Hedwig Courts-Mahler
Der Abschiedsbrief
Hedwig Courts-Mahler

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Lonny war am Abend mit strahlenden Augen nach Hause gekommen, war vor ihren Vater hingetreten und hatte gesagt:

»Lieber Papa, mir ist ein großes Glück widerfahren!«

Mit müden Augen sah er zu ihr auf.

»Ein großes Glück? Ach, Lonny, ich kann nicht mehr an das Glück glauben; heute hatte ich wieder so einen schweren Tag. Das wird ein schlechter Monat.«

Frau Hermine hatte gespannt in Lonnys leuchtendes Gesicht gesehen. Nun sagte sie hastig:

»Botho, so laß doch Lonny reden, du hörst ja, sie bringt ein großes Glück nach Hause – und ich ahne schon, hat sich Doktor Friesen endlich erklärt, Lonny?«

Diese war bei des Vaters Worten, die sich wie Mehltau auf ihre frohe Stimmung legten, ein wenig blaß geworden. Bei den Worten der Mutter aber schüttelte sie hastig den Kopf.

»Das wäre doch kein Glück für mich, Mama. Nein, nein. Es ist etwas anderes – ich habe in der Lotterie gewonnen, wir alle, die wir bei Doktor Friesen angestellt sind. Jeder von uns hat zehntausend Mark gewonnen. Ich habe euch gar nichts davon gesagt, daß ich mich an dem Los beteiligt habe, machte ich mir doch selbst Vorwürfe, daß ich das Geld dafür ausgegeben hatte; ich tat 115 es nur, weil unser Bürodiener mich so quälte. Aber nun hat es mir doch Glück gebracht.«

Der Major faßte Lonnys Hand.

»Welch eine Freude für dich, mein Kind! Ich wünsche dir von Herzen Glück!«

Frau Hermines Züge hatten erst eine leise Enttäuschung gezeigt; sie hätte natürlich lieber gehört, daß Lonny sich mit Doktor Friesen verlobt hätte. Aber nun glomm doch eine Gier in ihren Augen auf. »Zehntausend Mark, Lonny? Nun, immerhin ist auch das ein Glücksfall! Das wird uns wenigstens ein bißchen aus unserem Elend herausreißen«, stieß sie hervor.

Lonny fiel es schwer aufs Herz, daß die Stiefmutter das gewonnene Geld gleichsam mit Beschlag belegte. Unsicher sah sie zu ihrem Vater hinüber. Der aber ermannte sich, obwohl auch er zuerst daran gedacht hatte, wie gut er das Geld brauchen könne. Er sagte jetzt fest und energisch:

»Dies Geld gehört Lonny, und wir werden keinen Pfennig davon anrühren, Hermine. Lonny soll es auf die Bank legen, es wird einmal für ihre Aussteuer reichen, da ich ihr doch keine schaffen kann.«

Lonny küßte ihm die Hand, aber Frau Hermines Gesicht rötete sich.

»Aber Botho, Lonny wird doch nicht nur egoistisch an sich selbst denken. Zu einer Aussteuer braucht sie kaum die Hälfte dieser Summe, zumal sie doch nur einen reichen Mann heiraten wird. Doktor Friesen wird keine große Aussteuer von seiner Braut erwarten. Lonny ist doch ein gutes Kind. Wir brauchen das Geld wirklich sehr nötig, es muß so mancherlei angeschafft werden, wozu es nie gereicht hat. Jetzt muß es endlich einmal sein. Nicht wahr, Lonny, du wirst uns teilnehmen lassen, sag Papa, daß das ganz selbstverständlich ist.« 116

Lonny wurde das Herz noch viel schwerer. Sie wußte nicht, was sie sagen sollte, aber der Vater, der ihre Unschlüssigkeit merkte und dem jetzt plötzlich zum Bewußtsein kam, was für Opfer seine Tochter ihm schon gebracht hatte, richtete sich entschlossen auf.

