Hedwig Courts-Mahler
Der Abschiedsbrief
Hedwig Courts-Mahler

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11

Am nächsten Morgen aber geschah etwas sehr Seltsames. Frau Hermine war, noch sehr schlecht gelaunt, frühzeitig aufgestanden; sie hatte wenig Schlaf gefunden. Ihr Lieblingsplan, Lonny mit Doktor Friesen zu verheiraten, war gescheitert. Lonny würde kaum jemals wieder Gelegenheit haben, eine so glänzende Partie zu machen, ganz abgesehen davon, daß sie in ihrer »störrischen Verliebtheit« gar nicht dazu zu bewegen sein würde, sich einen anderen reichen Freier zu erobern. Es gab also keine Besserung der elenden Verhältnisse, und man mußte alles tun, um wenigstens diese verrückte Heirat zu hintertreiben. Verheiratete sich Lonny nicht so glänzend, daß sie den Eltern helfen konnte, dann mußte sie wenigstens in ihrer Stellung bleiben und nach wie vor den Zuschuß zum Haushalt leisten. Was sollte sonst werden?

Fröstelnd, in ihren warmen Morgenrock gehüllt, setzte sie sich im Wohnzimmer an den Ofen, in dem Meta schon ein Feuer angezündet hatte. Sie starrte vor sich hin und zergrübelte sich den Kopf, was nun werden sollte. Lonny würde jetzt natürlich nichts von den gewonnenen zehntausend Mark herausrücken, da es der Vater selbst nicht wollte. Man hätte das Geld so gut brauchen können. Aber nicht einmal dieser Lichtblick wurde ihr vom Schicksal vergönnt. 131

So saß sie noch, als Meta die Zeitung hereinbrachte.

Sie griff danach und blätterte mißmutig darin herum, hier und da eine Zeile überfliegend und immer mit ihren Gedanken halb abwesend. Aber plötzlich bohrte sich etwas, was sie gelesen hatte, in ihr Bewußtsein – es war der Name Freiherr Lutz von Hennersberg. Ganz groß und fett gedruckt stand dieser Name inmitten einer Anzeige. Sie riß sich zusammen, las die Anzeige jetzt mit wachem Bewußtsein, und ihre Augen sahen weit geöffnet darauf hin. Wieder und wieder las sie die Anzeige. Ihr Gesicht wurde abwechselnd rot und blaß in höchster Erregung, und ein tiefer Atemzug hob ihre Brust.

Wieder versank sie dann in tiefe Grübelei, versank so völlig darin, daß sie nicht einmal Lonny eintreten hörte und erst aufschrak, als diese ihr guten Morgen bot. Erschrocken raffte sie die Zeitung zusammen, faltete sie ganz klein und eng zusammen und steckte sie in die große Tasche ihres Morgenrocks.

Lonny sah ihr etwas erstaunt zu. Aber noch mehr erstaunte sie, als die Stiefmutter plötzlich mit ausgebreiteten Armen auf sie zukam.

»Mein liebes Kind, verzeihe mir, daß ich gestern abend so heftig geworden bin. Ich habe mir so viel Sorgen gemacht, vielleicht mehr, als nötig war, und habe die ganze Nacht nicht geschlafen.«

Lonny war sehr blaß, und man sah ihr an, daß auch sie keine ruhige Nacht gehabt hatte. Um so mehr staunte sie jetzt über diese Worte ihrer Stiefmutter und über die liebevolle Umarmung.

»Es tut mir leid, daß du schlecht geschlafen hast, Mama«, erwiderte Lonny, ohne imstande zu sein, die Liebenswürdigkeit der Stiefmutter zu erwidern. Ihr Gesicht blieb ernst und bekümmert. 132

