kann.«

Als sie dann wieder mit den Eltern zusammensaßen, besprachen sie mit diesen alles Nötige. Und dabei fiel Lonny wieder auf, wie seelenruhig ihre Stiefmutter 163 sich den schwierigsten Fragen gegenüber zeigte. Sie sagte immer wieder begütigend:

»Nur keine Angst, es wird schon alles gutgehen; man muß sich nicht alles noch schwerer vorstellen, als es ist. Mit gutem Mut und gutem Willen werden wir alles überwinden.«

Der Major war begeistert von seiner Frau.

»Kinder, könnt ihr euch eine bessere Mutter wünschen? Du bist wirklich bewundernswert, Hermine. Dein Mut und deine Zuversicht beschämen uns alle«, sagte er, ihr die Hand küssend.

Sie wurde ein wenig rot, sagte dann aber lächelnd:

»Ich will doch gutmachen, Botho, und ich bin so fest davon überzeugt, seit ich meinen Widerstand aufgegeben habe, daß Lutz sich schnell emporarbeiten wird, daß ich wirklich keine Sorge mehr haben kann, daß alles gutgeht.«

Da küßte ihr auch Lutz die Hand.

»Ich danke Ihnen tausendmal, Mama. Es freut mich, daß Sie so zuversichtlich sind.«

»Nun, Lutz, dann mußt du aber schleunigst das steife Sie aus deiner Anrede streichen, sonst bin ich beleidigt. Du sagst doch zu Papa auch du.«

Lutz verneigte sich ein wenig betreten. So leicht ihm das Du dem Major gegenüber über die Lippen gekommen war, so schwer fiel es ihm, Frau Hermine du zu nennen. Aber auf diesen Wunsch von ihr konnte er es nicht mehr vermeiden.

»Verzeih, Mama, ich wagte es nicht und danke dir, daß du es mir gestattest«, sagte er etwas unsicher.

Lonny drückte ihm unter dem Tisch verstohlen die Hand; sie konnte Lutz nachfühlen, daß er damit ein Opfer brachte. Aber so, wie sich die Stiefmutter gab, konnte er sich nicht weigern. 164

Man saß lange beieinander. Es gab noch viel zu besprechen. Und die beiden jungen Menschen zögerten die Trennung hinaus, solange es ging. Erst als der Major müde wurde, verabschiedete sich Lutz. 165

 


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