»Das verhüte Gott, daß wir auch nur einen Pfennig von diesem Geld anrühren, Hermine. Sie hat wirklich schon mehr für uns getan, als wir hätten annehmen dürfen, wenn uns die Not nicht dazu gezwungen hätte. Aber weitere Opfer sollen ihr erspart werden, es bleibt dabei: dieses Geld legt Lonny für sich an. Man weiß nicht, was kommt.«

Lonny sah ihn dankbar an. Was eigentlich ganz selbstverständlich war, rechnete sie dem Vater hoch an. Aber sie dachte jetzt auch beklommen daran, was aus den Eltern werden sollte, wenn sie nicht mehr monatlich die reichliche Hälfte ihres Einkommens zur Verfügung stellen konnte. Zum ersten Mal wollte sie nur an sich selbst denken, weil mit ihrem Glück das des geliebten Mannes in Frage stand. Sie nahm des Vaters Hand in die ihre.

Es tat ihr doch wohl, daß er so für sie eintrat. Frau Hermine aber war sehr erbittert und an diesem Abend noch viel weniger liebenswürdig als sonst. Und Lonny wagte den Vater wegen Lutz nicht zu fragen. Sie fühlte, daß die Stiefmutter dann sofort ahnen würde, was kommen sollte, und daß sie strikt dagegen wäre. Es war besser, Lutz kam unangemeldet.

Und am anderen Tage flüsterte sie Lutz im Vorübergehen zu:

»Sonntag nachmittag wird Doktor Friesen wieder von seinem Freund abgeholt, und du wirst frei sein. Bitte, komm also am Sonntag, sobald du frei bist, zu den Eltern.« 117

Daß Doktor Friesen sich mit seinem Freund für den Sonntag verabredete, hatte sie durch ein Telefongespräch erfahren, das Doktor Friesen mit seiner zukünftigen Frau führte. Bis zum Sonntag würden noch einige Tage vergehen, und Lonny wollte sehen, wie sie den Vater ein wenig auf den Besuch von Lutz vorbereiten konnte.

Erst am Samstagabend, als die Stiefmutter in der Küche war, um mit Meta den Küchenzettel für den Sonntag zu besprechen, und sich so ein kurzes Alleinsein zwischen Vater und Tochter ergab, sagte Lonny, ihres Vaters Hand fassend:

»Papa, Lutz von Hennersberg hat auch mitgespielt, er hat auch zehntausend Mark gewonnen.«

Der alte Herr horchte auf und sah Lonny forschend an. Dann sagte er unsicher:

»So, so! Das freut mich für ihn. Mit zehntausend Mark kann er schon was anfangen. Ich denke, er wird dann seine Stellung als Chauffeur bei Doktor Friesen aufgeben.«

»Das denke ich auch; dafür kann er sich, wie er doch plante, schon ein sehr schönes Auto kaufen, vielleicht sogar zwei, wenn er gebrauchte kauft.«

»Hm! Kann ja sein, ich will's ihm wünschen. Aber – das geht uns im Grunde nichts an.«

Sie sah auf ihre Hände hinab.

»Nun, mich sollte es nicht wundern, wenn er dieser Tage zu dir kommen würde, um das mit dir zu besprechen.«

»Wie käme er denn dazu?«

»Du warst doch der beste Freund seines Vaters, und er hat niemand sonst auf der Welt.«

Es zuckte unbehaglich in seinem Gesicht. Es fiel ihm ein, daß Lonny ja nicht wissen konnte, daß er Lutz 118 gewissermaßen das Haus verboten hatte. Aber freilich – wenn er jetzt damit rechnete, daß er zehntausend Mark besaß und Lonny auch – da konnte es sein, daß er daraufhin eine Werbung um Lonny wagte. War es denn nicht möglich, daß die beiden jungen Menschen daraufhin ihr Glück aufbauen konnten? Es riß an seinem Herzen, als er in Lonnys flehende Augen sah. Und er stieß hastig hervor:

»Hm! Nun ja, es könnte doch wohl sein. Aber sprich nicht davon, wenn Mama dabei ist, hörst du, sie darf nichts davon ahnen.«

Schnell drückte sie ihre Lippen auf seine Hand.

»Nein, nein, Papa!«

»Es ist ja auch nur eine bloße Vermutung, ich glaube nicht, daß er kommen wird.«

»Aber, du wirst ihn nicht abweisen lassen – bedenk doch, sein Vater war dein Freund.«

»Ich werde ihn nicht abweisen lassen, aber er wird nicht kommen«, sagte er unsicher.

