Hedwig Courts-Mahler
Der Abschiedsbrief
Hedwig Courts-Mahler

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7

Als Lonny am nächsten Morgen etwas unsicher ins Wohnzimmer trat, um, wie jeden Morgen, mit den Eltern das Frühstück einzunehmen, fand sie diese scheinbar im besten Einvernehmen zusammen. Und zu ihrem Erstaunen gab sich die Stiefmutter so freundlich und liebenswürdig, als sei nichts geschehen. Der Vater zeigte sich sogar besonders zärtlich, nur schien es Lonny, als sähe er noch bedrückter und sorgenvoller aus als sonst.

Als sich Lonny dann verabschiedete, machte die Stiefmutter einen Scherz, und der Vater streichelte über ihr Haar. Was hatte das zu bedeuten? So fragte sich Lonny, kam aber zu keiner Antwort und wehrte endlich die unruhigen Gedanken von sich. Vielleicht hatte die Stiefmutter wirklich dem Vater nichts gesagt.

Heute bekam sie übrigens Lutz gar nicht zu Gesicht, da Doktor Friesen spät vom Termin kam und noch vor Büroschluß wieder fortfuhr. Am nächsten Tage konnte sie auch nur einen stummen Gruß mit ihm wechseln, aber die beiden jungen Augenpaare trafen aufleuchtend ineinander. Am Morgen des dritten Tages nach jenem Besuch bei Majors bekam Lutz einen Brief. Das geschah so selten, daß es ein Ereignis für ihn war. Er öffnete das Schreiben und sah nach der Unterschrift. Etwas befremdet sah er, daß der Brief von Major 82 Straßmann war. Adressiert war das Schreiben an den Chauffeur Hennersberg. Es lautete:

»Mein lieber Herr von Hennersberg! Es liegt mir viel daran, mit Ihnen über eine Angelegenheit zu sprechen, die mir sehr am Herzen liegt. Doch soll meine Tochter nichts davon wissen. Wäre es Ihnen nicht möglich, mich während der nächsten Tage einmal auf eine Stunde aufzusuchen? Aber es müßte während der Bürozeit sein, wenn meine Tochter nicht zu Hause ist, Sie kennen ja diese Bürozeit. Sie brauchen mir nur die Zeit, in der es Ihnen paßt, anzugeben, ich werde dann bestimmt zu Hause sein für Sie.

Auf Ihre Antwort wartend, verbleibe ich mit herzlichem Gruß

Ihr Botho Straßmann«

Nachdenklich sah Lutz auf diesen Brief hinab. Was konnte Lonnys Vater ihm zu sagen haben, was seiner Tochter ein Geheimnis bleiben mußte? Eine seltsame Erregung überfiel ihn, hatte er doch verlernt, daran zu glauben, daß ihm das Schicksal etwas Gutes bringen könne.

Als er dann mit dem Auto vor dem Portal der Villa hielt und Doktor Friesen herunterkam, fragte er diesen, um welche Stunde er an einem der nächsten Tage einmal frei sein könnte, er habe eine wichtige Angelegenheit zu ordnen, die ihn nur eine Stunde fernhalten werde, aber er müsse diese Stunde im voraus wissen.

Doktor Friesen dachte nach. Sein Chauffeur hatte selten so ein Anliegen an ihn, und er wollte ihm daher seinen Wunsch gern erfüllen.

»Würde es Ihnen übermorgen vormittag passen, Hennersberg? Da habe ich wieder Termin und werde mindestens drei Stunden festgehalten. Können Sie 83 Ihre Angelegenheit zwischen neun und zwölf Uhr erledigen?«

»Gewiß, Herr Doktor!«

»Gut, also übermorgen von neun bis zwölf Uhr sind Sie frei.«

»Danke ergebenst!«

»Gut – und nun los!«

Sie fuhren in die Stadt, zum Büro, und als Doktor Friesen ausstieg, gebot er dem Chauffeur zu warten, da er gleich weiterfahren werde.

