Hedwig Courts-Mahler
Der Abschiedsbrief
Hedwig Courts-Mahler

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Es war einige Wochen später an einem Sonntagnachmittag. Die Natur war schon ganz herbstlich geworden, aber die Sonne schien noch sehr warm herab, und der Himmel zeigte die intensive Bläue klarer Herbsttage.

Doktor Friesen hatte seinen Chauffeur an diesem Sonntag beurlaubt. Ein Freund hatte ihn in seinem Auto abgeholt, um mit ihm zum Landgut seiner Eltern zu fahren. Das geschah in letzter Zeit zuweilen, und so kam Lutz Hennersberg jetzt öfter einmal zu einem freien Sonntag. Er hatte sich schon am Vormittag zu einem längeren Spaziergang aufgemacht, hatte draußen irgendwo einen Imbiß genommen und war nun auf dem Heimweg. Einsam wie immer schritt er am Ufer des Wannsees dahin. Auf dem Wasser wurde noch fleißig Sport getrieben, Ruder- und Segelboote glitten dahin, und auf manchem dieser Boote war lustige Gesellschaft, man hörte Lachen und Singen herüberschallen. Auch ein vollbesetzter Dampfer fuhr vorüber. Dies alles nahm Lutz mit offenen Augen wahr, und ein Lächeln huschte über sein ernstes Gesicht, als ein paar junge Leute, die dicht an ihm vorüberfuhren, ihm Scherzworte zuriefen.

Dies Lächeln war noch nicht ganz wieder verschwunden, als er, um eine Gebüschgruppe herum in einen 37 Nebenweg einbiegend, plötzlich eine junge Dame herankommen sah, bei deren Anblick er heftig erschrak. Er erkannte sofort Lonny Straßmann.

Sie trug ein sehr hübsches und elegantes Herbstkomplet, dem man nicht anmerkte, daß es nicht in einem namhaften Modeatelier, sondern unter Lonnys eigenen, sehr geschickten Händen entstanden war. Sie sah sehr vornehm aus.

Lonny hatte mit ihren Eltern, durch das schöne Wetter verlockt, einen kleinen Sonntagsausflug zum Wannsee unternommen; ihre Eltern hatten sich in einem Lokal niedergelassen, um eine Tasse Kaffee zu trinken, und Lonny hatte um Erlaubnis gebeten, einen Spaziergang am Seeufer entlang machen zu dürfen. Sie wollte später wieder mit den Eltern zusammentreffen. Da es sonntags um den See sehr belebt war, hatte der Vater es gestattet.

In dem gutgekleideten, schlanken Mann, der ihr jetzt begegnete und einen grauen Zivilanzug, einen weiten Paletot und grauen Filzhut trug, erkannte sie nicht gleich den Chauffeur Hennersberg, den sie bisher immer nur in seinem ledernen Fahranzug gesehen hatte. Sie wäre fast an ihm vorübergegangen, ohne ihn zu erkennen, wenn er nicht nach dem Hut gegriffen hätte, um sie zu grüßen. Denn es war nicht ihre Art, fremden Herren forschend ins Gesicht zu sehen. Nun aber sah sie zu ihm auf und zuckte leicht zusammen. War dieser vornehm und elegant wirkende Mann wirklich der Chauffeur Hennersberg?

Unwillkürlich verhielt sie ihren Schritt und wußte nicht, was sie tun sollte. Ihr Gesicht war von einer jähen Röte bedeckt, und ihre Augen blickten unsicher und verwirrt zu ihm auf. Sollte sie schweigend an ihm vorübergehen oder ein paar Worte mit ihm sprechen? 38

Sie entschloß sich zu letzterem, es hätte unfreundlich ausgesehen, wenn sie stumm an ihm vorübergegangen wäre.

Er hatte nicht gewagt, sie anzusprechen, aber als sie nun mit einem scheuen Lächeln zu ihm aufsah und ihn ansprach, leuchteten seine stahlblauen Augen auf.

