Hedwig Courts-Mahler
Der Abschiedsbrief
Hedwig Courts-Mahler

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8

Wenn Lonny in der nächsten Zeit wie bisher flüchtig mit Lutz zusammentraf, zeigte er ihr, so schwer es ihm fiel, ein sehr zurückhaltendes Gesicht. Er grüßte nur mit einer förmlichen Verbeugung und ohne das aufstrahlende Lächeln der letzten Zeit. Seine Augen blickten ausdruckslos, wie erloschen. Dagegen lag um den schmallippigen Mund, den er immer fest aufeinanderpreßte, jetzt ein Zug, der vordem nicht dagewesen war. Es war ein herber, schmerzlicher Zug, der Lonny nicht entging. Sie mußte bald merken, daß Lutz ihr gegenüber sehr verändert war. Sprach sie ihn einmal an, um ihm einige freundliche Worte zu sagen, dann antwortete er nur knapp und förmlich. Aber sie merkte, wie es dabei in seinem Gesicht zuckte, wie unterdrückte Erregung.

Voll Unruhe fragte sie sich, was das zu bedeuten habe.

Und noch etwas fiel ihr in der nächsten Zeit auf – daß der Vater mit keinem Wort mehr an den Besuch Lutz Hennersbergs rührte. Eines Tages fragte sie ihn:

»Wann wird Herr von Hennersberg wieder einmal zu dir kommen dürfen, Papa? Soll ich ihm nicht etwas sagen? Von selbst wird er nicht zu kommen wagen.«

Da hatte der Vater hastig erwidert:

»Es ist wohl besser so, daß er nicht wiederkommt, laß uns nicht mehr davon reden.« 93

Da wußte Lonny, daß die Stiefmutter doch ihre Hand im Spiel hatte. Eine unklare Angst befiel sie plötzlich.

Und eines Tages hielt sie diese Ungewißheit nicht mehr aus; sie blieb nach Tisch vor dem Vater stehen und fragte ihn geradezu:

»Ist irgend etwas zwischen Herrn von Hennersberg und dir vorgefallen, Papa, verheimlichst du mir etwas?«

Der Major blickte unsicher auf seine Gattin, und diese kam ihm zu Hilfe. Sie erwiderte schnell:

»Ich habe Papa überzeugt, Lonny, daß es besser ist, wenn Herr von Hennersberg nicht wieder zu uns kommt.«

Mit großen Augen sah Lonny sie an.

»Du – also du hast ein Veto eingelegt. Ich hätte es mir denken können.«

»Ja, Lonny, er mußte sein, zu deinem eigenen Besten.«

Mit einem so schmerzlichen Blick sah Lonny den Vater an, daß er erschüttert war.

»Mußte das sein, Papa?«

Er faßte ihre Hand.

»Ja, mein Kind, es mußte sein.«

»Du hast ihn gekränkt, ich ahnte es. Es war nicht gut, Papa, daß das hinter meinem Rücken geschah.«

Mit diesen Worten verließ Lonny das Zimmer und zog sich in ihr eigenes Stübchen zurück. Sie mußte allein sein. Und sie grübelte darüber nach, was der Vater und die Stiefmutter unternommen hatten, um Lutz Hennersberg fernzuhalten und um ihn zu bewegen, so kalt und förmlich zu ihr zu sein.

Oh, sie hatte gewußt, gefühlt, daß es nicht aus ihm selbst herauskam; irgendwie hatte man ihn genötigt, 94 ihr diese Zurückhaltung zu zeigen. Ein brennender Schmerz zerriß ihr Herz.

Dann aber warf sie entschlossen den Kopf zurück, ihre Augen blitzten auf. Sie mußte wissen, was vorgegangen war, mußte es von Lutz selber hören.

Und der Zufall half ihr dabei.

Es war am nächsten Nachmittag. Doktor Friesen, der jetzt anscheinend immer oft private Abhaltung hatte, bat Lonny, ihm einige Schriftstücke, sobald sie fertig bearbeitet waren, in seine Wohnung hinauszubringen. Er hatte Gäste; mit einigen von ihnen mußte er geschäftlich verhandeln und konnte nicht noch einmal ins Büro kommen.