Aber die Stiefmutter fuhr zu ihrer Verwunderung sehr liebevoll und zärtlich fort: »Ich weiß, du bist ein gutes, liebes Kind, und deshalb quält es mich, daß du unglücklich werden sollst. Das hat mir keine Ruhe gelassen. Immer wieder habe ich diese Nacht darüber nachgegrübelt, ob ich euch, dir und Lutz Hennersberg, nicht doch irgendwie zu eurem Glück helfen könnte, wie eine Verbindung zwischen euch zu ermöglichen wäre. Noch habe ich keinen Ausweg, aber sei versichert, ich werde einen finden. Ich will mich bemühen, alles in Ordnung zu bringen. Du weißt, ich besitze noch meinen Schmuck aus guten Tagen, den ich ängstlich behütet habe für die allerschlimmsten Fälle. Und nun bin ich zu dem Entschluß gekommen, meinen Schmuck zu opfern, damit wir, Papa und ich, euch nicht noch mit unseren Sorgen kommen müssen. So lange, bis Lutz Hennersberg imstande sein wird, auch für uns etwas tun zu können, wird uns der Erlös des Schmuckes über Wasser halten. So wird es dann gehen. Laß mich nur erst noch einmal in Ruhe das alles überlegen; du sollst nicht unglücklich werden, mein liebes Kind, es würde mir das Herz brechen. Ich hatte freilich mit deiner Verbindung mit Doktor Friesen gerechnet – wollte aber damit gewiß nur dein Bestes. Da dieser schon verlobt ist, sehe ich ein, daß ich diesen Plan, dich glücklich zu machen, fallen lassen muß. Und so will ich versuchen, dir und Lutz von Hennersberg zum Glück zu verhelfen.«

Lonny war ganz betroffen. So hatte die Stiefmutter noch nie gesprochen. Und nun gar nach dem heftigen Ausfall von gestern abend? Was sollte sie daraus machen? Was hatte die Stiefmutter plötzlich so sehr verändert? Sie stand diesem Ton fassungslos gegenüber.

»Du siehst mich sehr überrascht, Mama; aber es ist 133 sehr lieb von dir, daß du dich anders besonnen hast. Wenn du mir wirklich helfen wolltest, ich würde dir sehr dankbar sein«, sagte sie etwas beklommen und ungläubig.

Frau Hermine zog sie in überwallender Zärtlichkeit in ihre Arme. »Ach, Lonny, ich habe in dieser Nacht erst so richtig erkannt, wie lieb du mir bist. Ich kann dich nicht leiden sehen. Lange habe ich mich mit allen Mitteln gegen eine Verbindung zwischen euch gewehrt – immer nur in Angst um deine Zukunft. Nicht wahr, du bist mir nicht mehr böse, wir sind wieder ganz versöhnt?«

Lonny vermochte das alles noch nicht zu fassen. Daß die Stiefmutter ihren Schmuck sogar opfern wollte, den sie bisher so energisch gegen jeden möglichen Angriff verteidigt hatte, erschien ihr unglaublich. Sie kam sich sehr schlecht und nachtragend vor, daß sie diese plötzlich zutage getretene Liebe und Zärtlichkeit nicht erwidern konnte; doch war sie viel zu dankbar, daß dieser Meinungsumschwung stattgefunden hatte, als daß sie nicht alle Waffen gestreckt hätte.

Es fiel ihr nun doppelt schwer auf die Seele, daß sie gestern abend in ihrer tiefen Niedergeschlagenheit Lutz einen Abschiedsbrief geschrieben hatte. Wie gern hätte sie das ungeschehen gemacht. Aber sie wußte doch, wie sehr Lutz sie liebte. Der Brief würde ihn schmerzen, weil er sie darin als kleinmütig und verzagt erkennen mußte, aber er würde nicht daran denken, sie freizugeben. Gottlob, sie durfte nun doch noch glücklich werden.

Und sich schämend, daß sie nicht so herzlich und zärtlich sein konnte wie die Mutter, sagte sie, dieser die Hand drückend:

»Liebe Mama, ich bin so froh und so dankbar, daß 134 du uns nun helfen willst, Lutz und mir. Ich gestehe, daß ich gestern abend sehr verzagt war und Lutz noch einen Abschiedsbrief geschrieben habe.«

Frau Hermine verfärbte sich und sah Lonny ganz entsetzt an. »Aber Lonny, bist du denn unklug geworden!« stieß sie außer sich hervor.

Das erschien Lonny noch viel rätselhafter.