»Sind Sie das wirklich, Herr Hennersberg?«

»Ja, mein gnädiges Fräulein.«

»Ich hätte Sie fast nicht erkannt.«

»Ich habe heute einen freien Tag; Herr Doktor Friesen ist von seinem Freund schon heute morgen im Auto abgeholt worden und mit ihm über Land gefahren.«

»Ach richtig, er sprach mit mir gestern davon, daß er wieder nach Bernau fährt.«

»So ist es, er fährt jetzt zuweilen dorthin, was mir immer einen freien Sonntag einbringt.«

»Der Ihnen sehr zu gönnen ist; ich weiß, daß Sie nicht viel freie Zeit haben.«

»Deshalb habe ich auch den schönen Tag zu einem ausgedehnten Spaziergang benützt.«

»Das ist recht! Auch mich lockte das schöne Wetter, ein Stück am Seeufer zu Fuß zu gehen. Meine Eltern sitzen bei ›Schultheiß‹ und trinken ihren Nachmittagskaffee. Sie warten dort, bis ich zurückkomme. Papa ist nicht fürs Laufen, er muß in seinem jetzigen Beruf so viel herumlaufen, daß er sonntags seine Ruhe haben will. Es ist auch sehr selten, daß wir solch einen Ausflug machen.«

»Sie sollten aber nicht so allein gehen, mein gnädiges Fräulein, ich sah heute schon verschiedene angetrunkene Menschen. Bedenken Sie, wenn Ihnen solch ein Mensch begegnen würde.«

Das klang so besorgt, daß sie gleich wieder zu ihrem Leidwesen sehr rot wurde. 39

»Daran habe ich gar nicht gedacht«, sagte sie erschrocken.

Er zögerte eine Weile, aber der Wunsch, sie ein Stück zu begleiten, wurde so mächtig in ihm, daß er entschlossen sagte:

»Wenn Sie mir gestatten, begleite ich Sie auf Ihrem Weg. Nur, damit Sie nicht schutzlos sind. Sie dürfen mir das nicht als Anmaßung auslegen. Ich möchte Sie nur vor etwaigen Belästigungen schützen.«

Das Herz klopfte Lonny bis zum Hals hinauf. In seiner Art lag eine so selbstverständliche Ritterlichkeit, daß sie nicht anders konnte, als seine Begleitung anzunehmen.

So wandte er sich um und ging mit ihr weiter, glückselig, ihre Nähe genießen zu können. Sie sprachen eine ganze Weile nichts, mußten sich beide erst ein wenig fassen. Endlich ergriff Lonny das Wort.

»Da uns ein Zufall hier zusammengeführt hat, Herr Hennersberg, möchte ich wohl einmal eine Frage an Sie richten. Wenn Sie dieselbe nicht beantworten wollen, brauchen Sie es nicht zu tun. Es ist nicht Neugier, die mich zu dieser Frage treibt.«

»Bitte, fragen Sie, mein gnädiges Fräulein, und ich werde Ihnen gern antworten.«

»Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, Chauffeur zu werden? Es ist ganz sicher nicht der Beruf, für den Sie erzogen wurden.«

Mit einem brennenden Blick sah er auf sie nieder. Es zuckte leise in seinem Gesicht.

»Die Not trieb mich dazu – und die Umwertung aller Dinge in Deutschland«, sagte er heiser vor unterdrückter Erregung.

Sie atmete schnell.

»Oh, ich dachte es mir. Und ich kann Ihnen so gut 40 nachfühlen, wie quälend es für Sie sein muß, daß Sie aus angestammten Verhältnissen gedrängt wurden. Erlebe ich doch ähnliches täglich an meinem armen Vater. Nicht wahr – Sie waren auch Offizier?«

