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XLIX.

Mardonios hört, daß die Spartaner sich nähern. Wieviel Ränke er auch gesponnen haben mag mit den Städten von Argolis, es hat nichts gefruchtet. Ihr schnellster Hemerodromos, ihr Tageläufer, ist gekommen, ihm zu melden, daß die Spartaner nahen. Mardonios wird nicht in Athen bleiben. Er wird in der weiten thriasischen Ebene oder nördlicher noch, jenseits des Kithäron in der Ebene von Platää, eine Schlacht schlagen.

Von neuem geht Athen in Flammen auf. Von neuem werden nicht nur Mauern und Gebäude unter Hammerschlägen geschleift. Sogar der Götter Tempel verschont Mardonios nicht. Es ist das Schicksal des Barbaren, daß er in der Verblendung eines tragischen Augenblicks es unterläßt, das zu schonen, was durch die heiligen Kulte der Menschen geweiht ward. Doch falls es jemals ihm zum Vorwurf gemacht wird, so wird er mit dem gleichen Vorwurf zu antworten wissen, und schuld hat alles und jeder, die ganze Welt. Denn Zeit und Menschen wandeln sich nicht.

Die Stafetten folgten einander. Sie melden, daß tausend Lazedämonier nach Megara kommen. Sie melden, daß ihre stärkste Heeresmacht nach dem Isthmos zieht, um die Mauer zu verteidigen.

Mardonios befiehlt, gleichfalls eine Mauer zu errichten längs des Asopos, und sein Heer hat sich von Erythrä bis Platää gelagert. In Theben veranstaltet Attaginos, Sohn des Phrynon, zu Ehren des Mardonios ein großes Fest. Fünfzig angesehene Perser liegen mit Mardonios an der Tafel, außerdem fünfzig Thebaner. Auf jedem der Lager liegt ein Thebaner mit einem Perser. Die Weine fließen in die Schalen. Es gibt üppige Gerichte, Spiel, Tanz und Gesang.

Ein Perser fragt Thersandros von Orchomenos, mit dem zusammen er an der Tafel liegt:

»Woher stammt Ihr, Tafelgenosse?«

»Aus Orchomenos«, sagt Thersandros. »Doch sagt mir nun Eurerseits, Tafelgenosse, warum Ihr so bewegt seid?«

Denn der Perser, der die Frage nur stellt, um der Höflichkeit des Tischgespräches zu genügen, ist sehr bleich. Seine Augenlider zittern, seine Hände beben.

Der Perser antwortet:

»Soll ich Euch sagen, wodurch meine Rührung entstanden ist, die ich sogar hinter einem Tafelgespräch nicht scheine verbergen zu können? So hört denn, Thersandros von Orchomenos, auf daß Ihr an mich, der mit Euch aus der gleichen Schale spendete, in den Tagen, die da kommen werden, eine Erinnerung bewahren werdet, eine Erinnerung, die Euch vielleicht von Nutzen sein wird!«

Der Perser faßt Thersandros am Arm und spricht:

»Seht Ihr die Festgenossen dort alle liegen?«

»Ja«, sagt Thersandros, während er sich langsam umschaut.

»Seht Ihr dort drüben zwischen den Säulen und Vorhängen das Heer in der Ebene schimmern?«

»Ich sehe«, antwortet Thersandros.

»Seht Ihr weiter nichts?« fragt der Perser erschauernd.

»Ich sehe weiter nichts«, antwortete Thersandros erstaunt. »Was soll ich noch weiter sehen?«

»Seht Ihr nicht das seltsame Licht?«

»Der Tag ist umwölkt, die Sonne verschwunden.«

»Aber seht Ihr nicht das matte bläuliche Licht, das sich über das Meer verbreitet?«

»Nein.«

»Seht Ihr nicht den bleichen, schaudererregenden Schimmer, so fahl, wie ihn der nahende Tod mit sich bringt, einem trägen Nebel gleich?«

»Ich sehe ihn nicht. Seht Ihr ihn?«

»Ich sehe ihn.«

»Ihr seid ein empfindsamer Mann. Ihr seht die Dinge mit einem sechsten Sinn.«

»Ich sehe den Nebel, ich sehe den Dunst. Das kommt von außen her. Seht! Es breitet sich schaudererregend wie ein fahler Schimmer über die Zelte, über die Krieger dort drüben. Seht doch hier! Hier drinnen in diesem Saal schwebt das seltsame Schimmern umher wie die Farbe des Todes selber über Mardonios und beinah über allen Persern, die ihn umringen.«

Die beiden Tafelgenossen schauen bleich einander an.

»Jetzt seid Ihr bewegt, wie ich es bin«, spricht der Perser.

»Ich bin bewegt«, erwidert Thersandros. »Seht Ihr das alles?«

»Ich sehe es.«

»Was verheißt dies seltsame Gesicht?«

»Den Tod. Von allen diesen Persern, von allen diesen meinen Landesgenossen werden nach wenigen Tagen nur noch einige die Sonne schauen. Ich selber ...«

Er zauderte. Er tastete umher, gleich als fühle er die Kälte, die er nicht sah, dicht um sich her.

»Ich weiß es nicht von mir selber«, antwortete er zitternd. »Allein sie alle ...« Er deutete in die Runde.

»Werden sie tot sein?« fragte Thersandros.

»Sehr viele von ihnen.«

Der Perser weinte, indes er sich hinter seiner Trinkschale verbarg.

»Warum wird das Mardonios nicht gemeldet?«

Wiederum legte der Perser seine Hand auf des Thersandros Arm.

»Nein, mein Gastgeber«, sagte der Perser. »Was Gott beschlossen hat, das läßt sich nicht abwenden, und wer nicht glauben will, der glaubt nicht einmal an das, was unzweifelhaft ist. Doch schaut um Euch!«

»Ich schaue um mich. Ich sehe viele Perser, die...«

»Sprecht!«

»Die bleich und gerührt sind wie Ihr. Sind sie sehend?«

»Sie sind es«, antwortete der Perser.

Sie schienen sehend zu sein. Die Perser blickten bleich einander in die Augen und gewahrten den fahlen Schimmer, den leichenfarbigen Dunst, der einer gespenstischen Erscheinung gleich einen kurzen Augenblick die Häupter vieler umschwebte.

Allein Mardonios sah nichts und brachte lächelnd mit der Trinkschale in der Hand das Trankopfer dar, während er mit seinem Tafelgenossen Attaginos plauderte.


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