»Ich war so verzagt, weil ich selbst einsah, daß man Lutz zu viele Sorgen aufbürden müsse, wenn er für zwei Familien sorgen sollte. Damit hattest du ja eigentlich recht.«

»Ganz unrecht hatte ich damit«, ereiferte sich Frau Hermine. »Wie konntest du dich nur durch meine übertriebene Sorge zu einem solchen Schritt hinreißen lassen! Das mußt du sofort rückgängig machen; ich würde mir ewig Vorwürfe machen, wenn ich schuld daran wäre, daß ihr, die ihr euch so herzlich liebt, nicht zusammenkommen könntet. Hörst du, Lonny, du mußt das sofort rückgängig machen.«

Lonny sah ihre Stiefmutter immer verständnisloser an. Aber nun mußte sie doch lächeln.

»Ach, Mama, Lutz wird diese Absage gar nicht gelten lassen, das weiß ich; er wird schelten, daß ich so verzagt war, und mir den Kopf zurechtsetzen.«

»Das verdienst du auch, du kleinmütige Lonny! Aber ich bin doch schuld daran und muß auch das wiedergutmachen. Vieles muß ich gutmachen, damit Lutz mich ein bißchen liebgewinnt und mir ein guter Sohn wird, wie du mir eine gute Tochter bist. O Lonny, wie leicht ist mir nun das Herz!«

Und wieder umarmte sie Lonny.

Meta brachte jetzt das Frühstück herein, und die beiden Damen ließen sich am Frühstückstisch nieder. Dabei schob sich die kleinzusammengefaltete Zeitung aus 135 Frau Hermines Morgenrocktasche und fiel zu Boden. Lonny bückte sich danach, aber Frau Hermine tat das zu gleicher Zeit und so hastig, daß sie beide zusammenstießen. Lonny erfaßte jedoch die Zeitung, und weil sie noch immer ein wenig beklommen, fast verlegen war, faltete sie die Zeitung auseinander und wollte hineinsehen. Aber Frau Hermine nahm ihr hastig und lächelnd die Zeitung fort und sagte:

»Laß doch jetzt die dumme Zeitung, es steht ja doch alle Tage das gleiche drin. Laß uns lieber noch ein wenig plaudern. Du mußt ja doch bald fort. Wie gedenkst du Lutz zu benachrichtigen, daß dein törichter Abschiedsbrief nicht gilt?«

»Ich hoffe ihn im Büro zu treffen und werde gleich mit ihm sprechen.«

»Ja, das tu nur, Lonny. Und weißt du, wenn ich erst mit Papa gesprochen und ihn bestimmt habe, euch seine Einwilligung zu geben – er wird ja im Grunde nur sehr froh darüber sein, denn es hat auch ihn sehr bedrückt, daß er Lutz abweisen mußte –, dann werde ich einige liebenswürdige Zeilen an Lutz schreiben. Ich muß mich doch entschuldigen, denn schließlich will ich nicht als böse Schwiegermutter gelten.«

Sie hatte die Zeitung wieder fest in ihre Morgenrocktasche gesteckt. Lonny konnte noch immer nicht fassen, wie sehr sich die Mutter geändert hatte. Es fiel ihr besonders auf, daß die Mutter die Zeitung, die sonst immer auf dem Tisch lag, in die Tasche steckte und auch noch den Knopf der Tasche schloß. Aber sie glaubte, das sei eine unbewußte, zerstreute Handlung. Und außerdem wurde sie dann plötzlich durch ein anderes Ereignis abgelenkt, so daß sie jetzt nicht mehr an die so sonderbar zusammengefaltete und in der Tasche verschwundene Zeitung dachte. Trotzdem blieb diese 136 Unwichtigkeit, wie sie glaubte, fest in ihrem Gedächtnis haften, wie man sich zuweilen später an nebensächliche Dinge ganz genau erinnert, während wichtige Dinge in Vergessenheit geraten können.

