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XXVIII.

Die griechische Flotte steuerte nach dem Vorgebirge Artemision, dem nördlichsten Punkte der Insel Euböa: die Korinther mit vierzig Schiffen, die von Megara mit zwanzig Schiffen, die Chalkidier ebenfalls mit zwanzig Schiffen, die ihnen die Athener geliehen hatten, die Aigineten mit achtzehn Schiffen, die Sikyonier mit zwölf Schiffen, die Lazedämonier mit zwanzig Schiffen, die Epidaurier mit acht Schiffen, die Eretrier mit sieben Schiffen, die Troizenier mit fünf Schiffen, mit zwei Schiffen die Bewohner von Styros und mit zwei Schiffen die von der Insel Keos, die Lokrer mit sieben Schiffen. Viele dieser Schiffe führten fünfzig Ruderer und steuerten durch die breit bewegten Wasser des Ägäischen Meeres.

Auch die Athener fuhren nach dem Vorgebirge Artemision mit hundertsiebenundzwanzig Schiffen unter dem Befehl des Themistokles. Eurybiades, der Sohn des Eurykleides, ein Lazedämonier – denn die Verbündeten wollten keinen Athener als Flottenführer – hatte den Befehl über die gesamte Flotte.

Die Athener hatten aus staatsmännischer Klugheit und aus Vaterlandsliebe für das ganze Hellas nicht darauf bestanden. Ungeachtet ihrer vielen Schiffe fügten sie sich für den Augenblick, und auch Themistokles fügte sich, während er in seiner Schlauheit verschiedene geniale Anschläge ausspann.

Die griechischen Flottenbefehlshaber vor Artemision waren, während sie auf die gewaltige persische Flotte starrten – sie war noch immer gewaltig trotz ihres wiederholten Mißgeschicks – von Schrecken erfüllt und wollten fliehen. Die von Euböa flehten Eurybiades an, zu warten, bis sie Frauen und Kinder und Sklaven in Sicherheit gebracht hätten. Sie konnten Eurybiades nicht überzeugen.

Sie gingen zu Themistokles.

Sie boten ihm dreißig Talente, falls er die Flotte vor ihrer Insel zurückhalten könne, auf daß die Seeschlacht nicht anderswo geliefert und Euböa nicht wehrlos gelassen werde. Lächelnd sah Themistokles die dreißig Talente vor sich liegen. Es erschien ihm nicht als Verrat, sich von Hellenen bestechen zu lassen zugunsten von Hellas. Es erschien ihm auch nicht als ein Schurkenstreich, zugunsten von Hellas hellenische Flottenbefehlshaber mit hellenischem Gelde zu bestechen, damit sie diese Gewässer nicht verließen. Er ging mit drei Talenten zu Adeimantos, dem Befehlshaber der Korinther, der sich bereits anschickte, abzufahren, und sagte zu ihm:

»Adeimantos! Beim allmächtigen Zeus! Ihr werdet uns nicht verlassen! So Ihr bleibet, werde ich Euch ein noch größeres Geschenk geben, als Euch der König der Perser geben würde, so Ihr ginget.«

Er gab ihm die drei Talente. Adeimantos blieb, in der Meinung, er habe athenisches Geld empfangen.

Zu Eurybiades ging Themistokles mit fünf Talenten.

Auch Eurybiades blieb in der Meinung, er habe athenisches Geld empfangen.

Die übrigen von Euböa stammenden Talente behielt Themistokles für sich. Es waren ihrer zweiundzwanzig. Unehrlich war er nicht gewesen, nur schlau, und er belächelte Menschen und Dinge zufrieden mit sich und mit Hellas. Dann wurden ein Mann und eine junge Frau vor Themistokles geführt. Beide trieften von Wasser.

»Wer seid ihr?« fragte Themistokles.

»Themistokles, Sohn des Neokles!« sprach der Mann. »Ich bin Skyllias von Skione, der hervorragendste Taucher von Hellas. Sieh hier! An meiner Seite ist meine Tochter Kyane. Sie taucht wie ich. Als die persische Flotte vor dem Peliongebirge von dem Sturm heimgesucht wurde, sind wir beide trotz des wütenden Unwetters in die Tiefe des Meeres hinabgetaucht.«

»Und haben die persischen Anker losgerissen«, sagte Kyane und lachte.

»Ich aber habe den Persern viel goldenes und silbernes Gerät vom Meeresboden zurückgebracht«, sagte der Taucher listig.

»Aber auch einiges für uns behalten«, sagte Kyane lachend.

Themistokles lachte ebenfalls.

»Und jetzt?« fragte er.

»Wir wollten nicht mehr unter den Persern leben«, sagte Skyllias.

»Wir wollten zu den Hellenen zurück«, sagte Kyane.

»Bei Aphetai, wo die persische Flotte vor Anker liegt, tauchte ich in das Meer.«

»Ich auch«, sagte Kyane.

»Erst beim Vorgebirge Artemision kam ich über Wasser.

»Ich auch«, sagte Kyane.

Themistokles lachte.

»Das ist nicht wahr«, sagte er lachend.

»Ist das nicht wahr?« fragte Skyllias entrüstet.