So fuhr Lonny kurz vor Büroschluß hinaus nach Wannsee. Sie benutzte die Elektrische. Als sie die Villa Doktor Friesens erreichte, empfing sie ein Diener und führte sie, wie es sein Herr ihm aufgetragen hatte, in Doktor Friesens Arbeitszimmer. Er bat sie zu warten, der Herr Doktor habe noch mit ihr zu sprechen und werde, sobald er abkommen könne, herüberkommen.

Lonny saß nun eine Weile allein in dem eleganten Arbeitszimmer. Sie hörte das lebhafte Stimmengewirr einer großen Gesellschaft herüberklingen und wußte, daß Doktor Friesen außer seinem Freund und dessen Eltern und Schwester auch mehrere amerikanische Herren unter seinen Gästen hatte. Mit diesen hatte es in den letzten Tagen allerlei Verhandlungen gegeben; es ging um die Vertretung einiger amerikanischer und deutscher Firmen. Lonny hatte verschiedenen dieser Verhandlungen beiwohnen müssen, um sie stenographisch aufzunehmen. Diese Stenogramme hatte sie in deutscher und englischer Sprache ausarbeiten und vervielfältigen müssen.

Der eine dieser amerikanischen Herren war ein 95 bekannter Trustmagnat, Mister John Stanhope, der andere ein New Yorker Rechtsanwalt, Mister Dumpy. Lonny wußte, um was für ein großes Projekt es sich handelte, und hatte sich viel Mühe gegeben, noch präziser als sonst zu arbeiten. In Gedanken versunken, lauschte sie nun auf das Stimmengewirr von drüben. Sie saß am Fenster und schaute hinaus in den Garten, der die Villa umgab. Bis zum See hinüber konnte man jetzt, da die Bäume nicht belaubt waren, sehen. Und seitwärts zwischen den Bäumen sah sie auch die Garage liegen. Sie wußte, daß Lutz Hennersberg da drüben über der Garage wohnte. Für den Augenblick hatte er wohl keinen Dienst. Ob er da drüben in seiner Wohnung weilte oder ob er ausgegangen war? Sie konnte die Fenster seiner Wohnung blinken sehen, aber von ihm selbst keine Spur. Nur der Wagenwäscher hantierte in der offenstehenden Garage; er war dabei, die Autos zu reinigen.

Ein tiefer Seufzer hob ihre Brust. In demselben Augenblick wurde aber die Tür geöffnet. Sie schrak zusammen und wandte sich um. Doktor Friesen trat mit den beiden amerikanischen Herren ein. Sogleich erhob sie sich und trat den Herren entgegen.

»Verzeihen Sie, Fräulein Straßmann, daß ich Sie warten ließ. Sie werden heute wieder über Ihre Zeit aufgehalten werden. Aber wir saßen noch bei Tisch. Haben Sie die Verträge mitgebracht?«

Lonny nahm die Papiere aus ihrer Aktentasche und reichte sie Doktor Friesen.

»Hier sind sie, Herr Doktor, und, wie Sie befohlen haben, in deutscher und englischer Sprache, je drei Durchschläge.«

Er nahm ihr die Papiere ab. Die Herren nahmen Platz, und Doktor Friesen forderte auch Lonny auf, sich niederzulassen. 96

»Sie haben hoffentlich noch ein wenig Zeit, Fräulein Straßmann?«

»Bitte, verfügen Sie über meine Zeit, Herr Doktor, ich habe nichts anderes vor.«

»Das ist mir lieb. Ich möchte mit Mister Stanhope und Mister Dumpy die Verträge gleich noch durchsehen, falls noch etwas zu ändern ist. Die Herren wollen morgen abreisen.«

Lonny verneigte sich. Die Herren sahen die Verträge durch. Mister Stanhope, der Trustmagnat, sah einige Male mit seltsam forschendem Blick zu Lonny hinüber. Eine Weile blieb es still, nur klang immer wieder von drüben aus den Gesellschaftsräumen ein leises Stimmengewirr und Gläserklirren. Endlich waren die Herren fertig, und Mister Stanhope sah mit einem Lächeln zu Lonny hinüber.

»Phänomenal! Das haben Sie gemacht sehr ausgezeichnet, Miß Straßmann, ganz ausgezeichnet! Eine ganz klare Darstellung, korrekt bis in alle Einzelheiten. Sie sein eine tüchtige Kraft! Doktor Friesen, ich beneide Sie um Ihre Miß Sekretärin! Ah, wenn ich eine solche Persönlichkeit haben könnte zu meine spezielle Dienst. Habe bewundert schon all diese Tage, wir firm und exakt Miß Straßmann arbeitet. Und sie beherrscht die englische Sprache wie ihre deutsche Muttersprache. Ohne Miß Straßmann wären wir nicht gekommen so schnell zu eine Ziel und Verständigung. Sie sollten mir abtreten Ihre Sekretärin, Mister Friesen, ich würde sein sehr froh darum.«

So schloß der Trustmagnat seine Rede mit einem Lächeln und einer Verbeugung vor Lonny.