»Nur im Krieg, mein gnädiges Fräulein. Obwohl ich aus einer alten Soldatenfamilie stamme, hatte ich nicht Lust, Soldat zu werden. Mein Vater war Offizier – er fiel im Krieg als Oberst. Er hätte es gern gesehen, wenn ich auch Offizier geworden wäre, aber dieser Beruf lag mir nicht. So brachte mein Vater das Opfer, mir die Erlaubnis zu geben, daß ich nach dem Abitur die Hochschule besuchte. Ich wollte Maschinen bauen, das lockte mich. Aber ich hatte erst das dritte Semester angefangen, als ich an die Front mußte, und bis zum Ende des Krieges war ich Offizier. Im dritten Kriegsjahr fiel mein Vater bei einem Fliegerangriff, und meine Mutter erlag einem Herzschlag, als sie die Kunde von seinem Tod bekam.«

Erschrocken sah sie in sein blasses Gesicht.

»Oh, nun habe ich durch meine Fragen trübe Erinnerungen in Ihnen geweckt, verzeihen Sie mir.«

Ein schwaches Lächeln spielte um seinen Mund.

»Wenn Sie wüßten, was für eine Wohltat es mir ist, daß ich einmal darüber sprechen kann. Ich stehe ganz allein im Leben, habe keinen Verkehr, seit ich – Chauffeur wurde. Es mußte sein. Meines Vaters geringe Hinterlassenschaft reicht gerade dazu aus, mancherlei Schulden zu bezahlen, die er ebenfalls hinterlassen hatte, obwohl meine Eltern kein luxuriöses Leben führten. Was der Vater verdiente, wollte nie ausreichen zu einer standesgemäßen Lebensführung. Ich versuchte trotzdem, mit dem Rest meiner Habe nach dem Krieg das Studium wieder aufzunehmen, und quälte mich noch durch weitere zwei Semester. 41

Aber dann kam die Inflation. Ich mußte mein Studium aufgeben, tat es schließlich aus den vernünftigen Erwägungen heraus, daß ich auch als Ingenieur jahrelang noch für ein sehr geringes Gehalt würde arbeiten müssen, wenn ich überhaupt bei der Überfüllung eine Stellung bekommen hätte.

Ich versuchte alles mögliche, um mich über Wasser zu halten, aber überall war ein Überangebot von Arbeitskräften. Es mißglückte alles. Und – so wurde ich schließlich Chauffeur. Da ich den Führerschein hatte und mit Motoren umzugehen wußte, bekam ich schnell eine Stellung. Die erste Anstellung bei einem protzigen Neureichen war für mich mit tausend Qualen angefüllt – ich hielt es schließlich nicht mehr aus. Aber dann engagierte mich Doktor Friesen. Bei ihm habe ich eine gute Stellung gefunden. Wenn ich auch wenig freie Zeit habe, so werde ich doch gut bezahlt, habe eine anständige, wenn auch bescheidene Wohnung, in der ich mich leidlich wohl fühle und zuweilen wenigstens das Gefühl habe, ein freier Mann zu sein.

Zuweilen träume ich davon, in dieser Stellung zu bleiben, bis ich mir eine kleine Summe gespart habe, mit der ich mir eine bessere Existenz gründen kann. Ob ich dann mein Studium doch noch vollenden oder auf andere Weise versuchen werde, wieder emporzukommen, weiß ich noch nicht, das alles liegt ja noch in weiter Ferne. Aber – verzeihen Sie mir, daß ich so weitschweifig geworden bin, das alles kann Sie kaum interessieren.«

Sie sah mit einem unbeherrschten, warmen und mitleidigen Blick zu ihm auf.

»Weiß Doktor Friesen um Ihre Vergangenheit?«

»Nein, er weiß nur, daß ich Chauffeur bin. Ich bekam von dem Neureichen wenigstens ein sehr gutes 42 Zeugnis, und auf dies Zeugnis hin nahm er mich an, ohne mich weiter auszufragen.«

Sie lächelte leise.

»Er ist ein guter Menschenkenner und wußte, daß er sich auf Sie würde verlassen können; ich höre sehr oft von ihm Lobsprüche über seinen überaus tüchtigen Chauffeur. Aber unser Bürodiener Zörner macht sich Kopfschmerzen über Sie. Er schwankt, ob er Sie für einen ›Jrafen‹ halten soll oder . . .«

Sie brach lachend ab.