»Es wäre sehr lieb von dir, wenn du Lutz schreiben wolltest«, hatte Lonny gerade noch gesagt, als draußen die Flurklingel heftig gezogen wurde, als wenn das ein Mensch in höchster Eile getan hätte. Lonny und Frau Hermine lauschten hinaus. Zugleich mit dem Major trat Meta ein und sagte hastig:

»Gnädiges Fräulein, der Bürodiener von Herrn Doktor Friesen ist da; er muß Sie dringend sofort sprechen. Es ist ein Unglück geschehen, sagt er.«

Lonny fuhr leichenblaß empor. Ihr erster Gedanke galt Lutz. Sie stürzte hinaus und sah Zörner mit ganz entsetzten Augen an.

»Was ist geschehen, Zörner?«

Dieser sah so blaß und verstört aus, wie ihn Lonny noch nie gesehen hatte.

»Ach, Fräulein Straßmann, so'n Unglück! Unser Herr Doktor!«

Lonny taumelte ein wenig, aber eine ungeheure Last fiel ihr vom Herzen. Sie konnte nur denken, daß dies Unglück, das ihr gemeldet werden sollte, nicht Lutz betraf, und das machte sie gefaßt.

»Was ist mit dem Herrn Doktor, Zörner? So sprechen Sie doch!«

»Lieber Gott, Fräulein Straßmann, det werden Sie noch ville zu schnell erfahren – fassen Sie Ihnen man – unser Herr Doktor ist tot!«

Lonny wurde leichenblaß.

»Zörner – das kann doch nicht sein!« stieß sie heiser und entsetzt hervor.

Zörner nickte tragisch. 137

»Is aber leider so, Fräulein Straßmann, er ist diese Nacht so gegen zwei Uhr mit seinem Freund im Auto von Bernau nach Berlin gefahren, und da is mit dem Auto ein Unglück passiert. Herr Doktor is gleich tot gewesen, und was sein Freund is, der hat'n Arm und auch ein Bein gebrochen. Und er hat noch ein Stunde draußen im Freien gelegen, weil niemand vorbeigekommen is; erst gegen drei Uhr hat man sie gefunden. Der Freund vom Herrn Doktor hat selber gefahren, sein Chauffeur is nich mit dabei gewesen. Und in aller Herrgottsfrühe hat man den Herrn Bürovorsteher angerufen, und er hat allens zusammengetrommelt. Und nun soll ick Ihnen holen, ick habe gleich een Auto mitgebracht. Et is doch heute früh Termin angesetzt, und der Herr Bürovorsteher findet sich nich mang die Akten zurecht, weil er een bißken den Kopp verloren hat.«

Lonny zwang sich zur Ruhe, so sehr sie auch der Tod Doktor Friesens erschütterte.

»Es ist gut, Zörner, ich komme sofort; warten Sie unten auf mich, ich will nur meiner Mutter Bescheid sagen.«

Lonny ging mit blassem Gesicht ins Zimmer. Sie berichtete hastig, was geschehen war.

»Ich muß sofort ins Büro. Auf Wiedersehen, Mama – und nochmals Dank für alles Gute.«

Damit verabschiedete sie sich, nahm eilig draußen Hut und Mantel und eilte die Treppe hinunter.

Als der Major eintrat, berichtete Frau Hermine sogleich über den Unfall. Aber dann nahm sie Doktor Friesens Tod zum Vorwand, um auf ihr jetzt so sehr verändertes Ziel loszugehen.

»Lieber Botho, der plötzliche Tod Doktor Friesens zeigt mir wieder einmal, wie wenig wir Menschen das Schicksal aufhalten oder abwenden können. Dieser 138 gesunde, kräftige Mann in den besten Mannesjahren ist so jäh aus einer regen, erfolgreichen Tätigkeit herausgerissen worden. Ich bin ganz erschüttert.«

Der Major krümelte matt und abgespannt an seinem Brötchen herum. Auch er hatte schlecht geschlafen. Ein tiefer Seufzer hob seine Brust.

»Da hat eine höhere Macht auch zugleich einen deiner Lieblingspläne zerstört, Hermine«, sagte er, und es klang fast wie eine heimliche, leise Befriedigung.

Sie faßte mit einem auffallend liebenswürdigen Lächeln nach seiner Hand.