Lutz sah sehnsüchtig zu dem Fenster hinauf, hinter dem er Lonnys Büro wußte. Seine Eifersucht auf Doktor Friesen war erloschen, es beunruhigte ihn jetzt nicht mehr, Lonny in seiner Gesellschaft zu wissen, aber er hätte gar zu gern ihr liebes Gesicht da oben auftauchen sehen. Und sein Wunsch sollte heute in Erfüllung gehen, Lonnys kastanienbrauner Kopf tauchte auf, und sie nickte ihm freundlich zu, als er respektvoll hinaufgrüßte. Daß sie dabei errötete, konnte sie nicht hindern, und dieses Erröten beglückte Lutz sehr.

Er mußte aber an den Brief des Majors denken und fragte sich wieder, was dieser mit ihm zu sprechen haben könne. Schnell lief er ins Büro hinauf und ließ sich von dem Bürodiener Zörner einen einfachen Briefbogen mit Kuvert aushändigen, auch eine Freimarke dazu. Zörner blinzelte ihn verständnisinnig an.

»Aha, een Briefken an ihr, der Herrlichsten von allen, wat, Chauffeur? Mensch, det Sie nur nich die Laternenpfähle umfahren, wenn Sie so verliebt sind.«

»Schwatzen Sie keinen Unsinn, Zörner; machen Sie schnell, ich muß wieder hinunter zu meinem Wagen.«

»Na, na, man sachte mit die jungen Pferde, Chauffeur, ick kann mir ja ooch nich gleich Blutblasen loofen, weil Sie es so eilig haben, eenen Liebesbrief zu 84 schreiben. Soll ick Ihnen diktieren? Ick habe was los in solche Sachen.«

Damit reichte Zörner Lutz das Gewünschte. Dieser gab ihm dafür einige Zigaretten, aber heute hatte er diese vorsichtigerweise schon aus dem Etui genommen. Zörner griente ihn an.

»Aha, det feine Etui, det darf ick mit keenem Ooge mehr ankieken. Jotte doch, Mensch, mir können Sie doch vertrauen, wo sie es herhaben. Ich bin verschwiegen wie een Massengrab.«

Lutz mußte lachen. Lonny hatte neulich abends über Zörner gesprochen, hatte dabei gesagt, er sei im Grunde ein gutmütiger Mensch, müsse nur über alles seine Witze machen. Und diese Fürsprache Lonnys hatte ihn milde gegen Zörner gestimmt. Er nahm das Etui nun doch aus der Tasche und reichte es Zörner lachend hin.

»Langen Sie noch mal zu, Zörner, und wenn Sie es nicht verraten wollen, werde ich Ihnen anvertrauen, woher ich das Etui habe.«

Zörner langte sich umständlich noch eine Zigarette aus dem Etui und sah Lutz erwartungsvoll an.

»Na, raus denn mit det süße Geheimnis, Chauffeur, ich verrate nischt.«

Lutz beugte sich mit einem humoristischen Zucken in den Mundwinkeln zu ihm hinab und flüsterte geheimnisvoll:

»Ich habe es von einer türkischen Prinzessin geschenkt bekommen, der ich zur Flucht aus dem Harem verholfen habe.«

Zörner quietschte auf.

»O du dicke Luft. So'ne Räubergeschichten müssen Sie Zörnern nich uffbinden, Chauffeur.«

Lachend ging Lutz davon. Zörner aber suchte sofort 85 Lonny in ihrem Büro auf und stellte sich neben sie hin. Sie sah von der Schreibmaschine zu ihm auf.

»Wünschen Sie etwas, Zörner?«

»Ick wollte Ihnen man bloß sagen, det ick jetzt wissen tue, woher der Chauffeur det Etui mit det Wappen hat.«

Sie sah in forschend an.

»Wirklich?«

»Jawoll, er hat mich det anvertraut. Von eener türkischen Prinzessin hat er es, die er aus dem Harem geraubt hat.«

Lonny lachte.

»Das hat er Ihnen gesagt?«

»Jawoll! Sie glooben det woll nich, hm?«

»Nein!«

»Ick ooch nich! Irgend wat is nich richtig mit die Sache.«

»Sie werden sich noch den Kopf zerbrechen, Zörner. Geben Sie es nur auf.«

»Hm! Eins weiß ick aber nun.«

»Nun?«

»Det er keen schlechtet Gewissen dabei hat. Er hat so vajnügt jelacht dabei.«

»Sie sind doch ein großer Menschenkenner, Zörner; aber nun halten Sie mich nicht länger auf.«

Und Zörner trollte davon.