». . . oder?« fragte er, entzückt in ihr lachendes Gesicht sehend.

»Nein, ich will Ihnen lieber nicht sagen, was für Vermutungen ein elegantes Zigarettenetui in Ihrem Besitz in ihm geweckt hat.«

»Ach so! Ich war unvorsichtig, als er mich um eine Zigarette bat, und reichte ihm mein Etui. Und da hat er die darin gravierte Freiherrnkrone gesehen. Ich heiße in Wahrheit Freiherr Lutz von Hennersberg, aber den ›Freiherr‹ und das ›von‹ habe ich seit Beendigung des Krieges gestrichen, das gehört nicht mehr in die neue Zeit und ist nur überflüssiger Ballast für mich. Ich möchte Sie auch bitten, nicht darüber zu sprechen.«

Sie sah tiefbewegt in seine Augen.

»Ich bewundere Sie, daß Sie mit alledem so ruhig fertig geworden sind!«

Es zuckte um seinen ausdrucksvollen, schmallippigen Mund.

»Ruhig? Nun, manchmal ging es sehr stürmisch zu in meinem Innern. Aber es gibt etwas, dem sich der stärkste Mann fügen muß – das ist die zwingende Notwendigkeit. Der Hunger zwingt uns schließlich doch, wenn man nicht feige ein Ende machen will. Und das wollte 43 ich nie. Mancher an meiner Stelle hat es getan; ich bin nie soweit entmutigt gewesen. Bin es auch jetzt nicht. Irgendwie werde ich das Leben schon noch zwingen.«

Erschrocken hatte sie ihn angesehen, nun atmete sie auf und sah ihn an.

»Nein, so etwas konnten Sie nicht tun; ein Mann braucht nicht zu verzweifeln, solange er gesund ist und arbeiten kann.«

Ein Lächeln huschte um seinen Mund.

»Das sagte ich mir auch«, meinte er, und sein Gesicht wurde durch dies Lächeln seltsam verklärt.

Wieder gingen sie eine Weile schweigend nebeneinander her, jeder in seine Gedanken eingesponnen. Lonny mußte darüber nachdenken, daß neben ihr ein Freiherr Lutz von Hennersberg ging, der Sohn eines Oberst.

Sie bewunderte ihn, und ein heißer, brennender Wunsch stieg in ihr auf, ihm zu helfen. Ach, daß sie selbst so arm war! Aber wenn sie auch reich gewesen wäre, dieser Mann nahm keine Hilfe an von einer Frau. Der biß sich selber durch. Und aus diesem Gedanken heraus sagte sie warm und herzlich:

»Ich will Ihnen wünschen, daß Sie Ihr Ziel erreichen. Und ich glaube auch, daß es Ihnen auf irgendeine Weise gelingen wird.«

Seine Augen hingen an den ihren. Wenn sie geahnt hätte, wie glücklich ihn ihre Worte machten.

»Ich danke Ihnen, mein gnädiges Fräulein, daß Sie mir so viel Teilnahme erweisen. Vorläufig geht es mir ja nicht schlecht, ich verdiene mehr, als ich als Ingenieur jetzt verdienen würde, und genieße in Doktor Friesens Hause manche Vergünstigung. Alle Leute sind bei ihm gut gehalten.«

»Ja, er ist ein guter, edler Mensch«, sagte sie warm. 44

Da blitzte es wieder wie Eifersucht in ihm auf.

Aber er sagte nur:

»Ich kenne ihn zu wenig, sein Verkehr mit mir beschränkt sich auf seine Befehle, denen ich nachzukommen habe. Aber Sie sind oft und viel in seiner Gesellschaft und müssen ihn besser kennen als ich.«

Unbefangen sah sie ihn an.