Sie wurde sehr rot unter diesem Lob des bedeutenden Mannes, und Doktor Friesen antwortete schnell:

»Ich weiß sehr wohl, daß ich einen Schatz an 97 Fräulein Straßmann habe, Mister Stanhope, und deshalb bedaure ich, Ihren Wunsch nicht erfüllen zu können. Freiwillig verzichte ich nicht auf die Dienste Fräulein Straßmanns.«

»Kann ich mir denken, Doktor Friesen, ich an Ihrer Stelle würde auch Miß Straßmann um jeden Preis festhalten. Aber – man weiß nie, was kommen kann. Es gibt Dinge, die man nicht voraussieht. Und – Sie sollen sich merken, Miß Straßmann, für so tüchtige Kräfte hat John Stanhope immer Verwendung. Falls Sie das Schicksal mal nach New York führen sollte – ich engagiere Sie auf der Stelle als Privatsekretärin. Das ist mein Wort!«

Lonny sah den unbehaglichen Ausdruck auf Doktor Friesens Gesicht. So sehr sie sich über die Anerkennung ihrer Tüchtigkeit durch Mister Stanhope freute, sagte sie doch ruhig und bestimmt:

»Solange Doktor Friesen mit mir zufrieden ist und mich braucht, werde ich meine Stellung bei ihm nicht aufgeben. Ich bin zwar nicht vertraglich gebunden, habe aber Herrn Doktor Friesen mehr als einmal freigestellt, einen Vertrag mit mir zu machen. Er hat es abgelehnt, weil er mir keine Fesseln anlegen wollte; ich betrachte mich trotzdem an ihn gebunden, solange ich eine solche Stelle bekleiden kann und solange er mit mir zufrieden ist. Trotzdem freut es mich sehr, daß ein so bedeutender Mann wie Mister Stanhope so anerkennende Worte über meine Tätigkeit sagte. Ich danke Ihnen sehr dafür, Mister Stanhope.«

Dieser sah Lonny mit einem sinnenden Blick an. Aber ehe er etwas antworten konnte, sagte Doktor Friesen, durch Lonnys vornehme Gesinnung gerührt, um nicht hinter ihr zurückstehen zu müssen!

»Seien Sie nicht so großmütig, Fräulein Straßmann, 98 Sie ahnen wahrscheinlich gar nicht, was Sie da ausschlagen. Eine Stellung, wie Mister Stanhope sie Ihnen bietet, gibt es so leicht nicht noch einmal. Sie würden sich riesig verbessern, das muß ich Ihnen sagen als anständiger Mensch.«

Sie sah ihn ruhig und klar an.

»Es gibt Dinge, die man tun kann, und solche, die man nicht tun kann, Herr Doktor, das ist individuell. Ich bleibe bei meiner Ansicht. Aber damit Sie sich nicht etwa bedrückt fühlen, sage ich Ihnen ganz offen, daß meine Eltern mich gar nicht nach Amerika gehen lassen würden.«

Mister Stanhope hatte staunend zugehört. Jetzt lächelte er. »Ah, deutsche Sentiments! Wie sehr behindern sie die Persönlichkeit. Aber immerhin – nun ich möchte Sie noch viel lieber engagieren für meine Dienst. Oh yes! Aber – weil ich sage, man weiß nicht, was kommt, hier haben Sie meine Karte. Vielleicht Sie wollen eines Tages doch versuchen Ihr Glück drüben bei uns. Dann melden Sie sich bei John Stanhope – immer wird eine gute Anstellung für Sie bei ihm frei sein.«

Lächelnd nahm Lonny die Karte und steckte sie zu sich.

»Ich will es mir merken, Mister Stanhope«, sagte sie, als wolle sie einen Scherz beenden.

Die Herren besprachen noch einige Punkte des Vertrages. Lonny bekam von Doktor Friesen einen Auftrag für den nächsten Tag und wurde dann entlassen. Die Herren kehrten zur Gesellschaft zurück. Lonny packte ihre Aktenmappe ein, warf dann einen Blick zu der Garage hinüber und verließ das Zimmer.