»Erinnere mich nur gar nicht mehr an diese Torheit, Botho. Ich muß gestehen, daß ich in dieser Nacht, die ich schlaflos verbrachte, all diese Pläne aufgegeben habe. Ich habe mich schon vorhin mit Lonny ausgesprochen, weißt du, es ließ mich nicht zur Ruhe kommen, daß ich Lonnys Glück zerstören sollte. Ich habe das Kind lieb, viel lieber, als ich bisher selbst gewußt habe. Und Lutz Hennersberg ist ein so gediegener, vornehmer Charakter, es hat mir auch um ihn leid getan. Und ob er nun Chauffeur ist oder sonst etwas, schließlich bleibt er doch der Freiherr von Hennersberg. Kurzum, Botho, ich kann es doch nicht über das Herz bringen, diese beiden Menschen unglücklich zu machen. Mag kommen, was will, der liebe Gott wird schon helfen, wenn wir alle das Unsere dazu tun. Ich habe Lonny schon versprochen, daß ich dich bestimmen will, daß du ihnen doch dein Jawort gibst.«

Der Major sah seine Gattin fassungslos erstaunt an.

»Aber Hermine, wie kommt es, daß du heute so ganz anders sprichst als gestern abend?«

»Ich sage dir ja, Botho, ich kann es nicht über das Herz bringen, die beiden jungen Menschen zu trennen. Du mußt mir erlauben, Botho, daß ich 139 Hennersberg ein paar liebenswürdige Zeilen schreibe und ihm mitteile, daß wir unsern Sinn geändert haben. Gleich heute vormittag soll das noch geschehen, eher habe ich nun doch keine Ruhe.«

Der Major staunte seine Gattin an, und die Hoffnung, daß sein Kind doch noch glücklich werden könne, wie er es sich trotz allem heimlich gewünscht hatte, wachte in ihm auf. Aber er sagte doch unsicher:

»Es ist ja sehr lieb von dir, Hermine, daß dir Lonnys Glück so sehr am Herzen liegt. Aber im Grunde hattest du ja leider nur zu recht mit deinem Widerstand. Diese Heirat ist und bleibt eine Unvernunft. Und – was soll aus uns werden?«

Sie lächelte ihm zu.

»Ich habe mir schon alles überlegt, Botho, und es auch schon mit Lonny besprochen. Ich werde meinen Schmuck opfern, sobald es nötig ist. Gern trenne ich mich nicht von diesen Zeugen einer einstigen besseren Zeit. Aber Lonnys Glück gilt mir mehr. Nicht wahr, Botho, du gibst deine Einwilligung?«

Der Major nahm ihre Hand und küßte sie.

»Liebe Hermine, ich muß dir sagen, daß du mir heute so liebenswert erscheinst wie seit langem nicht. Ganz offen, ich habe auch keine Ruhe finden können; immer sah ich Lonny vor mir stehen und hörte sie sagen: Papa, es geht um mein Glück! Es wurde mir sehr schwer, den hartherzigen Vater zu spielen. Und wenn du meinst, daß es so geht, wenn du wirklich deinen Schmuck opfern willst, dann gebe auch ich von Herzen gern meine Einwilligung.«

Sie lächelte ihm freundlich zu.

»Gottlob, mir ist eine Last vom Herzen! Gleich nachher werde ich an Lutz schreiben. Wie gut, daß er schon damit gerechnet hatte, seine Stellung bei Doktor 140 Friesen aufzugeben; nun dieser so plötzlich verschieden ist, wird er ja doch entlassen werden, und auch Lonny wird wohl ihre Stellung verlieren. Nun, um so schneller können sich die Kinder heiraten. Es hat ja keinen Zweck, sie noch lange zu quälen.«

»Ja, richtig, Doktor Friesen, das hätte ich fast vergessen vor Überraschung über deine Sinnesänderung. Schade um den Mann! Soviel ich weiß, hat er nicht einmal direkte Erben, es soll nur noch ein Vetter von ihm da sein, der in Thüringen ein Landgut hat. Der wird wohl nun alles erben, denn – wenn er auch, wie Lonny sagte, heimlich verlobt ist, öffentlich ist die Sache doch nicht geworden, und an ein Testament wird er noch nicht gedacht haben.«

