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XLIV.

Nach einem kurzen Aufenthalt in Sardes kehrte Xerxes nach Susa zurück. Er kehrte dorthin nicht zurück, wie der Dichterkrieger von Salamis, wie der von den Musen umschwebte Äschylus es sich vorgestellt hatte in jener Nacht der Salamisschlacht auf dem violettfarbenen Felsen angesichts des amethystfarbenen Meeres. Er kehrte dorthin nicht zurück mit dem eindrucksvollen Symbol zerrissener Gewänder und leerer Köcher. Auch kehrte er nicht allein dorthin zurück wie der Protagonist in der Tragödie. Er kehrte zurück inmitten seiner vielen Neffen, Schwäger, Brüder, von denen nicht alle gefallen waren. Er kehrte nicht zurück mit den Unsterblichen, die um Mardonios geblieben waren, sondern an seiner Seite ritt Hydarnes, und ein ansehnliches Heer von Persern und Medern folgte dem dröhnenden Hufschlag des Königs der Könige und seines stets glänzenden Stabes. Xerxes saß hochmütig hoch zu Roß und peitschte sich zu stets höherem Hochmut auf. Die Menge in den Straßen verharrte schweigend. Übrigens hatte Xerxes den Takt besessen, diesen Einzug nicht zu einem prahlerischen Triumph zu gestalten. Der Weg von dem großen Stadttore zu dem nächstgelegenen Tore des Palastes, der selber eine Stadt bildete, war kurz. Das Heer zerstreute sich sogleich in das Winterlager und in die Kasernen. Ein kalter Wind blies und führte verirrte Schneeflocken mit sich vom Norden, vom Hyrkanischen Meer.

Im Palast schloß Xerxes sich alsbald ein. Er blieb einsilbig und hochmütig gegen Oheim Artabanos, weil der recht gehabt hatte, als er vom Kriege gegen Griechenland abriet. Seine Mutter Atossa empfing er ehrerbietig, so wie es die Hofsitte einer so hochehrwürdigen Frau gegenüber erforderte. Dann aber sagte er, er sei müde. Da seine Gewänder nicht zerrissen waren, wie Äschylus es sich in seiner Tragödie ausgemalt hatte, brauchte Atossa auch nicht neue Gewänder für ihren Sohn bereit zu halten, wie der Dichter es sie hatte tun lassen in seiner Tragödie. Wohl aber empfing Xerxes auf einen Augenblick seine Gemahlin Amestris, die ihm einen Mantel brachte.

»Mein Herr und Gemahl!« sprach Amestris, indem sie auf die vier Sklavinnen deutete, die auf ihren Armen einen vielfarbigen, von goldenem Glanz völlig überzogenen Mantel trugen. »Sieh! Diesen Mantel haben meine Hände dir gewirkt in der Einsamkeit der Frauengemächer.«

Amestris hatte sich stets im Kreise der Königin-Witwen des Dareios und der anderen Prinzessinnen aufgehalten. Unterhaltung hatte es übergenug gegeben.

»In der Einsamkeit der Frauengemächer«, sagte Amestris mit weinerlichem Nachdruck. »Mein Herr und Gemahl! Darf ich hoffen, daß mein Werk Euch behagen und daß dieser Mantel Euch von den königlichen Schultern wallen wird?«

»Es ist gut, es ist gut. Ich danke dir, Amestris«, sagte Xerxes entnervt und wehrte die Sklavinnen ab, die mit dem breitgeöffneten Mantel sich ihm näherten. Die Sklavinnen wichen zurück und breiteten den Mantel über einen Sessel aus.

Amestris war zornig und gekränkt. Xerxes blieb allein. Der Palast war still. Aus den Gärten erklang kein Laut. Die Stadt um den Palast war still. Dies alles war so groß, so weit, so fern von Griechenland und so fern von Salamis, daß kaum etwas geschehen zu sein schien. Xerxes, der im Gemach auf und ab ging oder sich auf ein Ruhelager warf, dachte: Was ist denn eigentlich geschehen?

Es schien nichts geschehen zu sein. Es schien alles ein Traum gewesen zu sein: der durchstochene Athos, der überbrückte Hellespont, der Durchzug des täglich anschwellenden Heeres, bis es zu einem Strome von Millionen geworden, die Thermopylen und das Diadem, das ihm der närrische König von Sparta abgerissen, die Einnahme von Athen und das Entsetzliche, Unbegreifliche, Unausdenkbare, die Seeschlacht von Salamis.

War das alles geschehen? Es erschien wie ein Traum. Hierher war er zurückgekehrt, und alles war wie zuvor. Das persische Reich, das ungeheure, ungemessene, so wie alles um ihn her unermeßlich war, Susa, seine Hauptstadt, nichts war verändert.

Doch! Drei seiner Brüder waren gestorben: Hyperanthes, Abrokomas, Ariabignes. Es starben häufig Blutsverwandte in seiner Umgebung, wenngleich in der Regel in höherem Alter als diese beiden tapferen Feldherren und der Flottenführer. Ein Traum? Nein. Es war kein Traum. Es war Wahrheit. Denn Mardonios weilte in Thessalien, und die Unsterblichen waren um ihn.