Lonny entgegnete nichts mehr, sie wußte nun, daß der Vater auf Lutz' Besuch vorbereitet sein würde. Alles andere mußte sich fügen. Der Major sah an diesem Abend seine Tochter einige Male forschend an. Und es fiel ihm auf, daß ihr Gesicht etwas schmaler und blasser geworden war in letzter Zeit. Das Herz tat ihm weh. Sollte sein blühendes Kind verwelken an einer unglücklichen Liebe? War es nicht möglich, daß dieser Lotteriegewinn den beiden jungen Menschen den Weg zum Glück ebnen würde?

Er sprach nicht darüber, aber als er später mit seiner Gattin im Schlafzimmer allein war, brachte er wie zufällig die Rede darauf.

»Was meinst du, Hermine, ob man jetzt nicht doch in eine Verbindung zwischen Lonny und Lutz 119 Hennersberg willigen könnte? Er hat auch zehntausend Mark gewonnen, und mir scheint doch, daß Lonny sehr an ihm hängt.«

Frau Hermine fuhr empört nach ihm herum.

»Bist du denn von Sinnen, Botho? Was denkst du dir, was sind denn zwanzigtausend Mark? Du mußt bedenken, daß Lonnys Gehalt fortfallen würde, wenn sie heiraten wollten. Und was soll dann aus uns werden? Wir können doch nicht von deiner kleinen Pension und dem Wenigen leben, was du verdienst, und die beiden hätten dann genug mit sich selber zu tun; es wäre ausgeschlossen, daß sie uns etwas abgeben könnten. Verrenne dich nicht wieder in diese Sache; wenn Lonny heiraten will, kann sie nur einen reichen Mann nehmen, sonst gehen wir alle zugrunde.«

Uns sie redete so heftig und nervös auf ihren Mann ein, daß er ganz eingeschüchtert wurde und klein beigab. Die eigene Lebensnot ließ ihm die Herzensnot seiner Tochter wieder klein erscheinen. Seine Frau hatte ja recht, wenn Lonny einen armen Mann heiratete, war für ihn und seine Frau das Elend da.

 

Lonny hatte keine Ahnung, daß die Stiefmutter sich abermals vernichtend in ihr Glück eingemischt hatte. Sie verbrachte den Sonntag mit der Anfertigung eines neuen Kleides und verließ ihr Zimmer nur während der Mahlzeiten.

Gegen sechs Uhr war sie mit ihrer Arbeit fertig und legte das hübsche Kleid, das sie sich gearbeitet hatte, gleich an. Sie wollte festlich aussehen, wenn Lutz kam und um ihre Hand anhielt. Damit der Stiefmutter nicht auffiel, daß sie sich so geschmückt hatte, ging sie hinüber zu ihr, um ihr das neue Kleid zu zeigen. 120

»Wie gefällt es dir, Mama, ich bin eben fertig geworden.«

Frau Hermine prüfte das Kleid. Sie mochte es gern, wenn Lonny gut aussah, konnte sie doch nur dann auf einen Mann wie Doktor Friesen wirken.

»Reizend ist das Kleid geworden, Lonny, du hast wirklich viel Geschick und einen auserlesenen Geschmack. Vielleicht hättest du als Modistin noch mehr Geld verdienen können denn als Sekretärin bei Doktor Friesen; aber eine Modistin hat noch weniger Aussichten, in die gute Gesellschaft hineinzuheiraten. Du solltest das Kleid einmal ins Büro anziehen.«

»Aber Mama, dazu ist es doch zu unpraktisch.«

»Mein Gott, Lonny, du bist manchmal zu schwerfällig. Du müßtest natürlich sagen, daß du am Abend vom Büro aus gleich ins Theater gehen wolltest, das würde das festliche Kleid erklären, und die Hauptsache wäre doch, daß Doktor Friesen dich darin sehen würde. Mancher Mann ist schon mit einem hübschen Kleid erobert worden.«

Lonny wollte sich, wie gewöhnlich, gegen solche Ratschläge zur Wehr setzen, aber sie sagte sich, daß die Mutter ja ohnedies bald erfahren würde, daß ihr Traum mit Doktor Friesen ausgeträumt sein mußte. Sie erwiderte nichts, zumal in diesem Augenblick die Flurklingel anschlug. Und gleich darauf brachte Meta, wie beim ersten Mal, Lutz Hennersbergs Visitenkarte. Die Majorin griff hastig danach.