»Ja, wir arbeiten oft stundenlang zusammen, und ich staune über seine Geistesschärfe, über seine schnelle Entschlußkraft und über seine Geistesgegenwart. Es ist unbedingt einer unserer tüchtigsten Rechtsanwälte. Wenn ich eine Klage zu führen hätte, nur ihn würde ich zu meinem Anwalt wählen. Und dabei ist er menschlich gut, ohne jede Einbildung, und von vornehmer Gesinnung.«

Er atmete schwer. Brennend neidete er seinem Herrn dieses Lob von ihrer Seite. Aber er war doch zu gerecht, um nicht hinzuzufügen:

»Alle seine Untergebenen halten viel von ihm. Ich bin sehr erstaunt, daß er noch unverheiratet ist. Sicher hat er doch die Auswahl unter den Frauen.«

Lonny lachte unbefangen.

»Ach, er hat ja gar keine Zeit, sich eine Frau zu suchen, und wenn ihm nicht einmal zufällig eine in den Weg läuft, wird er sicher als Junggeselle sterben.«

Ihre Unbefangenheit tat ihm wohl.

»Meinen Sie?«

»Ganz gewiß! Aber vielleicht findet er in Bernau eine Frau«, sagte sie mit einem Schelmenlächeln.

»Ist dazu Aussicht vorhanden?« fragte er hastig.

Sie hob abwehrend die Hand.

»Man darf nicht davon sprechen, sonst wird nichts draus. In letzter Zeit habe ich so meine kleinen Beobachtungen gemacht. Er hat freilich kein Glück bei 45 Frauen nach meinem Dafürhalten – und ich könnte mir auch gar nicht denken, daß sich eine Frau in ihn verliebt.«

Ihm wurde ganz leicht ums Herz.

»Nein?«

»Gewiß nicht. Er hat so gar nichts, was eine Frau bestricken könnte, immer denkt er nur an seine Arbeit. Und ein Adonis ist er auch nicht!«

»Aber er ist sehr reich, er könnte einer Frau ein Leben in Glanz und Luxus bieten«, warf Hennersberg ein.

»Freilich, wenn sich eine Frau damit begnügt. Wenn ihn eine Frau übrigens näher kennenlernen würde, dann würde sie wohl auch Werte an ihm finden, die sie fesseln könnten. Jedenfalls verdient er eine gute Frau, und ich wünsche ihm, daß er sie findet.«

»Und – Sie glauben, daß er so eine Frau vielleicht in Bernau finden könnte?«

Sie lachte ein wenig.

»Vielleicht ist da bei mir nur der Wunsch der Vater des Gedankens. Aber sein Freund hat eine Schwester, eine nicht mehr ganz junge und auch nicht sehr schöne Dame, die sehr sympathisch ist. Und sie besuchte ihn kürzlich mit ihrem Bruder im Büro, und – aber nein, es wäre indiskret, wenn ich meine Beobachtungen preisgeben wollte. Jedenfalls freue ich mich, daß er in letzter Zeit so oft nach Bernau fährt.«

Er atmete wie erlöst auf.

»Sie wünschen also, daß er sich verheiraten möge?«

»Ja – aus verschiedenen Gründen.« Sie dachte an die Quälereien ihrer Stiefmutter, doch davon konnte sie natürlich nicht sprechen. So fuhr sie nach kurzem Zögern nur fort: »Es wäre mir sehr angenehm, wenn ich mit einem verheirateten Chef zu arbeiten hätte. 46 Wenn Doktor Friesen auch äußerst korrekt und zurückhaltend zu mir ist, immerhin würde unser Zusammenarbeiten für mich leichter sein, wenn er eine Frau hätte.«

»Ich kann das verstehen, mein gnädiges Fräulein. Und so wollen wir beide Herrn Doktor Friesen wünschen, daß er bald ein Eheglück findet, wie er es verdient.«

Er konnte nun ganz unbefangen mit ihr über Doktor Friesen sprechen, denn er fühlte, daß er keinerlei Anlaß zur Eifersucht hatte. Daß Lonny Straßmann keine Frau war, die sich an einen ungeliebten Mann um Glanz und Luxus verkaufte, fühlte er auch.