Als sie unten durch das Portal in den Garten hinaustrat, sah sie im hellen Schein der Bogenlampe Lutz 99 Hennersberg von der Garage herüber auf dem breiten Weg herankommen. Er strebte wie sie dem Gartentor zu, das ins Freie führte. Und dicht vor dem Tor trafen sie zusammen.

Lutz hatte Lonny auch gesehen, aber er konnte ihr nicht ausweichen, ohne es auffällig zu machen. Brüskieren konnte und wollte er sich nicht; so weit konnte ihn sein gegebenes Wort nicht verpflichten. Er war im Zivilanzug, scheinbar zum Ausgang bereit.

Artig, den Hut abnehmend, öffnete er ihr das Gartentor mit einer Verbeugung und ließ sie hinaustreten, fest entschlossen, zu warten, bis sie davongegangen war. Aber Lonny war nicht willens, diese Gelegenheit, sich Klarheit zu schaffen, ungenützt vorübergehen zu lassen. Tapfer zu ihm auflächelnd, sagte sie scheinbar unbefangen:

»Guten Abend, Herr Hennersberg – wie gut, daß ich Sie treffe. Sicher sind Sie auch auf dem Weg zur Stadt. Ich hoffe, Sie haben so viel Zeit, mich bis zur Elektrischen zu begleiten; der Weg bis dorthin ist so einsam und unheimlich, weil er an den Baustellen vorüberführt.«

Ohne ungezogen zu sein, konnte er diese Bitte nicht abschlagen. Er verneigte sich höflich und erwiderte ruhig und korrekt:

»Sehr gern, mein gnädiges Fräulein.«

Sie gingen nebeneinander hin und waren beide stumm. Lonny sah verstohlen von der Seite in sein Gesicht. Plötzlich blieb sie stehen. »Herr von Hennersberg, was hat man Ihnen getan, daß Sie sich so sehr in Ihrem Wesen mir gegenüber verändert haben?«

Er wagte es nicht, sie anzusehen, blieb aber auch stehen und blickte an ihr vorbei, die einsame, schwach beleuchtete Straße entlang. 100

»Ich bitte, erlassen Sie mir die Antwort, mein gnädiges Fräulein; bitte, nehmen Sie keinerlei Notiz von mir.«

Ihre Augen hingen unverwandt an seinem Gesicht. Sie sah sehr wohl, wie er mit sich kämpfte, wie der herbe Schmerz in seinen Mienen sich vertiefte. Und das besiegte all ihre Schwachheit. Sie richtete sich straff empor.

»Also, Sie wollen mir nicht antworten – oder vielmehr –, Sie dürfen es nicht. Aber ich ahne, fühle, daß man Ihnen irgendwie weh getan hat. Ich habe zuweilen einen sechsten Sinn, und der sagt mir, daß meine Stiefmutter irgend etwas getan hat, um Ihre Besuche bei uns zu verhindern. Von meinem Vater geht das nicht aus, wenn er auch wahrscheinlich meine Stiefmutter hat decken müssen mit seiner Persönlichkeit. Sagen Sie mir nur eins: Sind Sie noch einmal nach jenem abendlichen Besuch in unserer Wohnung mit meinen Eltern zusammengetroffen? Das werden Sie mir doch wenigstens beantworten dürfen?«

Er hatte die Zähne fest aufeinandergebissen und sah jetzt in ihre großen, unruhigen Augen hinein.

»Ja, ich war noch einmal in der Wohnung Ihrer Eltern, ein Brief Ihres Vaters rief mich dorthin. Und nach einer Unterredung mit Ihren Eltern wußte ich, daß es meine Pflicht war, nicht wiederzukommen und – mich von Ihnen nach Möglichkeit zurückzuhalten.«

Trotz der schwachen Beleuchtung sah er, wie das Rot in ihre Wangen schoß und wie vor Erregung ihr Mund bebte.

»Ich habe es mir gedacht«, sagte sie leise, »man hat es Ihnen nahegelegt, daß es Ihre Pflicht ist.«

»Erlassen Sie es mir, mehr zu sagen«, bat er rauh.

Ein bitteres Lächeln huschte um ihren Mund. 101

»Es ist auch nicht nötig, daß Sie noch darüber sprechen, ich weiß nun alles, als sei ich dabei gewesen. Ich kenne doch meine Stiefmutter.«

Er wußte, daß er nun nichts mehr verschweigen konnte.