»Das ist ja unerhört, Botho – Hennersberg will uns einen Besuch machen; das ist doch wider die Abrede. Wir empfangen ihn natürlich nicht.«

Der Major sah unsicher von einer der Damen zur andern. Lonny hob bittend und beschwörend die Hände.

»Papa, Meta hat schon gesagt, daß wir zu Hause 121 sind; es wäre eine Beleidigung, wolltest du Herrn von Hennersberg abweisen lassen. Sicher hat er doch eine wichtige Veranlassung zu diesem Besuch, sonst wäre er nicht gekommen. Meta, führen Sie Herrn von Hennersberg gleich hier herein ins Wohnzimmer.«

So nahm Lonny dem Vater die Entscheidung aus der Hand, und Meta war hinaus, ehe die Majorin einen Einspruch erheben konnte. Gleich darauf stand Lutz auf der Schwelle.

»Ich bitte um Verzeihung, meine verehrten Herrschaften, wenn ich störe, aber eine Sache von Wichtigkeit führt mich hierher, und Sie werden mir verzeihen, daß ich gegen Ihren Wunsch komme.«

Lonny hatte sich erhoben und kam ihm entgegen. Sie reichte ihm die Hand.

»Guten Abend, Herr von Hennersberg. Sie stören gewiß nicht, und wir freuen uns, Sie endlich einmal wiederzusehen«, sagte sie tapfer.

Er führte ihre Hand, die er mit warmem Druck umschlossen hatte, an seine Lippen. Dann begrüßte er den Major und seine Gattin. Der Major sah verlegen aus, und Frau Hermine zeigte eine eisige Kälte. Sie reichte dem Besucher nicht einmal die Hand. Lutz übersah das als unwichtig für ihn, er ließ sich auch nicht durch die Unsicherheit des Majors aus der Fassung bringen; seine Augen leuchteten nur in die Lonnys, und dann sagte er, sich vor dem Major verneigend:

»Ich will mich kurz fassen, Herr Major. Als ich das letztemal hier vor Ihnen stand, gab ich Ihnen ein Versprechen. Ich gab es unter anderen Verhältnissen, als sie heute eingetreten sind. Ein seltener Glücksfall hat meine Verhältnisse gebessert, und auch Ihr Fräulein Tochter ist von diesem Glücksfall betroffen worden. Wir haben beide in der Lotterie gewonnen und sind 122 dadurch in die Lage versetzt worden, uns eine, wenn auch bescheidene Existenz gründen zu können. Ich werde meine Stellung als Chauffeur Doktor Friesens aufgeben und mich selbständig machen. Und so bitte ich Sie herzlich und inständig um die Hand Ihrer Tochter Lonny. Wir lieben uns beide von ganzem Herzen und sind gewillt, alles miteinander zu tragen, Freud und Leid, wie es das Schicksal will. Ich bitte Sie, zeigen Sie sich mir als der Freund meines Vaters und geben Sie uns Ihre Einwilligung zu unserem Bund.«

Der Major war so, wie es Lutz beabsichtigt hatte, völlig überrumpelt. Hätte seine Gattin ihn gestern abend nicht so gründlich bearbeitet, dann wäre er wohl nicht imstande gewesen, seine Einwilligung zu versagen. So aber wußte er nicht, was er erwidern sollte. Auch jetzt noch hätte er sehr gern das Schicksal seiner Tochter in Lutz Hennersbergs Hände gelegt, aber der drohende Blick seiner kampfbereiten Gattin schüchterte ihn ein. Er hatte noch nicht vergessen, was für Schrecknisse sie ihm gestern abend ausgemalt hatte, wenn eine solche Verbindung zustande kommen würde. Und unter der Nachwirkung dieser Predigt und unter dem Zwang, den der Blick seiner Frau auf ihn ausübte, sagte er, sich zur Festigkeit zwingend:

»Sie bringen mich in eine sehr schwierige Lage, Herr von Hennersberg, die Sie mir hätten ersparen sollen. Er tut mir leid, Ihnen die Hand meiner Tochter verweigern zu müssen. Sie sehen die Verhältnisse von einer sehr rosigen Seite an. Was hat sich viel daran geändert? Sie werden ein Kapital von zehntausend Mark besitzen, das gleiche wird allerdings meine Tochter ausbezahlt bekommen. Aber – Sie müßten Ihre immerhin gutbezahlte Stellung aufgeben, und meine Tochter die ihre auch. Ehe Sie sich mit dem Geld eine Existenz 123 gründen können, wird der Teil, der auf meine Tochter fällt und der zur Hälfte doch sicher durch eine bescheidene Aussteuer aufgebraucht wird, schon kaum mehr existieren. Ich selbst bin durchaus nicht in der Lage, meiner Tochter eine Aussteuer zu schaffen – im Gegenteil, ich bin auf den Zuschuß angewiesen, den meine Tochter zum Haushalt beigetragen hat. Meine Geschäfte verschlechtern sich von Tag zu Tag. Wo also sind die Aussichten, die Sie berechtigen, an die Gründung einer Familie zu gehen?«

Lutz war sehr blaß geworden – vielleicht, weil er dem Major nicht ganz unrecht geben konnte. Aber er sagte, als Lonny jetzt unwillkürlich an seine Seite trat und ihn mutig und zuversichtlich anstrahlte:

»Sie vergessen, Herr Major, daß wir beide jung sind und daß wir jetzt immerhin eine Grundlage haben. Ich habe mich schon erkundigt, ich kann jetzt zwei schöne, guterhaltene Wagen durch Zufall sehr billig kaufen, für elftausend Mark. Außer den gewonnenen zehntausend Mark habe ich mir neunhundert Mark gespart, die fehlenden hundert Mark kann ich am Ersten von meinem Gehalt dazulegen. Ich werde den einen Wagen selber fahren, mein Verdienst fängt sofort an, wenn ich meine Stellung bei Doktor Friesen aufgebe. Für den anderen Wagen nehme ich einen Führer, und auch der wird mir, wenn auch nicht so viel wie bei eigener Führung, etwas einbringen. Das wird reichlich für unsere bescheidenen Ansprüche genügen; ich hoffe, mit der Zeit noch Ersparungen zu machen, um einen weiteren Wagen kaufen zu können. Wir werden schon vorwärtskommen. Die zehntausend Mark, die Ihr Fräulein Tochter gewonnen hat, kann sie zur Aussteuer benützen, und was übrig bleibt, als Notgroschen für sich zurücklegen. Und es wird mir dann auch vergönnt sein, 124 Sie für den Ausfall zu entschädigen. Vertrauen Sie doch bitte meinem Mut, meiner Kraft; es wird schon alles gutgehen.«

»Oder auch nicht!« rief die Majorin mit greller Stimme dazwischen. »Malen sie meinem Mann doch nicht Potemkinsche Dörfer vor! Das sind ja alles Phantasiegebilde! In was für ein jammervolles Leben wollen Sie Lonny hineinreißen? Ist das Ihre vielgerühmte Liebe? Halten Sie so Ihr Versprechen, ihre Herzensruhe nicht zu stören? Wenn hier niemand weiter den Verstand behält, muß ich es tun. Was soll aus uns allen werden, wenn Ihre Pläne ins Wasser fallen, wenn Sie nicht genug Geld verdienen, um den Unterhalt für zwei Familien zu schaffen – jawohl, für zwei; denn was mein Mann verdienen kann, ist nicht das Salz auf das Brot. Ich sehe in Ihrer Werbung nichts als einen sträflichen Leichtsinn und hoffe, daß mein Mann Energie genug hat, diesen Leichtsinn nicht noch zu unterstützen. So, Botho, nun sprich du ein Machtwort!«

Aufatmend schwieg die erregte Frau und sah ihren Gatten mit strengen, beschwörenden Blicken an.

Der Major reckte sich in den Schultern, als müsse er sich Mut machen. Und dann sagte er, schroffer, als er selbst wollte:

»Ich kann mich den Ausführungen meiner Frau nur voll und ganz anschließen. So leid es mir tut, Sie geben mir keine genügenden Garantien für die Zukunft meiner Tochter, und deshalb muß ich Ihren Antrag abweisen.«

Lonny trat leichenblaß vor den Vater hin.