Dann wurde Xerxes, während er bequem in den Kissen hingestreckt lag, schwermütig. Es war kein Traum. Es war bittere Wirklichkeit. Persiens Gott hatte ihm nicht geholfen. Es war recht peinlich, daß der heilige Wagen und die nisäischen Rosse gestohlen waren. Aber dennoch ... Aus diesem Grunde würde Zeus nicht so sehr gezürnt haben. Daß Persien – er gestand es sich flüchtig ein – nicht alles das erlangte, was es erstrebt hatte? Unglaublich jener Tag von Salamis! Mit eigenen Augen hatte er es gesehen. Unglaublich, unglaublich! Er hatte doch nicht etwas erstrebt, was unmöglich war für einen König der Könige! Nur die Weltmacht. Was war dagegen einzuwenden, daß Persien die Welt, Asien und Europa, beherrschte? Nichts war dagegen einzuwenden. Persien war das am glänzendsten geordnete Reich, das jemals bestanden hatte. Die ägyptische Kultur von einst wog nicht auf gegen Persiens innere Gliederung. Auch die assyrische und babylonische Kultur nicht. Persien war die menschliche Allmacht zugedacht, ihm, Xerxes. Kyros und der unvergeßliche Vater Dareios hatten ihm den Weg geebnet. An ihm war es jetzt, zuzugreifen. Er hatte verkehrt gegriffen. Es war völlig mißglückt.

Xerxes erhob sich. In seinem Gemache war es kalt. Aus den geöffneten Fenstern sah man in einen offenen Säulengang. Der Anblick der zerzausten Gärten war trostlos. Die Palmbäume bogen sich mit ihren langen Stämmen, und die wenigen verirrten Schneeflocken machten einen schauerlichen Eindruck hier in diesem orientalischen Süden, in diesem weiten Königsgemach, das von außen nur mit Vorhängen abgeschlossen werden konnte. Xerxes erschauerte. Da fiel sein zielloser, fast irr umherschweifender Blick auf den Mantel, das Geschenk der Amestris. Er lag da über den Sessel gebreitet. Er war sehr schön, aus scharlachrotem Purpur, mit einem breiten Rande von schwärzlichem Blau. Der goldene Glanz war durch den ganzen Stoff gewebt. Es sei ein prächtiger Mantel, meinte Xerxes. Er nahm den Mantel und legte ihn sich mit einem Schwung um. Es war ein langer, modischer, leicht schleppender Mantel mit weiten Ärmeln, ein Mantel, wie ihn sowohl Frauen als Männer bei feierlichen Gelegenheiten trugen. Xerxes fand, als er sich in der geglätteten, goldenen Spiegelwand sah, daß der Mantel ihn gut kleide. Er hüllte sich in den Mantel, ordnete die Falten, betrachtete sich behaglich in dem spiegelnden Glanz, strich sich zufrieden über den blauschwarzen Bart. Er war noch jung, und während er sich so im Spiegel betrachtete, begann er sich wie ein Hahn zu fühlen. In der letzten Zeit nach Salamis, während des Rückzuges, dieses abscheulichen Rückzuges, hatte er sich kaum die Zeit gegönnt, seinen Gürtel zu lockern. Jetzt empfand er das Bedürfnis, ein Hahn zu sein.

Mardonios werde drüben in Griechenland den Krieg zur Zufriedenheit beenden. Xerxes fühlte sich hier wie ein Hahn. Doch wer sollte ihm Genüge tun? Die Nebenfrauen? Nein. Amestris? Nein. Es würde den Anschein haben, als wolle er sich für den Mantel besonders bedanken. Er wünschte sich etwas Liebes, etwas Junges, etwas Zärtliches. Er wußte nicht, wen oder was.

Der König der Könige fühlte sich in seinem prächtigen Mantel sehr unglücklich, wiewohl er es sich nicht eingestand. Er hatte seine schwermütige Anwandlung. Die stellte sich häufig ein unmittelbar nach einem Anfall von Hochmut und selbstzufriedenem Dünkel.

Er konnte die Einsamkeit nicht länger ertragen. Er schlug auf den großen Gong, der wie eine Sonne zwischen zwei bronzenen Pfeilern hing.

»Rufe die Knaben her!« befahl Xerxes.

Der Eunuche Hermotimos führte die drei Kleinen herein. Xerxes hatte sie sehr lieb. Er liebkoste sie. Sie waren seine drei Lieblingssöhne. Er gab ihnen Geschenke aus Edelsteinen, ließ sie naschen und bewunderte sie. Sie waren zu ihm wie kleine Kätzchen. So mußten sie sein. Sie erzählten ihm von ihrer Rückkehr mit Artemisia, die sie nach Ephesos gebracht hatte. Von dort hatte Hermotimos sie nach Susa gebracht.

»Sieh nur!« sagte plötzlich das älteste der drei Knäblein. »Da geht Artaynte.«

»Wer ist Artaynte« fragte Xerxes und blickte hinaus.

»Die Tochter unseres Oheims Masistes«, sagte das zweite Knäblein.

»Und unserer Muhme Artaxixa«, fügte mit einem sehr hohen Stimmchen das dritte hinzu.

Xerxes sah, als er hinausschaute, eine junge Prinzessin, die Tochter seines Bruders Masistes, durch den Garten wandeln. Sie war sehr schön, sehr jung. Sie lachte bezaubernd inmitten ihrer Frauen, während sie alle sich zum Schutz gegen Wind und treibende Schneeflocken dichter in ihre faltenreichen Mäntel hüllten. Eunuchen folgten.

»Artaynte?« fragte Xerxes den Eunuchen Hermotimos, der in dem Portikus wartete, bis der König von seinen Söhnchen genug haben würde.

»Ja, Basileus. Sie kehrt gewiß in das Frauengemach zurück, nachdem sie ihren Vater bewillkommnet hat.«

Xerxes kannte sie kaum, erkannte sie nicht wieder. Er fand diese kleine Nichte bezaubernd jung, schön und jungfräulich.

Er flüsterte dem Hermotimos zwei Worte zu.

»Ja, Basileus«, antwortete der Eunuche und neigte sich zur Erde.

»Nimm die Knaben mit!« befahl Xerxes.


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