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XXXIV.

Die persische Flotte lag vor den Hafenstädten Phaleron und Piräus, und Xerxes bestieg sein eigenes sidonisches Fahrzeug und setzte sich auf seinen Schiffsthron. Zur Beratung waren alle höheren und niederen Flottenbefehlshaber aufgerufen. Denn es handelte sich für die Perser nicht weniger als für die Griechen um die Frage, ob sie hier bei Salamis die Seeschlacht liefern sollten.

Als Xerxes sich auf seinen Schiffsthron setzte unter das goldene Segel, setzten sich alle andern, unter ihnen die Könige von Sidon und Tyros und die Königin Artemisia von Halikarnaß. Mardonios fragte der Reihe nach jeden von ihnen, was er wohl meine. Alle, unter ihnen auch Mardonios selbst, waren der Ansicht, daß man die Seeschlacht liefern solle. Nur die Königin Artemisia sprach, als Mardonios sie fragte:

»Artemisia, du, die du bereits bei Euböa eine Heldin warst inmitten von uns allen, sage uns aufrichtig deine Meinung!«

»Mardonios! Ich bin der Meinung, daß wir unsere Flotte schonen müssen, daß wir keine Seeschlacht herausfordern dürfen. Die Griechen sind auf See den Persern überlegen, so gut wie die Männer den Frauen überlegen sind. Ist es denn durchaus notwendig, eine Seeschlacht zu wagen? Ist Xerxes denn nicht Herr von Athen? Hat er nicht sein Ziel erreicht? Wird das übrige Hellas nicht unvermeidlich in die Hand der Perser fallen? Höre! So wir unsere Schiffe soviel wie möglich hier in den Häfen lassen und über den Isthmos in den Peloponnes vorrücken, werden wir siegen. Die Griechen werden uns nicht länger Widerstand leisten. Du, Mardonios, wirst sie zurück in ihre Städte treiben. Sie haben in Salamis keine Vorräte, und wenn du in den Peloponnes vorrückst, werden die Peloponnesier nicht ruhig in Salamis bleiben. Was kann ihnen daran liegen, vor Athen zu kämpfen? Aber wenn die Seeschlacht beschlossen wird, fürchte ich nach einer Niederlage zu Wasser eine Niederlage zu Lande. Denn alle unsere Tausende von Verbündeten – sage es Xerxes, Mardonios! – sind Sklaven, sind schlechte Sklaven, sind unzuverlässige Sklaven: Ägypter, Kyprier, Kilikier, Pamphylier.«

Xerxes schätzte Artemisia sehr, obwohl er an seinem eigenen Hofe zu Susa kein Feminist war, obwohl er die Meinung vertrat, daß es für eine Königin besser sei, gleich seiner Mutter Atossa den Hofstaat mit der Peitsche zu regieren oder wie seine Gemahlin Amestris goldene Prunkmäntel zu wirken, als in den Kampf zu ziehen, schätzte er in diesem besonderen Falle Artemisia doch sehr. Er fand, daß sich die Amazone zu Wasser zwischen seinen höheren und niederen Flottenführern sehr malerisch ausnehme. Sie trug ihren Helm, aus dem ihre schwarzen Haare flossen, mit Schwung, und der kurze Waffenrock ließ ihre von glitzernden Beinschienen geschützten Waden frei. Xerxes empfand für Artemisia eine ästhetische Zärtlichkeit. Als Mardonios ihm, so wie es die Ordnung der persischen Ratsversammlung erforderte, Artemisias Rat mitteilte, stimmte er zwar durchaus nicht überein mit dem, was die Königin riet, lächelte ihr aber dennoch liebenswürdig zu. Er fand sie eigenartig, zu eigenartig vielleicht, aber dennoch ...

Das Endergebnis der glänzenden Versammlung war, daß Xerxes die Seeschlacht beschloß. Er war übrigens schon vor der Versammlung zur Seeschlacht entschlossen gewesen. So handelte Xerxes fast immer. Im übrigen hatte er seine eigenen durchaus persönlichen Gedanken und Eingebungen ebensogut wie Artemisia von Halikarnaß. Die Gedanken und Eingebungen dieses Augenblicks teilte er Mardonios mit, während die glänzenden Könige, die Königin, die höheren und niederen Flottenführer – alle strahlten in ihren Ehrenketten und vielen Armbändern – nach der Versammlung in die Boote hinabstiegen.

»Mardonios! Ich gebe zu,« sagte Xerxes, »daß wir im vergangenen Monat bei Euböa nicht glücklich gewesen sind. Die Seetruppen haben dort nicht ihre Pflicht getan. Unsere Flotte hätte dort die kleine griechische Flotte besiegen müssen. Es kam nur daher, weil ich selber nicht dabei war. Ich werde dort von meinem Thron aus – erteilt den Befehl, daß man ihn an einem günstigen Punkte des Berges aufstelle! – die Seeschlacht bei Salamis mitansehen. Wir werden mit Hilfe des Gottes der Perser die kleine griechische Flotte vernichten.«

In jener Nacht zog Mardonios mit dem Landheer nach dem Peloponnes. Er vernahm, daß die verbündeten Griechen – Arkader, Eleer, Korinther, Sikyonier, Epidaurier, Phliasier, Troizenier, Hermioner – auf dem Isthmos eine hohe Mauer errichteten. Das geschah unter dem Oberbefehl des Kleombrotos, des Bruders des Leonidas.


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