»Nicht wahr?« fragte entrüstet die Tochter.

»Wie lange wollt ihr denn unter Wasser geschwommen sein?« fragte Themistokles noch immer lachend. Er selbst rechnete aus:

»Achtzig Stadien?«

»Kleine Stadien«, meinte der Taucher demütiger.

Themistokles lachte noch immer.

»Ihr seid in einem Boot gekommen«, sagte er.

»Aber erst sind wir unter Wasser geschwommen«, sagte Kyane. »Das Boot erwartete uns.«

»Nun ja! Wir sind natürlich nicht achtzig Stadien unter Wasser geschwommen«, gestand der listige Taucher ein.

Sie lachten alle drei. Dann sagte Skyllias:

»Ich bin ein guter Grieche. Mir könnt Ihr vertrauen. Die persische Flotte – wenigstens ein Teil von ihr – nimmt Kurs auf Euböa. Dies wollte ich Euch nur sagen. Aber das von den persischen Ankern ist wahr.«

»Ich glaube euch«, sagte Themistokles lachend. »Ich werde den Flottenführern empfehlen, euch zu Rate zu ziehen.«

An jenem Morgen wurde Rat gehalten. An demselben Nachmittage zog die kleine, unvollständige griechische Flotte der persischen Flotte entgegen, um einmal darzutun, was sie vermöge.

Die Führer und Seekrieger auf der persischen Flotte glaubten, es kämen vereinzelte griechische Narren mit so wenigen Schiffen. Sie lichteten ihre Anker und meinten, daß sie sich dieser unsinnigen Griechen mit Leichtigkeit würden bemächtigen können.

Die Griechen gingen zum Angriff über. Sie nahmen in dem engen Fahrwasser dreißig persische Triremen.

In jener Nacht brach ein gewaltiger Sturm los, und es schien fast, als ob Boreas und die Windgötter wirklich noch immer die Griechen beschützten. Es war Mittsommer. Der Donner rollte unaufhörlich mit schweren Wolken und Regengeprassel von dem Berge Pelion herab. Viele persische Schiffe zerschellten, und die Leichen und die Trümmer verwirrten sich in den Ruderreihen der übrigen Schiffe.

Dies alles geschah, weil der Gott der Griechen, Zeus, im Kampf mit dem Gott der Perser, den sie ebenfalls Zeus nannten, die persische Flotte der griechischen Flotte gleichmachen wollte. Auf die Riffe von Euböa wurden mitleidslos die persischen Schiffe geschleudert, und als der Tag anbrach, schickten die Griechen Verstärkung von dreiundfünfzig athenischen Schiffen und vernichteten an jenem Nachmittag die kilikische Abteilung der persischen Flotte.

Am dritten Tage kämpften sie mit gleichen Kräften. Die persische Flotte, die durch ihre eigenen zahlreichen Schiffe so behindert wurde, daß sie sich gegenseitig in ihren Ruderreihen verwirrten und gegeneinander stießen, verlor an jenem Tage unzählige Schiffe und Männer. Auch die Griechen erlitten starke Verluste. Es war am nämlichen Tage, als Leonidas die Thermopylen verteidigte. Zu Lande und zu Wasser verteidigten die Griechen den Durchlaß nach dem südlichen Hellas.

Allein an jenem Abend legten sich die Griechen, insbesondere die Athener, als sie von Artemision zurückgekehrt waren, Rechenschaft ab von ihren großen Verlusten und beratschlagten, wie sie am schnellsten in die Binnenmeere von Hellas entfliehen könnten.

Das aber war nicht des Themistokles Wunsch, und er dachte: »Wenn ich nur die Ionier und die Karier wieder zu uns zurückbringen könnte!«

Auf den Felsen bei den Quellen, die trinkbares Wasser hergaben, und wo sicherlich die persischen Schiffsmannschaften ihre Becher füllen würden, ließ er folgendes anschreiben:

»Ionier! Ihr tut Unrecht, wenn ihr gegen eure Vorfahren kämpft und uns Hellenen unter persisches Joch zwingen wollt. Vergeßt nicht, daß ihr die Ursache dieses Krieges seid! Haltet euch wenigstens, falls die Perser euch zwingen sollten, so sehr zurück wie möglich! Kämpft nicht mit Gewalt gegen eure Väter und Brüder!«

Themistokles dachte:

»Wenn Xerxes von diesen Inschriften nichts hört, werden die Ionier zu uns überlaufen. Wenn Xerxes aber von den Inschriften hört, werden die Ionier in seinen Augen verdächtig sein, und er wird sie nicht mitkämpfen lassen.«

Ein Kundschafter kam aus Thrachis und berichtete den Tod des Leonidas und der dreihundert und der Thespier und meldete, daß der Weg nach Athen frei sei.

Es waren sorgenvolle Tage, Tage der Verzweiflung beinah. Es war nicht ratsam, länger in diesen fremden Gewässern zu bleiben, selbst wenn die ganze Flotte hier vernichtet werden würde. Wie zerbrechlich war dieser hölzerne Wall, diese stolze, aber bereits heimgesuchte neue Flotte der jungen Seemacht, die nur die Wogen für sich hatte, aber nicht mehr das Land, das den Menschen not tut!


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