Sie plauderten lebhaft weiter, tauschten ihre Ansichten vom Leben aus und empfanden beide mit inniger Befriedigung, wie sie miteinander harmonierten. Lonny vergaß ganz, daß sie neben dem Chauffeur Hennersberg ging, sie fühlte nur, daß ein untadeliger Ehrenmann an ihrer Seite ging, den ein widriges Schicksal aus seiner Bahn geschleudert hatte und der dennoch tapfer seinen Weg ging. Schließlich sah sie aber, sich an ihre Eltern erinnernd, auf ihre Armbanduhr und schrak leicht zusammen.

»Jetzt muß ich aber schnell zurückgehen, ich habe gar nicht auf die Zeit geachtet. Meine Eltern werden schon auf mich warten.«

Er kehrte mit ihr um, und sie schlugen nun eine schnellere Gangart ein. Aber sie plauderten dabei weiter. Und im Lauf des Gesprächs redete sie ihn einmal ›Herr von Hennersberg‹ an. Da sah er sie bittend an. »Nein, bitte, nennen Sie mich einfach Hennersberg. Ich weiß mit meinem Adelstitel nichts anzufangen und möchte nicht, daß Sie mich damit anreden, das könnte jemand hören.« 47

»Wie Sie wünschen, Herr Hennersberg. Aber Sie können unbesorgt sein, in Gegenwart von andern Menschen würde ich Sie nie so anreden.«

Sie waren nun schon wieder nahe der Stelle, wo sie sich vorhin getroffen hatten, und als sie in den anderen Weg einbiegen wollten, schreckte Lonny zusammen und wurde dunkelrot – sie sah ihre Eltern auf diesem Weg kommen.

»Meine Eltern!« stieß sie erschrocken hervor.

Er fühlte instinktiv, daß es ihr peinlich war, von ihren Eltern in seiner Begleitung getroffen zu werden, und wußte im Augenblick nicht, was er tun sollte. Sie wandte sich indessen schnell gefaßt zu ihm, reichte ihm die Hand und sagte, ihre Verwirrung verbergend, so gut es ging: »Ich danke Ihnen für Ihre Begleitung, Herr Hennersberg, aber nun habe ich genügend Schutz an meinen Eltern. Auf Wiedersehen!«

Er zog den Hut und verneigte sich.

»Wünschen Sie, daß ich mich entferne, ehe Ihre Eltern vollends herbeikommen?« fragte er leise.

»Ja bitte, gehen Sie«, bat sie beklommen.

Da verneigte er sich nochmals und ging. Er fürchtete, sie würde Unannehmlichkeiten haben.

Das war ein etwas unbefriedigender Ausklang dieser für ihn so beglückenden Stunde. Langsam ging er davon.

Der Major und seine Gattin waren inzwischen nahe herbeigekommen und sahen mit erstaunten und etwas mißbilligenden Blicken hinter Lutz Hennersberg her.

»Wer war der Herr, der dich soeben verließ, Lonny?« fragte der Major streng.

Lonny nahm alle Selbstbeherrschung zusammen.

»Es war der Chauffeur Doktor Friesens, Papa, ich traf ihn zufällig, und wir gingen einige Schritte miteinander.« 48

»So, so – Doktor Friesens Chauffeur? Nun, für einen Chauffeur hätte ich diesen elegant gekleideten Herrn nicht gehalten. Doktor Friesen scheint seinen Chauffeur gut zu bezahlen«, erwiderte der Vater nun beruhigt und ganz harmlos.

Frau Hermine aber sah Lonny mit einem scharfen, forschenden Blick an, sagte aber vorläufig kein Wort des Tadels. Erst als man zu Hause angelangt war, sagte sie, als sie mit Lonny allein war:

»Mir scheint doch, Lonny, daß der Verkehr mit diesem Chauffeur nicht so harmlos ist, wie du es darstellst. Ich kann mich der Vermutung nicht erwehren, daß du dich mit ihm verabredet hattest.«

Lonny schoß das Blut ins Gesicht.