»Sie sollen nicht gehindert werden, Ihr Ziel zu erreichen«, stieß er heiser hervor, »Ihre Stiefmutter sah in mir ein Hindernis zu diesem Ziel.«

»Was für ein Ziel?« fragte sie mit blassen Lippen.

»Das Ziel, die Frau eines reichen Mannes zu werden – der sich um Sie bewirbt.«

Wie ein Schlag traf das Lonny. Das also hatte man ihm gesagt? Sie stand eine Weile wie versteinert und starrte ihn an. Ganz einsam war es um die beiden Menschen, niemand war weit und breit zu sehen. Drüben lag die hellerleuchtete Villa Doktor Friesens, in der noch ein geselliges Treiben herrschte. Hier draußen waren die beiden jungen Menschen ganz allein wie auf einer einsamen Insel.

Und plötzlich stürzten die Tränen aus Lonnys Augen, die Spannung ihrer Nerven ließ nach.

»Das hat man Ihnen gesagt? Sie hat gewagt, so etwas zu Ihnen zu sagen? Wie demütigend für mich!«

In heißer Unruhe sah er sie an.

»Mein gnädiges Fräulein, beruhigen Sie sich doch, es ist nicht demütigend für Sie, wenn Sie die Absicht haben, einen reichen Mann zu heiraten.«

Sie sah ihn mit einem Blick an, der all seine Selbstbeherrschung ins Wanken brachte. Ihre Augen flammten auf und ihre Tränen versiegten.

»Oh, wie wenig kennen Sie mich, wenn Sie glauben, daß ich einem solchen Ziel nachstrebe, einem Ziel, das meine Stiefmutter mir aus selbstsüchtigen Gründen als erstrebenswert hinstellt. Es ist auch nicht wahr, daß 102 sich ein reicher Mann um mich bewirbt, das ist nur ein Phantasiegebilde meiner Stiefmutter. Nie habe ich daran gedacht, mich um materieller Vorteile willen an einen Mann zu binden. Gottlob, ich bin gesund und arbeitsfähig, und ehe ich mich so weit erniedrige, daß ich meine Hand ohne mein Herz verschenke, will ich lieber bis an das Ende meiner Tage im Büro sitzen und mein Brot verdienen.«

Er atmete tief und befreit auf. Seine Augen begannen zu leuchten wie früher, wenn sie die ihren trafen.

»Ich habe es gewußt, trotz allem, was Ihre Stiefmutter und, von ihr beeinflußt, Ihr Vater zu mir sagten. Aber – es traf mich doch hart. Um so härter, mein gnädiges Fräulein, weil – aber nein, ich darf Ihnen nicht mehr sagen, ich gab mein Wort, alles zu tun, was in meinen Kräften liegt, um Ihre Herzensruhe nicht zu gefährden. Obwohl ich das selber wünsche, wurde mir dies Versprechen sehr schwer, das weiß Gott – aber ich armer Schlucker kann ja nichts tun, als stumm verzichten auf ein Glück, das mir unerreichbar ist.«

Eine dunkle Röte flog wieder über Lonnys Gesicht, aber ihre Augen strahlten jetzt aufleuchtend in die seinen. Und dann sagte sie leise, mit einem Ausdruck, der ihn tief erschütterte:

»Zwei arme Menschen wie wir, die können nur eins tun in unserem Falle, Herr von Hennersberg.«

Er faßte nun doch mit jähem Druck ihre Hand.

»Was können wir tun – Lonny – Lonny, was können wir tun?« fragte er, sie mit einem brennenden Blick ansehend.

Ihre Augen feuchteten sich wieder. Und in rührender Weichheit sagte sie leise:

»Einander liebhaben, Lutz Hennersberg, und – einander treu bleiben, was auch kommen mag.« 103

Da hielt er sich nicht mehr, er riß sie in seine Arme und preßte seine Lippen auf die ihren. Sie lag ganz still an seinem Herzen, gab zärtlich und innig seinen Kuß zurück und löste sich dann sanft aus seinen Armen.

»Jetzt müssen wir weitergehen, Lutz Hennersberg.«

Er hielt ihren Arm fest.