Lutz hatte das Briefpapier zu sich gesteckt und seinen Führersitz wieder eingenommen. Gleich darauf kam Doktor Friesen herunter. Lutz mußte ihn wieder zu der Fabrik vor der Stadt fahren, wo er geschäftlich zu tun hatte. Das würde lange genug dauern, daß Lutz inzwischen den Brief an den Major schreiben konnte. Er zog das Papier und seinen Füllfederhalter hervor und schrieb, ein Buch als Unterlage benutzend: 86

»Sehr geehrter Herr Major! Ihre geehrten Zeilen habe ich dankend erhalten und beehre mich, Ihnen mitzuteilen, daß ich übermorgen vormittag um zehn Uhr bei Ihnen sein werde.

Mit ergebenster Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin begrüße ich Sie

Hochachtungsvoll
Ihr ganz ergebener Lutz Hennersberg«

Dann adressierte er und machte den Brief postfertig, damit er ihn später bei Gelegenheit in den Postkasten werfen konnte. Und am übernächsten Vormittag fuhr er vom Gerichtsgebäude, wo er seinen Herrn abgesetzt hatte, direkt zu der Wohnung des Majors.

In seinem Chauffeuranzug begab er sich, nachdem er seinen Wagen gesichert hatte, hinauf und wurde vom Major und seiner Gattin empfangen. Lutz entschuldigte sich seines Anzuges wegen, er habe aber nicht mehr Zeit gehabt, sich umzuziehen. Man empfing ihn trotzdem sehr liebenswürdig, aber Lutz hatte ein unbehagliches Gefühl, gerade, weil die Majorin diese Liebenswürdigkeit so sehr betonte, sie erschien ihm unecht. Und ohne Zaudern ging er auf den Kern der Sache los.

»Herr Major, Sie haben mich gerufen – ich stehe zur Verfügung!«

Rank und schlank stand er hochaufgerichtet vor dem Ehepaar. Der Major nahm seine Hand. Mit Wohlgefallen ruhte sein Blick auf Lutz. Und er seufzte tief auf; es erschien ihm so verständlich, daß sich ein junges Mädchen in diesen prachtvollen Menschen verlieben konnte. 87

»Mein lieber Herr von Hennersberg, es ist ein sehr seltsames Ansinnen, das ich an Sie stellen muß. Ich bitte Sie, mich verständnisvoll anzuhören. Und seien Sie im voraus gewiß, daß wir diese heikle Angelegenheit nur berühren, um ein Unglück zu verhüten.«

Lutz sah ihn beklommen an.

»Sie machen mich besorgt, Herr Major! Aber bitte, wollen Sie überzeugt sein, daß ich alles tun werde, was in meiner Kraft steht, um irgendein Unglück von Ihnen und Ihrer verehrten Familie fernzuhalten.«

»Und von Ihnen selbst, mein lieber junger Freund – ja, ja, auch von Ihnen selbst. Also ohne Umschweife: Ich bin ein alter Soldat und gewöhnt, gerade auf mein Ziel zuzugehen. Meine Frau ist von tiefer Sorge durchdrungen und hat mich damit angesteckt, daß zwischen Ihnen und meiner Tochter etwas aufkeimen könnte, was nicht aufkeimen darf. Meine Frau hat einige Beobachtungen gemacht; sie hat gesehen, daß Sie meiner Tochter, als diese von Ihnen nach Hause gefahren wurde, die Hand geküßt haben, wir beide haben gesehen, daß meine Tochter mit Ihnen am Wannsee zusammengetroffen ist und daß Sie sich beide entschieden etwas verlegen trennten, als wir unerwartet dazukamen –«

»Herr Major, verzeihen Sie, wenn ich Sie hier unterbreche; ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß jenes Zusammentreffen mit Ihrem Fräulein Tochter ein ganz zufälliges war.«

»Ich glaube Ihnen, und wie ich meine Tochter kenne, habe ich das auch nicht bezweifelt; nur meine Frau war in Sorge. Sie hat außerdem zu bemerken geglaubt, daß Sie meine Tochter nicht mit gleichgültigen Augen angesehen haben. Verzeihen Sie, wenn ich an diese heiklen Dinge rühre; aber ich bin dazu gezwungen, um Klarheit zu schaffen.« 88

Lutz' Stirn hatte sich gerötet, aber seine Augen sahen fest und ruhig in die des Majors.

