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LIV.

Auf der Insel opfern die Spartaner, und die Wahrsager deuten die Eingeweide der Opfer. Sie tun es, während ihre auserlesensten Truppen, fünfzigtausend Mann, gegen die Perser Front gemacht haben. Allein die Eingeweide bleiben den Spartanern ungünstig, und währenddessen schießt die persische Reiterei hinter einem Wall von Schilden – der eine Schild dicht neben dem anderen, der eine Schild dicht über dem anderen – , schießt das persische Fußvolk vor ihr die unaufhaltsamen, die Tausende von Pfeilen ab. Es ist ein Dunkel von Pfeilen in dem entsetzlichen, schwülen, schwer herabhängenden Schicksalslicht dieser seltsamen Spätsommersonne, die scheint, die aber nicht golden leuchtet an diesem Himmel, der unbewölkt bleibt, ohne blau zu sein. Dort drüben fallen Hunderte von Spartanern, getroffen von den unentrinnbaren Speeren. Hier, mitten auf der Insel, richtet Pausanias Hände und Augen nach dem Tempel der Hera und fleht die Göttin mit lauter Stimme um ihre Hilfe an.

Sobald er sein flehentliches Gebet vollbracht hat, künden die Eingeweide des frisch geschlachteten Opfertieres – ein Wunder! – ein den Griechen günstiges Zeichen. Kann es wahr sein? Die Unsicherheit hat sich plötzlich geklärt in Pausanias. Sobald es bekannt wird, daß die Götter freundlich sind, ist alles Zaudern bei den fünfzigtausend Spartanern verschwunden. Es will so scheinen, als offenbare es sich in den Seelen jener bisher noch zaudernden Kämpfer. Die Lazedämonier stürzen in rasendem Angriff ihrer dicht geschlossenen Reihen, ohne mehr der Pfeilwolken zu achten, auf die Perser ein. Die Pfeile schießen über ihren jähen Sturmlauf hinweg. Lazedämonier und Perser haben sich einander dicht genähert. Ein Wall von Schilden ist zwischen ihnen. Die Perser weichen zurück auf das Demetreion, den Tempel der Demeter, der sich ungeheuerlich und schicksalsschwer emporreckt mit seinen alten Mauern und dem schweren Giebelfeld, gleich als wolle er der Perser Flucht zurückhalten. Der berstende Wall der persischen Schilde spaltet sich hier und dort breit klaffend. Perser und Griechen sind im Handgemenge. Die Perser beugen sich und brechen den Griechen ihre Speere aus den Fäusten. Jetzt wird es eine gleichsam hoch aufgeschichtete Kriegswut von einem gegen einen, von zweien gegen zwei, von zehn gegen zehn unter den aufschlagenden Hufen der sich bäumenden Pferde der Perser. Doch nur leichtbewaffnet ist das persische Fußvolk. Schwerbewaffnet indes sind die stets näher und näher herandröhnenden griechischen Hopliten.

Inmitten des dichtesten Gewühls erscheint auf seinem weißen Roß Mardonios mit wildrollenden Augen, das Schwert in der Faust. Er führt seine Unsterblichen und feuert sie an. Die Ironie dieses Namens! Sie fallen jeweils zu zehn rings um ihn her, nun, da sie fallen infolge ihres Mutes, der zum Übermut anschwillt, infolge ihrer Wut, die zur Tollkühnheit wird. Denn niemals dachten sie auch nur im entferntesten an die Möglichkeit einer Niederlage, sowie sie auch nimmer daran dachten, daß ihr langes medisches Gewand; das unter ihren Panzern flattert, ihnen hinderlich sein könne im Kampfe, so wie sie nimmer daran dachten, daß ihre leichten, zierlichen Waffen, die sie mit Bogen und Pfeilen tragen, dem Angriff der schweren griechischen Waffen nicht würden standhalten können. Doch solange sie ihren Feldherrn sehen in ihrer Mitte, ihren Feldherrn, der sie anführt und der sie anfeuert, wehren sie sich bis zum Äußersten und bringen eine große Anzahl von Lazedämoniern zur Strecke. Plötzlich aber gewahren sie mit Verwunderung, daß Mardonios mit einem Spartaner in wildem Zweikampf begriffen ist. Der Spartaner Arimnestos hat ihn angegriffen. Beider Schwerter kreuzen sich hinüber und herüber, hinter beider Schilden. Die Unsterblichen drängen herbei zuhauf, um Mardonios zu befreien. Da sehen sie, wie ihr Feldherr eine jähe, durch den Schmerz entstellte Bewegung macht und wie er rückwärts in seinen Sattel sinkt. Er ballt die Faust dem Himmel entgegen, den Göttern, den Göttern von Hellas entgegen. Das Schwert entgleitet seiner Hand.

Ein wütendes Geschrei erhebt sich aus der dichten Schar der Perser.