»Wenn du mich nur ein wenig besser kennen würdest, Mama, würdest du wissen, daß ich solcher Heimlichkeiten nicht fähig bin. Bitte, bedenke doch, daß ich mich durchaus nicht an diesem Ausflug beteiligen wollte. Papa mußte erst ein Machtwort sprechen. Du wirst dann einsehen, wie haltlos deine Anschuldigung ist. Ich traf ihn wirklich ganz zufällig und war sehr erstaunt, ihn so gut gekleidet zu sehen. Fast hätte ich ihn nicht erkannt, da ich ihn immer nur in seinem Chauffeuranzug gesehen habe.«

Frau Hermine war aber noch immer nicht überzeugt.

»Weshalb lief er dann so davon, als habe er ein schlechtes Gewissen?«

»Weil ich ihn verabschiedete, als ich euch kommen sah. Ich kenne ja deine Einstellung einem Chauffeur gegenüber und wollte ihn euch nicht vorstellen. Jedenfalls bist du selbst schuld, daß ich meine Unbefangenheit in dieser Hinsicht verloren habe.«

»Nun, mag sein, wie es will, du bist gewarnt, und das 49 kann nicht schaden. Dieser Chauffeur macht ganz den Eindruck, als könne er einem jungen Mädchen gefährlich werden. Heute sah er durchaus nicht aus wie ein Chauffeur.«

»Das ist er auch nur aus Not geworden, Mama, er hat als Ingenieur auf der Hochschule studiert, mußte aber sein Studium abbrechen, weil er an die Front ging, und konnte es nicht beenden, weil sein Vater im Krieg fiel und ihm nicht genug Vermögen hinterließ. Du brauchst dich also wirklich nicht aufzuregen, wenn ich einige Worte mit ihm wechsle; er ist ein sehr gebildeter und artiger Mann. Sein Vater fiel übrigens als Oberst im Krieg.«

»Um so gefährlicher ist für dich der Umgang mit ihm. Ich muß dir ganz entschieden verbieten, dich nochmals irgendwie mit ihm einzulassen, sonst muß ich es doch Papa sagen. Wozu soll das führen? Er ist arm und du bist arm, und – du bist besorgniserregend interessiert an seinem Schicksal!«

Lonny zog die Stirn wie im Schmerz zusammen.

»Du kannst unbesorgt sein, Mama, ich weiß genau, was ich tun und lassen muß«, sagte sie mit verhaltener Stimme.

»Um so besser, wenn du das weißt. Vergiß nie, daß du nur einen vermögenden Mann heiraten kannst. Und wenn du auf eine gute Partie reflektierst, mußt du vor allen Dingen auf deinen guten Ruf achten.«

Lonny richtete sich stolz empor.

»Für meinen Ruf stehe ich selbst ein, Mama. Und auf eine ›gute Partie‹ rechne ich nie – das tust nur du für mich.«

»Weil du es eben leider nicht selber tust. Man muß dir immer wieder klarmachen, daß du darauf angewiesen bist. Wie gesagt, wenn ich noch einmal etwas 50 Verdächtiges in dieser Angelegenheit bemerke, muß ich doch mit Papa sprechen.«

Müde und traurig sah Lonny ihre Stiefmutter an.

»Du brauchst Papa deswegen wirklich nicht zu beunruhigen, er hat ohnehin schon Sorgen genug.«

»Die du ihm erleichtern könntest, wenn du nur wolltest.«

»Es gibt eben Dinge, die man nicht wollen kann, Mama. Bitte, quäle mich nicht mehr.«

»Quälen! Immer redest du gleich von Quälen, wenn man dir einmal vernünftig zuredet. Es ist ein Kreuz mit dir!«

Lonny brach das Gespräch ab. Es war ihr unerträglich, weiter in diesem Ton mit der Stiefmutter zu sprechen. Sie suchte ihr Zimmerchen auf, saß dort lange am Fenster und starrte vor sich hin. Und sie dachte trotz aller Vernunft doch nur an Lutz Hennersberg. 51

 


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