»Herr Major, Ihre Frau Gemahlin hat wohl mehr gesehen, als ich verraten wollte. Glauben Sie mir, ich habe mir alle Mühe gegeben, meine Gefühle vor Ihrem Fräulein Tochter zu verbergen, aber – ich kann und will in dieser Stunde nicht leugnen, daß ich eine tiefe Verehrung für sie empfinde. Ich weiß, daß ich meine Gefühle vor Ihrem Fräulein Tochter verbergen muß. Es lag also gewiß nicht in meiner Absicht, mir etwas anmerken zu lassen. Wenn sie, verehrte gnädige Frau, es doch gemerkt haben, so bitte ich inständig um Verzeihung, daß ich mich trotz meines Vorsatzes nicht genug beherrscht habe.

Da ich sehr wohl weiß, daß ich in meiner jetzigen Lage ganz außerstande bin, mich um eine Frau zu bewerben, die ich brennend gern an mich fesseln würde, wenn ich ihr ein sorgloses Dasein schaffen könnte, so dürfen Sie ganz überzeugt sein, daß ich in Zukunft noch vorsichtiger sein werde. Die Seelenruhe Ihres Fräulein Tochter liegt mir viel zu sehr am Herzen, als daß ich sie in Kämpfe und Unruhe verstricken möchte. Ich bitte Sie, mir das zu glauben.«

Aufatmend nahm der Major seine Hand.

»Sie machen es mir leicht, Ihnen zu sagen, was ich noch sagen muß als besorgter Vater. Ich danke Ihnen. Also ganz offen, nachdem sich die Befürchtungen meiner Frau als begründet erwiesen haben, muß ich Sie bitten, so schwer es mir fällt, uns nicht zu besuchen, wenn meine Tochter zu Hause ist, und mir Ihr Wort zu geben, daß Sie es so viel wie möglich vermeiden werden, mit ihr zusammenzutreffen.«

Jetzt mischte sich auch die Majorin ins Gespräch. Sie wollte mit noch wirkungsvolleren Waffen eingreifen.

»Ja, Herr von Hennersberg, darauf müssen Sie uns 89 Ihr Wort geben. Wir wollen ganz offen zu Ihnen sein, damit Sie unsere Sorge verstehen. Wir hoffen, daß unsere Tochter bald einem Freier die Hand reicht, der imstande ist, ihr ein sorgloses Leben zu schaffen, der ihr alle Wünsche wird erfüllen können. Diese sehr glänzende Partie würde sich zerschlagen, wenn unsere Tochter vielleicht durch ein Interesse an Ihnen von diesem Ziel abgelenkt werden könnte.«

»Aber, Hermine, diese Sache ist doch durchaus noch nicht spruchreif«, warf der Major ungehalten ein.

Sie wandte sich ihm kampfbereit zu.

»Es schadet gar nichts, wenn Herr von Hennersberg den Dingen auf den Grund sieht. Gerade wenn er Lonnys Wohl will, muß er einsehen, daß sie in einer Ehe mit einem reichen Mann besser aufgehoben sein wird, als wenn sie etwa einer aussichtslosen Liebe nachtrauern würde. Sie ist ganz arm, wird nicht einmal eine bescheidene Aussteuer haben können, und deshalb ist sie auf eine gute Partie angewiesen. Wir bitten Sie herzlich, unseren Plänen nicht hindernd im Weg zu stehen. Wenn nur die geringste Möglichkeit bestünde, daß Ihre beiderseitigen Verhältnisse sich bessern könnten, würden wir nicht so energisch einschreiten. Gegen Sie persönlich haben wir durchaus nichts einzuwenden.«