»Papa, es geht um mein Glück!« rief sie flehend.

Der Vater machte eine abweisende Handbewegung, sich an seinem Mut selber stärkend.

»Mein liebes Kind, du mußt mir schon glauben, wenn ich dir sage, daß ich kein Glück für dich in dieser 125 Verbindung sehe. Not und Elend würde das Ende sein, wenn ich schwach werden wollte. Ich bedaure am meisten, daß ich dir deinen Herzenswunsch nicht erfüllen kann.«

Lutz stand bleich, mit brennenden Augen und zuckendem Gesicht.

»Ist das Ihr letztes Wort, Herr Major?«

»Ja, es ist mein letzes Wort. Nun machen Sie bitte dieser Szene ein Ende.«

Lonny faßte mit krampfhaftem Druck Lutz Hennersbergs Hand.

»Lutz, was auch kommen mag, ich warte auf dich und bleibe dir treu«, sagte sie.

Er zog ihre Hand an seine Lippen, sah sie mit großen, ernsten Augen an und sagte weich und zärtlich:

»Verzage nicht, Lonny, ich werde alles daransetzen, mir eine Lebensstellung zu gründen, die deinem Vater genügend Garantien für deine Zukunft geben wird. Gott mit dir, bis wir uns wiedersehen dürfen.«

Sie sahen sich fest und innig in die Augen, und ihre Hände umschlossen sich mit warmem Druck. Dann verbeugte sich Lutz vor dem Major und seiner Gattin – und ging davon.

Frau Hermine wollte mit einer Flut von Vorwürfen über Lonny herfallen, doch ihr Gatte hob gebietend die Hand.

»Kein Wort des Vorwurfs für Lonny. Es ist mir schwer genug geworden, Hennersberg abzuweisen. Lonny wird selbst einsehen lernen, daß ich nur ihr Bestes gewollt habe. Jede Kränkung ihrerseits wäre jetzt eine Grausamkeit. Sie wird sich ins Unabänderliche fügen müssen.«

Lonny hatte ihre Stiefmutter nur groß angesehen. Nun trat sie zu dem Vater und faßte seine Hand. 126

»Es kam dir nicht aus dem Herzen, Vater, und – vielleicht glaubtest du wirklich, nur deine Pflicht zu tun. Aber ich gebe dir mein Wort, nie werde ich einem andern Mann angehören als Lutz Hennersberg.«

»Du bist von Sinnen, Lonny! Ein Mädchen, das einen Freier haben kann wie Doktor Friesen und das sich verplempern will an so einen armseligen Habenichts, das muß von Sinnen sein. Von Verliebtheit wird man nicht satt!« zeterte Frau Hermine erregt und wütend, daß ihr Plan mit Doktor Friesen nicht glücken wollte.

Lonny wandte sich mit blassem Gesicht nach ihr um.

»Du kannst mich nach deiner Wesensart nicht verstehen, Mama, kannst dich nicht in meine Seele hineinversetzen. Ich würde lieber mit Lutz Hennersberg hungern, als mit einem andern Mann, wer es auch sei, in Glanz und Luxus zu leben. Gib die Hoffnung endgültig auf, daß ich jemals einen reichen Mann heiraten werde, wenn er nicht Lutz Hennersberg heißt. Und was Doktor Friesen anbelangt – ich sollte noch nicht darüber sprechen, aber ich muß dir endlich klarmachen, daß du dich da in eine ganz unsinnige Idee verrannt hast, Doktor Friesen ist bereits verlobt, wenn diese Verlobung auch erst in einiger Zeit bekannt wird. Bitte, behandle das aber diskret; es soll, wie gesagt, noch nicht bekanntwerden.«

Frau Hermine starrte fassungslos in Lonnys blasses Gesicht. Dann lachte sie grell und nervös auf.

»Ah, so lange hast du also meine Ratschläge in den Wind geschlagen, bis ihn dir eine andere vor der Nase weggeschnappt hat! Du bist ein törichtes, überspanntes Geschöpf. Nun sitzen wir ohne Aussicht auf Hilfe im Elend. Nie wieder wird dir so eine günstige Gelegenheit geboten, eine glänzende Partie zu machen. 127 Wärest du meinen Ratschlägen gefolgt, dann wären wir jetzt aus aller Not, aber du hast nur an deine Verliebtheit mit dem Chauffeur gedacht, statt dir seinen Herrn zu erobern.«

»Sprich nicht von Verliebtheit, Mama; ich bin nicht verliebt, ich liebe Lutz Hennersberg.«

Wieder lachte Frau Hermine grell auf.