Arimnestos aber ruft laut aus:

»Dieser Tag rächt des Leonidas Tod an Mardonios.«

Sobald die Unsterblichen ihren Feldherrn fallen sehen, – möglich, daß noch während eines Augenblicks der Gedanke in ihnen lebte, sich seiner Leiche zu bemächtigen, die vom Pferde herab in das Gewühl gleitet – wenden sie sich ungeordnet um, schreien laut vor Wut und Verzweiflung und ergreifen die Flucht. Es scheint, als sei dies ganze ungeheure Heer, das so weit herkam, die Griechen zu züchtigen, plötzlich aufgelöst und entnervt. Scharenweis ergreifen sie die Flucht. Es ist, als ob die Erscheinung der Demeter selbst, der Göttin, bei ihrem Tempel die Flüchtigen daran hindere, Schutz zu finden in ihrem Heiligtum und in ihrem heiligen Haine, wo sie als Bittende beinahe sicher wären. Sie fliehen rings um den Tempel, sie stürmen zurück in die Ebene.

»Folgt mir alle, wohin ich euch führe, sobald ich den Befehl erteile, daß die Schnelligkeit des Marsches erhöht werde!«

So hat Artabazos bereits vor diesem Augenblick der allgemeinen Flucht zu seinen Truppen gesprochen, zu vierzigtausend Mann, die zu retten er bestrebt war, als er sah, daß Mardonios das Unmögliche wollte. Jetzt befiehlt er ihnen, ihren Schritt zu beschleunigen. Sie meinen, daß sie auf Umwegen Artabazos folgen dem Feinde entgegen. Allein Artabazos weiß, daß alles verloren ist. Er hat es gesehen, er hat es empfunden, und ein Kampf gegen das Schicksal und gegen die Götter ist weder nötig noch nützlich. Er flieht. Er flieht mit seinen Truppen nicht nach der hölzernen Mauer, die das Lager noch beschirmt, nicht einmal nach Theben. Auf einem weiten Umwege flieht er nach Phokis. Er will zurück nach Thessalien, er will zurück nach Persien, wie fern es auch sein, wie unerreichbar Susa ihm auch scheinen möge. Er will fort, dem Könige zu melden, daß ein Kampf gegen die Götter und gegen das Schicksal weder nützlich noch nötig sei. Überallhin, über die Ebene, über die unheilvolle Ebene von Platää fliehen die Perser. Auch alle ihre geworbenen Verbündeten fliehen, obwohl die Thebaner anfangs den Athenern noch standhalten. Die Tausende entfliehen in Scharen, sie fliehen in Staubwolken eingehüllt dem fernen Horizont zu nach Norden, nach Nordwesten in einer Flucht, die an eine epische Panik erinnert, in einer ungeheuren Flucht, einer Flucht der einst verbündeten, doch nun durch des Mardonios Tod plötzlich aufgelösten Völker. Sie fliehen ohne Kampf. Was fruchtet es noch zu kämpfen nun, da Mardonios tot ist? Sie fliehen alle, weil als erste die verzweifelten Perser das Beispiel gaben und entflohen. Die Griechen verfolgen die Flüchtigen. Hier und dort gibt es noch ein letztes Scharmützel. Die böotische Reiterei hält noch flüchtig stand. Es ist eine allgemeine, eine ungeheure Flucht, eine Flucht in einem Blutbad des Entsetzens ohne Gnade.

In das persische Lager hinter dem Asopos, hinter der hölzernen Mauer, aus der die hölzernen Warttürme in regelmäßigen Abständen herausragen, sind viele flüchtige Scharen, sind Perser und Tausende anderer Barbaren eingedrungen. Sie verschanzen sich noch in aller Eile. Es gelingt ihnen sogar, die Lazedämonier, die mit der Einnahme befestigter Plätze nicht vertraut sind, noch eine Weile abzuwehren, bis die Athener den Lazedämoniern zu Hilfe eilen, bis die hölzernen Mauern einstürzen, bis die Griechen das persische Lager erstürmen. Dort erheben sich die prächtigen Zelte der Feldherren inmitten der Tausende anderer Zelte. Dort ragt etwas höher die Spitze vom purpurnen Zelt des Mardonios empor, dort flehen die persischen Sklaven um Gnade, dort verbergen sich zitternd die Frauen, die Nebenfrauen und Bettgenossinnen der Perser, dort plündern die Griechen des Mardonios Zelt. Sie schleppen seinen auf silbernen Füßen ruhenden Thronsitz weg, die ausschweifende Üppigkeit der vergoldeten und silbernen Möbel, das kostbare Geschirr. Sie lachen über die Kamele. Die bronzene Raufe seiner Rosse schleppen sie weg, die ein Kunstwerk persischer Bildhauer darstellt. Das Schönste aus dieser Beute werden sie den Göttern in ihren Tempeln weihen.

Von einem aus dreihunderttausend Mann bestehenden Heere entgehen dreitausend wehrlose, um Gnade flehende Sklaven mit knapper Not dem Tode.

Artabazos entfloh nach Phokis, entfloh auf weitem Umwege mit seinen vierzigtausend, entfloh, um dem Xerxes Kunde zu bringen.


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