»Nein, wahrhaftig nicht, mein lieber Herr von Hennersberg. Ich glaube, keinem andern Mann als Ihnen würde ich die Hand meiner Tochter so vertrauensvoll zusagen. Aber es geht leider nicht an, das werden Sie selbst einsehen. Vermeiden Sie also nach Möglichkeit jedes Gespräch mit ihr, und vor allen Dingen zeigen Sie ihr in keiner Weise, was Sie für sie empfinden. Wollen Sie mir das versprechen?«

Es zuckte in Lutz Hennersbergs Gesicht vor unterdrückter Erregung. Seine stahlblauen Augen 90 erschienen fast schwarz. Er biß die Zähne aufeinander und rang um Fassung. Endlich sagte er mit verhaltener Stimme:

»Ich erkenne an, daß Ihre Vatersorgen Sie berechtigen, ein solches Versprechen von mir zu fordern, Herr Major, und – ich kann Sie verstehen. Was es mich kostet, so machtlos vor Ihnen zu stehen, so unfähig, mich um das höchste Glück zu bewerben, das mir das Leben bieten könnte, das können Sie kaum ermessen. Aber es ist mir ernst damit, Ihr Fräulein Tochter in Ihrer Herzensruhe nicht zu gefährden, soweit mir das möglich ist. Ich verspreche Ihnen, soviel in meiner Macht steht, zu vermeiden, mit Ihrem Fräulein Tochter zusammenzutreffen. Wo es sich nicht vermeiden läßt, werde ich mich der größten Zurückhaltung befleißigen. Und – nun bitte ich Sie, da wir uns wohl nichts mehr zu sagen haben, mich zurückziehen zu dürfen.«

Wieder faßte der Major seine Hand.

»Niemals ist mir eine Vaterpflicht schwerer geworden, das glauben Sie mir. Ich danke Ihnen für Ihr Versprechen. Und, mein lieber Herr von Hennersberg, ich hoffe doch, daß wir Männer uns zuweilen an einem dritten Ort wiedersehen werden.«

Lutz fühlte, daß der alte Herr ehrlich betrübt war, und er erwiderte den Druck seiner Hand.

»Ich danke Ihnen, aber – lassen Sie mir Zeit, ich – ich – gnädige Frau, ich empfehle mich Ihnen.«

Mit einer Verbeugung verließ Lutz schnell das Zimmer; er konnte es nicht mehr ertragen, in das Gesicht der Majorin zu sehen, das ihm heute noch widerwärtiger war als bei seinem ersten Besuch. Es lag so wenig Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit in diesem Gesicht.

Wie er aus der Wohnung hinaus und wieder hinunter in seinen Wagen kam, das wußte er nicht. Er fuhr 91 davon, ziellos, nicht wissend, wohin, und fand sich nachher doch zur rechten Zeit vor dem Gerichtsgebäude ein, wo er seinen Herrn wieder erwarten sollte. Hier saß er dann stumm und starr auf seinem Führersitz und fragte sich, was das Leben jetzt noch für einen Wert für ihn hatte.

Am meisten bedrückten ihn die Worte der Majorin, daß Lonny einen anderen reichen Mann heiraten sollte. Wer war dieser Mann? Wen konnte diese kalte, herzlose Frau damit gemeint haben? Ihre Freundlichkeit hatte ihn nicht getäuscht; er fühlte, daß sie ihm feindlich gegenüberstand und daß ihre Sorge um Lonny nur einen egoistischen Grund hatte. Wen hatte sie gemeint?

Etwa Doktor Friesen? Lonny kam doch sonst mit keinem Menschen zusammen, das hatte sie ihm doch selbst gesagt. Also meinte die Mutter Doktor Friesen? Ja, er mußte es sein. Und da wurde ihm plötzlich das Herz leichter. Nein, Lonny heiratete nicht um Geld und Glanz, und ihre Augen logen nicht. Sie waren ihm holde Verräter gewesen, wie ihr Erröten und Erblassen, wenn er unerwartet vor ihr auftauchte. Lonny! Lonny! Sie wollen uns auseinanderreißen, und ich muß ihnen noch dazu helfen, weil ich dich nicht halten kann, nicht halten darf.

Das Herz war ihm so schwer. 92

 


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