»Ein albernes dummes Ding bist du, das aller Vernunft Hohn spricht. Ich habe mein möglichstes getan, ich wasche meine Hände in Unschuld, wenn wir nun alle im Elend verkommen.«

Und mit diesem dramatischen Ausspruch verließ Frau Hermine das Zimmer und schlug die Türe recht unsanft in das Schloß.

Lonny blieb mit dem Vater allein. Sie schwiegen beide. Was hätten sie sich auch noch zu sagen gehabt? Der Major verschanzte sich freilich hinter dem Bewußtsein, daß er nur seine Pflicht getan hatte, aber ganz still in seinem Herzen sprach eine Stimme zu ihm: »Du hast mehr an dich gedacht als an dein Kind.« Nach einer Weile zog er sich zurück, und auch Lonny suchte ihr Zimmer auf.

Sie war so niedergeschlagen, daß sie müde in einen Sessel fiel und lange vor sich hinstarrte. Und ihr wollte nun auch scheinen, als sei der Glücksfall mit der Lotterie doch nicht groß genug gewesen, um ihr eine glückliche Vereinigung mit dem Geliebten zu ermöglichen. Zum ersten Mal fühlte sie die Verpflichtung, auch für den Vater mitsorgen zu müssen, als eine schwere Last. Denn, so sagte sie sich, daran war ja schließlich ihr Glück gescheitert. Für sie und Lutz hätte gereicht, was er verdienen würde; aber – konnte sie Lutz zumuten, auch noch für die Eltern zu sorgen? Würde sich diese Verpflichtung nicht wie eine Last an ihn hängen, 128 die ihm den Aufstieg erschwerte oder vielleicht gar unmöglich machte? Sollte sie Lutz nicht lieber freigeben?

Und sie setzte sich nieder und schrieb ihm alles, was ihre Seele bedrückte, schrieb ihm, daß es besser sei, wenn er sie aufgebe.

»Ich sehe ein, Lutz, daß ich Dich freigeben muß, Du darfst nicht belastet werden mit der Sorge um eine ganze Familie. Ich habe das nicht bedacht, es ist mir erst klar geworden bei den Worten meines Vaters. Ich weiß, er hat selber darunter gelitten, daß er uns trennen mußte, und er hat doch wohl auch gefühlt, daß man Dir diese Last nicht aufbürden darf. Ich liebe Dich zu sehr, um zugeben zu können, daß Du Dich zermürbst mit solchen Sorgen. Allein wirst Du schnell vorwärtskommen. Das Herz tut mir weh, weil ich Dir das schreiben muß, aber ich bin in einer so elenden, verzagten Stimmung nach der Hoffnungsfreudigkeit der letzten Tage, daß ich ganz zerbrochen bin. Du bist frei, Lutz, ich will Dich nicht halten. Gott mit Dir, Lutz – alles Glück mit Dir

Deine verzagte Lonny«

Diesen Brief machte sie gleich fertig und trug ihn noch hinunter in den Briefkasten. Sie fürchtete, daß sie am anderen Morgen nicht mehr den Mut haben würde, ihn fortzuschicken; es mußte gleich geschehen. Als der Brief in den Kasten fiel, klopfte ihr das Herz bis zum Hals. Ihr war, als müsse sie ihn wieder herausholen.

Langsam ging sie nach Hause zurück. Und als sie dann müde und zerschlagen in ihrem Bett lag, da dachte sie: »Lutz wird mich schelten, aber er wird nicht daran denken, die Freiheit anzunehmen, die ich ihm biete. Aber ich habe dann wenigstens meine Pflicht getan 129 und ihn darauf aufmerksam gemacht, daß er eine Last auf sich nimmt, wenn er sich an mich bindet.«

Sie war jedenfalls so verzagt und von quälenden Gedanken hin und her gerissen, daß sie lange nicht einschlafen konnte. 130

 


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