»Nun, dieser Vetter kann sich freuen, es wird ein fettes Erbe sein. Ein Glück nur, daß Doktor Friesen nicht mit Lutz als Chauffeur gefahren ist, sonst wäre Lutz am Ende mit verunglückt.«

«Oder – er hätte das Unglück abwenden können. Hätte der Freund Doktor Friesens seinen Chauffeur mitgenommen, dann wäre es vielleicht nicht zu dem Unglück gekommen. Aber nun muß ich doch aufbrechen, es ist die höchste Zeit für mich.«

Frau Hermine half ihrem Gatten liebenswürdiger als sonst, sich fertig zu machen, wickelte ihm sein Frühstück ein, das er immer mitnahm, weil er erst gegen Abend nach Hause zu kommen pflegte.

Als er fortgegangen war, schloß sich Frau Hermine im Schlafzimmer ein und entnahm ihrer Morgenrocktasche die zusammengelegte Zeitung, die sie hastig entfaltete. Sie suchte wieder die große Anzeige, in der Lutz von Hennersbergs Name fett gedruckt zu lesen war, und überflog sie wieder und wieder. Dann atmete sie tief auf. Welch ein Glück! Hoffentlich kam diese 141 Zeitung vorläufig Lutz Hennersberg nicht zu Gesicht. Aber heute würde wohl kaum im Friesenschen Hause jemand zu einer ruhigen Zeitungslesestunde kommen. Es würde alles drüber und drunter gehen. Das war gut! Es war wichtig, daß er vorläufig nichts von dieser Anzeige erfuhr, bis sie alles in die Wege geleitet hatte. Jemand anderes würde ihn auch kaum auf diese Anzeige aufmerksam machen; es wußte ja niemand, daß er ein Freiherr von Hennersberg war. Sie mußte Zeit gewinnen, sich ihm erst in einem günstigeren Licht zu zeigen, mußte die Großmütige spielen, um dann um so sicherer auf seine Großmut rechnen zu können. Und er mußte auch erst mit Lonny verlobt sein, vielleicht sogar verheiratet – aber sicher verlobt, das war wichtig. Denn wußte man, ob er sonst noch daran denken würde, sich mit der armen Majorstochter zu verbinden, wenn er erst die Anzeige gelesen hatte? Sie schätzte die Menschen nach sich selbst ein.

Wenn ihm die Zeitung nur nicht vor die Augen kam! Aber – Anzeigen würde er dann auch vielleicht noch nicht lesen. Ihr Blick war ja auch nur ganz zufällig an dem Namen hängengeblieben.

Auch Lonny und ihr Vater durften diese Zeitung nicht zu Gesicht bekommen, bevor sie es für gut fand. Klug mußte sie sein. Die Zeitung würde vorläufig verschwinden. Das würde einen kleinen Auftritt geben, ihr Gatte pflegte jeden Abend seine Zeitung zu lesen, und wehe, wenn sie einmal verschwunden war, dann gab es immer eine kleine Szene. Aber das nahm sie gern mit in Kauf. Erst mußte sie den nötigen Gewinn aus dieser Entdeckung ziehen, ehe sie diese Anzeige preisgab. Sie versteckte die Zeitung sorgfältig in ihrem Wäscheschrank, zu dem sie allein den Schlüssel hatte, dann kleidete sie sich um. 142

Als sie fertig war, ging sie ins Wohnzimmer hinüber und schrieb den Brief an Lutz. Er war ein diplomatisches Meisterstück. Und sie brachte ihn selber zur Post, als sie ausging, um die täglichen Wirtschaftseinkäufe zu machen. Befriedigt begab sie sich dann wieder nach Hause. Sie hatte das Möglichste getan, um sich ein gutes Ansehen bei ihrem künftigen Schwiegersohn zu schaffen. Und sie wollte die Fäden in der Hand behalten, um alles nach ihrem Sinn zu lenken. 143

 


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