»Lonny – ach Lonny, ich hätte das nicht tun dürfen. Nun habe ich dich doch hineingerissen in diese Kämpfe und Nöte. Ich habe nur eine Entschuldigung, ich habe dich unsagbar lieb. Es war stärker als ich!«

Mit fast verklärten Augen sah sie zu ihm auf.

»Dank dir, Lutz, daß du mir deine Liebe zeigtest. Nun wird mein Leben doch nicht ganz ohne Sonne sein. Du hättest meine Herzensruhe viel mehr gefährdet, wenn du in deiner starren Zurückhaltung verharrt wärest. Ob wir uns je angehören können, weiß ich nicht. Ich habe keine Hoffnung, kaum Wünsche, weiß nur, daß es mich glücklich macht, daß wir einander sagen durften, wie lieb wir uns haben. Du sollst nie zweifeln, daß du mir der liebste Mensch auf Erden bist und daß ich nie, niemals einem anderen Mann angehören werde.«

Er zog sie wieder fest in seine Arme und küßte sie innig.

»Lonny, vielleicht ist es schlecht, egoistisch von mir, aber es macht mich sehr glücklich, daß du so zu mir sprichst. Ich hatte große Angst, daß du einem andern Mann angehören würdest, und suchte mit heißer Eifersucht nach dem vermeintlichen Nebenbuhler. Auf Doktor Friesen war ich ohnedies schon einmal eifersüchtig, ihn mußte ich für den Mann halten, von dem deine Stiefmutter sprach.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Sie wollte es erzwingen, daß ich Doktor Friesen 104 Hoffnung machen sollte. Aber dann müßte ich ein anderes Menschenkind sein. Doktor Friesen ist mein Chef, den ich sehr verehre und der gottlob sehr zufrieden mit mir ist. Ich hoffe, daß er bald eine andere Frau heimführt, damit mich meine Stiefmutter nicht mehr mit dieser Sache quält. Er sieht in mir gottlob nichts als seine Sekretärin.«

Und sie erzählte ihm von Mister Stanhopes Ansinnen, zu ihm zu kommen, und was Doktor Friesen darauf erwidert hatte.

Lutz wurde das Herz viel leichter, obwohl er auch jetzt noch wenig Hoffnung hatte, sich Lonny in absehbarer Zeit zu gewinnen. Lonnys Hand fassend, sagte er bewegt:

»So leicht hast du mir das Herz gemacht, Lonny, und doch ist es so schwer, weil ich dir vorläufig kein sorgloses Dasein schaffen kann.«

Zuversichtlich sah sie zu ihm auf.

»Wir werden arbeiten, Lutz, und sparen, so viel wir können. Und wer weiß, vielleicht geschieht ein Wunder, das uns doch zusammenbringt, eher, als wir jetzt annehmen können. Bis dahin müssen wir uns aber mit dem Bewußtsein trösten, daß wir einander lieben. Das muß unser Geheimnis bleiben, Lutz; aber werden wir nicht schon sehr glücklich sein im Besitz dieses wundervollen Geheimnisses?«

Er zog sie noch einmal in seine Arme und küßte sie.

Sie gingen weiter, Lutz schob seine Hand unter ihren Arm. Es war so köstlich für sie beide, nebeneinander zu gehen, wie zusammengehörig. Und sie sagten sich viele liebe und zärtliche Worte, wie es alle Liebenden tun. Aber so langsam sie auch gingen, endlich langten sie doch an der Haltestelle der Elektrischen an und sahen sie auch schon von weitem herankommen. 105

»Und was wird nun, Lonny?« fragte Lutz seufzend.

Mit ihrem lieben Lächeln sah sie ihn an.

»Es wird alles so weitergehen wie bisher, Lutz, nur daß wir nun um unsere Liebe wissen. Heimliche Zusammenkünfte ohne Wissen meines Vaters werden wir nicht herbeiführen, dazu sind wir beide zu ehrenhaft. Wir müssen uns damit begnügen, daß wir uns zuweilen, ohne unser Dazutun, sehen können, werden uns mit einem Blick oder einem Händedruck zufriedengeben müssen.«

Wieder seufzte er tief auf. So anspruchslos wie sie konnte er nicht sein.

»Das ist ja bejammernswert wenig, Lonny!«

»Aber viel, viel mehr, als wir bisher voneinander hatten. Wir müssen uns bescheiden, Lutz – bis das große Wunder kommt! Gute Nacht, Lutz!«

»Gute Nacht, Lonny – süße liebe Lonny!« 106

 


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