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XXXV.

Sobald die Griechen vor Salamis durch Späher erfuhren, daß Xerxes die Seeschlacht beschlossen habe, brach Bestürzung aus. Dieselben Beratungen, die vor einer Woche stattgefunden hatten, wiederholten sich. Die meisten der Verbündeten warfen Eurybiades seine beispiellose Unvorsichtigkeit vor, daß er vor Salamis liegenbleibe mit einer Flotte, die zu gering sei im Vergleich zu der persischen Schiffsmacht. Themistokles mit den Athenern, den Aigineten, den Megareern blieb halsstarrig bei der Meinung, daß nur bei Salamis Hellas' Heil zu suchen sei.

Es begann Themistokles zu langweilen, namentlich als er sah, daß seine Gegner siegen würden und man sich zum Verlassen der Gewässer von Salamis entschließen werde. Er schlich aus der Versammlung hinaus, entbot Sikinnos, den Pädagogen seiner Kinder und seinen Vertrauten, zu sich und befahl ihm:

»Fahre mit einem Boot zur persischen Flotte!«

»Zur medischen Flotte!« verbesserte der Pädagoge. Es war eine Art von mehr oder weniger patriotisch gefärbtem Purismus, die Perser, die mit den besiegten Medern ein Volk geworden waren, Meder zu nennen.

Themistokles zuckte die Achseln.

»Ich sage dir«, wiederholte er, »fahre mit einem Boot zur persischen Flotte und sage dem Xerxes ...«

Themistokles flüsterte dem Pädagogen drei lange Sätze ins Ohr.

»Kannst du das behalten?« fragte Themistokles.

»Ja«, sagte der Pädagoge. »Meine Botschaft wird das Heil für Hellas und den Untergang für die Meder bedeuten.«

Themistokles zuckte wegen des Wortes Meder von neuem die Achseln. Der Pädagoge fuhr mit zwei Mann in einem Boot ab, als gelte es eine Lustfahrt. Die See war ruhig. Die Delphine spielten zwischen den Wogen. Der Himmel erstrahlte hell in prächtigem Mittsommerblau. Der Pädagoge umfuhr das Vorgebirge Kynosura. Die Küsten und Riffs, die Felsen jenseits der Insel Psyttaleia blauten wie in einem Nebel lauteren Lichtes. Dort lag die persische Flotte in ihrer ungeheuren Ausdehnung, doch schwankend. Kaum schien sie auf den leichtbewegten Wellen zu lasten. Fahrzeug lag an Fahrzeug. Die Segel waren gerefft. Die langen Ruder waren eingezogen. Das Takelwerk zeichnete sich in feinen Umrissen von dem tiefen, zitternden, südlich blauen Himmel in dunklen Streifen ab.

Der Pädagoge winkte mit einem weißen Tuch.

Die Meder sahen ihn. Er winkte, er näherte sich. Er fand es sehr seltsam, daß er sich in seinem Boot mit zwei Mann der ungeheuren medischen Seemacht näherte.

Ob er den König der Könige sprechen könne, rief er – indem er die Hand an den Mund legte – um ihm Botschaft von Athens oberstem Flottenbefehlshaber zu überbringen? Es ward ihm gestattet. Er näherte sich. Er wurde vor Xerxes geführt. Der aber empfing solche Botschafter mit Vorsicht, umgeben von einem Wall von Unsterblichen. Der Pädagoge, den eine Wache umringte, hub an:

»König der Könige! Themistokles ist Eurer königlichen Majestät wohlgesinnt. Er wünscht, daß Ihr siegt. Er wünscht den Untergang der Verbündeten. Diese beratschlagen, voller Verzweiflung darüber, daß Ihr Euch stark wie das Schicksal nähert, ob sie die Flucht ergreifen und die Gewässer um Salamis verlassen sollen.«

»Die schmale Meerenge dort drüben?« fragte Xerxes und wies mit dem Finger.

»Ihr sagt es, medische Majestät. Greift sogleich morgen früh an, König! Unvergeßlich wird Euer Triumph sein über die Verbündeten, die untereinander nicht einig sind und die sich stets befehden.«

Sikinnos fuhr zurück. Er dachte darüber nach, wie seltsam gewichtig ein einziges Wort eines einzelnen inmitten einer tausendfältigen Macht klingen könne. Zugleich dachte er zwischen dem munteren Spiel der Delphine, die er rings um sein Boot sah, an die Belohnung, die ihm Themistokles versprochen, falls ihm sein schlauer Scheinverrat gelinge: viel Geld und später vielleicht das Bürgerrecht von Thespiä, wenn der Krieg beendet sei.

Der Pädagoge nannte sich selber einen Sprachkünstler, einen Philosophen und außerdem noch einen guten Patrioten.


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